TE Vfgh Erkenntnis 2014/12/2 V62/2014

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Veröffentlicht am 02.12.2014
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Index

82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art18 Abs2
ÄrzteG 1998 §100
Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich §30

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich betreffend eine weitere Voraussetzung für die Gewährung der Invaliditätsversorgung entgegen der gesetzlichen Grundlage

Spruch

I. Die Wortfolge "und sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt" in §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF vom 1. Jänner 2012, kundgemacht auf www.arztnoe.at am 2. Dezember 2011, war gesetzwidrig.

II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1.       Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B52/2013 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Der Beschwerdeführer ist seit 1. August 1989 in die Ärzteliste eingetragen und seit 6. November 2006 Mitglied des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich. Seit 1. Juli 2010 wird er als außerordentliches Kammermitglied geführt. Vom 6. November 2006 bis zum 30. Juni 2010 führte er eine Praxis in Guntramsdorf. Auf Grund einer bereits im Jahr 1998 diagnostizierten Erkrankung geriet er zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten, bis er im April 2010 berufsunfähig wurde. Er bezieht von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Berufsunfähigkeitspension sowie Pflegegeld der Stufe 2.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 21. November 2012 wies der Beschwerdeausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich einen Antrag des Beschwerdeführers auf Invaliditätsversorgung ab 1. Juli 2010 gemäß §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich ab und begründete dies mit Beitragsrückständen per 30. Juni 2010, die unter Berücksichtigung einer Beitragsreduzierung mit € 3.394,12 veranschlagt wurden.

2.       Bei Behandlung der Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "und sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt" in §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF 1. Jänner 2012 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 6. Juni 2014 beschlossen, diese Bestimmung von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3.       Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"§100 Abs1 Satz 1 ÄrzteG 1998 normiert die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätsversorgung. Die Bestimmung knüpft dabei allein an den Umstand der dauernden oder vorübergehenden Unfähigkeit zur Berufsausübung infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen an. Weitere Kriterien sieht das ÄrzteG 1998 nicht vor, aber ebenso eröffnet es – so die vorläufige Auffassung des Verfassungsgerichtshofes – für den Verordnungsgeber keinen Spielraum, entgegen dieser Anordnung Einschränkungen für den Leistungsfall vorzusehen.

Die Wortfolge in §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF vom 1. Jänner 2012 "und sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt" scheint entgegen ihrer gesetzlichen Grundlage des §100 Abs1 Satz 1 ÄrzteG 1998 eine weitere Voraussetzung für die Gewährung der Invaliditätsversorgung vorzusehen.

[…] Auch – so die vorläufige Auffassung des Verfassungsgerichtshofes – scheint sich aus §100 Abs3 zweiter Satz ÄrzteG 1998 ableiten zu lassen, dass der Satzungsgeber in diesem Zusammenhang bloß dazu ermächtigt wird, die zeitliche Abgrenzung zwischen (vorübergehender) Berufsunfähigkeit und kurzfristiger Erkrankung als Teilaspekt des Bezugs der Invaliditätsversorgung näher auszugestalten. Aus dieser Vorschrift dürfte daher nichts zu gewinnen sein.

Für diesen vorläufigen Befund spricht auch der Bericht des Ausschusses über die Regierungsvorlage zur 2. Ärztegesetz-Novelle, in dem wörtlich Folgendes ausgeführt wird:

'Durch diese Neuregelung soll eine zeitliche Abgrenzung zwischen (vorübergehender) Berufsunfähigkeit und kurzfristiger Erkrankung (z.B. Erkältung oder Grippe) getroffen werden.' (AB 689 BlgNR 21. GP, 4).

Schließlich scheint hier der Verordnungsgeber – ohne entsprechende gesetzliche Grundlage – eine zusätzliche Bedingung für den Leistungsanspruch dergestalt vorsehen zu wollen, als der Anspruch überhaupt erst entsteht, wenn der anspruchsberechtigte Arzt keinerlei Rückstände aus Leistungsvorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds hat. Hier scheint eine mit VfSlg 14.717/1997 [richtig: VfSlg 14.917/1997] als verfassungswidrig erkannte, vergleichbare Konstellation vorzuliegen."

4.       Die Ärztekammer für Niederösterreich erstattete eine Äußerung, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst damit entgegengetreten wird, dass Gesetzeswortlaut und Systematik für eine isolierte Betrachtung des §100 Abs3 zweiter Satz des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998) losgelöst vom Leistungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit sprächen, insbesondere da es sich bei den wortgleichen Bestimmungen des §100 Abs2 zweiter Satz und Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 um ein Redaktionsversehen handle und daher §100 Abs2 zweiter Satz bzw. Abs3 erster Satz nicht mit Abs3 zweiter Satz ÄrzteG 1998 in unmittelbarem Zusammenhang stehe. Die in Prüfung gezogene Bestimmung trage im Übrigen dem Solidaritätsprinzip Rechnung und verhindere den "Scheinerwerb" von Anwartschaften; eine Beitragsverrechnung sei betreffend die Invaliditätsversorgung hingegen nicht möglich.

