TE Vfgh Erkenntnis 2017/10/10 E2446/2015 ua

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Veröffentlicht am 10.10.2017
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Index

L6500 Jagd, Wild

Norm

Nö JagdG 1974 §12, §17, §80 ff
EMRK 1. ZP Art1
StGG Art5

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der im Niederösterreichischen Jagdgesetz 1974 vorgesehenen grundsätzlichen Verpflichtung der Grundeigentümer zur Duldung der flächendeckenden Bejagung; kein unverhältnismäßiger Eigentumseingriff angesichts der öffentlichen Interessen der Biodiversität, des Artenreichtums, der Vermeidung von Wildschäden und der Weidgerechtigkeit sowie im Hinblick auf die Möglichkeit der Verfügung des Ruhens der Jagd unter der Voraussetzung einer schalenwilddichten Umfriedung des Grundstücks; Abweisung der Beschwerden von Grundeigentümern gegen die Versagung der Jagdfreistellung ihrer Grundstücke

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Erkenntnisse nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind auch nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

II. Die Beschwerde der Drittbeschwerdeführer wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von in Niederösterreich gelegenen land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken. Gemäß dem Niederösterreichischen Jagdgesetz 1974 (im Folgenden: Nö JagdG 1974) sind sie Mitglieder der örtlichen Jagdgenossenschaft. Da sie die Jagd grundsätzlich ablehnen, stellten die Beschwerdeführer Anträge an die zuständigen Bezirkshauptmannschaften, ihre Grundstücke von der Jagd freizustellen.

1.1.    Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer sind Eigentümer näher bezeichneter land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtfläche von rund 33,3 ha bzw. 35,5 ha, die im Genossenschaftsjagdgebiet der Jagdgenossenschaft Gschwendt gelegen sind. Mit Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Zwettl vom 22. Juli 2015 beantragten die Beschwerdeführer jeweils, ihre Grundstücke zu "jagdrechtlich befriedeten Bezirken" zu erklären und die "Beendigung der Zwangsmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft Gschwendt" festzustellen. Weiters beantragten die Beschwerdeführer festzustellen, dass auf ihren Grundstücken Tiere nicht geschossen bzw. Wildstücke nicht erlegt werden dürfen (1.), Hegemaßnahmen, zB Fütterungen, nicht durchgeführt werden dürfen (2.), alle jagdlichen Maßnahmen, zB Fallenstellen, zu unterlassen sind (3.), jagdliche Einrichtungen, zB Fütterungen, Lecksteine, Kirrungen, Wildkameras und Ansitze, nicht errichtet werden dürfen (4.) sowie die Entfernung allfälliger bestehender jagdlicher Einrichtungen der Jägerschaft aufgetragen oder dem Grundeigentümer gestattet wird (5.).

Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer begründeten ihre Anträge auf das Wesentlichste zusammengefasst damit, dass entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Verpflichtung zur Duldung der Jagd für Grundstückseigentümer, welche die Jagd ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung darstelle. Diese Rechtsprechung sei auf die Rechtslage in Niederösterreich übertragbar. Als Tierfreunde wollten der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer nicht, dass auf ihren Grundstücken freilebende Wildtiere geschossen werden. Sie lehnten die Jagd – unabhängig von den benutzten Waffen und angewendeten Methoden – grundsätzlich ab und befürworteten eine Wiederansiedlung von heimischen Beutegreifern wie Wolf und Luchs und die Unterlassung von Fütterungsmaßnahmen zur Kontrolle der Wildtierpopulation. Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer könnten zudem ihre Grundstücke nicht angstfrei betreten, zumal von dem im Zuge der Jagd notwendigen Gebrauch von Schusswaffen eine latente Gefahr ausgehe.

1.2.    Die Drittbeschwerdeführer sind Miteigentümer näher bezeichneter land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtfläche von rund 1,8 ha, die in den Genossenschaftsjagdgebieten der Jagdgenossenschaften Mollendorf-Jasenegg und Rantenberg gelegen sind. Mit Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Melk vom 12. Oktober 2015 beantragten die Drittbeschwerdeführer, ihre Grundstücke zu "jagdrechtlich befriedeten Bezirken" zu erklären und die "Beendigung der Zwangsmitgliedschaft in den Jagdgenossenschaften Mollendorf-Jasenegg und Rantenberg" festzustellen.

1.3.    Die Viertbeschwerdeführer sind Eigentümer näher bezeichneter land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke mit einer Gesamtfläche von rund 5,0 ha, die im Genossenschaftsjagdgebiet der Jagdgenossenschaft Maiersdorf gelegen sind. Mit Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 21. September 2015 beantragten die Viertbeschwerdeführer, ihre Grundstücke zu "jagdrechtlich befriedeten Bezirken" zu erklären und die "Beendigung der Zwangsmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft Maiersdorf" festzustellen.

Die Viertbeschwerdeführer begründeten ihren Antrag auf das Wesentlichste zusammengefasst damit, dass entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Verpflichtung zur Duldung der Jagd für Grundstückseigentümer, welche die Jagd ablehnen, eine unverhältnismäßige Belastung darstelle. Die EMRK gelte auch in Österreich und entfalte innerstaatliche Wirksamkeit. Die Grundstücke der Viertbeschwerdeführer seien gemäß dem Nö JagdG 1974 – weil sie das Mindestausmaß für die Feststellung als Eigenjagd nicht erreichen – zwangsweise einem Genossenschaftsjagdgebiet zugeordnet. Ein Ausscheiden der Viertbeschwerdeführer aus der Jagdgenossenschaft sehe das Nö JagdG 1974 nicht vor. Daher könnten sie nicht verhindern, dass auf ihren Grundstücken gejagt und Tiere getötet werden. Die Viertbeschwerdeführer lehnten die Jagd auf Grund ihrer ethischen Überzeugung grundsätzlich ab und plädierten für eine Regulierung des Wildbestandes durch natürliche Mechanismen, insbesondere durch die Wiederansiedlung großer Beutegreifer. Das Nö JagdG 1974 berücksichtige diese ethischen Überzeugungen der Viertbeschwerdeführer nicht und verstoße daher gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

2.       Die zuständigen Bezirkshauptmannschaften wiesen die Anträge der Beschwerdeführer auf Jagdfreistellung und Feststellung der Beendigung der Mitgliedschaft in der jeweiligen Jagdgenossenschaft zurück. Begründend führten die Bezirkshauptmannschaften auf das Wesentlichste zusammengefasst aus, dass im Nö JagdG 1974 ein Verfahren zur Jagdfreistellung von Grundstücken nicht vorgesehen sei. Nach Ablauf der gesetzlichen Frist zur Anmeldung von Eigenjagdgebieten habe die zuständige Behörde gemäß §12 Abs5 Z2 Nö JagdG 1974 jeweils auszusprechen, dass die verbleibenden Grundstücke das Genossenschaftsjagdgebiet bilden. Sämtliche Eigentümer von Grundstücken, die im festgestellten Genossenschaftsjagdgebiet gelegen seien, bilden gemäß §18 Abs1 Nö JagdG 1974 die Jagdgenossenschaft.

3.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wies die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden ab, weil das Nö JagdG 1974 eine Jagdfreistellung aus den von den Beschwerdeführern genannten Gründen nicht vorsehe.

3.1.    Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich begründete diese Erkenntnisse auf das Wesentlichste zusammengefasst jeweils damit, dass das Jagdrecht aus dem Grundeigentum erfließe, mit diesem verbunden sei und als selbständiges Recht nicht begründet werden könne. Nach §17 Abs2 des Nö JagdG 1974 könne zudem auf entsprechenden Antrag hin das Ruhen der Jagd verfügt werden, wenn das betreffende Grundstück schalenwilddicht (Gitter, Zaun, Mauer usw.) derart umfriedet sei, dass der Zutritt fremden Personen ohne Beschädigung oder Übersetzung der Umfriedung auf einem anderen Weg als durch die an der Umfriedung angebrachten schließbaren Türen und Tore unmöglich sei. Die Beschwerdeführer hätten so die Möglichkeit gehabt, ihre Grundstücke – eine entsprechende Umfriedung vorausgesetzt – von der Bejagung ausnehmen zu lassen und so ihren ethischen Bedürfnissen zu entsprechen.

