TE Vfgh Erkenntnis 2015/2/20 B1534/2013

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Veröffentlicht am 20.02.2015
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
ASVG §343 Abs4, §345a, §346

Leitsatz

Keine willkürliche Kündigung des kurativen Einzelvertrags sowie des Vorsorgeuntersuchungs-Einzelvertrags eines Arztes aufgrund schwerwiegender Vertrags- und Berufspflichtenverletzung; keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch Absehen von einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Allgemeinmedizin in Wien. Sein mit der Wiener Gebietskrankenkasse abgeschlossener kurativer Einzelvertrag sowie sein Vorsorgeuntersuchungs-Einzelvertrag wurden mit Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vom 12. März 2012 zum 30. Juni 2012 wegen schwerwiegender Vertrags- und Berufspflichtverletzungen (Vertretung durch einen nicht zur ärztlichen Berufsausübung befugten Arzt, nicht ordnungsgemäße Führung der erforderlichen Dokumentation im Sinne der Suchgiftverordnung, Hygienemängel in der Ordination, Krankschreibung von sechs gesunden Personen sowie Verrechnung nicht erbrachter Leistungen) aufgekündigt.

2. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Kündigung Einspruch bei der Landesschiedskommission Wien. Diese wies nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 23. August 2012, am 11. Oktober 2012 und am 29. November 2012 den Einspruch als unbegründet ab und erklärte die Kündigung des kurativen Einzelvertrages und des Vorsorgeuntersuchungseinzelvertrages zum 30. Juni 2012 für rechtswirksam.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies die Bundesschiedskommission mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 2013 ab. Die Bundesschiedskommission stellte folgenden Sachverhalt fest:

"5.1. Das Berufungsvorbringen lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die Landesschiedskommission zu Unrecht in Abwesenheit des [Antragstellers] verhandelt habe, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, auf die Aussagen der Zeugen zu reagieren und zu replizieren. Im Hinblick auf ein 'fair trial' hätte es der ergänzenden Einvernahme des Antragstellers bedurft, damit er sich hinsichtlich der Belastung durch die Zeugen rechtfertigen könne. In Wirklichkeit habe die Landesschiedskommission in Abwesenheit des Antragstellers verhandelt und damit gegen die Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs verstoßen. Weiters seien Zeugen unter Hinweis auf ihre Entbehrlichkeit nicht geladen worden, was ein unsachliches und an Willkür grenzendes Verhalten darstelle; dadurch habe das Gericht gegen die Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit verstoßen. Insgesamt habe es die Landesschiedskommission unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu erheben, und eine vorgreifende Beweiswürdigung getätigt.

5.2. §343 Abs4 ASVG ermöglicht beiden Seiten die Kündigung eines Einzelvertrags unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres. Der Krankenversicherungsträger kann nur wegen wiederholter nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtverletzungen unter Angabe der Gründe schriftlich kündigen (§343 Abs4 Satz 2 ASVG in der hier gemäß §652 Abs1 Z1 ASVG anzuwendenden Fassung nach der 72. ASVG-Novelle, BGBl I 2010/61).

Die Novellierung des §343 Abs4 ASVG mit der 72. ASVG-Novelle zielte unter anderem darauf ab, den bestehenden Kündigungsschutz bei Einzelverträgen 'zu flexibilisieren', ohne dass daraus weitreichende Auswirkungen im Vergleich zur früheren Rechtsprechung der Bundesschiedskommission abzuleiten wären (Mosler, Neues Kündigungsrecht für Vertragsärzte, RdM 2011, 212 [214]).

