TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/8 99/19/0062

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2000
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art140 Abs5;
B-VG Art140 Abs7;
FrG 1997 §112;
FrG 1997 §113 Abs10;
FrG 1997 §21 Abs2;
NLV 1999 §4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1982 geborenen N N, vertreten durch Dr. S und Mag. E, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Jänner 1999, Zl. 123.932/2-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit am 15. November 1994 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingaben beantragte der Beschwerdeführer die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Mutter. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Oktober 1995 gemäß § 4 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 15. November 1996 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Mutter. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. März 1998 gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) abgewiesen. Begründend führte der Landeshauptmann von Wien aus, die Mutter des Beschwerdeführers verfüge über ein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen von lediglich S 10.984,--, was in Anbetracht der monatlich anfallenden Mietkosten von S 1.811,70 sowie der Sorgepflicht für ein weiteres minderjähriges Kind als zu gering zu bewerten sei. Auf Grund dieser Einkommenssituation scheine der Lebensunterhalt auf Dauer der Bewilligung nicht gesichert.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Er brachte vor, seine Mutter lebe und arbeite seit 1990 in Österreich. Sie beziehe einen durchschnittlichen Nettolohn in Höhe von S 11.000,-- exklusive Sonderzahlungen. Zusätzlich beziehe sie Familienbeihilfe für das weitere minderjährige Kind. Die Wohnungskosten seien mit S 1.811,-- monatlicher Miete für eine 50 m2 große Hauptmietwohnung als gering zu veranschlagen.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Jänner 1999 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 bis 3 FrG 1997 abgewiesen.

Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, auf Grund der "nunmehr" geltenden Rechtslage sei der Antrag des Beschwerdeführers vom 15. November 1996 als Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten. Gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 sei der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen hätten, auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. Da der Beschwerdeführer bereits das 14. Lebensjahr vollendet hätte, sei somit gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausgeschlossen. Die Mutter des Beschwerdeführers sei im Bundesgebiet aufhältig. Es habe sohin im Hinblick auf § 37 FrG 1997 eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen zu erfolgen. Gemäß § 21 Abs. 3 FrG 1997 sei die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung auf die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt und finde diese Bestimmung demnach auf den Beschwerdeführer keine Anwendung. Darüber hinaus stelle die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung eine Zukunftsprognose dar und sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer beabsichtige, künftig in Österreich eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, was jedoch hinsichtlich der derzeitigen Situation am österreichischen Arbeitsmarkt aussichtslos erschiene. Aus den angeführten Gründen seien daher die öffentlichen Interessen höher zu bewerten gewesen als private und familiäre Interessen des Beschwerdeführers.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 21 Abs. 3 und § 113 Abs. 10 FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 21. ...

...

(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. ...

...

§ 113. ...

...

(10) Bei Erlassung der Niederlassungsverordnung für die Jahre 1998 bis 2000 kann die Bundesregierung zusätzlich eine Anzahl von Niederlassungsbewilligungen festlegen, die minderjährigen unverheirateten Kindern Drittstaatsangehöriger im Rahmen des Familiennachzuges zusätzlich erteilt werden dürfen, sofern diese Drittstaatsangehörigen sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer in Österreich niedergelassen haben, die Kinder das 14. Lebensjahr vollendet haben und erwiesen ist, dass der Nachzug bislang bloß deshalb unterblieben ist, weil eine Bewilligung gemäß der Verordnung nach § 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zur Verfügung stand. Für den Familiennachzug solcher Jugendlicher gilt im Übrigen § 21."

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (20. Jänner 1999) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Niederlassungsverordnung 1999, BGBl. II Nr. 424/1998, maßgebend. § 4 dieser Verordnung lautete (auszugsweise):

"§ 4. Im Jahr 1999 dürfen unter den Bedingungen des § 113 Abs. 10 FrG höchstens 550 Niederlassungsbewilligungen für minderjährige unverheiratete Kinder von Drittstaatsangehörigen erteilt werden, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer in

Österreich niedergelassen haben; hievon entfallen auf ... Wien 170

derartige Niederlassungsbewilligungen."

