TE Lvwg Erkenntnis 2017/7/17 LVwG-318-12/2017-R13

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Veröffentlicht am 17.07.2017
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Entscheidungsdatum

17.07.2017

Norm

VwGVG 2014 §8 Abs1
AVG §73 Abs1

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Dr. Isabel Vonbank, LL.M., über die Säumnisbeschwerde der E B, D, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Berufungskommission der Stadt D aufgrund des Unterbleibens einer Entscheidung über die Berufung vom 24.03.2015 gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt D vom 26.02.2015, zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt D vom 26.02.2015 ersatzlos behoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.

Begründung

1.   Folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt steht aufgrund der Aktenlage fest:

Mit Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt D vom 26.02.2015 wurde den Antragstellern A und V W gemäß §§ 28 Abs 2 und 29 Baugesetz die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses am Standort GST-NR XXX, KG K, D, erteilt.

Die Beschwerdeführerin, welche als Nachbarin iSd § 2 Abs 1 lit k BauG im Bauverfahren Einwendungen erhoben hat, hat mit Eingabe vom 24.03.2015, eingelangt am 24.03.2015, fristgerecht Berufung gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt D erhoben.

Mit Schreiben vom 29.02.2016 hat die Berufungskommission der Stadt D den geologischen Amtssachverständigen um eine Ergänzung des im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten geologischen Gutachtens ersucht.

Am 14.10.2016 hat die Berufungskommission telefonisch beim geologischen Amtssachverständigen urgiert.

Mit Schreiben vom 28.12.2016 hat die Beschwerdeführerin Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhoben. Es wurde vorgebracht, dass die Stadt D untätig sei und nicht über die Berufung vom 24.03.2015 entscheiden würde. Die Beschwerdeführerin hat die Säumnisbeschwerde am 28.12.2016 beim Landesverwaltungsgericht eingebracht.

Mit Schreiben vom 29.12.2016 hat das Landesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde an die Berufungskommission der Stadt D weitergeleitet.

Mit Schreiben vom 09.01.2017 hat die Berufungskommission der Stadt D den geologischen Amtssachverständigen über die eingebrachte Säumnisbeschwerde unterrichtet und ihn um Übermittlung des ergänzenden Gutachtens bis spätestens 31.01.2017 ersucht.

Mit Eingabe vom 26.02.2017, eingelangt bei der Stadt D am 02.03.2017, haben die Antragsteller A und V W den Bauantrag für die Errichtung eines Einfamilienhauses am Standort GST-NR XXX, KG K, D, mit sofortiger Wirkung zurückgezogen.

Mit Schreiben vom 21.04.2017, eingelangt am 27.04.2017, hat die Berufungskommission der Stadt D dem Landesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde der Beschwerdeführerin unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt. Es wurde mitgeteilt, dass das für die Sachentscheidung erforderliche ergänzende geologische Gutachten bis heute nicht erstattet worden sei. Zwischenzeitlich hätten die Bauwerber mit Schreiben vom 26.02.2017, eingelangt am 02.03.2017, den Bauantrag zurückgezogen.

2.1. Folgende Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl Nr 51/1991, sind maßgebend (auszugsweise):

§ 73 AVG, idF , idF BGBl I Nr 33/2013

(1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

2.2. Folgende Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, sind maßgebend (auszugsweise):

§ 8 VwGVG

Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde

(1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

§ 16 VwGVG

Nachholung des Bescheides

(1) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.

(2) Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

§ 28 VwGVG

Erkenntnisse

(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

3.   Säumnis der Behörde / Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung:

Die Berufungskommission hat den Berufungsbescheid nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nachgeholt und dem Landesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde unter Anschluss der Akten vorgelegt. Nach Vorlage der Beschwerde hat das Landesverwaltungsgericht zu prüfen, ob die Behörde tatsächlich säumig ist.

Die Beschwerdeführerin hat als Nachbarin das Recht, gegen die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die Behörde mittels Säumnisbeschwerde vorzugehen, wenn über ihre Berufung gegen die erteilte Baubewilligung nicht rechtzeitig entschieden wurde (Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 24 [Stand 1.4.2009, rdb.at]). Es bleibt einem Bauwerber unbenommen, während des Verwaltungsverfahrens sein Baugesuch zurückzuziehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist dann, wenn eine Berufung eines Nachbarn anhängig ist, die Berufungsbehörde auch nach Zurückziehung des Bauansuchens durch den Bauwerber verpflichtet, über die Berufung des Nachbarn zu entscheiden. Auch im Falle der Zurückziehung des Bauansuchens besitzt nämlich der Nachbar einen Rechtsanspruch auf eine Entscheidung durch die Berufungsbehörde (vgl VwGH 17.03.1992, 91/05/0181).

Im gegenständlichen Fall hat die Berufungskommission nicht sechs Monate nach Einlangen der Berufung der Beschwerdeführerin gegen die durch die Bürgermeisterin erteilte Baubewilligung den Berufungsbescheid erlassen. Aufgrund des Ablaufes der Entscheidungsfrist ist die Berufungskommission daher (objektiv) säumig. Die Säumnisbeschwerde ist somit zulässig.