5.3. Die einzelvertraglichen Pflichten ergeben sich im Wesentlichen aus dem Gesamtvertrag (Geiblinger, Die Arbeitsunfähigkeitsbestätigung als Gefälligkeitsattest, RdM 2012, 268 [274]). Nach §37 Abs10 des ab 1. Jänner 2011 für die (Einzel-)Vertragsparteien in Geltung stehenden Gesamtvertrags über kurative Leistungen trifft den Vertragsarzt die Verpflichtung, die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten unter gewissenhafter Würdigung der maßgebenden Verhältnisse vorzunehmen. Die Ausstellung eines 'Gefälligkeitsattests' über die Arbeitsunfähigkeit sowie die Verrechnung der Leistung gegenüber dem Krankenversicherungsträger begründen zwei Vertragspflichtverletzungen des Arztes (Geiblinger, RdM 2012, 274). Selbst ohne Bezug zum Kassenvertrag begründet die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ohne hinreichende Untersuchung eine Berufspflichtverletzung gemäß §55 ÄrzteG.

Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die mehrfache Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbestätigungen zugunsten von gesunden 'Patienten' eine Vertrags- und Berufspflichtverletzung darstellt.

In diesem Zusammenhang sieht die Berufung einen Verfahrensmangel wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Entgegen dem Berufungsvorbringen […] wurden die Zeugen [R.L., A.Z. und W.L.] bereits in der Verhandlung vom 23. August 2012 einvernommen, wobei dem Antragsteller nach jeder einzelnen Zeugeneinvernahme die Möglichkeit gegeben wurde, seinerseits eine Aussage zu dem entsprechenden Beweisthema abzulegen (was er auch getan hat). Gleiches gilt für den in der Berufung nicht genannten Zeugen [M.W.].

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Landesschiedskommission gehalten gewesen wäre, im Sinne der materiellen Wahrheitserforschung die Einvernahme der Zeugen [S. und M.] in persönlicher Anwesenheit des Antragstellers mit der Möglichkeit einer Gegenüberstellung durchzuführen, und ob weitere Zeugen einzuvernehmen gewesen [wären], zumal aus rechtlichen Gründen die Kündigung bereits aufgrund der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbestätigungen für die Zeugen [R.L., A.Z., W.L. und M.W.] gerechtfertigt ist. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass die Teilnahme eines Parteienvertreters (§10 Abs1 AVG) die Ausübung des Rechts auf rechtliches Gehör wahrt (VwGH 2002/03/0095). Darüber hinaus darf sich eine Partei, die im Rechtsmittel eine Verletzung des Parteiengehörs rügt, nicht darauf beschränken, diesen Mangel aufzuzeigen, ohne die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen zu bekämpfen und ohne darzulegen, was ausgesagt bzw vorgebracht worden wäre, wenn Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre (VwGH 95/07/0175 uva). Dies hat der Antragsteller in seinem Rechtsmittel unterlassen.

5.4. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung berechtigt schon bei der erstmaligen Verfehlung zur Kündigung des Einzelvertrags. Maßgeblich hiefür ist eine besondere Intensität der Pflichtverletzung. Dieses besondere Maß ist im vorliegenden Fall zu bejahen, hat doch der Antragsteller ohne jeglichen Anhaltspunkt für eine Erkrankung – die vier Patienten haben ausdrücklich das Vorliegen einer Krankheit verneint und einen anderen Grund für den Wunsch nach einer Arbeitsunfähigkeitsbestätigung genannt – eine Krankschreibung vorgenommen.

Das Gesamtbild ergibt ein gravierendes Fehlverhalten des Antragstellers, das die im Einzelvertragsverhältnis – sowohl betreffend den kurativen Einzelvertrag als auch den VU-Vertrag – notwendige Vertrauensbasis zur Antragsgegnerin generell in einer nicht tolerierbaren Weise erschüttert hat, weshalb die Antragsgegnerin zur Kündigung beider Einzelverträge berechtigt war. Angesichts der Qualifikation der vorliegenden Verstöße gegen Vertrags- und Berufspflichten als schwerwiegend bedurfte es keiner vorherigen Verwarnung bzw Kündigungsandrohung.

