TE Vfgh Beschluss 2017/10/10 G181/2017

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Veröffentlicht am 10.10.2017
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Index

25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §37 Abs3, §43 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO über die Verbindung von Verfahren und die Ausgeschlossenheit eines Richters mangels Antragslegitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller

"1.1  a) das Wort 'Urteil ' in §43 Abs2 StPO idF BGBl I 52/2009;

       b) in eventu §43 Abs2 idF BGBl I 52/2009 StPO zur Gänze, in eventu
                                                          teilweise;

       c) in eventu §43 StPO idF BGBl I 52/2009 StPO zur Gänze, in eventu teil- weise

1.2    a) §37 Abs3 S[t]PO idF BGBl I 121/2016 zur Gänze, in eventu teilweise

       b) in eventu §37 StPO idF BGBl I 121/2016 zur Gänze, in eventu teilweise

allenfalls in Kombination mit

- §46 StPO idF BGBl I 19/2004

- der Wortfolge 'In den Fällen des §43 Abs1 hat sich der Rechtsschutzbeauftragte von dem Zeitpunkt, zu dem ihm der Grund bekannt geworden ist, des Einschreitens in der Sache zu enthalten' in §47a Abs3 idF BGBl I 108/2010

- der Wortfolge 'oder wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter (§§43 und 46) den Beschluss gefasst hat' in §89 Abs2a Z1 StPO idF BGBl I 111/2010

- der Wortfolge 'oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter (§§43 und 46) an der Entscheidung beteiligte' in §281 Abs1 Z1 StPO idF BGBl I 93/2007

- der Wortfolge 'oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter oder Geschworener (§§43 und 46) an der Verhandlung beteiligt hat' in §345 Abs1 Z1 StPO idF BGBl I 93/2007

- der Wortfolge 'oder wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter (§§43 und 46) das Urteil gefällt hat' in §468 Abs1 Z1 StPO idF BGBl I 93/2007

- der Wortfolge '; §43 Abs2 gilt sinngemäß' in §491 Abs8 StPO idF BGBl I 71/2014"

als verfassungswidrig aufzuheben.

II.      Rechtslage

Im 1. Teil ("Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens"), 2. Hauptstück ("Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Rechtsschutzbeauftragter") der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, findet sich im 3. Abschnitt ("Gerichte") die Bestimmung des §37 idF BGBl I 121/2016 sowie im 4. Abschnitt ("Ausschließung und Befangenheit") jene des §43 idF BGBl I 52/2009 (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Teile sind hervorgehoben):

"Zuständigkeit des Zusammenhangs

§37. (1) Im Falle gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§12 StGB) oder einer Person wegen mehrerer Straftaten ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Gleiches gilt, wenn mehrere Personen der Begehung strafbarer Handlungen verdächtig sind, die sonst in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.

(2) Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte (§12 StGB) an sich zieht. Im Übrigen kommt das Verfahren im Falle mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt. Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig. Im Fall eines vorläufigen Rücktritts von der Verfolgung ist Abs1 nicht anzuwenden.

(3) Sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten oder an derselben strafbaren Handlung beteiligte Personen (§12 StGB) anhängig ist, sind die Verfahren zu verbinden; die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach den vorstehenden Absätzen mit der Maßgabe, dass das Verfahren im Fall des Abs2 zweiter Satz dem Gericht zukommt, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam geworden ist.

Ausgeschlossenheit von Richtern

§43. (1) Ein Richter ist vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn

1. er selbst oder einer seiner Angehörigen (§72 StGB) im Verfahren Staatsanwalt, Privatankläger, Privatbeteiligter, Beschuldigter, Verteidiger oder Vertreter ist oder war oder durch die Straftat geschädigt worden sein könnte, wobei die durch Ehe begründete Eigenschaft einer Person als Angehörige auch dann aufrecht bleibt, wenn die Ehe nicht mehr besteht,

2. er außerhalb seiner Dienstverrichtungen Zeuge der in Frage stehenden Handlung gewesen oder in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist oder vernommen werden soll oder

3. andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

(2) Ein Richter ist außerdem vom Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er im Ermittlungsverfahren Beweise aufgenommen hat (§104), ein gegen den Beschuldigten gerichtetes Zwangsmittel bewilligt, über einen von ihm erhobenen Einspruch oder einen Antrag auf Einstellung entschieden oder an einer Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens oder an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde.