Der Beschwerdeführer verfügte weder nach der Aktenlage noch nach seinem Vorbringen jemals über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde wertete seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung daher zutreffend in Anwendung der Übergangsbestimmung des § 112 Fremdengesetz 1997 als solchen auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels, näherhin einer Erstniederlassungsbewilligung, für dessen Beurteilung das FrG 1997 maßgebend ist.

Die belangte Behörde stützt die Abweisung des Antrages auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung auf § 21 Abs. 3 FrG 1997. Diese Bestimmung sieht vor, dass der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt ist. Der Beschwerdeführer ist unbestritten am 21. Mai 1982 geboren und überschreitet sohin diese Altersgrenze. Zwar hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Juni 2000, G 16/00, die in § 21 Abs. 3 FrG 1997 enthaltene Wortfolge "vor Vollendung des 14. Lebensjahres" als verfassungswidrig aufgehoben ( die Aufhebung tritt erst mit Ablauf des 31. Dezember 2000 in Kraft; vgl. die Kundmachung des Bundeskanzlers, BGBl. I Nr. 66/2000), da es sich beim Fall des Beschwerdeführers aber nicht um einen Anlassfall handelt, ist für die Beurteilung der Beschwerde die oben wiedergegebene, nicht hingegen die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bereinigte Rechtslage heranzuziehen.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer jedoch, dass es die belangte Behörde unterlassen hat zu prüfen, ob ihm im Rahmen der gemäß § 113 Abs. 10 Fremdengesetz 1997 festgelegten Quote eine Bewilligung gemäß den §§ 20, 21 Abs. 3 bis 5 FrG 1997 hätte erteilt werden können.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zlen. 98/19/0225, 0226, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, ist ausgehend vom Zweck des § 113 Abs. 10 FrG 1997 die dort umschriebene Voraussetzung "dass der Nachzug bislang bloß deshalb unterblieben ist, weil eine Bewilligung gemäß der Verordnung nach § 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht zur Verfügung stand" dahin zu interpretieren, dass sie im Fall einer Antragstellung vor Inkrafttreten des FrG 1997 nur dann fehlt, wenn der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG ein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG entgegenstand, also auch unter der Geltungsdauer des AufG (in Wahrheit) gar kein Rechtsanspruch auf Familiennachzug bestand.

Maßgebend für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 113 Abs. 10 FrG 1997 vorliegen, ist daher nicht ein bestimmtes Verhalten oder die hinter einem solchen Verhalten stehende Motivation der Aufenthaltsbehörde (für die Nichterteilung einer Aufenthaltsbewilligung), sondern allein die Frage, ob während der Geltungsdauer des AufG dem Anspruch auf Familiennachzug (gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG) ein Versagungsgrund entgegenstand. Hiezu sind bei der Beurteilung der Frage, ob § 113 Abs. 10 FrG 1997 angewendet werden kann, von der Niederlassungsbehörde die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

Die belangte Behörde durfte folglich nicht allein auf Grund der Tatsache, dass die Behörde erster Instanz ihren Bescheid auf den Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 stützte, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 113 Abs. 10 FrG 1997 (stillschweigend) negieren.

In Verkennung der oben dargestellten Rechtslage unterließ es die belangte Behörde Feststellungen darüber zu treffen, ob im Falle des Beschwerdeführers zwischen seiner Antragstellung und dem 1. Jänner 1998 ein Grund für die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung vorlag.

Verneinendenfalls wäre auf ihn die Übergangsbestimmung des § 113 Abs. 10 FrG 1997 anzuwenden gewesen. Der Beschwerdeführer wäre dann berechtigt gewesen, seinen Anspruch auf Familiennachzug gemäß § 20 Abs. 1 FrG 1997 im Rahmen der gemäß § 113 Abs. 10 FrG 1997 festgelegten Quoten durchzusetzen. Ein Raum für eine Ermessensübung der belangten Behörde hinsichtlich der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung bestünde diesfalls nicht.

Schon aus dieser Erwägung leidet der angefochtene Bescheid an Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Im Übrigen wäre auch bei Verneinung der Anwendbarkeit der Bestimmung des § 113 Abs. 10 FrG 1997 eine Prüfung des Antrages unter dem Gesichtspunkt des § 19 Abs. 5 FrG 1997 geboten gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1999, Zl. 99/19/0044).

Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 8. September 2000

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999190062.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten