TE Vwgh Erkenntnis 2017/9/22 Ra 2017/02/0085

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Veröffentlicht am 22.09.2017
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VwRallg;
ZustG §15 Abs1 idF 1998/I/158;
ZustG §16 Abs1;
ZustG §16 Abs5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schreiber, über die Revision des T in L, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in 6800 Feldkirch, Hirschgraben 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 3. März 2017, Zl. LVwG-1-903/2016-R12, betreffend Zurückweisung iA Übertretungen der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 17. November 2016 wurde der Einspruch des Revisionswerbers gegen die Strafverfügung vom 25. Oktober 2016 als verspätet zurückgewiesen. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht, welches die Beschwerde abwies und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig erklärte.

2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gemäß Zustellverfügung die Zustellung an den Revisionswerber an dessen Wohnanschrift in L. mittels RSb-Brief angeordnet habe. Am 31. Oktober 2016 sei die Strafverfügung an die Mitbewohnerin und Schwester des Revisionswerbers als Ersatzempfängerin zugestellt worden. Der Revisionswerber habe am 3. Oktober 2016 seinen Grundwehrdienst in einer näher bezeichneten Kaserne angetreten. Im Zeitraum 3. Oktober 2016 bis 5. November 2016 habe er jedes Wochenende (Samstag und Sonntag "am Stück") dienstfrei gehabt, wobei er am Freitag nach Dienst die Kaserne habe verlassen können. Ebenso habe er am Nationalfeiertag (26. Oktober 2016) und zu Allerheiligen (1. November 2016) dienstfrei gehabt. An seinen dienstfreien Tagen sei der Revisionswerber nach Hause gefahren und habe auch zu Hause übernachtet; so auch am Dienstag, den 1. November 2016, somit am Tag nach der Zustellung. Er habe von der Zustellung rechtzeitig Kenntnis erlangt.

Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, dass es richtig sei, dass § 15 Zustellgesetz die Zustellung an Präsenzdiener durch das unmittelbar vorgesetzte Kommando vorsehe, vorausgesetzt, dass tatsächlich die Zustellung in der Bundesheerkaserne verfügt worden sei, was gegenständlich nicht der Fall sei. Da der Revisionswerber seinen Hauptwohnsitz an jener Wohnadresse habe, an der der Bescheid zugestellt worden sei, und im Übrigen kein Hinweis dafür vorliege, dass der Zusteller nicht davon ausgehen habe dürfen, dass sich der Revisionswerber am Tag der Zustellung (31. Oktober 2016) regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte, sei die Zustellung an einen Ersatzempfänger zulässig gewesen. Dass sich der Revisionswerber nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufgehalten haben soll, könne zudem nicht erkannt werden. Regelmäßig sei der Aufenthalt des Empfängers an der (jeweiligen) Abgabestelle dann, wenn er, von periodischen, kurzfristigen Abwesenheiten abgesehen, immer wieder an die Abgabestelle zurückkehre. Maßgeblich sei, dass der Empfänger trotz der Abwesenheit in der Lage sei und es ihm zumutbar sei, Zustellvorgänge an der (jeweiligen) Abgabestelle wahrzunehmen. In diesem Sinne stelle etwa die berufsbedingte Abwesenheit tagsüber, allenfalls auch an Wochenenden oder für eine ganze Woche (Hinweis auf VwGH vom 11. September 1998, 95/19/0663) kein die Regelmäßigkeit des Aufenthaltes ausschließendes vorübergehendes Verlassen der Abgabestelle dar.

Der Revisionswerber habe in der Beschwerde geltend gemacht, dass er von der Strafverfügung erst am 5. November 2016 nach seiner Rückkehr aus der Kaserne erfahren habe. Nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen sei der Revisionswerber jedoch bereits am 1. November 2016, am Tag nach der Zustellung der Strafverfügung, an die Abgabestelle zurückgekehrt.