Wörtlich wird ausgeführt:

"[Bei Betrachtung des §100 ÄrzteG] fällt auf, dass der letzte Satz in Abs2 und der erste Satz in Abs3 identisch sind. Müller hat dazu in Emberger/Wallner, Ärztegesetz mit Kommentar, 2. Aufl., 2008, S. 397, angemerkt, dass diese wortgleiche Anordnung in §100 Abs2 und Abs3 Ärztegesetz 1998 offensichtlich auf einem Redaktionsversehen beruhe.

[…]

§30 Abs1 Satzung WFF definiert im Einklang mit §100 Abs1 ÄrzteG 1998 als primäre Leistungsvoraussetzung für die Invaliditätsversorgung die Verwirklichung des Versicherungsfalles, nämlich in der Form, dass das WFF-Mitglied infolge körperlicher oder geistiger Geb[…]rechen zur Ausübung des ärztlichen und/oder zahnärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist.

Darüber hinaus wird in dieser Satzungsbestimmung als sekundäre Leistungsvoraussetzung festgelegt, dass alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt sein müssen. Derartige sekundäre Leistungsvoraussetzungen wie im §30 Abs1 Satzung WFF vorgesehen, finden sich auch in der gesetzlichen Pensionsversicherung des ASVG, GSVG etc. in Form einer Wartezeit oder in den verschiedenen Formen der geforderten Versicherungsdeckung. Auch werden in der gesetzlichen Sozialversicherung nur jene Versicherungszeiten als Beitragszeiten angesehen, in denen auch Versicherungsbeiträge wirksam entrichtet wurden oder in einer sonstigen gesetzlich anerkannten Form als solche zugestanden werden […]. Sekundäre Leistungsvoraussetzungen sollen sicherstellen, dass nur Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits einer bestimmten Zeit angehören oder durch ihre Beiträge zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen beigetragen haben […]. Verfassungsmäßige Bedenken dagegen, dass der Gesetzgeber Pensionsansprüche von der Erfüllung z.B. einer Wartefrist oder von verschiedenen Formen der Versicherungsdeckung abhängig macht, bestanden bislang nicht […].

Da die in §30 Abs1 Satzung WFF normierte sekundäre Leistungsvoraussetzung beim Beschwerdeführer nicht gegeben war, musste sein Antrag auf Invaliditätsversorgung vorerst abgewiesen werden. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass es dem Beschwerdeführer offensteht, seinen Beitragsrückstand beispielsweise durch eine Ratenvereinbarung zu begleichen, um die Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätsversorgung zu erfüllen.

[…]

[D]ie Erweiterte Vollversammlung [normiert] durch die in Prüfung stehende Wortfolge tatsächlich eine zusätzliche Bedingung für die Gewährung der Invaliditätsversorgung.

[…]

Die Beitragsrückstände wurden dem Beschwerdeführer regelmäßig im Rahmen der quartalsweise verschickten Kontoinformation seit dem 09.07.2008 bekannt gegeben. Die Rückstände bauten sich seit dem Jahr 2006 auf. Im Jahr 2009 wurden bereits Mahnungen verschickt.

[…]

Die Annahme, eine Leistung könne in Anspruch genommen werden, selbst wenn ein Beitragsrückstand vorliegt, verletzt das Solidaritätsprinzip, das dem Wohlfahrtsfonds wie jedem System der sozialen Sicherheit zugrunde liegt. Anders als die gesetzliche Sozialversicherung kann jedoch der Wohlfahrtsfonds nicht auf Zuschüsse des Bundes oder der Länder, sondern nur auf sein Vermögen und die ihn finanzierenden Beiträge der Mitglieder zurückgreifen.

Nimmt man unter Berücksichtigung dieses Umstandes an, dass auch Mitglieder, die ihre Beiträge nicht oder nicht vollständig entrichtet haben, in vollem Umfang leistungsberechtigt wären, würden gerade im Fall der Invaliditätsversorgung, die eine durch die Solidargemeinschaft getragene Aufstockung der Anwartschaften aufweist, jene Mitglieder, die regelmäßig ihre Beiträge entrichtet haben, nicht nur für vom Mitglied krankheitsbedingt - und somit unverschuldet fehlende - Monate, sondern sogar noch darüber hinaus für vom konkreten Mitglied (allenfalls schuldhaft) nicht einbezahlte Beiträge mitfinanzieren müssen.