3.2.    Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte im Erkenntnis betreffend die Beschwerde der Viertbeschwerdeführer zudem aus, dass es die Bedenken der Viertbeschwerdeführer hinsichtlich der Verfassungskonformität des Nö JagdG 1974 nicht teile. Der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, G7/2016, ausgesprochen, dass die der niederösterreichischen Regelung vergleichbaren Bestimmungen des Kärntner Jagdgesetzes 2000 (im Folgenden: K-JG) nicht verfassungswidrig seien, weil sich die Sach- und Rechtslage in Kärnten wesentlich von den den Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zugrunde liegenden Fällen unterscheide. Die in Kärnten für das Ruhen der Jagd vorgesehene Umfriedung sei verhältnismäßig. Diese Möglichkeit könne auch von Personen in Anspruch genommen werden, die die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich sei diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf Niederösterreich übertragbar. Das Nö JagdG 1974 gleiche dem K-JG weitgehend, insbesondere in Bezug auf eine planmäßige Jagdbewirtschaftung gemäß §§80 ff Nö JagdG 1974 und in Bezug auf das Ruhen der Jagd gemäß §17 Abs2 Nö JagdG 1974. Auch sei die zu Kärnten festgestellte Sachlage mit jener in Niederösterreich vergleichbar. Wie in ganz Österreich bestehe auch in Niederösterreich ein spezifisches Interesse an einer flächendeckenden Jagdbewirtschaftung, insbesondere auf Grund der in ganz Österreich herrschenden Schalenwilddichte. Die Bestimmungen des Nö JagdG 1974 betreffend das Ruhen der Jagd entsprechen im Wesentlichen der Regelung in Kärnten und seien daher nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich verhältnismäßig und verfassungskonform.

4.       Gegen diese Entscheidungen richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden.

4.1.    Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführer behaupten die Verletzung in Rechten wegen Anwendung der als verfassungswidrig bezeichneten Gesetzesbestimmungen der §§1 Abs1 iVm 4 iVm 10 iVm 25 Abs3 Nö JagdG 1974, LGBl 6500-29 idF 84/2015, und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse. Auszugsweise wird in den Beschwerden jeweils Folgendes vorgebracht:

"Das Niederösterreichische Jagdgesetz LGBl 6500-29 zuletzt geändert durch LGBl Nr 84/2015, sieht eine zwangsweise Bejagung von Grundstücken vor. Dies gilt insbesondere für Grundstücke mit einer Fläche von weniger als 115qm [gemeint wohl ha], die in einem Genossenschaftsjagdgebiet zusammengefasst sind.

Grundstückseigentümer haben keine Möglichkeit, auch nicht aus ethischen Überlegungen, die Jagd auf ihren Grundstücken zu verbieten. Dies gilt sowohl für Eigenjagdbesitzer, die gemäß §52 Abs3 NÖ-JG bei sonstiger Ersatzvornahme einen Jagdverwalter bestellen oder die Jagd verpachten müssen, auch wenn sie aus ethischen Gründen die Jagd ablehnen, als auch für Grundstückseigentümer, deren Grundstücke in einer Genossenschaftsjagd zusammengefasst sind. Diese haben überhaupt keine Möglichkeit auf die Jagdausübung Einfluss zu nehmen.

Zwar wird eine pauschale Entschädigung für das Jagdrecht bezahlt, diese ist jedoch betraglich vernachlässigbar. Für Verbissschäden durch das Wild wird keine gesonderte Entschädigung gezahlt. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass es dem Beschwerdeführer nicht auf Entschädigungszahlungen ankommt, sondern er die Jagd in der heute praktizierten Form aus ethischen Überzeugungen ablehnt.

Die Rechtslage in Niederösterreich entspricht damit fast deckungsgleich jener in Deutschland vor dem Gesetz zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften vom 29.5.2013. Mit dem zitierten Gesetz wurde §6a in das Bundesjagdgesetz aufgenommen. Dadurch wurde es in Deutschland für Grundeigentümer möglich, einen Antrag zu stellen, wonach Grundstücke jagdfrei erklärt werden können, wenn der Eigentümer glaubhaft macht, die Jagd aus ethischen Gründen abzulehnen (jagdfreie Bezirke).

Die genannte Änderung des deutschen Bundesjagdgesetzes erfolgte aufgrund einer Entscheidung des EGMR: Mit Urteil vom 26.6.2012 zu Beschwerde Nr 9300/07 hat die Große Kammer des EGMR festgestellt, dass das deutsche Jagdrecht und die darin vorgesehene Zwangsbejagung gegen Art1 des 1. Zusatzprotokolls der MRK verstoßen. Dabei hat der EGMR im Wesentlichen auch jene Aspekte berücksichtigt, die in Österreich für eine Verfassungsmäßigkeit des durch das Niederösterreichische Jagdrecht erfolgenden Eingriffs in die Freiheit des Eigentums vorgebracht werden könnten, nämlich insbesondere eine Abwägung zwischen dem Eigentumseingriff und öffentlichen Interessen. Während die kleine Kammer im Urteil vom 20.1.2011 noch von der Rechtmäßigkeit des Eingriffs ausging (und die Interessenabwägung zugunsten der Bejagung ausging), hat die Große Kammer des EGMR mit Urteil vom 26.6.2015 [gemeint wohl 2012] entschieden, dass die Zwangsbejagung jedenfalls (und unabhängig von einer etwaigen Entschädigung) dann gegen Art1 des 1. Zusatzprotokolls der MRK verstößt, wenn der Grundstückseigentümer die Jagd aus ethischen Gründen ablehnt. Ein Eigentümer ist in seiner eigentumsrechtlichen Disposition grundsätzlich durch die Gewährleistungen von Art1 des 1. Zusatzprotokolls der MRK geschützt.

Beim Urteil des EGMR vom 26.6.2012 zur Rechtslage in Deutschland handelt es sich um die Fortsetzung einer gefestigten Rechtsprechung des EGMR, da sinngemäß ähnliche Urteile bereits in Hinblick auf das Jagdrecht in Frankreich und Luxemburg ergangen waren.

Nichts anderes gilt auch für Österreich, wo der MRK und ihren Zusatzprotokollen ja Verfassungsrang zukommen.

Im konkreten Fall sind die Ausführungen des EGMR im Urteil vom 26.6.2012 aufgrund der deckungsgleichen Rechtslage in Niederösterreich und Deutschland (vor dem Gesetz zur Änderung jagdrechtlicher Vorschriften vom 29.5.2013) unmittelbar auch für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Niederösterreichischen Jagdgesetzes heranzuziehen.

Bei einem Vergleich des Niederösterreichischen Jagdgesetzes mit der vom EGMR im Urteil vom 26.6.2012 zu beurteilenden Rechtslage in Deutschland ist festzustellen, dass die Interpretation von Art1 des 1. Zusatzprotokolls der MRK durch den EGMR auch mit der Niederösterreichischen Rechtslage nicht in Einklang zu bringen ist.

Die im Niederösterreichischen Jagdrecht vorgesehene Zwangsbejagung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken (sowohl betreffend Eigenjagden als auch betreffend Genossenschaftsjagdgebieten) widerspricht somit Art1 des 1. Zusatzprotokolls der MRK und damit österreichischem Verfassungsrecht."

4.2.    Die Drittbeschwerdeführer behaupten die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung von als verfassungswidrig bezeichneten Gesetzesbestimmungen und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse, für den Fall der Ablehnung oder Abweisung die Abtretung ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Auszugsweise wird in der Beschwerde Folgendes vorgebracht:

"IV Verfassungswidriger Normvollzug

Wenn das NÖ Jagdgesetz es nicht vorsieht, dass Grundbesitzer jagdrechtlich befriedete Bezirke sowie die Beendigung der Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften beantragen können, dann liegt jene Konstellation vor, dass der Gesetzgeber einen Fall nicht geregelt hat, den er erkennbar geregelt hätte, wenn er die Regelungsbedürftigkeit erkannt hätte. Daher liegt eine Gesetzeslücke, eine 'planwidrige Unvollständigkeit' innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung, vor. Der zusammengehörende Komplex von Einzelnormen ist dann unvollständig, wenn eine Regelung für einen ganzen Lebensbereich, der nach den Grundsätzen der subjektiven oder objektiven Auslegung zu erwarten wäre, fehlt. Gesetzeslücken sind vom Rechtsanwender im Wege der Analogie zu schließen, wenn Erwägungen der Gerechtigkeit das erfordern und schwerer wiegen als Gründe der Rechtssicherheit.

V. Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes

1. Unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Eigentumsfreiheit

Die Bf haben keine Wahlmöglichkeit, ob auf ihren Grundstücken die Jagd ausgeübt wird oder nicht. Die Grundstücke der Bf befinden sich in einem Genossenschaftsjagdgebiet. Die Jagd wird damit gemäß §4 Abs2 Z2 NÖ JagdG durch die Jagdgenossenschaft ausgeübt. Aber selbst Eigenjagdbesitzer müssen gemäß §52 Abs3 NÖ JagdG, auch wenn sie die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, bei sonstiger Ersatzvornahme einen Jagdverwalter bestellen oder die Jagd verpachten.

§17 NÖ JagdG garantiert kein Ruhen der Jagd im Sinne der Unterbindung der Jagd auf eigener Grundfläche.

Nach §17 Abs2 NÖ JagdG kann der Eigentümer das Ruhen der Jagd zwar beantragen, aber nur für die Dauer einer Jagdperiode und nur nachdem er eine 'schalenwilddichte Umfriedung', also ein Gitter, einen Zaun oder eine Mauer um sein gesamtes Grundstück errichtet hat. Eine solche Umfriedung ist unzumutbar, zumal sie einerseits mit enormen Kosten verbunden wäre und andererseits die Wildtiere am natürlichen Ein- und Auswechseln hindern würde und somit auch den Zuzug natürlicher Feinde, um das natürliche Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, verunmöglichen oder erschweren würde (dazu unten).

Insofern ist auch der Abs4 des §17 NÖ Jagdgesetzes, in welchem keine 'Herstellungen' angebracht werden dürfen, die das etwa einwechselnde Wild hindern, wieder auszuwechseln widersprüchlich zu Abs2, der ja 'schalenwilddichte Umfriedungen' verlangt. Des Weiteren existiert durch die Zwangsmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft selbst bei 'Ruhen der Jagd' stets ein Jagdausübungsberechtigter, der nach §17 Abs5 und 6 NÖ Jagdgesetz dazu berechtigt ist, sich das Wild auf einem umfriedeten, dem Ruhen der Jagd für eine Jagdperiode unterliegendem Grundstück, anzueignen (!) und angeschossenes oder krankes Wild zu töten.

Das 'Ruhen der Jagd' nach §17 NÖ Jagdgesetz stellt daher kein Ruhen der Jagd im Sinne einer Unterbindung der Jagd auf eigener Grundfläche dar. Abs5 und 6 des §17 NÖ Jagdgesetz schließt eine Unterbindung der Jagd sogar aus. Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb das Landesverwaltungsgericht NÖ zu dem Schluss kommt (Seite 5 des Erkenntnisses), dass durch §17 NÖ Jagdgesetz eine ethisch begründete Ablehnung der Jagd möglich wäre. Die Bf verfügen über kein wirksames Mittel, um die Ausübung der Jagd auf ihren Grundstücken zu verhindern.

Das Landesverwaltungsgericht NÖ führt aus, dass das NÖ Jagdgesetz einen Antrag auf Jagdfreistellung aus den von den Bf genannten Gründen nicht vorsieht (Seite 5 des Erkenntnisses). Das Jagdrecht fließe aus dem Grundeigentum, sei mit diesem verbunden und könne nicht als selbständiges Recht begründet werden.

Das Landesverwaltungsgericht NÖ hat sich der von Jagdbefürwortern vertretenen Ansicht angeschlossen, dass die Gefahr von Wildschäden an land- und forstwirtschaftlichen Kulturen durch eine geordnete Jagdwirtschaft hintanzuhalten sei und diese im allgemeinen Interesse liege.

a) Das öffentliche Interesse

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muss die Beschränkung des Eigentumsrechtes i.S.d. Artikel 1 des ersten Zusatzprotokolls der EMRK auf einem öffentlichen Interesse beruhen, zu dessen Verfolgung geeignet und im Hinblick darauf erforderlich sein.

Das Landesverwaltungsgericht NÖ stellt bei seiner Auslegung des 'allgemeinen Interesses' auf das von Jagdbefürwortern stets vorgebrachte 'Argument' der Wildschäden an land- und forstwirtschaftlichen Kulturen ab, deren Vermeidung nur durch 'ordnungsgemäße und flächige Bejagung' und 'Hege des Wildes' erreicht werden könne.

Biodiversität, Artenreichtum und die Vermeidung von Wildschäden liegen richtigerweise im gesamtwirtschaftlichen und öffentlichen Interesse, werden jedoch nicht durch eine geordnete Jagdwirtschaft und Hege erreicht. Diese sind weder erforderliche noch geeignete Mittel zur Zweckerreichung, nämlich der Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichtes.

Der größte Feind der Artenvielfalt ist die Jagd. Die Jagd provoziert ganz im Gegenteil vielfach Wildschäden. Jagd bedeutet eine Störung des natürlichen Gleichgewichts der Öko-Systeme. Sie kann zur Ausdünnung oder Ausrottung von Tierarten führen.

Rehe sind z.B. von ihrer Natur her Bewohner von Wiesen und dem Waldrand. Erst die Jagd treibt die Tiere in den Wald hinein, wo sie dann keine – für sie lebenswichtigen – Gräser und Kräuter finden und ihnen nichts anderes bleibt, als an Knospen zu knabbern.

Forschungen zeigen, dass so genannte Beutegreifer nicht für die Regulation, d.h. die zahlenmäßige Kontrolle ihrer Beutetiere, verantwortlich sind. Beutegreifer erbeuten bevorzugt alte, kranke und schwache Tiere bzw. fressen Aas und tragen so zu einem gesunden Wildbestand bei. Ein Jäger, der auf große Distanz schießt, kann nur in den seltensten Fällen beurteilen, ob ein Tier krank oder alt ist. Da Jäger aber vor allem auf prächtige Tiere, nämlich Trophäenträger, aus sind, führt die von Menschen praktizierte Jagd dagegen in aller Regel zu einer naturwidrigen Fehlauslese. Wolf, Luchs und Braunbär wurden in Europa durch die Jagd praktisch ausgerottet, der Adler stark dezimiert – und die Rückkehr dieser Arten wird durch die Jagd aktiv verhindert. Mit dem Abschuss von Mardern, Füchsen und Wieseln dezimieren Jäger zudem die noch vorhandenen Beutegreifer. Damit die Jäger genug Abschüsse tätigen bzw. verkaufen können, werden Rehe, Hirsche und Wildschweine massiv gefüttert und diese unnatürliche Fütterung als "Hege" bezeichnet.

Die 'geordnete Jagdwirtschaft' – wie das Landesverwaltungsgericht NÖ auf Seite 5 seines Erkenntnisses ausführt – liegt also keineswegs im öffentlichen Interesse, weil sie kein geeignetes oder erforderliches Mittel darstellt, Wildschäden hintanzuhalten, sondern ganz im Gegenteil solche sogar erst verursacht.