Die Zustellung im Wege des Ersatzempfängers werde grundsätzlich im Zeitpunkt der Übergabe der Sendung an diesen wirksam, unabhängig davon, ob oder wann der Ersatzempfänger den Empfänger über die Zustellung informiere bzw. ob oder wann die Sendung dem Empfänger tatsächliche zukomme. Das Risiko trage der Empfänger. Soweit durch die Zustellung der Lauf von Fristen ausgelöst wurde, obliege es auch ihm, sich nach dem Zeitpunkt der Ersatzzustellung zu erkundigen (Hinweis auf VwGH vom 23. November 1994, 93/13/0058). Da der Revisionswerber am 1. November 2016 an die Abgabestelle zurückgekehrt sei, also bereits einen Tag nach der Zustellung, sei nach den Beweisergebnissen davon auszugehen, dass er rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen habe können. Auch wenn er erst am 5. November 2016 zurückgekehrt wäre und von der Ersatzzustellung erfahren hätte, könne im konkreten Fall davon ausgegangen werden, dass er rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangte habe. Ausschlaggebend sei der Inhalt der Sendung. Bei dem in Rede stehenden Poststück habe es sich um eine Strafverfügung gehandelt, die ohne jede Begründung, auch mündlich, beeinsprucht werden könne und damit außer Kraft trete. Der verbleibende Zeitraum (bis 14. November 2016, also fast zehn Tage) sei dazu jedenfalls ausreichend gewesen. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 16 Abs. 5 Zustellgesetz lägen daher nicht vor. Somit habe der Revisionswerber innerhalb der Einspruchsfrist, welche am 14. November 2016 abgelaufen sei, keinen Einspruch erhoben. Die Strafverfügung sei in Folge Versäumung der Einspruchsfrist in Rechtskraft erwachsen. Die Zurückweisung des am 15. November 2016 eingebrachten Einspruches wegen Verspätung sei zu Recht erfolgt. Die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen.

3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufheben. Revisionsbeantwortungen wurden keine eingebracht.

4 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit der gegenständlichen Revision damit, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Erfüllung des § 15 Zustellgesetz überhaupt von einer regelmäßigen Anwesenheit iSd § 16 Zustellgesetz ausgegangen werden könne. Gleiches gelte für etwaige Voraussetzungen des § 15 Zustellgesetz, wie eine etwaige vorherige Verfügung der Zustellung an die entsprechende Kaserne. Das Verwaltungsgericht führe in seinem Erkenntnis aus, dass die Zustellung nach § 15 Zustellgesetz nur dann zur Anwendung komme, wenn zuvor die tatsächliche Zustellung in der Bundesheerkaserne verfügt worden sei. Dass dies tatsächlich Voraussetzung sei, sei weder aus dem Gesetz, noch aus sonstigen Rechtsquellen ersichtlich. Eine entsprechende Judikatur fehle.

Eine regelmäßige Anwesenheit an der Abgabestelle liege nicht vor, wenn sich der Empfänger im Präsenzdienst befinde. Gerade dies zeige § 15 Zustellgesetz auf. Deshalb habe auch der Zusteller keinen Grund zur Annahme gehabt, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Die besonderen Zustellmodalitäten des § 15 Zustellgesetz ergeben sich gerade aus der Abwesenheit des Präsenzdieners. Entsprechend könne nicht von einer regelmäßigen Anwesenheit an der Abgabestelle ausgegangen werden, auch dann nicht, wenn der Revisionswerber in der Regel einmal pro Woche zur Abgabestelle zurückkomme. § 15 Zustellgesetz erfasse alle Präsenzdiener, auch solche, die nicht regelmäßig zurückkehren. Diesfalls zu differenzieren sei gleichheitswidrig. Dass die Zustellung an die Kaserne verfügt werden müsse, sei nicht ersichtlich.

Seien daher die Voraussetzungen des § 15 Zustellgesetz erfüllt, könne jedenfalls nicht von einer regelmäßigen Anwesenheit iSd § 16 Zustellgesetz ausgegangen werden. In diesem Fall habe auch der Zusteller keinen Grund zur Annahme, dass der Empfänger regelmäßig dort anwesend sei.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision ist zulässig, da - wie vom Revisionswerber aufgezeigt - höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 15 Zustellgesetz fehlt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

6 § 15 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 158/1998, lautet:

"(1) Zustellungen an Soldaten, die Präsenz- oder Ausbildungsdienst leisten, sind durch das unmittelbar vorgesetzte Kommando vorzunehmen."

