TE Vwgh Erkenntnis 2014/12/17 2011/13/0099

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Veröffentlicht am 17.12.2014
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

BAO §299 Abs1;
BAO §93 Abs2;
EStG 1988 §106 Abs1;
EStG 1988 §106 Abs2;
EStG 1988 §106a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Finanzamtes Baden Mödling in 2500 Baden, Josefsplatz 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 6. Juli 2011, Zl. RV/1691-W/11, betreffend Aufhebung eines Einkommensteuerbescheides 2009 gemäß § 299 BAO (mitbeteiligte Partei: K in P, vertreten durch Mag. Barbara Cizek, Steuerberaterin in 1170 Wien, Hochweg 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von 200 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei wurde mit Bescheid vom 23. August 2010 zur Einkommensteuer für das Jahr 2009 veranlagt. Die Arbeitnehmerveranlagung ergab eine Gutschrift von rd. 1.900 EUR, wobei bei der Berechnung der Steuer der Alleinerzieherabsetzbetrag zum Ansatz kam. Der Einkommensteuerbescheid wurde rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2010 beantragte die Mitbeteiligte durch ihre steuerliche Vertreterin die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2009 gemäß § 299 BAO zur Berücksichtigung der Kinderfreibeträge für zwei (unter Angabe der jeweiligen Sozialversicherungsnummer namentlich genannte) haushaltszugehörige Kinder in Höhe von je 220 EUR.

Mit der Begründung, dass der Einkommensteuerbescheid 2009 rechtskräftig sei und ein Anwendungsfall des § 299 BAO nicht vorliege, weil "der Einkommensteuerbescheid 2009 nicht unrichtig ist", gab das Finanzamt diesem Antrag keine Folge.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Mitbeteiligte vor, im Zuge der Steuerreform sei immer wieder betont worden, dass der Kinderfreibetrag von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Nachdem der Mitbeteiligten der Alleinerzieherabsetzbetrag bereits seit Jahren zugestanden sei, sei die steuerliche Vertreterin davon ausgegangen, dass die Geltendmachung des Kinderfreibetrages automatisch erfolge. Erst bei der Nachkontrolle des Bescheides sei sie auf diesen Fehler aufmerksam geworden und habe (innerhalb der Jahresfrist) den Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO gestellt. Der Spruch des Einkommensteuerbescheides sei im Sinne des § 299 BAO unrichtig, weil bei "Zustehen eines Alleinerzieherabsetzbetrages zumindest für ein Kind auch ein Kinderfreibetrag zustehen muss". Es werde daher neuerlich um Aufhebung des Einkommensteuerbescheides und Ansatz des Kinderfreibetrages für zwei Kinder in Höhe von jeweils 220 EUR ersucht.

Mit Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Der Kinderfreibetrag nach § 106a EStG 1988 stehe bei Vorliegen der Voraussetzungen "- in Ihrem Fall: Kinder im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG -" auf Grund des Gesetzeswortlauts nur über Antrag zu ("wenn er geltend gemacht wird"). Eine Berücksichtigung von Amts wegen oder "automatisch" könne somit nicht erfolgen. Damit sei der Spruch des Einkommensteuerbescheides 2009 nicht rechtswidrig gewesen und eine Aufhebung nach § 299 BAO damit "nicht gerechtfertigt".