Auch ein 'gravierender Eingriff in die Eigentumsfreiheit der umliegenden Grundeigentümer' ist gerade dann auszuschließen, wenn Grundeigentümer aus Jagdgenossenschaften austreten. Jagd bedeutet eine Störung des natürlichen Gleichgewichts der Öko-Systeme. Sie kann zur Ausdünnung oder Ausrottung von Tierarten führen. Jäger sind Naturnutzer, aber keine Naturschützer. In vom WWF gepachteten Jagdrevieren des Nationalparks Hohe Tauern, in welchen weder gejagt noch zugefüttert wird, wurde eine Untersuchung durchgeführt, die belegt, dass Wildtiere auch ohne jegliche Zufütterung ein selbst reguliertes Gleichgewicht erreichen, ohne dabei den Wald zu schädigen. Im Kanton Genf in der Schweiz gibt es seit Anfang der 1970er Jahre ein Jagdverbot. Faunainspektor Gottlieb Dandliker sieht eine sehr positive Entwicklung für die Tierwelt durch das Jagdverbot. Verschiedenste andere Studien, auch internationale, haben das bestätigt.

b) Geeignetheit

Das Grundrechtseingriff ist nicht geeignet, den erstrebten Zweck, die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichtes zu erreichen oder wenigstens zu fördern. Dies schon gar nicht bei Vornahme einer unverzichtbaren Prognose. Gerade für zukünftige Generationen wird es von Bedeutung sein, das ökologische Gleichgewicht auf geeignete Art und Weise wieder herzustellen und aufrecht zu erhalten.

c) Erforderlichkeit

Der Grundrechtseingriff ist auch nicht erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Unter mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen muss die gewählte Maßnahme das mildeste Mittel sein, welches die Bf am wenigsten belastet. Es reicht, wenn der Zweck, die Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichtes, mit gleicher Wahrscheinlichkeit durch eine andere Maßnahme, hier der Nichtbejagung der Tiere auf dem eigenem Grundstück, erreicht werden kann. Im Anlassfall handelt es sich ja sogar nicht bloß um eine andere, sondern eine geeignetere Maßnahme.

Die Bf werden durch das angefochtene Erkenntnis und das NÖ Jagdgesetz in ihrem Recht auf Achtung des Eigentums (Art1 1. Zusatzprotokoll EMRK) alleine und in Verbindung mit Art14 EMRK (Diskriminierungsverbot) verletzt. Den Bf wird als Grundstückseigentümer eine unverhältnismäßige Belastung durch die Verpflichtung auferlegt, Dritten – wie sich auch aus §17 Abs5 und 6 NÖ Jagdgesetz ergeben würde – Jagdrechte auf ihrem Land zu übertragen, so dass diese davon in einer Weise Gebrauch machen können, die den Überzeugungen der Eigentümer zuwiderlaufen. Der Verstoß gegen Artikel 1 1. Zusatzprotokoll der EMRK liegt zweifelsfrei vor.

Diese unverhältnismäßige Belastung des Eingriffs in das Eigentumsrecht wird in dieser Verbindung durch das Diskriminierungsverbot nach Art14 EMRK zusätzlich untermauert.

In Bezug auf die Rechte und Freiheiten der EMRK ist durch Art14 EMRK jede Diskriminierung untersagt, die Garantien der EMRK werden so nach ständiger Rechtsprechung des EGMR um das Gebot der Nichtdiskriminierung ergänzt (etwa EGMR, 16.9.1996, Gaygusuz./.AUT, Nr 17371/90, Z36).

Auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem fällt unter das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK. Der Eigentumseingriff, der an sich eine Verletzung der EMRK darstellt steht in eventu auch in Verbindung mit Art14 EMRK und stellt somit einen Verstoß gegen diesen dar, weil er im Gesamten als Diskriminierung einzuordnen ist. Auch das 'Ruhen der Jagd' nach §17 NÖ Jagdgesetz, das – wie oben erörtert – kein tatsächliches Ruhen darstellt, diskriminiert Grundeigentümer die für ihren Grund und Boden eine andere (beziehungsweise: die effektive) Art der Erhaltung eines natürlichen Ökosystems, des Schutzes der Tiere und der Umwelt vorsehen. Durch diese Gleichbehandlung von wesentlich ungleichen Sachverhalten wird Art14 EMRK verletzt.

2. Unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Gewissensfreiheit

Aus dem Bundestierschutzgesetz ist die Jagd grundsätzlich ausgenommen. Das NÖ Jagdgesetz handel[t] nicht vom Tierschutz und erlaubt generell die sogenannte 'weidgerechte' Jagd. Bei der Jagd gilt somit kurioser Weise, dass die JägerInnen bestimmen dürfen, welche Jagdmethoden 'weidgerecht' und legal sind und welche nicht.

Den Blattschuss, also den sofortigen Tod des angeschossenen Tieres, gibt es in der Praxis kaum. Einerseits kommen die Jäger in den meisten Fällen nicht nahe genug an Wildtiere heran um exakt zu treffen, andererseits streuen Schrotladungen z.B. schon gute 4 m nach 50 m Flugdistanz.

Angeschossene Tiere, die zunächst entkommen und dann elendiglich verenden, sind somit der Normalzustand. Bei abendlicher Jagd und bei der Jagd auf Wildschweine wird im Jagdprüfungsbehelf sogar ausdrücklich empfohlen, die sogenannte 'Nachsuche' nach verletzten Tieren erst am nächsten Tag bzw. nach geraumer Zeit zu machen. Gerade Wildschweine können kaum beim ersten Schuss getötet werden und aufgrund ihrer Gefährlichkeit bei Verwundung wird von jagdlicher Seite empfohlen, solange zuzuwarten, bis das angeschossene Tier genügend geschwächt ist.

Das Recht auf Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen fällt in den Schutzbereich des Art9 EMRK. Die Überzeugung der Bf die Jagd auf ihren Grundstücken aus Gründen des Tierschutzes nicht dulden zu wollen erreicht auch den Grad 'von Entschiedenheit, Geschlossenheit und Wichtigkeit' und 'verdient in einer demokratischen Gesellschaft Achtung' (diese Grundsatzerklärung ist in dem Urteil Schneider./.Luxemburg, Nr2113/04, Rdnr.82, 10. Juli 2007 wiederholt worden).

Diese Schlussfolgerung ist vor allem zu treffen, wenn berücksichtigt wird, dass sich aus der EMRK sowohl ein abgeleiteter Tierschutz ergibt als auch das Recht auf Gewissensfreiheit geschützt wird, aber kein Recht zu jagen garantiert wird:

Die Europäische Union hat den Schutz von Tieren als 'fühlende Wesen' die höchste Rechtsstellung zuerkannt, indem sie ihn in dem 'Protokoll über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere' zum Vertrag von Amsterdam anführt. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union bekräftigt, dass 'die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung' tragen (Artikel 13 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Des Weiteren hat der österreichische Verfassungsgesetzgeber eine wichtige Verfassungsreform verabschiedet indem Tierschutz 2013 zum Staatsziel erhoben wurde. Dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft entspricht es somit, dem Tierschutz Verfassungsrang einzuräumen, um dem Gebot des sittlich verantworteten Umgangs des Menschen mit dem Tier als fühlendes Wesen Rechnung zu tragen. Darüber hinaus verweist §285a Satz 1 ABGB seit 1988 darauf, dass Tiere keine Sachen sind und durch besondere Gesetze geschützt werden (sollten).

Die philosophische Haltung der Bf, die darin besteht, Tiere zu schützen, steht im absoluten Einklang mit dem von der Konvention gewährten abgeleiteten Tierschutz.

Die Bf befinden sich in einem echten Gewissenskonflikt: Sie bleiben entweder ihren Überzeugungen treu und widersetzen sich der Ausübung der Jagd auf ihren Grundstücken oder sie dulden die Jagd, was ihren Gewissen zuwiderläuft und in einer demokratischen Gesellschaft nicht hinnehmbar und zumutbar ist.

Die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem fällt auch hier unter das Diskriminierungsverbot des Art14 EMRK. Ein Jagdgegner darf in seiner Gewissensfreiheit gegenüber einem Jagdbefürworter nicht durch Jagdgesetze diskriminiert werden.

3. Unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Vereinsfreiheit

Die Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft verstößt des Weiteren gegen die Vereins- und Versammlungsfreiheit (Art11 EMRK) für sich genommen und in Verbindung mit Artikel 14 EMRK. Das Recht sich frei mit anderen zusammenzuschließen muss auch das Recht inkludieren, einer Jagdgenossenschaft beizutreten oder nicht. Diese höchstpersönliche Freiheit jedes Einzelnen wird durch eine Zwangsmitgliedschaft verunmöglicht. Ein Eingriff in dieses Grundrecht müsste ein legitimes Ziel verfolgen und in einem demokratischen Rechtsstaat notwendig sein. Dies ist dann der Fall, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis für den Eingriff in dieses Recht besteht ('Mittel-Zweck-Relation'). Die Zwangsmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften stellt jedenfalls kein dringendes Bedürfnis für einen Eingriff dar. Biodiversität, Artenreichtum und die Vermeidung von Wildschäden liegen richtigerweise im gesamtwirtschaftlichen und öffentlichen Interesse, werden jedoch nicht durch Bejagung und Hege erreicht (siehe oben)."

