TE Vwgh Beschluss 2017/9/25 Ra 2017/20/0298

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Veröffentlicht am 25.09.2017
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E19104000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32013R0604 Dublin-III Art12;
32013R0604 Dublin-III Art7 Abs2;
BFA-VG 2014 §17;
B-VG Art133 Abs1 Z2;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §38;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision der L S in S, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Jänner 2017, Zl. W235 2135779- 1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Armeniens, stellte am 16. Juni 2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Es stellte sich heraus, dass der Revisionswerberin ein tschechisches Schengen-Visum für den Zeitraum vom 23. Mai 2016 bis zum 18. Juni 2016 ausgestellt worden war.

2 Mit Bescheid des BFA vom 13. September 2016 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass die Tschechische Republik für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Zudem wurde die Außerlandesbringung der Revisionswerberin angeordnet und unter einem festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Tschechische Republik zulässig sei.

3 Dagegen erhob die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 21. September 2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin führt sie insbesondere aus, sie sei nach Österreich gekommen, um mit ihrem Lebensgefährten und seiner Familie zusammenzuleben; eine Trennung von diesen Personen verletze sie in ihren nach Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten.

4 Am 14. Dezember 2016 wurde die Revisionswerberin in die Tschechische Republik überstellt.

5 Mit Beschwerdeergänzung vom selben Tag brachte die Revisionswerberin vor, dass sie schwanger sei. Am 15. Dezember 2016 wurde ein weiterer Schriftsatz eingebracht, wonach aufgrund der Schwangerschaft der Revisionswerberin nunmehr ein geänderter Sachverhalt in Form eines schützenswerten Familienlebens vorliege. Österreich sei daher nach Art. 9 Dublin III-VO zur Führung des Verfahrens zuständig bzw. bestünde nach Art. 17 leg. cit. eine Selbsteintrittspflicht.

6 Mit weiterem Schriftsatz vom 19. Dezember 2016 legte die Revisionswerberin dar, sie sei auf die Unterstützung ihres Lebensgefährten und dessen Verwandten in Österreich angewiesen, weshalb Österreich nunmehr nach Art. 16 Dublin III-VO zur Führung des Verfahrens zuständig sei.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom 23. Jänner 2017 wurde die Beschwerde abgewiesen. Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, Art. 9 Dublin III-VO sei nicht anwendbar, weil der Lebensgefährte - entgegen den Angaben der Revisionswerberin - kein Begünstigter internationalen Schutzes sei. Art. 16 leg. cit. sei ebenfalls nicht einschlägig, weil dessen Tatbestand weder Lebensgefährten noch Ehepartner und schon gar nicht deren Familienangehörige erfasse. Eine Selbsteintrittsverpflichtung Österreichs nach Art. 17 Dublin III-VO verneinte das BVwG nach eingehender Auseinandersetzung mit realen Verletzungsmöglichkeiten der Art. 3 und 8 EMRK. Daraus folgerte das BVwG, dass die Tschechische Republik gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO zur Prüfung des gegenständlichen Antrages zuständig sei, da die Revisionswerberin zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten über ein gültiges tschechisches Visum verfügt und die Tschechische Republik der Aufnahme der Revisionswerberin ausdrücklich zugestimmt habe.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Diese bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, der "Umfang zulässigen Vortrags" im Rahmen eines Dublin-Verfahrens sei unklar.

Weiters bestehe keine Rechtsprechung zur Frage, "wie mit einem Dublin-III-Sachverhalt umzugehen ist, wenn sich dieser während des Verfahrens soweit verdichtet, dass zwingend innerstaatliche Zuständigkeit besteht." Die Revision bezieht sich hier auf die nach Antragstellung erfolgte "religiöse Eheschließung", die Schwangerschaft der Revisionswerberin, die mittlerweile angeblich erfolgte staatliche Eheschließung und die Geburt ihres Kindes am 5. Juli 2017; diese Umstände würden zur Anwendbarkeit der Art. 9, 16 und 17 Dublin III-VO führen.

Schließlich macht die Revision in ihrer Zulassungsbegründung geltend, das BVwG habe über den Antrag der Revisionswerberin auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entschieden. Dies widerspreche dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsschutz nach Art. 47 GRC. Im Falle der Nichtentscheidung über eine aufschiebende Wirkung bestehe diese so lange, als sie nicht durch förmlichen Beschluss aberkannt werde. Deshalb hätte die Revisionswerberin nicht abgeschoben werden dürfen.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Das Zulassungsvorbringen im Zusammenhang mit dem "unklaren Umfang zulässigen Vortrags" im Dublin-Verfahren ist zu unbestimmt, als dass es eine konkrete Rechtsfrage aufzeigen könnte, von deren Lösung die Revision abhinge. Die Zulässigkeit der Revision kann mit einem - wie hier - allgemein gehaltenen, nicht auf die konkrete Rechtssache bezogenen Vorbringen nicht erreicht werden.

13 Was die "Verdichtung des Dublin-Sachverhalts" während des Verfahrens betrifft, so ist die Revisionswerberin auf die eindeutige Rechtslage zu verweisen: Gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Davon ausgehend beurteilte das VwG das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 12 Dublin III-VO nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Antragstellung. Im Übrigen jedoch - soweit es nicht um die Zuständigkeitsermittlung nach Kapitel III (Artikel 7 bis 15) geht - hat das BVwG die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. etwa VwGH vom 29. Jänner 2015, Ro 2014/07/0105, und vom 27. Juni 2017, Ra 2017/18/0005). Es ist nicht ersichtlich und wird von der Revision insbesondere mit Ereignissen, die sich erst nach Erlassung der angefochtenen Entscheidung des BVwG zugetragen haben und die daher naturgemäß nicht berücksichtigt werden konnten, nicht aufgezeigt, inwieweit das VwG von diesem Grundsatz bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der Art. 16 und 17 Dublin III-VO abgewichen wäre. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung wird damit nicht aufgezeigt.

14 Wenn die Revisionswerberin weiters geltend macht, das BVwG habe über ihren Antrag auf aufschiebende Wirkung nicht abgesprochen, so macht sie damit die Verletzung der Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts geltend. Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulässigkeit einer Revision gegen die die Hauptsache erledigende Entscheidung (Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG) führen, zumal mit der Entscheidung in der Hauptsache des Rechtsschutzinteresse an einer Entscheidung über die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde weggefallen ist (vgl. die hg. Beschlüsse vom 21. Februar 2017, Fr 2016/18/0024, Rz 7, und vom 30. August 2017, Fr 2017/18/0038 bis 0040, Rz 7).

15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 25. September 2017

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200298.L00

Im RIS seit

23.10.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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