TE Vfgh Erkenntnis 2015/3/11 E1542/2014

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Veröffentlicht am 11.03.2015
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Asylantrags mangels aktueller Feststellungen zur Lage in Somalia

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.              Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Somalias, reiste am 29. Oktober 2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte sie – im Wesentlichen – aus, dass ihr Ehegatte die Zusammenarbeit mit den "Al Shabaab"-Milizen verweigert habe und untergetaucht sei. Angehörige der Miliz hätten daher die Beschwerdeführerin und ihre Familie aufgesucht, ihren Vater, einen Polizisten der somalischen Regierung, erschossen und die Beschwerdeführerin selbst misshandelt, weshalb sie eine Fehlgeburt erlitten habe. Die Familie habe daraufhin ihren Wohnort Mogadischu verlassen und sei nach Bosaso im Norden Somalias geflohen, dort jedoch auf Grund ihrer Clanzugehörigkeit unterdrückt worden. Letztlich habe die Familie beschlossen, Somalia zu verlassen.

2.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Februar 2012 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Asyl gemäß §3 AsylG 2005 abgewiesen. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin gemäß §8 AsylG 2005 subsidiärer Schutz zuerkannt. In seiner Begründung führte das Bundesasylamt – zusammengefasst – aus, dass das Fluchtvorbringen zwar glaubwürdig, aber nicht asylrelevant sei. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes resultiere aus der instabilen und unsicheren Lage in Somalia.

3.       Am 9. März 2012 brachte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde, in der sie u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 26. April 2012 zurückwies. Dieser Bescheid wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 22. März 2013 behoben. Sodann hat das Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren dem Antrag auf Wiedereinsetzung am 18. April 2013 stattgegeben.

4.       Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. September 2014 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen die abweisende Asylentscheidung – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – ab. In der Begründung wurde insbesondere wie folgt ausgeführt:

"Tatsächlich war die Antragstellerin in Mogadischu, das heißt ihrem langjährigen Aufenthaltsort im Gefolge der Verfolgung ihres Vaters sowie ihres Ehemannes von Verfolgungshandlungen, welche den Voraussetzungen der Genfer Flüchtlingskonvention zuordenbar sind, betroffen. Die Antragstellerin hat jedoch aus eigenem vorgebracht, nach der Tötung ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter einen nachhaltigen innerstaatlichen Ortswechsel vollzogen zu haben und wurde ihr für diesen Ortswechsel auch durch den Verkauf einer Immobilie (durch den Onkel) eine finanzielle bzw. soziale Basis mitgegeben.

Die Antragstellerin wohnte in der Folge mit ihrer Mutter und ihren drei minderjährigen Kindern in Bosaso, ohne das[s] sie angab, während dieses Zeitraumes zielgerichteten eingriffsintensiven Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Vielmehr führte die Antragstellerin lapidar eine Diskriminierung ihrer Kinder und ihrer Geschwister ins Treffen, wie, gab sie letztlich zentral an, dass ihr Onkel und ihre Mutter ihr gesagt hätten, dass sie das Land verlassen solle, um sich im Ausland medizinisch behandeln zu lassen.

Den Angaben der Antragstellerin bzw. dem vorliegendem Sachverhalt ist somit eindeutig entnehmbar, dass die Antragstellerin bei ihrem letzten gewöhnlichen nachhaltige[n] Aufenthaltsort gänzlich keinerlei eingriffsintensiven bzw. zielgerichtet sie betreffenden Verfolgungshandlungen oder eben solche[r] Verfolgungsgefährdung ausgesetzt war.

Nach tatsächlich erlittenen Beeinträchtigungen im Gefolge der Verfolgung des Vaters und des Ehemannes verzog die Antragstellerin mit ihrer Mutter von Mogadischu nach Bosaso, wo sie – ihrer Darstellung nach – unter Angehörigen eines anderen Hauptclans zu leben hatte. Für diesen Zeitraum bis zu ihrer Ausreise hat die Antragstellerin keinerlei eingriffsintensive Verfolgungshandlungen zu verzeichnen."

5.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art47 Abs2 GRC) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird dazu u.a. ausgeführt:

"Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich in der bekämpften Entscheidung […] nicht mit den erstinstanzlichen Ländererkenntnissen auseinander und hat, obwohl mehr als zweieinhalb Jahre zwischen der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheids im Februar 2012 und der Entscheidung der belangten Behörde vergangen sind, auch keinerlei Feststellungen zu der aktuellen Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin getroffen. Dies wiegt umso schwerer, als die Beschwerdeführerin aus einem Bürgerkriegsland mit wechselnden Einfluss- und Machtsphären stammt und das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass keine aktuelle Verfolgungsgefahr besteht, ohne dass nachvollziehbar oder erkennbar wäre, aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde zu dieser Beurteilung kommt.

So geht aus zahlreichen aktuellen Länderberichten zu Somalia hervor, dass die al-Shabaab auch weiterhin wesentliche Teile des Landes kontrolliert und die Situation von Binnenvertriebenen, insbesondere von Frauen und Kindern und insbesondere in Gegenden, in denen kein Schutz durch den eigenen Clan gegeben ist, katastrophal ist. Frauen sind regelmäßige Opfer von Sexueller Gewalt (vgl zB European Asylum Support Office, South and Central Somalia: Country Overview, August 2014 […]).

Das Bundesverwaltungsgericht beschränkt sich in der bekämpften Entscheidung darauf, Angaben der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren zu ihrer Situation in Bosaso unvollständig zu zitieren; eine Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fand nicht statt und wurde der Beschwerdeführerin auch nicht schriftlich die Möglichkeit eingeräumt, im Rechtsmittelverfahren Stellung zu [nehmen]." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

6.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II.              Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:

3.1. Das angefochtene Erkenntnis enthält keine hinreichend aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin. Länderberichte zu Somalia finden sich zwar im erstinstanzlichen Bescheid, doch stammen jene aus dem Jahr 2011 und sind bzw. waren daher im Zeitpunkt des hier angefochtenen Erkenntnisses bereits drei Jahre alt. Auch finden sich zu der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage der Diskriminierung auf Grund der Clanzugehörigkeit keinerlei Feststellungen, sondern bloß die kursorische Bemerkung, dass Frauen überproportional am Bürgerkrieg und an Clankämpfen leiden.

3.2. Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht "[d]en Angaben der Antragstellerin zu Ereignissen im Herkunftsstaat […] aufgrund Nachvollziehbarkeit des Vorbringens die Glaubhaftigkeit" beimisst, ersetzt dies eine Ermittlung über die aktuelle Lage und die Situation der Frauen im Herkunftsstaat nicht.

3.3. Auch hat der Verfassungsgerichtshof bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl. etwa VfSlg 19.466/2011; VfGH 21.9.2012, U1032/12; 26.6.2013, U2557/2012; 11.12.2013, U1159/2012 ua.).

3.4. Vor diesem Hintergrund ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses zur Frage, ob die Beschwerdeführerin infolge ihrer Clanzugehörigkeit eine asylrelevante Verfolgung in Somalia erlitten hat und ob ihr auf Grund dessen eine innerstaatliche Fluchtalternative verschlossen ist, nicht möglich (vgl. auch VfSlg 19.235/2010).

4.       Folglich ist das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

III.              Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.       Das angefochtene Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2015:E1542.2014

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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