4.3.    Die Viertbeschwerdeführer behaupten die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung von als verfassungswidrig bezeichneten Gesetzesbestimmungen und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse. Auszugsweise wird in der Beschwerde Folgendes vorgebracht:

"IV Verfassungswidriger Normvollzug

§17 Abs2 NÖ Jagdgesetz suggeriert einen völlig falschen Sachverhalt und ist nicht nachvollziehbar, weshalb die BG auf Seite 10 ihrer rechtlichen Ausführungen zu dem Ergebnis kommt, dass das 'Ruhen der Jagd' einer Jagdfreistellung gleichkomme. Das Wild gehört auch im Sinne des §17 Abs2 dem Jagdausübungsberechtigten. Das heißt, dass es den BF nicht einmal erlaubt wäre, ein durch jägerlichen Fehlschuss verletztes Reh – wie es ihrem Gewissen entsprechen würde – veterinärmedizinisch versorgen zu lassen und gesund zu pflegen, wenn sie es auf ihrem Grundstück vorfinden würden. Die Intention des NÖ JagdG ist der absolute 'Schutz der Jagd'.

Eine verfassungskonforme Auslegung des NÖ JagdG, insbesondere §17 Abs2 NÖ JagdG und Lückenschließung hätte die BG im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, in dem Sinne vorzunehmen gehabt, dass sie eine Entscheidung zu treffen gehabt hätte, durch welche die Verpflichtung, die Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, obwohl die BF diese aus Gewissensgründen ablehnen, für die BF eine unverhältnismäßige Belastung bedeuten würde und folglich eine Verletzung von Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK, von Art9 und 11 EMRK gegeben sei."

Zur behaupteten Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bringen die Viertbeschwerdeführer im Wesentlichen vor wie die Drittbeschwerdeführer. Darüber hinaus führen sie aus, dass das Nö JagdG 1974 nicht nur Regelungen für die Bejagung von Schalenwild, sondern auch von Füchsen, Hasen, Mardern, Dachsen, Iltissen, Wieseln, Murmeltieren, Schnepfen, Enten, Haselhühnern, Auerhühnern, Birkhühnern, Wildgänsen usw. enthalte. Das Vorliegen von "Waldverbiss" sei geradezu der Beweis dafür, dass die Jagd die öffentlichen Interessen nicht effektiv sicherstellen könne. In Niederösterreich seien kaum Berufsjäger tätig, die Jagd werde vorwiegend durch "Hobby- und Sonntagsjäger" betrieben.

Das Grundstück der Viertbeschwerdeführer liege nicht in einer alpinen biogeographischen Region. Das Waldgebiet der Viertbeschwerdeführer sei kein Bergwald, die Alpenkonvention und ihre Protokolle seien daher in ihrem Fall nicht anzuwenden. Außerdem sehe auch das Protokoll zur Durchführung der Alpenkonvention im Bereich Bergwald (Protokoll "Bergwald") vor, dass im Interesse des Naturschutzes eine mit den Gesamtbedürfnissen der Region abgestimmte Wiedereinbürgerung von Beutegreifern zu befürworten sei.

5.       Die Bezirkshauptmannschaften Zwettl, Melk und Wiener Neustadt haben die Verwaltungsakten vorgelegt.

5.1.    Die Bezirkshauptmannschaft Zwettl hat Gegenschriften zum Vorbringen des Erst- und des Zweitbeschwerdeführers erstattet, in denen den Beschwerdebehauptungen jeweils auszugsweise wie folgt entgegengetreten wird:

"Wie auch das Landesverwaltungsgericht NÖ in seiner ebenfalls angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, entspricht der angefochtene Bescheid der BH Zwettl vollinhaltlich der derzeit anzuwendenden Rechtslage.

Den Ausführungen des Beschwerdeführers, eine schalenwilddichte Einfriedung seiner Grundstücke zur Erlangung des Feststellens des Ruhens der Jagd auf seinen Grundstücken wäre ihm nicht möglich gewesen, ist entgegenzuhalten, dass in der Praxis eine Umfriedung sehr wohl möglich wäre. Der Beschwerdeführer wollte sie lediglich wegen des damit verbundenen Aufwandes nicht ausführen. Daher ist auch der Einwand, das Verbieten der Jagd aus ethischen Gründen wäre rechtlich nicht möglich, nicht zutreffend. Bei Erfüllung der im §17 Abs2 des NÖ Jagdgesetzes festgelegten Voraussetzungen ist das Feststellen des Ruhens der Jagd sogar ohne Angabe von Gründen, daher auch aus ethischen Gründen zulässig.

Der Einwand, dass die pauschale Entschädigung für die Ausübung der Jagd auf seinen Grundstücken vernachlässigbar hoch wäre und für Verbiss Schäden keine Entschädigung bezahlt würde ist ebenso wenig stichhaltig. Einerseits steht es dem Grundeigentümer frei, über den Jagdausschuss auf eine höhere Jagdpacht hinzuwirken, falls er die derzeit vereinbarte als zu niedrig erachtet. Andererseits sind im NÖ Jagdgesetz eigene Bestimmungen für ein Verfahren zum Ersatz von Wildschäden vorgesehen. Der Geschädigte muss lediglich seine Schadenersatzansprüche im Rahmen eines solchen Verfahrens geltend machen."

5.2.    Die Bezirkshauptmannschaften Melk und Wiener Neustadt sahen jeweils von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

6.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die Akten der verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt und sah jeweils von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

7.       Die Niederösterreichische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Nö JagdG 1974 wie folgt entgegengetreten wird:

7.1.    In Niederösterreich herrsche – wie auch in anderen Bundesländern – der Grundsatz der flächenhaften Bejagung. Sämtliche Grundstücke gehörten von Gesetzes wegen zu einem Jagdgebiet, und zwar entweder zu einem Eigen- oder Genossenschaftsjagdgebiet. Für dieses grundsätzliche Ordnungssystem, auf dem die Jagdbewirtschaftung nach dem Nö JagdG 1974 aufbaue, sei es unbeachtlich, ob auf Grundstücken die Jagd ruht. Grundstücke, die nicht die notwendige Größe für die Feststellung als Eigenjagdgebiet erreichen, werden dem örtlichen Genossenschaftsjagdgebiet zugeordnet. Dieses werde durch den – durch die beteiligten Grundeigentümer gewählten – Jagdausschuss verwaltet.

7.2.    Eine der wesentlichsten Zielsetzungen des Nö JagdG 1974 sei die Schaffung und Erhaltung eines artenreichen, ausgewogenen und gesunden Wildbestandes und die Rücksichtnahme auf land- und forstwirtschaftliche Interessen. Dabei hätten die Jagdausübung und die Wildhege insbesondere so zu erfolgen, dass die Erhaltung des Waldes und seiner Wirkungen nicht gefährdet werde (§2 Nö JagdG 1974). Um dieses Ziel zu erreichen, habe der Gesetzgeber die grundsätzliche Systementscheidung getroffen, dass alle Grundstücke – mit Ausnahme von Flächen, auf denen die Jagd auf Grund des Gesetzes oder einer behördlichen Anordnung ruht – zu bejagen seien. Eine Herausnahme einzelner Flächen aus der Bejagung führe dazu, dass sich dort das Wild aufhalte und vermehre, ohne dass dessen Zahlen reduziert werden könnten. Dies würde nicht nur auf den "befriedeten Flächen" selbst, sondern auch auf den benachbarten Grundstücken zu vermehrten Wildschäden führen. Im Falle von Schäden an der Waldkultur bestünde zudem die Gefahr, dass der Wald seine Funktionen und Wirkungen für die Gesellschaft nicht mehr effektiv erfüllen könne. Die rechtzeitige Wiederbewaldung und Verjüngung der Wälder wäre in Gefahr.