Ist die Behörde zwar objektiv gesehen säumig, ist dies aber nicht auf ihr überwiegendes Verschulden zurückzuführen, hat das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde abzuweisen. Zur Beurteilung, ob ein überwiegendes Verschulden der Behörde vorliegt, kann auf die zu § 73 Abs 1 AVG ergangene Judikatur zurückgegriffen werden (vgl VwGH 25.11.2015, Ra 2015/08/0102).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits ausgesprochen, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs  2 AVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (vgl VwGH 25.11.2015, Ra 2015/08/0102).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass Sachverständigengutachten und Ermittlungsergebnisse, die erst nach längerer Zeit abgeliefert werden, für sich allein nicht geeignet sind, das Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses zu begründen. Auch der Umstand, dass es sich um eine komplexe Materie handelt, kann nicht ausreichen, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen, einer im Sinn des § 73 Abs 1 AVG fristgerechten Entscheidung entgegenstehenden Hindernisses auszugehen. Es ist vielmehr Aufgabe der Behörde, ab Vorliegen eines vollständigen Antrages nicht nur konkrete Aufträge an die Sachverständigen zur Abgabe der für die Entscheidung wesentlichen Stellungnahmen zu erteilen, sondern mit den für die Entscheidung relevanten Sachverständigen sachlich begründete Termine zu vereinbaren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Nichteinhaltung entsprechende Schritte zu setzen (vgl VwGH 26.03.2015, 2012/07/0278).

Die Berufungskommission hat nach Einlangen der Berufung am 24.03.2015 erst außerhalb der Entscheidungsfrist von sechs Monaten, nämlich mit Schreiben vom 29.02.2016 den geologischen Amtssachverständigen um eine Ergänzung des geologischen Gutachtens ersucht. Zudem hat die Berufungskommission weder zu Beginn noch aus Anlass der telefonischen Urgenz am 14.10.2016 eine bestimmte Frist für die abverlangte Stellungnahme gesetzt. Erstmals nach Einlangen der Säumnisbeschwerde, fast zwei Jahre nach Einlangen der Berufung, erfolgte mit Schreiben vom 09.01.2017 eine schriftliche Urgenz unter Vornahme einer Fristsetzung. Zwischen Erteilung des Gutachtensauftrages und der ersten Urgenz lagen fast acht Monate, zwischen der ersten und der zweiten Urgenz fast drei Monate.

Dass die Berufungskommission die Gründe für die lange Dauer für die Erstellung des ergänzenden Gutachtens hinterfragte, um entsprechende Schritte für eine Beschleunigung des Verfahrens zu setzen, ist aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.

Die Berufungskommission hat bereits mit Verzögerung (elf Monate) den Auftrag zur Erstellung des ergänzenden Gutachtens erteilt. Überdies ist sie ihrer Überwachungspflicht gegenüber dem von ihr beauftragten Amtssachverständigen nicht ausreichend nachgekommen. Daher ist ihr ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Entscheidung anzulasten. Somit ist die Säumnisbeschwerde auch begründet.

Da die Säumnisbeschwerde zulässig und berechtigt ist, ist die Zuständigkeit über die betriebene Verwaltungssache zu entscheiden auf das Landesverwaltungsgericht übergegangen. Das Landesverwaltungsgericht hat allein in der Verwaltungssache zu entscheiden, ohne dass ein ausdrücklicher Abspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist (vgl VwGH 27.05.2015, Ra 2015/19/0075).

4.   Entscheidung in der Sache:

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller den Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zurückgezogen.

Zunächst ist festzuhalten, dass – wie bereits unter Punkt 3. ausgeführt – es einem Bauwerber unbenommen bleibt, während des Verwaltungsverfahrens sein Baugesuch zurückzuziehen. Wenn ein Nachbar gegen einen unterinstanzlichen Baubewilligungsbescheid das Rechtsmittel der Berufung erhoben hat, hat die Berufungsbehörde über diese (zulässige) Berufung auch zu entscheiden, wenn während des Berufungsverfahrens der Bauwerber seinen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zurückzieht. In einem solchen Fall ist der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs 4 AVG ersatzlos aufzuheben (vgl VwGH 17.12.1998, 98/06/0212; 17.03.1992, 91/05/0181).

Nach § 13 Abs 7 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) iVm § 17 VwGVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Wird das zugrundeliegende Ansuchen während des Beschwerdeverfahrens zurückgezogen, hat das Landesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben (vgl VwGH 23.12.1974, 2052/74; VwGH 22.02.2001, 2000/20/0504) und das Verfahren formlos einzustellen (vgl VwGH 10.10.1997, 96/02/0144).

Da die Antragsteller den Antrag auf Erteilung der Baubewilligung zurückgezogen haben, war im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt D vom 26.02.2015 ersatzlos zu beheben.

5.              Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Säumnisbeschwerde, Verschulden der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2017:LVwG.318.12.2017.R13

Zuletzt aktualisiert am

03.08.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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