5.5. Dass es sich bei den 'Patienten' um – aus dem Nahebereich der Antragsgegnerin stammende – Testpatienten handelte, vermag das Kündigungsrecht nicht zu beseitigen. Ein ausdrückliches Verbot eines Einsatzes von Testpersonen ist weder dem Gesetzesrecht noch den geltenden gesamtvertraglichen Regelungen zu entnehmen. Der VwGH hat den Einsatz einer Testkäuferin in einer Apotheke, die mit falschen Angaben den Erwerb eines rezeptpflichtigen Medikaments ohne Rezept erreicht hat, nicht als unzulässig qualifiziert, wenn die Testkäuferin nicht anders vorgegangen ist als gewöhnliche Apothekenkunden (VwGH 94/10/0019). Ähnlich wird in Strafsachen keine – nach §5 Abs3 StPO untersagte – Provokation durch einen Lockspitzel angenommen, wenn der Täter die strafbare Handlung ihrer Art nach auch ohne Intervention des verdeckten Ermittlers begangen hätte […].

Auch im vorliegenden Fall haben sich die – von der WGKK auf der Grundlage entsprechender Verdachtsmomente ausgesandten – Testpatienten wie gewöhnliche Patienten mit 'besonderen Wünschen' verhalten, ohne dass sie unerlaubte oder verwerfliche Mittel angewendet hätten, um den Antragsteller damit zum Verstoß gegen vertragliche und gesetzliche Vorschriften zu verleiten.

[…] Insgesamt ist daher der angefochtene Bescheid zu bestätigen."

1.1.              Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung, gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird in der Beschwerde dazu vorgebracht, die belangte Behörde habe in Abwesenheit des Beschwerdeführers verhandelt, von diesem beantragte Zeugen nicht geladen, sein Parteivorbringen ignoriert und sei seinem krankheitsbedingten Vertagungsersuchen nicht nachgekommen.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Die beteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.              Rechtslage

5. Die im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes – ASVG, BGBl 189/1955, in der hier maßgeblichen Fassung, lauten auszugsweise:

"Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und

Auflösung des Vertragsverhältnisses

§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärztinnen/Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt/der Ärztin oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Diese Einzelverträge sind sodann für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam. Die Einzelvertragsparteien können abweichend von §341 Abs3 mit Zustimmung der zuständigen Ärztekammer ergänzende oder abweichende Regelungen hinsichtlich Art, Umfang und Honorierung der vertragsärztlichen Tätigkeit insbesondere im Zusammenhang mit der Festlegung der Öffnungszeiten, für Spitalsambulanzen entlastende Leistungen, oder für dislozierte Standorte treffen. Wurden in einem Zulassungsverfahren nach §52c ÄrzteG 1998 oder §26b Abs1 ZÄG Auflagen erteilt, so sind diese Inhalt des jeweiligen Einzelvertrages. Einzelverträge, die nicht im Rahmen der jeweils nach §342 Abs1 Z1 vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes und der zuständigen Ärztekammer, bei Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer. Mit approbierten Ärztinnen/Ärzten (§44 Abs1 ÄrzteG 1998) kann kein Einzelvertrag abgeschlossen werden, es sei denn, der Arzt/die Ärztin hat gemäß Artikel 36 Abs2 der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen das Recht erworben, den ärztlichen Beruf als Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin im Rahmen eines Sozialversicherungssystems auszuüben.

(1a) – (1c) […]

(2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis und dem Träger der Krankenversicherung erlischt ohne Kündigung im Falle:

[…]

(3) Der Träger der Krankenversicherung ist zur Auflösung des Vertragsver-hältnisses mit einem Vertragsarzt oder mit einer Vertrags-Gruppenpraxis ver-pflichtet, wenn der Arzt oder ein Gesellschafter einer Vertrags-Gruppenpraxis die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert oder wenn ihm diese Berechtigung von Anfang an fehlte oder wenn im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer festgestellt wird, dass die Voraussetzungen, die zur Bestellung des Vertragsarztes oder der Vertrags-Gruppenpraxis erforderlich sind, von Anfang an nicht gegeben waren. Abs2 letzter Satz gilt sinngemäß.

