RS Lvwg 2017/1/17 LVwG-400205/2/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 17.01.2017
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

17.01.2017

Norm

Art. 6 EMRK
Art. 48 EGRC
Art. 7g RL 1999/62/EG
Art. 9a RL 1999/62/EG
BStMG §9
BStMG §20
VStG §5
VStG §44a Abs1
Teil B MautO V41

Rechtssatz

* Gesamthaft betrachtet ist das von der belangten Behörde herangezogene Tatbild des § 20 Abs. 3 BStMG derart konzipiert, dass einerseits eine Unter-lassung der Nachholung der Einmeldung der erklärten EURO-Emissionsklasse während der 14-Tages-Frist des Teiles B, Pkt. 5.2.2.1.4. der MautO V41

vorausgesetzt ist – beispielsweise dadurch, dass diese Meldung erst nach Ablauf dieser Frist oder überhaupt nicht erfolgt; auf der anderen Seite muss durch diese Unterlassung auch eine nicht ordnungsgemäße Entrich-tung von fahrleistungsabhängiger Maut bewirkt werden, wie etwa dann, wenn die Erklärung des Lenkers auf eine niedrigere als die tatsächlich zu-treffende Klasse lautete. Rechtssystematisch besehen handelt es sich hier-bei also nicht bloß um ein (reines) Unterlassungsdelikt, sondern dieses ist zudem mit dem Eintritt eines verpönten Erfolges verknüpft. Umgekehrt ergibt sich daraus, dass keine Erfüllung des Tatbestandes dieses durch Un-terlassen zu verwirklichenden Erfolgsdeliktes vorliegt, wenn die erklärte Emissionsklasse der tatsächlich zutreffenden entspricht oder sogar höher wäre als Letztere. Aus all dem folgt, dass es, um eine Tatbestandsmäßigkeit annehmen zu können – hinsichtlich der ja die Beweislastumkehr des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG nicht zum Tragen kommt –, der Behörde obliegt, zu ermitteln, ob die Nichteinmeldung tatsächlich zu einer Verkürzung der fahrleistungsabhängigen Maut geführt hat, was zwangsläufig (d.h.: im Sinne eines essentiellen Spruchmerkmals gemäß § 44a Z. 1 VStG) die konkrete Feststellung jener Emissionsklasse voraussetzt, in die das jeweils verfahrensgegenständliche KFZ tatsächlich fällt.

* Wenn § 9 Abs. 11 BStMG in diesem Zusammenhang festlegt, dass Fahr-zeuge, für die kein Nachweis erfolgt, der deren Zuordnung zu einer Tarif-gruppe ermöglicht, ex lege jener Tarifgruppe zuzuordnen sind, für die der höchste Tarif festgesetzt wird, so bewirkt diese gesetzliche Fiktion speziell im Hinblick auf § 20 Abs. 3 BStMG zwar, dass die Behörde bis zur erfolgten Einmeldung der Emissionsklasse davon ausgehen darf, dass das KFZ in die höchste Tarifgruppe fällt. Weil aber Voraussetzung für eine Tatbestands-mäßigkeit dieser Strafbestimmung nicht bloß eine vermutete, sondern vielmehr die tatsächliche Erwiesenheit einer nicht ordnungsgemäßen Entrichtung von fahrleistungsabhängiger Maut ist, sodass insoweit eine bloß fiktive Annahme nicht ausreicht, ist die Behörde zur nachweislichen Feststellung, in welche EURO-Emissionsklasse das verwendete KFZ tat-sächlich fällt, verpflichtet, um dem Zulassungsbesitzer – den insoweit frei-lich eine (im Falle von deren Unterlassung im Zuge der Beweiswürdigung jeweils entsprechend zu bewertende) Mitwirkungspflicht trifft – eine Über-tretung des § 20 Abs. 3 BStMG anlasten zu können. Jede andere Ausle-gung würde dem verfassungsmäßig festgelegten Grundsatz der Un-schuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 48 Abs. 1 EGRC) wider-sprechen und ließe sich auch durch die RL 1999/62/EG, die in Österreich im Wege des BStMG umgesetzt wurde, nicht rechtfertigen. Insbesondere stellt auch Art. 7g Abs. 2 der RL 1999/62/EG, wonach die Mitgliedstaaten bloß dazu „berechtigt“ sind, „Mautgebühren bis zum Höchstsatz zu erhe-ben“, wenn die zur Kontrolle nötigen Fahrzeugdokumente nicht vorgelegt werden, keine lex specialis zu Art. 48 Abs. 1 EGRC dar, weil dieser Bestim-mung (selbst i.V.m. Art. 9a Abs. 1 der RL 1999/62/EG, der anordnet, dass die Mitgliedstaaten u.a. Sanktionen zur Ahndung von Verstößen gegen die aufgrund dieser RL erlassenen innerstaatlichen Vorschriften festzulegen haben, wobei diese Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen) keine Ermächtigung zur nationalrechtlichen Statuierung einer bloß fiktiven Erfüllung eines gesetzlichen Straftatbestandes zu entnehmen ist.