(3) Ein Richter eines Rechtsmittelgerichts ist überdies ausgeschlossen, wenn er selbst oder einer seiner Angehörigen im Verfahren als Richter der ersten Instanz, ein Richter der ersten Instanz, wenn er selbst oder sein Angehöriger als Richter eines übergeordneten Gerichts tätig gewesen ist.

(4) Ein Richter ist ebenso von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme oder einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§363a) und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist."

III.    Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Der Antragsteller ist einer der (Mit-)Angeklagten in dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien nunmehr zu Z 15 Hv 1/17z wegen des Vorwurfs des Verbrechens der Untreue nach §153 StGB und anderer strafbarer Handlungen anhängigen umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren. In diesem Verfahren hat die zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption am 20. Juli 2016 Anklageschrift eingebracht, die zufolge Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. April 2017 über Anklageeinsprüche in weiten Teilen für rechtswirksam erklärt, in einzelnen Fakten zurückgewiesen wurde. Eine Hauptverhandlung ist bislang nicht anberaumt worden.

2.       Mit Eingabe vom 14. Juni 2017 begehrte der Antragsteller die Herstellung einer "kostenlosen elektronischen Aktenabschrift des gesamten Aktes ab und einschließlich der Anklageschrift". Die Vorsitzende des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht gab dem Antrag auf Aktenabschrift mit Beschluss vom 26. Juni 2017 statt, sprach jedoch aus, dass der Antragsteller die Voraussetzungen für eine Gebührenbefreiung nicht erfülle.

3.       Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller mit Schriftsatz vom 12. Juli 2017 – nach Mitteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien innerhalb der 14-tägigen Rechtsmittelfrist – Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien und stellte am selben Tag den vorliegenden Parteiantrag.

4.       Zur Zulässigkeit seines Antrages bringt er u.a. vor (ohne die Hervorhebungen im Original):

"Im strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren ergehende (rechtsmittelfähige) Entscheidungen führen dann eine 'entschiedene Rechtssache' iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG und §62a Abs1 VfGG herbei, wenn über eine Frage entschieden wird, die im allfälligen Hauptverfahren nicht mehr aufgerollt werden kann (VfSlg 20.001/2015; VfGH 05.12.2016, G236/2016).

Dieses Prozesserfordernis ist in zweierlei Hinsicht gegeben: Sowohl hinsichtlich der Entscheidung über die Zuständigkeit des im Strafverfahren erkennenden Richters einerseits als auch hinsichtlich der Frage der Berechtigung zur Herstellung einer kostenlosen Aktenabschrift andererseits.

Der Antragsteller verkennt die Entscheidung des VfGH vom 22.09.2015 zu G341/2015 nicht, wonach in der Entscheidung über die Ablehnung eines Richters keine in erster Instanz 'entschiedene Rechtssache' liege, weil die allfällige Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters als Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden könne. Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich jedoch von der der genannten VfGH-Entscheidung zugrundeliegenden Situation, da sich der vorliegende Parteiantrag nicht gegen die Ablehnung eines im laufenden Hauptverfahren gestellten Ablehnungsantrags richtet, sondern gegen die - nicht mehr aufgreifbare - Einbeziehung eines Strafverfahrens gemäß §37 Abs3 StPO.

Gegenständlich kommt hinzu, dass die Frage der Zuständigkeit des erkennenden Richters in der Systematik der Rechtsordnung allgemein ganz zu Beginn jedes Gerichtsverfahrens steht. So ist die Zuständigkeit sowohl im strafgerichtlichen, als auch im zivilgerichtlichen Verfahren von Amts wegen a limine zu prüfen. Sowohl der Einzelrichter des Bezirksgerichts und des Landesgerichts (§485 StPO) als auch der Richter in einem Schöffen- oder Geschworenenverfahren (§213 Abs6 StPO) hat seine Zuständigkeit nach Einlangen eines Strafantrags oder einer Anklageschrift von Amts wegen zu überprüfen. Ebenso verhält es sich im Anwendungsbereich der JN (§41 Abs1 JN).

Ähnlich verhält es sich mit der Frage der Ausgeschlossenheit eines Richters wegen etwaiger Befangenheit: Diese steht bereits aus Gründen des Zwecks der Durchführung eines unparteilichen Verfahrens stets am Anfang jedes Gerichtsverfahrens (§281 Abs1 Z1 StPO; 21 Abs2 JN).