(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Der Krankenversicherungsträger kann nur wegen wiederholter nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtverletzungen unter Angabe der Gründe schriftlich kündigen. Der gekündigte Arzt/die gekündigte Ärztin oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Eine Vertrags-Gruppenpraxis kann die Kündigung des Einzelvertrages abwenden, wenn sie innerhalb von acht Wochen ab Rechtskraft der Kündigung jenen Gesellschafter/jene Gesellschafterin, der/die ausschließlich den jeweiligen Kündigungsgrund gesetzt hat, aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt. Eine vom gekündigten Arzt/von der gekündigten Ärztin (von der gekündigten Gruppenpraxis) eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."

"Landesschiedskommission

§345a. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesschiedskommission zu er-richten. Diese besteht aus einem Richter des Ruhestandes als Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende soll durch längere Zeit hindurch in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig gewesen sein. Er ist vom Bundesminister für Justiz jeweils auf fünf Jahre zu bestellen. Je zwei Beisitzer werden im Einzelfall von der zuständigen Ärztekammer und dem Hauptverband entsendet.

(2) Die Landesschiedskommission ist zuständig:

1. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines be-stehenden Gesamtvertrages;

2. zur Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung gemäß §343 Abs4;

3. zur Entscheidung bei Anträgen nach §343 Abs1a.

(3) Gegen die Entscheidungen der Landesschiedskommission kann Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden.

Bundesschiedskommission

§346. (1) Zur Entscheidung über Berufungen, die gemäß §345a Abs3 erhoben werden, ist eine Bundesschiedskommission zu errichten."

1.              §37 Abs10 des Gesamtvertrages über kurative Leistungen, abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Wien, Kurie der niedergelassenen Ärzte einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Wiener Gebietskrankenkasse und weitere Versicherungsträger, in der hier maßgeblichen Fassung, lautet auszugsweise:

"§37

Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt

(1) – (9) […]

(10) Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und ihrer Dauer ist unter gewissenhafter Würdigung der maßgebenden Verhältnisse vorzunehmen. Bei Eintritt der Arbeitsfähigkeit ist der Versicherte von der Arbeitsunfähigkeit abzumelden und der letzte Tag der Arbeitsunfähigkeit genau anzugeben."

6. §8 des Gesamtvertrages über Vorsorgeuntersuchungen, abgeschlossen zwischen der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer sowie den Landesärztekammern einerseits und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger für die Krankenversicherungsträger andererseits, lautet auszugsweise:

"§8

Ort und Zeit der Vorsorgeuntersuchungen

Der Vertragsarzt hat die Vorsorgeuntersuchung (Allgemeines Untersuchungsprogramm gemäß Anlage 1) in seiner Ordination selbst vorzunehmen. Mit den Probanden sind Termine zu vereinbaren, die grundsätzlich außerhalb der im kurativen Einzelvertrag (sofern vorhanden) vereinbarten Ordinationszeiten liegen sollen. Der Vertragsarzt ist berechtigt, die Untersuchung eines Anspruchsberechtigten abzulehnen. Auf Verlangen des Versicherungsträgers ist diesem der Grund der Ablehnung mitzuteilen."

III.              Erwägungen

7. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

8. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden und vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet worden:

9. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Keiner dieser Mängel liegt hier jedoch vor:

1.1.              Die belangte Behörde erachtete die Kündigung des Einzelvertrages durch die beteiligte Gebietskrankenkasse für begründet, weil der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde für Patienten Bestätigungen über deren Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in zumindest drei Fällen ausgestellt hat, in denen die Patienten keinen Zweifel daran gelassen hatten, dass sie einen Krankenstand anstreben, ohne wirklich erkrankt zu sein.

