RS Lvwg 2017/6/26 LVwG-000198/2/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 26.06.2017
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

26.06.2017

Norm

EMRK Art.6
EGRC Art.48
TNRSchG §13c
TNRSchG §14
GewO §111
VbVG §3
VStG §9

Rechtssatz

* Im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit verwaltungsstrafrechtliche Haftungsbestimmungen in Bezug auf juristischen Personen mit dem straf-rechtlichen Schuldprinzip des Art. 6 Abs. 2 EMRK bzw. des Art. 48 Abs. 1 EGRC vereinbar sind, hat der VfGH jüngst mit Erkenntnis vom 2.12.2016, G 497/15, grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ei-ne Modifikation des Schuldprinzips in seiner im Bereich des Justizstraf-rechts bis dahin maßgeblichen Form durch das VbVG geäußert. Mit dieser Entscheidung wurde (abgesehen davon, dass damit die Problematik, dass das VbVG das gesamte Justizstrafrecht erfasst, während sich die für dessen legistische Einführung maßgebliche unionsrechtliche Umsetzungspflicht nur auf eingeschränkte Teilbereiche bezieht, offen gelassen wurde) das Schuldprinzip keineswegs eingeschränkt, sondern vielmehr in Bezug auf die Sondererscheinungsform der rechtlichen Fiktion der „juristische Person“ konsequent weiterentwickelt: Denn auch Verbände sind nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz nur dann für Straftaten verantwortlich, wenn dessen Entscheidungsträger oder Mitarbeiter diese schuldhaft begangen haben und eine entsprechende rechtliche Zurechnung zur juristischen Person möglich ist (vgl. § 3 Abs. 1 bis Abs. 3 VbVG);

* Legt man diese gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 48 Abs. 1 EGRC grund-rechtlich gebotene Auslegungsmaxime auf die in § 9 Abs. 1 VStG normierte Zurechnungsregel um, so bedeutet dies, dass eine verwaltungs-strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Außenvertretungsbefugten einer juristischen Person hinsichtlich des Handelns seiner Mitarbeiter bei Vorsatzdelikten nur dann, wenn der Mitarbeiter vorsätzlich gehandelt und bei Fahrlässigkeitsdelikten nur dann zum Tragen kommen kann, wenn der Mitarbeiter die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, wobei hinzutritt (arg. „und“ in § 3 Abs. 3 Z. 1 VbVG), dass dem Mitarbeiter die Tatbegehung jeweils dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass der Außenvertretungsbefugte die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen, insbesondere dadurch, dass er wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen hat (vgl. § 3 Abs. 3 VbVG analog); diese generelle Zurechnungsregel wird durch die Spezial-norm des § 13c Abs. 2 Z. 2 TNRSchG nicht substantiell modifiziert, wenn diese Bestimmung u.a. festlegt, dass die Inhaber von Gastronomiebetrieben i.S.d. § 111 Abs. 1 Z. 2 GewO dafür Sorge zu tragen haben, dass in Räumen eines öffentlichen Ortes nicht geraucht wird;

* Davon ausgehend, dass der Bf. seinen Unternehmenssitz in Wien hat, auch dort wohnhaft ist und im Gebäude des Linzer Hauptbahnhofes lediglich eine Filiale seines Gastronomieunternehmens betreibt, ist ihm nicht zumutbar, zu den Öffnungszeiten ständig persönlich in der Linzer Filiale anwesend zu sein. Da sein Vorbringen, seine Mitarbeiter wiederholt dahin angewiesen zu haben, dass die Eingangstür nur zum Betreten und Verlassen kurzzeitig geöffnet sein darf, in keiner Weise unglaubwürdig ist, beruht daher das Vergehen, dass die Lokaltür tatsächlich dauerhaft geöffnet war, offensichtlich auf einem weisungswidrigen Verhalten seiner Mitarbeiter, die somit zwar die nach den Umständen gebotene Sorgfalt i.S.d. § 3 Abs. 3 Z. 1 letzter Halbsatz VbVG außer Acht gelassen haben; allerdings sind im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Z. 3 VbVG deshalb nicht erfüllt, weil der Bf. als Geschäftsführer der GmbH und damit als deren verwaltungsstrafrechtlich verantwortliche Person seinen Mitarbeitern die Begehung der Tat nicht dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert hatte, dass er die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat; insbesondere hat er nämlich keine wesentlichen technischen, organisatorischen oder personellen Maßnahmen zur Verhinderung der Übertretung des Rauchverbotes in öffentlichen Räumen unterlassen. Vielmehr hat er sämtliche, im heutigen arbeitsteiligen Wirtschaftsleben von einem Geschäftsführer zu erwartende Vorkehrungen getroffen; eine noch darüber hinausgehende Sorgfaltspflicht zu fordern, wäre schlicht lebensfremd, denn ein absoluter Nichtverstoß gegen Weisungen ließe sich (wenn überhaupt) nur durch eine – eine ständige persönliche Anwesenheit des Arbeitgebers voraussetzende – lückenlose Personalüberwachung und -kontrolle erreichen;

* Im Ergebnis haben daher im vorliegenden Fall – ungeachtet dessen, dass (was allerdings der Gesetzgeber zu vertreten hat) ein entsprechender Straftatbestand in § 14 TNRSchG fehlt – ausschließlich die Mitarbeiter des Rechtsmittelwerbers den festgestellten Verstoß gegen das Rauchverbot in Räumen öffentlicher Orte zu vertreten, während eine gleichzeitige/alternative/ausschließliche Zurechnung dieser Ordnungswidrigkeit zum Beschwerdeführer hier gemäß § 9 Abs. 1 VStG unter Zugrundelegung einer gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK und Art. 48 Abs. 1 EGRC verfassungskonformen Interpretation des Schuldprinzips ausscheidet.

Schlagworte

Straftatbestand; Zurechnungsregel; Interpretation, verfassungskonforme und grundrechtskonforme; juristische Person; verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit; analoge Anwendbarkeit des VbVG; Mitarbeiter; Filiale; Erteilung von Weisungen; Arbeitsteilung; Sorgfaltsmaßstab

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2017:LVwG.000198.2.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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