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vertrat die Mitbeteiligte die Ansicht, dass ein Bescheid auch dann rechtswidrig sei, wenn die Nichtberücksichtigung entscheidungserheblicher Tatsachen oder Beweismittel auf mangelnde Kenntnis der Abgabenbehörde (z.B. als Folge mangelnder Offenlegung durch die Partei) zurückzuführen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 23. August 2010 werde gemäß § 299 BAO aufgehoben.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO könne die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweise. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliege, sei für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht von Bedeutung. Maßgebend sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufhebung des Bescheides. Im Beschwerdefall habe es die Mitbeteiligte in ihrer Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2009 verabsäumt, einen "Antrag auf Berücksichtigung des Kinderfreibetrages zu stellen". Insofern sei der in der Folge seitens des Finanzamtes erlassene Einkommensteuerbescheid 2009, in dem der Kinderfreibetrag "mangels Geltendmachung" nicht berücksichtigt worden sei, ursprünglich nicht rechtswidrig gewesen. Da für die Geltendmachung des Kinderfreibetrages jedoch keine gesetzliche Fallfrist bestehe und somit auch nach Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides 2009 ein materieller Anspruch der Mitbeteiligten auf Berücksichtigung des Kinderfreibetrages bestanden habe, habe der Antrag zur Berücksichtigung des Kinderfreibetrages auch noch im Rahmen des Antrages auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides wirksam gestellt werden können. Nachdem es sich bei den Kindern der Mitbeteiligten aktenkundig um Kinder im Sinne des § 106a Abs. 1 EStG 1988 handle, stehe der Kinderfreibetrag in Höhe von 220 EUR jährlich pro Kind zu. Inwieweit es der Mitbeteiligten möglich oder zuzumuten gewesen wäre, bereits in ihrer Erklärung auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung den Kinderfreibetrag geltend zu machen, sei für die auf die jetzige Sach- und Rechtslage abzustellende Interpretation des § 299 Abs. 1 BAO nicht relevant. Im Beschwerdefall sei der Betrag von 440 EUR als Kinderfreibetrag für die Mitbeteiligte, welche eine alleinerziehende Mutter sei, jedenfalls nicht von geringfügiger Bedeutung. Da bei der Ermessensübung weiters dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor dem Grundsatz der Rechtsbeständigkeit zukomme, sei die Bescheidaufhebung zu verfügen gewesen.

In der vom Finanzamt erhobenen Beschwerde wird der angefochtene Bescheid insoweit bekämpft, als er "ausspricht, dass der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 23.8.2010 gemäß § 299 BAO aufgehoben" wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften sowohl durch die belangte Behörde als auch die Mitbeteiligte erwogen:

Mit dem StRefG 2009, BGBl I Nr. 26/2009, kam es im Rahmen des so genannten "Familienpakets" zur Einführung eines Kinderfreibetrages in § 106a EStG 1988. Diese Bestimmung lautete in der (nicht wirksam gewordenen) Stammfassung:

"Kinderfreibetrag

§ 106a. (1) Für ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 steht ein Kinderfreibetrag zu. Dieser beträgt 220 Euro jährlich, sofern nicht ein Kinderfreibetrag nach Abs. 2 geltend gemacht wird oder nach Abs. 3 zusteht.

(2) Wird für dasselbe Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 von einem anderen Steuerpflichtigen ebenfalls ein Kinderfreibetrag geltend gemacht, beträgt der Kinderfreibetrag 132 Euro jährlich pro Steuerpflichtigem.

(3) Für ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 2 steht ein Kinderfreibetrag in Höhe von 132 Euro jährlich zu, wenn sich das Kind nicht ständig im Ausland aufhält.

(4) Steht für ein Kind ein Kinderfreibetrag gemäß Abs. 3 zu, darf für dasselbe Kind ein Kinderfreibetrag gemäß Abs. 2 nur von jenem Steuerpflichtigen geltend gemacht werden, der mehr als sechs Monate im Kalenderjahr Anspruch auf einen Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 hat.

(5) Der Kinderfreibetrag wird im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer berücksichtigt. In der Steuererklärung ist die Versicherungsnummer (§ 31 ASVG) oder die persönliche Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte (§ 31a ASVG) jedes Kindes, für das ein Kinderfreibetrag geltend gemacht wird, anzuführen."

Mit der am 31. Dezember 2009 in Kraft getretenen (somit bereits bei der Veranlagung für das Jahr 2009 anzuwendenden) Novellierung durch das AbgÄG 2009, BGBl I Nr. 151 (ausgegeben am 30. Dezember 2009), erhielten § 106a Abs. 1 und (der nunmehrige) Abs. 3 EStG 1988 (bei einem Entfall des bisherigen Abs. 2; der bisherige Abs. 3 wurde zum Abs. 2, der bisherige Abs. 5 zum Abs. 4) folgende Fassungen:

"(1) Für ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 steht ein Kinderfreibetrag zu. Dieser beträgt

-

220 Euro jährlich, wenn er von einem Steuerpflichtigen geltend gemacht wird;

-

132 Euro jährlich pro Steuerpflichtigem, wenn er für dasselbe Kind von zwei (Ehe-)Partnern, die mehr als sechs Monate im Kalenderjahr in einem gemeinsamen Haushalt leben, geltend gemacht wird,

-

132 Euro jährlich pro Steuerpflichtigem, wenn einem anderen nicht im selben Haushalt lebenden Steuerpflichtigen für dasselbe Kind ein Kinderfreibetrag nach Abs. 2 zusteht."