* Mit Blick auf § 20 Abs. 2 BStMG würde der Spruch des Straferkenntnisses zwar wesentliche, für eine Anlastung dieser Übertretung erforderliche Tat-bestandselemente aufweisen. Selbst wenn man jedoch den Spruch des ge-genständlichen Straferkenntnis dahin auslegen würde, dass mit diesem gleichsam bloß die falsche Norm i.S.d. § 44a Z. 2 VStG zitiert, in Wahrheit also eine Übertretung nach § 20 Abs. 2 BStMG angelastet werden sollte, fehlt auch in diesem Fall als ein weiteres wesentliches Tatbestandsmerkmal i.S.d. § 44a Z. 1 VStG eine konkrete Anführung dahin, (nicht: welche EU-RO-Emissionsklasse der Lenker anlässlich der Hinterlegung angegeben hat, sondern) welcher EURO-Emissionsklasse das KFZ tatsächlich ent-sprochen hat – dies ganz abgesehen davon, dass eine dementsprechende Umdeutung vor allem schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil nach dieser Bestimmung nicht (wie in § 20 Abs. 3 BStMG) den (Beschwerdefüh-rer als Vertreter der) Zulassungsbesitzer(in) des KFZ, sondern vielmehr dessen Lenker die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung trifft.

* Eine Vollziehung der Strafbestimmungen des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 BStMG erweist sich daher in der Praxis in den Fällen der Nichteinbringung von Nachweispapieren wohl als schwierig, weil dann die Behörde dazu ver-pflichtet ist, von Amts wegen zu ermitteln, in welche EURO-Emissionsklasse der verwendete LKW tatsächlich fällt, um davon ausgehend beurteilen zu können, ob eine Verkürzung der fahrleistungsabhängigen Maut vorliegt oder nicht; denn allein die bloße (wenngleich gesetzliche) Vermutung, dass der LKW in die höchste EURO-Emissionsklasse fällt, begründet dann, wenn de facto nicht diese, sondern eine niedrigere Klasse abgebucht wurde, noch keine Strafbarkeit, weil § 20 Abs. 2 und 3 BStMG jeweils auf eine er-wiesene Mautprellerei abstellen. Allenfalls mag es im Einzelfall als hinrei-chend erscheinen, eine gänzliche Nichtäußerung des Lenkers bzw. des Zu-lassungsbesitzers über einen entsprechenden Vorhalt hin – was aber eben einen entsprechenden behördlichen Ermittlungsschritt voraussetzt – im Zuge der Beweiswürdigung als Eingeständnis dahin, dass das KFZ tatsäch-lich in die höchste EURO-Emissionsklasse fällt, zu werten. Eine generelle Lösung dieses Problems läge jedoch beim Gesetzgeber, dem die RL 1991/62/EG insoweit ohnehin einen weit reichenden Gestaltungsspielraum einräumt.

Schlagworte

(reines) Unterlassungsdelikt, Erfolgsdelikt, Spruchkonkretisierung, EURO-Emissionsklasse, Tatbestandsmäßigkeit, Beweislastumkehr, tatsächliche Erwiesenheit, Fiktion, Unschuldsvermutung, Spruchumdeutung, Nachweis-papiere, Gebührenverkürzung, Mautprellerei

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2017:LVwG.400205.2.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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