Neben der Systematik spricht vor allem auch der Telos des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG für das Vorliegen einer entschiedenen Rechtssache: Gerade in einem Strafverfahren wäre es einem Angeklagten nicht zumutbar, ein langwieriges Hauptverfahren mit einem aufgrund verfassungswidriger Normen zuständigen Richter bis zum Stadium der Nichtigkeitsbeschwerde ausharren zu müssen, bis ihm der Rechtsschutz des Parteiantrags gewährt ist. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die bis dahin entstandenen Kollateralschäden des bereits geführten Strafverfahrens zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr reparabel sind. Einen entgegen verfassungsrechtlicher Grundsätze erkennenden Richter bis zur Nichtigkeitsbeschwerde sehenden Auges hinnehmen zu müssen, kann mit dem Kriterium der 'entschiedenen Rechtssache' in Art140 Abs1 Z1 litd B-VG nicht gemeint sein. Dies würde nämlich bedeuten, dass eine Verfassungswidrigkeit genereller Normen in vielen Konstellationen, wie etwa im Falle eines Freispruchs oder der Einstellung - wegen Entfalls der Möglichkeit zur Nichtigkeitsbeschwerde - gar nicht an den VfGH herangetragen werden könnten.

Dem Zweck des Rechtschutzinstruments entsprechend liegt gegenständlich hinsichtlich der Entscheidung über die Einbeziehung und somit über die Zuständigkeit der erkennenden Richterin sohin eine 'entschiedene Sache' iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG vor.

Im Übrigen liegt eine entschiedene Rechtssache gegenständlich zudem hinsichtlich der Entscheidung über die Gewährung einer kostenlosen Aktenabschrift vor."

5.       Inhaltlich moniert der Antragsteller zusammengefasst, die Vorschriften der §§37 und 43 StPO würden es ermöglichen, "dass ein Strafverfahren von einem nach der Geschäftsverteilung eigentlich zuständigen Richter wegen eines Mitangeklagten an einen anderen (befangenen) Richter - der ein anderes Verfahren gegen diesen Mitangeklagten führt - weitergereicht wird". Insbesondere §43 Abs2 StPO, der ausschließlich jenen Richter, der ein in der Folge aufgehobenes Urteil gefällt habe, vom zweiten Rechtsgang ausschließe, nicht indes auch die Ausgeschlossenheit in Ansehung anderer betroffener (Mit-)Angeklagter normiere, sei verfassungswidrig. §37 Abs3 StPO lasse überdies die Übertragung der Zuständigkeit anhand des "variablen" und "beliebig beeinflussbaren" Kriteriums des Zeitpunktes der Rechtswirksamkeit der anderen Anklage undifferenziert zu. Diese Rechtslage stehe im Widerspruch zum Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK, zum Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art83 Abs2 B-VG, zum Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art87 Abs3 B-VG und zum Gleichheitssatz nach Art7 B-VG, Art2 StGG.

6.       Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung beantragt. Zur Zulässigkeit wendet die Bundesregierung ein, dass keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache vorliege, der Anfechtungsumfang im Hinblick auf §43 Abs2 StPO nicht richtig abgegrenzt sei und es den in den Eventualanträgen (zusätzlich) angefochtenen Bestimmungen an der erforderlichen Präjudizialität mangle. Im Übrigen tritt die Bundesregierung dem Vorbringen in der Sache mit näherer Begründung entgegen.

7.       Zwei Mitangeklagte des Antragstellers erstatteten Äußerungen, in denen sie sich den erhobenen Bedenken anschließen.

IV.      Erwägungen

1.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2.       Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", somit eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz (vgl. VfSlg 20.001/2015).

3.       Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass einer Beschwerde gegen den Beschluss der (zufolge der als verfassungswidrig beurteilten angefochtenen Be-stimmungen für ausgeschlossen erachteten) Vorsitzenden des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Juni 2017 gestellt, mit dem über einen Antrag auf Aktenabschrift und Gebührenbefreiung abgesprochen wurde. Bekämpft werden nicht die Vorschriften über die Aktenabschrift bzw. deren Kostentragung, sondern jene über die Ausgeschlossenheit eines Richters bzw. jene über den Gerichtstand des Zusammenhanges, deren Verfassungswidrigkeit die Ausgeschlossenheit der den anlassgebenden Beschluss gefasst habenden Richterin bewirke.