Über 75 % der Waldfläche Niederösterreichs erfülle eine besondere Schutz- oder Wohlfahrtsfunktion. Nicht nur die Wälder im Anwendungsbereich der Alpenkonvention (die im Südosten Niederösterreichs im Alpenbogen gelegenen Wälder), sondern auch die Wälder des sommerwarmen Ostens (Weinviertel und Industrieviertel) und die Wälder des Nordens (Waldviertel) erfüllten wichtige Funktionen für die Gesellschaft.

7.3.    Im Falle einer "Jagdfreistellung" einzelner Grundstücke könne Österreich seinen internationalen Verpflichtungen insbesondere aus der Alpenkonvention, aber auch aus der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie, nicht wirksam nachkommen. Dies gelte auch für Niederösterreich, weil Teile des Landesgebietes im Alpenraum liegen und auch andere Schutzgebiete betroffen seien.

7.4.     Im Falle einer "Jagdfreistellung" einzelner Grundstücke seien auch erhebliche Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen zu befürchten. Dies könne im Extremfall sogar die Versorgung der Bevölkerung gefährden. Wenn beispielsweise die Jagd in einem Waldstück untersagt werde, in dem sich Schwarzwild ungehindert vermehren könne, könne dies für umliegende landwirtschaftliche Kulturen dramatische Folgen haben. Dies könne bis zur Unbrauchbarkeit der Flächen gehen. Nach einem "Durchpflügen" durch Schwarzwild brauche zB eine Wiese mehrere Jahre bis sie wieder zur Futterproduktion verwendet werden könne.

7.5.    Die Jagdausübung und damit die effektive Jagdbewirtschaftung werde im Falle einer "Jagdfreistellung" einzelner Grundstücke ohne Umfriedung wesentlich erschwert. Dies widerspreche dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Jagdwirtschaft, welche das private Interesse an der Herausnahme einzelner Grundstücke aus der grundsätzlichen Bejagungspflicht überwiege.

7.6.    Grundeigentümer seien nicht gezwungen, die Ausübung der Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, insbesondere wenn diese die Jagd aus ethischen Überlegungen ablehnen. Es stehe ihnen frei, einen Antrag auf Erklärung des Ruhens der Jagd auf ihren Grundstücken zu stellen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere eine schalenwilddichte Umfriedung, vorliegen.

Grundeigentümer würden nicht gezwungen, selbst an der Jagd teilzunehmen. Sie würden auch nicht dazu gezwungen, durch eine eigene Entscheidung die Jagdausübung auf ihren Grundstücken "freizugeben", woraus ein Gewissenskonflikt entstehen könne. Vielmehr habe bereits der Gesetzgeber diese Systementscheidung zugunsten einer flächenhaften Bejagungspflicht getroffen. Aus der Gewissensfreiheit könne schließlich niemand das Recht ableiten, dass die Rechtsordnung nur nach seinen Vorstellungen gestaltet werde.

7.7.    Dem Jagdausübungsberechtigten stehe als Ausfluss seines Jagdausübungsrechtes das ausschließliche Recht zur Aneignung von Wild, Abwurfstangen etc. zu. Beim Jagdausübungsrecht handle es sich um ein nach Art1 1. ZPEMRK geschütztes Eigentumsrecht, das grundsätzlich – auf Grund der Verbindung des Jagdrechtes mit Grund und Boden – dem Grundeigentümer zustehe. Der Gesetzgeber habe aber aus öffentlichen Interessen an einer geordneten Jagdwirtschaft ein Regelungssystem geschaffen, dass nicht jeder Eigentümer kleiner Grundstücke die Jagd auf seinen Grundstücken selbst ausüben könne, sondern dass diese Flächen zu Jagdgebieten einer gewissen Mindestgröße zusammengefasst werden und das Jagdausübungsrecht dann jeweils an einen Jagdausübungsberechtigten weitergegeben werde. Eine Ausnahme bestehe für Eigenjagdgebiete, bei denen die Grundstücke eines Eigentümers ein Mindestausmaß erreichen, das für die Feststellung eines Jagdgebietes ausreiche und das Jagdausübungsrecht dann dem Grundeigentümer selbst zustehe. Der Gesetzgeber sei bei der Schaffung dieses Ordnungssystems davon ausgegangen, dass die in Österreich (in Niederösterreich) heimischen Wildarten einen relativ großen Lebensraum beanspruchen und eine – für die öffentlichen Interessen (insbesondere der Wildschadensprävention) erforderliche – geordnete Jagdwirtschaft nur im Rahmen solcher Planungsräume möglich sei.

Im Rahmen einer geordneten Jagdwirtschaft bestehe ein öffentliches Interesse an der Erlegung von angeschossenem oder krankem Wild auch auf Flächen, auf denen die Jagd ruht. Dies ergebe sich einerseits aus Gründen der Weidgerechtigkeit ("dem jagdlichen Tierschutz") und andererseits aus Gründen der Seuchenprävention bzw. -bekämpfung. Die Verpflichtung zur Erlegung von angeschossenem oder krankem Wild stelle daher eine Verpflichtung im öffentlichen Interesse dar und keine Berechtigung im privaten Interesse des Jagdausübungsberechtigten.

7.8.     Im Gegensatz zur Rechtslage in Kärnten, die dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2016, G7/2016, zugrunde lag, müsse in Niederösterreich eine Fläche nicht "wilddicht", sondern lediglich "schalenwilddicht" umfriedet sein, um ein Ruhen der Jagd auszulösen. Dadurch entfalle insbesondere ein Eingraben der Umfriedungen, sodass die Herstellung solcher Umfriedungen mit – zur Rechtslage in Kärnten – vergleichsweise geringem Aufwand verbunden sei. Die Kosten derartiger Einfriedungen betragen ca. € 12,- bis € 15,- je Laufmeter. Solche Umfriedungen stellten sicher, dass außerhalb eine geordnete Jagdwirtschaft gewährleistet werde und innerhalb die Jagd ruhen könne. Die eingeschränkten Befugnisse des Jagdausübungsberechtigten auf Flächen, auf denen die Jagd ruhe, seien zur Sicherstellung wichtiger öffentlicher Interessen erforderlich.

7.9.    Den befürchteten negativen Folgen einer Nichtbejagung einzelner Grundstücke, die nicht durch eine schalenwilddichte Umfriedung umschlossen seien, könne ausschließlich durch eine aktive Bejagung aller Flächen, also einschließlich der betroffenen Grundflächen, zumindest zu bestimmten Zeiten begegnet werden. Weder ein Vertreiben des Wildes von den jagdfreien Flächen noch eine Wildlenkung durch Futtermittelvorlage seien ausreichend, um eine geordnete Jagdwirtschaft sicherzustellen.

Eine alternativ vorzusehende zwangsweise Beteiligung der Eigentümer von zu jagdfrei erklärten Grundstücken an Ausgleichszahlungen für Wildschäden sei im Hinblick auf die Freiheit des Eigentums problematisch. Außerdem scheine eine solche Regelung nicht geeignet, Wildschäden effektiv hintanzuhalten und eine gerechte Lastenverteilung zu gewährleisten. Dies könne letztlich nur durch "Kulturschutzzäune", also dem Einzäunen gefährdeter land- und forstwirtschaftlicher Kulturen sichergestellt werden.

Im Falle der Jagdfreistellung von Grundstücken ohne wilddichte Umfriedung bliebe schließlich unklar, was beim Auftreten von Wildschäden auf diesen Flächen geschehen solle, insbesondere wenn die Schutz- oder Wohlfahrtsfunktion des Waldes gefährdet werde. In diesen Fällen seien gegebenenfalls forstrechtlich Kulturschutzzäune zwingend vorzuschreiben, was wiederum einer Umfriedung nach §17 Abs2 Nö JagdG 1974 gleichkäme. Ähnliches gelte auch für landwirtschaftliche Kulturen. Eine Jagdfreistellung erfordere somit in jedem Fall eine angemessene Umfriedung.

7.10.   Die Anzahl der Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Wild sei nicht unerheblich. Auch in Niederösterreich wechsle Wild nachts aus Einstands- in Äsungsgebiete und quere dabei häufig Verkehrsflächen. Dies betreffe nicht nur alpine, sondern auch dicht besiedelte Ballungsräume südlich von Wien und im Zentralraum des Landes. Die wesentlichen diesbezüglichen Aussagen in dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2016, G7/2016, träfen daher auch auf Niederösterreich zu.