"(3) Steht für ein Kind ein Kinderfreibetrag gemäß Abs. 2 zu, darf für dasselbe Kind ein Kinderfreibetrag gemäß Abs. 1 in Höhe von 132 Euro nur von jenem Steuerpflichtigen geltend gemacht werden, der mehr als sechs Monate Anspruch auf einen Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 hat."

Diese Neufassung sollte der sprachlichen Klarheit dienen und darüber hinaus sicherstellen, dass eine Aufteilung des "Kinderabsetzbetrages" für dasselbe haushaltszugehörige Kind nur zulässig ist, wenn die (Ehe-)Partnerschaft im Kalenderjahr mehr als sechs Monate bestanden hat (vgl. RV 479 BlgNR 24. GP 6).

Nach § 299 Abs. 1 BAO (idF vor dem FVwGG 2012) konnte die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht (vgl. z.B. Ritz, BAO5, § 299 Tz 10).

In der Amtsbeschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, allein auf Grund des nachträglich innerhalb der Jahresfrist gestellten Antrages auf Berücksichtigung der Kinderfreibeträge sei der Spruch des Bescheides nicht unrichtig. Eine nachträgliche Ausübung des Wahlrechtes bewirke noch nicht die grundsätzliche Unrichtigkeit des Spruches des Einkommensteuerbescheides. Ansonsten wäre es dem Abgabepflichtigen anheimgestellt, "durch Willensänderungen in die Rechtskraft von Bescheiden einzugreifen, deren Erlassung er in der erklärten Form begehrte".

Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass der in Rede stehende Kinderfreibetrag nach § 106a EStG 1988 (idF AbgÄG 2009) durch ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG 1988 oder ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 2 EStG 1988 vermittelt wird (vgl. z.B. Fuchs in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar, § 106a Tz 4) und nach dem Gesetzeswortlaut auch von Amts wegen zusteht (vgl. § 106a Abs. 1 erster Satz EStG 1988 bzw. § 106a Abs. 2 EStG 1988 idF AbgÄG 2009). Eine Antragstellung ist damit entgegen der offenbar der Beschwerde zu Grunde liegenden Meinung zum Entstehen des Anspruches auf den Kinderfreibetrag nach der Konzeption des Gesetzes an sich nicht erforderlich (wobei dies deutlicher noch in der Stammfassung des § 106a Abs. 1 EStG 1988 zum Ausdruck kam). Lediglich im Rahmen des § 106a Abs. 1 EStG 1988 ordnet der Gesetzgeber (auch hier nur zum Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG 1988) im Zusammenhang mit den dort angesprochenen Fallkonstellationen eine "Geltendmachung" an (wodurch es auch zu Differenzierungen des Kinderfreibetrages der Höhe nach kommen kann; vgl. z.B. Mayr, RdW 2009/186, 228 (230)).

Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass die Mitbeteiligte im Streitjahr die Voraussetzungen eines Alleinerziehers im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 erfüllte, somit mit mindestens einem Kind (§ 106 Abs. 1 EStG 1988) mehr als sechs Monate im Kalenderjahr nicht in einer Gemeinschaft mit einem (Ehe)Partner lebte. Damit war aber keine Sachverhaltskonstellation gegeben, die entsprechend einer "Geltendmachung" nach § 106a Abs. 1 zweiter Satz EStG 1988 zur vollständigen Versagung des Kinderfreibetrages hätte führen können. Indem im Einkommensteuerbescheid vom 23. August 2010 aber überhaupt kein Kinderfreibetrag nach § 106a EStG 1988 zum Ansatz kam, war dieser damit jedenfalls inhaltlich rechtswidrig (worauf die Mitbeteiligte im Übrigen auch in der Berufung hinwies).

Die Amtsbeschwerde zeigt damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff (insbesondere § 59 Abs. 1) VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am 17. Dezember 2014

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2011130099.X00

Im RIS seit

11.02.2015

Zuletzt aktualisiert am

28.06.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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