4.       Im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren geht der Verfassungsgerichtshof in zwischenzeitig ständiger Rechtsprechung (nur) dann vom Vorliegen einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" und damit von der Zulässigkeit eines Parteiantrages eines Angeklagten aus, wenn der betreffende Akt nicht (mehr) durch Rechtsmittel gegen das auf Grund der Anklage im Hauptverfahren ergehende (kondemnierende) Urteil angefochten werden kann (VfSlg 20.001/2015; VfGH 7.10.2015, G372/2015; 22.9.2016, G176/2016; 5.12.2016, G236/2016; 8.6.2017, G357/2016). Ein solcher Fall ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Beschuldigte bzw. Angeklagte die Möglichkeit hat, jenen Antrag, dem im Ermittlungsverfahren nicht stattgegeben wurde, während einer allfälligen Hauptverhandlung neuerlich zu stellen und die Verweigerung dieses Begehrens im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil geltend zu machen (vgl. VfGH 5.12.2016, G236/2016).

5.       Auch in Bezug auf das Stadium der Hauptverhandlung hat der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass etwa die Entscheidung über die Ablehnung eines Richters keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG begründet, weil dem Angeklagten die Möglichkeit offen steht, die allfällige Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters als Nichtigkeitsgrund gegen das Urteil (§281 Abs1 Z1 StPO) zu relevieren (VfGH 22.9.2015, G341/2015; 22.9.2015, G396/2015).

6.       Im konkreten Fall befindet sich das Strafverfahren in jener (Anfangs-)Phase des vom Gericht geleiteten Hauptverfahrens (noch vor Anberaumung einer Hauptverhandlung), das mit dem Einbringen der Anklage beginnt (§210 Abs2 StPO).

Die zur Vorbereitung der Hauptverhandlung notwendigen Entscheidungen und Verfügungen hat im Verfahren vor dem Schöffen- oder Geschworenengericht der Vorsitzende zu treffen (§210 Abs4 iVm §32 Abs3 leg.cit.). Die Tätigkeit des Vorsitzenden vor Beginn der Hauptverhandlung soll sich grundsätzlich auf deren Vorbereitung beschränken, diese aber nicht vorwegnehmen. Umfasst sind auch Begehren des Verteidigers auf Akteneinsicht und Erstellung von Aktenabschriften (vgl. Danek/Mann, WK-StPO, Vor §§220 – 227, Rz 2, 8).

Der Beschluss, aus dessen Anlass der vorliegende Antrag gestellt wurde, erging in der eben beschriebenen Phase des Hauptverfahrens, die zwischen Anklage und Beginn der Hauptverhandlung liegt und somit der Vorbereitung derselben dient.

7.       Die vom Verfassungsgerichtshof zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und zur Hauptverhandlung entwickelten Überlegungen gelten auch für das hier maßgebliche Stadium des (Haupt-)Verfahrens nach Anklageerhebung und vor Beginn der Hauptverhandlung. Wenn für den Antragsteller die Möglichkeit besteht, die vorgetragene Verfassungswidrigkeit im Rahmen eines Parteiantrages aus Anlass eines Rechtsmittels gegen ein allenfalls ergehendes kondemnierendes Urteil aufzugreifen, liegt jedenfalls keine in erster Instanz entschiedene Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG vor:

Die Mitwirkung eines behauptetermaßen ausgeschlossenen oder befangenen Richters kann im schöffengerichtlichen Verfahren mittels Nichtigkeitsbeschwerde gemäß §281 Abs1 Z1 StPO geltend gemacht werden, die gemeinsame bzw. getrennte Verfahrensführung hinwieder (nach Abweisung eines entsprechenden Antrages in der Hauptverhandlung und Rüge dieses Vorgehens) mittels Nichtigkeitsbeschwerde gemäß §281 Abs1 Z4 StPO (vgl. Oshidari, WK-StPO, §37, Rz 2, 10; Ratz, WK-StPO, §281, Rz 303).

8.       Vor diesem Hintergrund begründet der anlassgebende Beschluss über das Fehlen der Voraussetzungen der Gebührenbefreiung für Aktenkopien durch eine nach Dafürhalten des Antragstellers zufolge verfassungswidriger Regelungen ausgeschlossene Richterin keine entschiedene Rechtssache iSd. Art140 Abs1 Z1 litd B-VG.

9.       Dem Antragsteller fehlt es aus den dargelegten Gründen im gegenwärtigen Verfahrensstadium mangels Vorliegens einer in erster Instanz entschiedenen Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG an der erforderlichen Antragslegitimation.

V.       Ergebnis

1.       Der vorliegende, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützte Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Ver-handlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Legitimation, Strafprozessrecht, Richter, Befangenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G181.2017

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2017
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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