7.11.   Insbesondere zur Beschwerde der Viertbeschwerdeführer legte die Niederösterreichische Landesregierung die Stellungnahme eines jagdfachlichen Amtssachverständigen zu fachlichen Aspekten der vorgebrachten Bedenken vor. Diese lautet auszugsweise:

"Jagd beinhaltet die nachhaltige Nutzung der Naturressource Wildtiere in einem Umfeld, das seit Jahrhunderten vom Mensch beeinflusst bzw. zu seinen Gunsten verändert wurde. Das ökologische Gleichgewicht wird in einer Kulturlandschaft auch durch die Regulationsmaßnahmen der Jagd bei verschiedensten Wildtieren mitgestaltet.

Nicht die Jagd per se provoziert Wildschäden, sondern Wildschäden entstehen definitionsgemäß immer dann, wenn durch den Einfluss von Wildtieren auf ihren Lebensraum den, in diesen Lebensräumen wirtschaftenden Menschen, ein monetär bewertbarer Schaden entsteht.

'Seit Urzeiten haben sich Wild und Wald als zwei Bestandteile desselben Ökosystems gemeinsam entwickelt und wechselseitig angepasst. Erst durch die starken Eingriffe des Menschen wurden manche Wildarten nicht nur zur Gefahr für den Wald, sondern auch zu Konkurrenten des Menschen. Pflanzenfresser konkurrieren mit den Nutzungsansprüchen der Land- und Forstwirtschaft und Raubtiere wurden zu Konkurrenten der Viehwirtschaft' (REIMOSER 1998).

Ob Landwirtschaft oder Waldwirtschaft, alle Wirtschaftsformen, die mit Naturressourcen arbeiten bzw. auf diese angewiesen sind, sind anfällig für Einflüsse der Wildtiere. Die weitaus meisten Wildschäden entstehen durch die natürliche arteigene Nahrungsaufnahme der vorkommenden Wildtiere. Eine Regulation dieser Einflüsse auf das Wirtschaftseigentum kann nur durch ein durchdachtes und nachhaltiges Wildtiermanagement, zu dem auch die Regulation durch Entnahme (Bejagung) zählt, der 'fressenden' Wildtiere erfolgen.

Es ist unrichtig, dass Beutegreifer bevorzugt alte, kranke und schwache Tiere erbeuten bzw. fressen. Fleischfressende Beutegreifer sind in aller Regel Opportunisten, die jenes Fleisch fressen bzw. erbeuten, das ihnen mit wenig Energieaufwand zufällt. Logischerweise sind, wenn vorhanden, langsame oder geschwächte Tiere leichter zu erbeuten, das Beutespektrum richtet sich jedoch hauptsächlich nach der Verfügbarkeit. Sind keine alten oder kranken bzw. leicht zu erbeutende Tiere vorhanden, wird jeder Beutegreifer auch gesunde und vitale Tiere jagen.

Der moderne Jäger kann aufgrund seiner Ausbildung und Ausrüstung selbstverständlich auf größere Distanz beurteilen, ob ein Tier vital oder nicht vital ist. Gerade das Erlernen dieser Fertigkeit, Wildtiere 'anzusprechen' bildet einen Hauptteil der jagdlichen Ausbildung, ohne deren positiven Abschluss (Jagdprüfung) in Niederösterreich keine Jagdausübung möglich bzw. gesetzlich verboten ist. Zudem zählen das Erkennen von Wildtierkrankheiten und einschlägiges Wissen über die Anatomie der Wildtiere zu den Grundlagen jeder Jägerausbildung in Österreich (STERNATH et al. 2010).

Die weitaus meisten jagdbaren Tiere werden auf Distanzen unter 200 m erlegt. Moderne Jagdwaffen mit gezogenem Lauf (Kugelgewehre) sind in Abhängigkeit der verwendeten Zieloptik und Munition geeignet, präzise Schüsse auch über 200 m punktgenau ins Ziel zu bringen. Zudem weist moderne Jagdmunition eine günstige Einschuss Entfernung (GEE) auf, die in der Regel zwischen 150 m und 200 m liegt.

Die GEE ist jene Entfernung, bei der das abgefeuerte Projektil auf seiner Geschoßbahn zum zweiten Mal die Visierlinie des Zielfernrohres schneidet wenn es auf 100 m in einer Höhe von 4 cm über der Visierlinie liegt. Im Bereich der GEE ist daher ein punktgenauer und damit weidgerechter Schuss ohne Änderung des Haltepunktes auch für ungeübte Schützen auf alles heimische Schalenwild möglich.

Die angeführten großen Beutegreifer (Bär, Wolf und Luchs) wurden in Europa nicht durch die Jagd ausgerottet, vielmehr war es, wie o.a. die Konkurrenz der Raubtiere zur menschlichen Viehhaltung und Siedlungstätigkeit, die zur Verfolgung und Verdrängung der Tiere in Gebiete mit weniger Bevölkerung führte. Ausgerottet wurden diese Beutegreifer in Europa nicht, da sich in den ost- bzw. südosteuropäischen Ländern wie etwa in Polen und der Slowakei aber auch im ehemaligen Jugoslawien, in Bulgarien und Rumänien Bestände an Bären, Wölfen und Luchsen gehalten haben. Gerade von diesen Populationen erfolgt nun die Wiederbesiedlung durch Migration im zentraleuropäischen Raum. Abgesehen von den damit verbundenen Konfliktpotentialen in dichtbesiedelten und nach wie vor intensiv landwirtschaftlich genutzten Kulturlandschaften, erscheint es zweifelhaft, dass diese Beutegreifer allein in der Lage sein werden, die Bestände der bereits in hoher Zahl vorhandenen Schalenwildarten zu regulieren. Vor Allem die Bestände der wichtigsten Kulturfolger wie Reh- und Schwarzwild, die sich auch im urbanen Bereich etablieren konnten (z.B. Schwarzwild in den Grünanlagen und Gärten der Großstädte Wien und Berlin), können wohl kaum durch Großbeutegreifer reguliert werden, ohne dass diese Beutegreifer selbst ein Problem bzw. eine Gefahr für Menschen im Siedlungsbereich darstellen. Hier kann nur eine geregelte Jagd Abhilfe schaffen.

Selbst wenn man den vom Beschwerdeführer angeführten Beispielen fachlich folgen könnte, sind diese nicht mit der vom Beschwerdeführer geforderten Situation vergleichbar. In der Schweiz, den Niederlanden aber auch im Nationalpark Hohe Tauern sind ganze Landstriche bzw. das gesamte Land aus der Jagd komplett ausgenommen und tragen alle betroffenen Grundeigentümer diese Entscheidungen mehr oder weniger mit.

Dahingegen fordert der Beschwerdeführer einzelne Grundstücke aus der Jagd auszunehmen, wodurch vergleichsweise kleine Flecken entstehen würden, auf denen die Jagd durch Großraubtiere 'ersetzt' werden sollte.

Alle vom Beschwerdeführer angeführten Großraubtiere benötigen jedoch bereits artspezifisch bedingt Aktionsradien, die zum Teil hunderte Quadratkilometer umfassen (Wolf, Luchs oder Bär). Hier müssten benachbarte Grundeigentümer bzw. die Grundeigentümer und auch Bewirtschafter großer Gebiete die dauernde Präsenz dieser Beutegreifer akzeptieren bzw. erdulden.

Ad Fütterung:

Sehr viele Wildtiere würden wahrscheinlich ohne Winterfütterung auskommen, wenn sämtliche Naturräume wieder frei passierbar wären. Könnte beispielsweise das Rotwild von menschlicher Infrastruktur ungehindert zwischen Sommer- (Bergregionen) und Winterlebensräumen (Talböden) migrieren, wie es für diese Tierart natürlich wäre, könnte z.B. auf eine Winter- Erhaltungsfütterung des Rotwildes in den Vorlagen der Alpen verzichtet werden. Diese Migrationen sind jedoch nicht mehr möglich, menschliche Infrastrukturen durchschneiden in ganz Europa diese Weitwanderrouten, eine artgerechte Winterfütterung des Rotwildes kann zur Vermeidung von Wildschäden in der Land- und Forstwirtschaft erforderlich sein. Eine Form dieser Notzeiterhaltungsfütterung zur Vermeidung von Rotwildschäden sind Wintergatter, in denen das Rotwild artgerecht über den Winter gebracht wird.