1.2.              Der Beschwerdeführer wendet unter dem Gesichtspunkt der Willkür dagegen auf das Wesentliche zusammengefasst ein, die Behörde erster Instanz habe den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt, weil sie die Verhandlungen in Abwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt habe und diesem damit die Möglichkeit genommen worden sei, auf die Aussagen der Zeugen entsprechend zu reagieren. Die persönliche Anwesenheit seines anwaltlichen Vertreters könne daran nichts ändern, da dieser (im Gegensatz zum Beschwerdeführer) nicht in der Ordination anwesend gewesen sei und daher auf die unmittelbar getätigten Aussagen nicht entsprechend habe reagieren können. Da auch die vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen mit dem Hinweis auf die Irrelevanz von deren Aussagen von der erstinstanzlichen Behörde nicht geladen worden seien, habe die belangte Behörde "diese Ansicht" (gemeint: die Ansicht der Landesschiedskommission) ohne Durchführung eines eigenen Ermittlungsverfahrens bestätigt, weshalb jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen worden sei.

Damit ist der Beschwerdeführer nicht im Recht:

1.2.1.              Der Beschwerdeführer geht in seiner Beschwerde mit keinem Wort darauf ein, dass die erstinstanzliche Behörde jene drei Zeugen in seiner Anwesenheit vernommen hat, auf Grund von deren Angaben, welche die Landesschiedskommission zu Feststellungen erhoben hat, die belangte Behörde das Vorliegen eines Kündigungsgrundes angenommen hat. Der in der Verhandlung anwesende Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, zu jeder dieser Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und die Zeugen mit seiner Darstellung zu konfrontieren.

Die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge ist daher, sollte sie sich auch auf jene Zeugenaussagen beziehen, auf denen der angefochtene Bescheid beruht, insoweit aktenwidrig, sollte sie sich hingegen auf Zeugenaussagen beziehen, auf denen der angefochtene Bescheid gar nicht beruht, ohne Relevanz.

1.2.2.              Die Zulässigkeit des von der belangten Behörde nicht beanstandeten Einsatzes von eigenen Angestellten des beteiligten Krankenversicherungsträgers als Testpatienten wird in der Beschwerde nicht begründet gerügt; der Verfassungsgerichtshof hegt nach dem von der belangten Behörde dazu festgestellten Sachverhalt auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. dazu auch OGH 12.4.1983, 4 Ob 329/83, SZ 56/57 – Testkauf im Recht des unlauteren Wettbewerbs; OGH 20.8.2002, 4 Ob 70/02a = RdM 2003/29 – Scheinpatient, Eigenbluttherapie durch Heilpraktiker uva. sowie VwGH 27.1.1997, 94/10/0019 – Testkauf in Apotheken zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen über die Rezeptpflicht).

1.2.3.              Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom heutigen Tag, B888/2013, entschieden hat, bestehen hinsichtlich der Beurteilung der belangten Behörde, wonach Krankschreiben "auf Bestellung" eine schwerwiegende Vertragsverletzung darstellt, welche die Kasse zur Kündigung des Einzelvertrages berechtigt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. In dieser Hinsicht bringt die Beschwerde auch keine Einwände vor.

1.3.              Unter dem Gesichtspunkt der Willkür – der Sache nach eine Verletzung des Art6 EMRK geltend machend – rügt der Beschwerdeführer schließlich das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde.

1.3.1.              Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung an die Bundesschiedskommission die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragt. Die Anfechtung der Kündigung eines Einzelvertrages betrifft – wie schon §338 Abs1 ASVG erweist – zivilrechtliche Ansprüche des Beschwerdeführers (vgl. auch VfSlg 11.729/1988, 12.083/1989, 13.553/1993, wonach Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit einem zwischen Arzt und Träger der Krankenversicherung geschlossenen Einzelvertrag ergeben, in den [Kern-]Bereich des Art6 Abs1 EMRK fallen), sodass in solchen Angelegenheiten gemäß Art6 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR grundsätzlich ein Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal bestanden hat (vgl. zB VfSlg 13.553/1993, 15.803/2000, 16.704/2002, 17.628/2005 mwH). Die Bundesschiedskommission war gemäß §346 ASVG in der bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung als eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichtet und war ein Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK (VfSlg 15.803/2000). Da die Landesschiedskommission als Behörde erster Instanz die Voraussetzungen eines unabhängigen Tribunals nicht erfüllte (als Vorsitzender war gemäß §345a Abs1 ASVG ein Richter des Ruhestandes zu bestellen, der daher kein Richter iSd Art133 Z4 B-VG war – vgl. dazu VfSlg 11.933/1988 und 18.283/2007) und eine Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzlich nicht eingeräumt war, hätte die Bundesschiedskommission grundsätzlich die Verpflichtung gehabt, einem Anspruch des Beschwerdeführers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung Rechnung zu tragen.

1.3.2.              Jedoch ist der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung kein absoluter: Nach der Rechtsprechung des EGMR und – ihm folgend – des Verfassungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfSlg 18.994/2010, VfSlg 19.632/2012). Diese Voraussetzungen liegen hier aber vor:

1.3.2.1.              Der Beschwerdeführer ließ in seiner Berufung an die belangte Behörde unbestritten, dass er Krankschreibungen auf Bestellung vorgenommen hatte. Soweit er die Beweiswürdigung der Landesschiedskommission bekämpfte, beschränkte sich dies auf den Umstand, dass die Landesschiedskommission Zeugen in seiner Abwesenheit einvernommen hatte und Beweisanträgen auf Einvernahme weiterer Zeugen nicht nachgekommen war. Im Zusammenhang mit jenen Zeugen, die in seiner Anwesenheit einvernommen wurden, wendete der Beschwerdeführer hingegen nur ein, sie hätten die Ordination des Beschwerdeführers "lediglich einmal im Jahre 2011" aufgesucht, weshalb von einem jahrelangen Missbrauch keinesfalls gesprochen werden könne.

1.3.2.2.              Soweit der festgestellte Sachverhalt somit aus den Aussagen dieser Zeugen gewonnen wurde, war er unbestritten und es war lediglich die Rechtsfrage zu klären, ob in den von diesen Zeugen bekundeten unbegründeten Krankschreibungen bereits ein Kündigungsgrund im Sinne des §343 Abs4 ASVG gelegen war, oder ob es – wie der Beschwerdeführer in seiner Berufung meinte – auf die "jahrelange Dauer eines solchen Missbrauchs" ankam. Insoweit hatte die belangte Behörde, die die Begründetheit der Kündigung bereits aus diesen unstrittigen Aspekten des Sachverhalts ableiten konnte, keine besonders komplexe Rechtsfrage zu lösen, zu deren Beurteilung daher eine mündliche Verhandlung auch unter dem Aspekt des Art6 EMRK nicht geboten war.

1.3.3.              Der Beschwerdeführer wurde daher auch durch das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor der Bundesschiedskommission nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.

IV.              Ergebnis

10. Die behauptete Verletzung des Beschwerdeführers in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren hat sohin nicht stattgefunden. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

11. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

12. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.

13. Ob die Behörde das Gesetz in jeder Hinsicht richtig angewendet hat, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde – wie vorliegend – gegen den Bescheid einer sogenannten Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag richtet, der gemäß Art133 Z4 B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung nicht mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden konnte (zB VfSlg 9541/1982 mwN, 17.412/2004, 19.306/2011).

14. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

15. Der beteiligten Partei sind für den von ihr eingebrachten, vom Verfassungsgerichtshof aber nicht abverlangten Schriftsatz Kosten nicht zuzusprechen (zB VfSlg 13.847/1994, 15.300/1998, 15.818/2000, 16.037/2000).

Schlagworte

Sozialversicherung, Ärzte, Verhandlung mündliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:B1534.2013

Zuletzt aktualisiert am

26.03.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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