RS Lvwg 2017/7/7 LVwG-412065/6/Gf/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 07.07.2017
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

07.07.2017

Norm

AEUV Art 49
AEUV Art 56
EMRK Art 6
EGRC Art 47
GSpG §52
VStG §25

Rechtssatz

* Hinsichtlich des zufolge der Verweisung des § 38 VwGVG auch im Verfahren vor den VwG maßgeblichen verwaltungsstrafrechtlichen Amtswegigkeitsprinzips des § 25 VStG hat der EuGH jüngst mit Urteil vom 14. Juni 2017, C 685/15 („Online Games“), ausgesprochen, dass dieses Prinzip in Konstellationen, in denen die Ausübung einer Grundfreiheit der EU durch eine innerstaatliche Regelung beschränkt wird, sodass vom nationalen Gericht eine entsprechende Kohärenzprüfung durchzuführen ist, dem Grund-recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 47 Abs. 2 EGRC nur insoweit nicht entgegensteht, als § 25 VStG nicht dazu führt, dass das VwG – weil es den Behörden obliegt, jene Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das VwG prüfen kann, ob die Einschränkung der Grundfreiheit gerechtfertigt ist – diesbezüglich de facto an die Stelle der Behörden tritt.

* Abgesehen von einer Bestandsaufnahme seiner materiell-rechtlichen Glücksspieljudikatur hat der EuGH in diesem Urteil weiters im Besonderen darauf hingewiesen, dass dem Bürger ein Recht auf Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht zukommt (RN 60 ff), was u.a. innerstaatliche Verfahrensnormen voraussetzt, die schon jeden diesbezüglichen Anschein verhindern (RN 62), sodass die Aufgabe des nationalen Richters in einem Verwaltungsstrafverfahren, in dessen Rahmen eine Kohärenzprüfung vor-genommen wird, darin besteht, „die bei ihm anhängige Rechtssache zu prüfen, und zwar nicht zur Unterstützung der ‚Anklage‘, sondern zur Wahrheitsfindung“ (RN 64); hingegen können die Gerichte „nicht dazu verpflichtet sein, anstelle der staatlichen Behörden jene Rechtfertigungsgründe vor-zubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger ua (C-390/12), diese Behörden vorzubringen“ haben; „werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben“ (RN 66).

* Diese Feststellungen ergänzend und präzisierend ergibt sich aus den entsprechenden Schlussanträgen der Generalanwältin vom 9. März 2017, C 685/17, die zufolge eines in RN 66 des Urteils enthaltenen expliziten Verweises einen integrierenden Bestandteil desselben bilden, zunächst, dass es „allein dem betroffenen Mitgliedstaat“ obliegt, die Rechtfertigungs-gründe für einen Eingriff in eine Grundfreiheit der EU vorzutragen; „dies ist nicht Sache anderer Verfahrensbeteiligter, einschließlich des nationalen Gerichts oder der Partei, die die Gültigkeit der fraglichen nationalen Ausnahmeregelung in Zweifel zieht. Von ihnen kann, mit anderen Worten, nicht erwartet werden, dass sie ‚mutmaßen‘, welche Gründe den Mitgliedstaat veranlasst haben, diese Regelung zu erlassen“ (RN 53). Weiters gilt danach der Grundsatz der Unparteilichkeit nicht nur für das Gericht, sondern in gleicher Intensität auch in Bezug auf von diesem allenfalls beigezogene Sachverständige (RN 60), während Gesetzesmaterialien weder er-schöpfende noch absolute Quellen für den Nachweis der Rechtfertigung einer nationalen Eingriffsregelung zu bilden vermögen (RN 61 f). Und schließlich muss ein Spruchkörper, der über die Schuld eines Angeklagten zu befinden hat, in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des EGMR zu Art 6 EMRK „den objektiven Anschein von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bieten“ (RN 67), was „eine Verwischung der Grenzen zwischen Gericht und Anlagebehörde“ kategorisch ausschließt (RN 63 ff).

* Vor dem Hintergrund dieser seitens des EuGH klargestellten Beweislastverteilung scheint jedoch nicht gehindert zu sein, im Zuge der vom LVwG OÖ hinsichtlich der Frage der Unionsrechtskompatibilität des im Glücksspielgesetz verankerten Monopolsystems durchgeführten Beweisaufnahme auch auf in früheren beim LVwG OÖ anhängigen gleichartigen Verfahren erhobene Beweise – und in diesem Sinne „amtsbekannte Tatsachen“ – Bedacht zu nehmen.

Schlagworte

Inquisitionsprinzip; Amtswegigkeitsgrundsatz; Eingriff in Grundfreiheit der EU durch nationale Regelung; Beweislastverteilung zu Lasten staatlicher Behörden; Unparteilichkeit; Vermischung von richterlicher und Anklage-funktion

Anmerkung

In diesem Verfahren wurde Revision an den VwGH erhoben.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2017:LVwG.412065.6.Gf.Mu

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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