7 Den Gesetzesmaterialien zufolge sollte mit dieser Regelung auf die besondere Position von (u.a.) Präsenzdienern und die Umstände ihrer Lebensverhältnisse sowohl im eigenen Interesse als auch in dem des Zustellers Bedacht genommen werden (162 BlgNR 15. GP 11).

8 Die Anordnung des § 15 Abs. 1 ZustG ist jedoch nicht dahingehend zu verstehen, dass den dort genannten Soldaten ausschließlich nach Abs. 1 örtlich zugestellt werden müsse und jede andere Zustellung an Soldaten, die Präsenzdienst leisten, unwirksam wäre. Vielmehr handelt es sich um eine - anderen möglichen Abgabestellen nach dem ZustG gleichwertige - Sonderabgabestelle, die der Kommandostruktur des Bundesheeres Rechnung trägt und die dann zum Tragen kommt, wenn sich die Zustellbehörde zu einer Zustellung an im Präsenz- oder Ausbildungsdienst stehende Soldaten dort entschließt, wo sie örtlich einem Kommando des Heeres unterstehen (vgl. hierzu die Ausführungen bei Stumvoll in Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen3, ZustG § 15 Rz 3).

§ 15 Abs. 1 ZustG schließt daher nicht aus, dass der betreffenden Person auch an eine andere in Betracht kommende Abgabestelle, wie etwa an ihrer Wohnung, zugestellt werden kann.

9 Die Zustellung an die Wohnadresse des Revisionswerbers war somit entgegen den Ausführungen in der Revision grundsätzlich zulässig.

10 Auch die Frage der Wirksamkeit der Ersatzzustellung wurde vom Verwaltungsgericht in einer nicht zu beanstandenden Weise beantwortet:

Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf gemäß § 16 Abs. 1 ZustG an diesen zugestellt werden, sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend darlegt, liegt ein "regelmäßiger Aufenthalt" dann vor, wenn der Empfänger, von kurzfristigen - auch periodischen - Abwesenheiten abgesehen, immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Allein aus dem Umstand der Abwesenheit während eines Tages ist noch nicht der Schluss auf das Fehlen eines "regelmäßigen Aufenthaltes" an der Abgabestelle zu ziehen. Nur wenn der Empfänger längere Zeit von der Abgabestelle abwesend ist, darf auch eine Ersatzzustellung an einen Ersatzempfänger nicht erfolgen (vgl. VwGH vom 22. Februar 2001, 2000/04/0170, 0171, mwH). Damit wird im Zustellgesetz dem Umstand ausreichend Rechnung getragen, dass sich eine Person - etwa aufgrund der Ableistung des Präsenzdienstes - allenfalls über einen längeren Zeitraum nicht in ihrer Wohnung aufhält, da in einem derartigen Fall eine (Ersatz-) Zustellung an ihre Wohnung unter Umständen nicht in Betracht kommt.

11 Ob ein regelmäßiger Aufenthalt an der Abgabestelle vorliegt, hat das Verwaltungsgericht anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht ist im gegenständlichen Fall zu dem Ergebnis gekommen, dass der Revisionswerber trotz Präsenzdienst regelmäßig zu der Wohnung, an die die Strafverfügung zugestellt wurde, zurückkehrte. Es hat dazu nach einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung festgestellt, dass der Revisionswerber jeweils an den Wochenenden sowie an den Feiertagen sowie auch an dem der Zustellung folgenden Tag an die Abgabestelle zurückkehrte. In Anbetracht dieser Umstände vermag der Verwaltungsgerichtshof die ebenfalls einzelfallbezogene Beurteilung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, wonach der Revisionswerber rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt hat. Weitere Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Zustellung wurden vom Revisionswerber im Verfahren nicht vorgebracht und sind für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht erkennbar.

12 Die Revision war im Ergebnis als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 22. September 2017

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017020085.L00.1

Im RIS seit

12.10.2017

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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