Ad Berufsjäger, hauptberufliche Jäger, Freizeitjäger:

Der Berufsjäger in NÖ ist prinzipiell nicht dazu berufen, das öffentliche Interesse an der Wildregulation zu befrieden.

Ein Berufsjäger bewirtschaftet in der Regel eine bestimmte Jagdfläche nach den Zielvorgaben seines Arbeitgebers. Diese, oft privaten Vorgaben können auch intensive Jagdwirtschaft mit hohen Wildständen zum Ziel haben und sind damit völlig konträr zu den Empfehlungen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer meint offensichtlich, dass 'hauptberufliche Jäger' für die öffentliche Hand die Regulation der Wildbestände übernehmen sollen und führt das Beispiel des Schweizer Kantons Genf an, wo es ohne Jäger 'besser ginge'. Dazu führt REIMOSER (2017) aus, dass die Kosten für das Wildtiermanagement ('bezahlte Jäger') in Genf mit 1,12 Milliarden Euro angegeben werden, wobei etwa € 500.000,- für Wildschadensprävention und Wildschadensentschädigung aufgewendet werden müssen.

Insgesamt fällt je Hektar land- und forstwirtschaftlicher Fläche und Jahr ein Betrag von € 74.- an, der vom Steuerzahler finanziert werden muss.

Ähnlich gelagert ist die Situation in den Niederlanden, auch dort werden Wildtiere, die seit dem Jagdverbot zu Schaden gehen, deutlich anders reguliert, verdeutlicht am Beispiel der Graugans:

Seit die Gänsejagd in den Niederlanden im Jahr 1999 nahezu vollständig verboten wurde, nahmen die Wildgans-Bestände überhand.

Seit Jahren werden die Tiere nun ab Ende Mai bis Mitte Juni, wenn die Graugänse in die Mauser kommen und nicht mehr richtig fliegen können, von "Kammerjägern" zusammengetrieben und in Gruppen vergast. Die 'Regulierer' bekommen fünf Euro je vergaster Graugans vom Staat ausbezahlt.

Zumindest 2014 wurden etwa 250.000 flugunfähige Graugänse in Container und Kleingatter getrieben und dann mit Kohlendioxid vergast. Im selben Jahr wurden landwirtschaftliche Schäden, durch Gänse verursacht, in der Höhe von 16 Mio. Euro von der öffentlichen Hand entschädigt (topagraronline auf www.topagrar.com/news und andere).

Dem gegenüber trägt in Österreich der 'zahlende Jäger' diese Aufwendungen bzw. entschädigt der verantwortliche Jäger den Grundeigentümer im Schadensfall. Würde man analog zum Genfer Modell in Österreich ausschließlich 'bezahlte Jäger' für das Wildtiermanagement heranziehen, würden Kosten in der Höhe von mindestens 700 Mio. bis eine Milliarde Euro jährlich für den Steuerzahler anfallen. Tatsächlich errechnet sich laut REIMOSER ein volkswirtschaftlicher Stellenwert der aktuellen Jagdwirtschaft in Österreich mit 475 Mio. Euro beziffert, d.h. vereinfacht gerechnet, würden bei Abschaffung der Jagd in Österreich neben den Aufwendungen der öffentlichen Hand zusätzlich wirtschaftliche Einbußen von etwa 400 Mio. Euro drohen.

Ad Schwarzwild:

Die erhöhten Schwarzwildbestände sind kein niederösterreichisches Problem sondern ein gesamteuropäisches Thema. Schwarzwild wird seit Jahrzehnten durch landwirtschaftliche Maßnahmen (Maisanbau, etc.) begünstigt und neigt bei idealen Bedingungen zur Massenvermehrung.

Natürliche Regulationsmechanismen sind diverse Viruserkrankungen, wie sie bereits im Osten der EU grassieren. Diese Krankheiten sind in der Regel auf Hausschweine übertragbar und würden im Seuchenfall unweigerlich zu enormen wirtschaftlichen Verlusten führen. Hier greift die jagdliche Nutzung ein und verhindert bzw. verzögert bis dato ein Ausbreiten dieser Seuchen. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass auch der vom Beschwerdeführer zitierte Fauna Inspektor DANDLIKER (2014) ausführte, dass auch im Jagdverbotsexperiment Genf (siehe oben) gewisse Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen in der Wald-Wildfrage auftauchen und man vor Allem beim Schwarzwild nicht gänzlich ohne Regulation auskommt.

Ad Wild und Wald:

Nicht die Jagd treibt die Tiere in den Wald sondern die Landnutzung des Menschen. Zudem sind die meisten Wildtiere waldaffin, sie nutzen den Wald entweder zur Deckung (Verstecken), zur Äsung (Nahrungsaufnahme) oder zu beidem (REIMOSER 1998).

Ad die Jagd als Artenfeind:

Ungeregelte Jagdentnahme von Wildtieren könnte Arten gefährden, derartige illegale Jagdformen passieren jedoch hauptsächlich in Ländern und Gebieten, wo die dort lebende Bevölkerung unkontrolliert Wildtierbestände 'bejagt' um ihren Bedarf an Fleisch zu decken. In afrikanischen Ländern gefährdet diese illegale Jagd nach 'bushmeat' sehr viele Arten des Regenwaldes und der Savanne (Quelle: homepage der B&RD, www.berggorilla.org; Berggorilla & Regenwald Direkthilfe e.V., Gefahren für die Gorillas). Dagegen hat die 'nachhaltige' Jagd laut REIMOSER als Teil der Land- und Forstwirtschaft, als Regulator in der Kulturlandschaft und auch im Naturschutz eine solide gesellschaftspolitische und rechtliche Basis. Der Naturschutzbeitrag der Jagd ist auch international untermauert (EBNER et al., 2009). In der von Menschen gestalteten Kulturlandschaft können Populationen von sog. 'Kulturfolgern' zu Ungunsten der sog. 'Kulturflüchter' stark anwachsen und andere Arten bedrängen bzw. lokal vernichten. Die Regulation der Kulturfolger und Opportunisten unter den Arten durch nachhaltige Jagd trägt zur Entlastung jener Arten bei, die durch diverse Aktivitäten des Menschen benachteiligt sind (REIMOSER 2017).

Ad Selbstregulierung der Arten:

Der Schluss von CONSIGLIO, KRUUK und WOHLLEBEN, dass alle natürlichen Tierpopulationen homöostatische (selbstregelnde) Mechanismen besitzen, um ihre Populationsdichte dem Ressourcenniveau anzupassen, ist bekannt. Jedoch wird bezweifelt, dass diese Mechanismen in der Kulturlandschaft einwandfrei funktionieren, da die Tiere anders konditioniert sind. Ohne Regulation durch die Jagd können nur Krankheiten und Seuchen als Regelmechanismen fungieren. Genau hier liegt jedoch das nicht kalkulierbare Risiko für die Zivilgesellschaft, dass z.B. Wildtierseuchen, wie etwa Schweinepest und Tuberkulose, auf Nutztierbestände und unter Umständen den Menschen übergreifen und sehr große volkswirtschaftliche Schäden verursachen können.

Wenn KRUUK in dem Sinne zitiert wird, dass ein Jäger nicht die Fähigkeit besitzt, kranke und schwache Tiere von gesunden zu unterscheiden, wird vom Beschwerdeführer völlig ignoriert, dass die Jagdstrategien von Hyänen in der zum Großteil unberührten afrikanischen Savanne völlig anders sind als jene des mitteleuropäischen Einzeljägers in der Kulturlandschaft. Aufgrund der intensiven jagdlichen Ausbildung und Kenntnis der Biologie der jagdbaren Wildtiere ist jeder Jäger in der Lage, bei der Einzeljagd vom Ansitz aus, alte, kranke oder schwache Tiere zu

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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