[…]

Wenn der Verfassungsgerichtshof unter den anwendbaren Normen §110a Ärztegesetz anführt, könnte er angedacht haben, der Rückstand könne auch während des Leistungsbezuges von diesem in Abzug gebracht werden. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Verrechnung einer (zu gewährenden) Leistung mit rückständigen Beiträgen zwar grundsätzlich in §51 Abs2 Satzung WFF idF 01.01.2012 vorgesehen ist, jedoch im Hinblick auf die gegenständliche Bestimmung des §30 Abs1 Satzung WFF in Fällen der Invaliditätsversorgung nicht anwendbar ist. Die Spezialvorschrift des §30 Abs1 Satzung WFF ist erforderlich, da sonst die Solidargemeinschaft nicht nur die vom zahlungssäumigen Mitglied nicht- oder minderfinanzierten Leistungen tragen müsste, sondern darüber hinaus eine Erhöhung der Leistung im Wege der Anwartschaftsaufstockung herstellen müsste, unabhängig davon, ob das konkrete Mitglied zuvor leistungsrelevante Beiträge entrichtet hatte oder nicht.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Anspruchserwerb im Bereich der Altersversorgung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich nicht durch die Ansammlung von Versicherungsmonaten im Zeitablauf, sondern durch Kumulierung von Anwartschaften im Wege einbezahlter Beiträge erfolgt. Daraus würde bei Anwendung der Verrechnung von Rückständen mit zu gewährenden Leistungen gemäß §110a Ärztegesetz folgen, dass bei Einzahlung sehr geringer Summen und Bestehen eines hohen Rückstandes monatlich die niedrige erworbene Anwartschaft als Leistung ausgezahlt und auf den Rückstand anzurechnen wäre, wodurch neue Anwartschaften hinzu generiert würden, ohne dass dafür Beiträge einbezahlt worden wären. Im Hinblick auf die versicherungsmathematische Unterfinanzierung müsste die Solidargemeinschaft somit nicht nur die ursprünglich gewährte Erstpension mittragen, sondern darüber hinaus sogar den 'Scheinerwerb' von Anwartschaften mitfinanzieren. Die Anspruchsvoraussetzungen in §30 Abs1 Satzung WFF dienen daher dazu, diese unbefriedigende Konstellation zu verhindern.

Ergänzend ist noch anzumerken, dass Beitragsrückstände gerade im Hinblick auf Erkrankungen mit einkommensmindernder Wirkung regelmäßig im Wege von Beitragsermäßigungen reduziert werden. […]"

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

II.      Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):

Das ÄrzteG 1998, BGBl I 169 idF BGBl I 50/2012, lautet auszugsweise:

"§93. (1) Rückständige Umlagen nach §91 können nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991, BGBl Nr 53, eingebracht werden. Für rückständige Kammerumlagen kann die Umlagenordnung Verzugszinsen vorsehen, die bis zu 8vH p.a. betragen können.

(2) Die Umlagenordnung kann bestimmen, dass fällige Umlagen von den beanspruchten und gewährten Leistungen abgezogen werden, unabhängig davon, wem oder aus welchem Titel diese Leistung zusteht.

[…]

§100. (1) Invaliditätsversorgung ist zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen oder zahnärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist. Die Satzung kann festlegen, ab welchem Zeitraum der Berufsunfähigkeit eine vorübergehende Invaliditätsversorgung zu gewähren ist. Der Verwaltungsauschuß ist berechtigt, zur Feststellung der Voraussetzungen eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen.

(2) Vorübergehende Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn diese nach begründeter medizinischer Voraussicht in absehbarer Zeit zu beheben ist. Der Leistungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit liegt jedenfalls nicht vor, wenn diese weniger als drei Monate andauert.

(3) Der Leistungsfall der vorübergehenden Berufsunfähigkeit liegt jedenfalls nicht vor, wenn diese weniger als drei Monate andauert. Die näheren Voraussetzungen für den Bezug der Invaliditätsversorgung sind in der Satzung zu regeln.

[…]

§110a. (1) Rückständige Wohlfahrtsfondsbeiträge können nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 eingebracht werden. Für Beitragsrückstände zum Wohlfahrtsfonds kann die Wohlfahrtsfondsbeitragsordnung Verzugszinsen

vorsehen, die bis zu 8vH p.a. betragen können.

(2) Die Wohlfahrtsfondsbeitragsordnung kann bestimmen, dass fällige Beiträge von den beanspruchten und gewährten Leistungen abgezogen werden, unabhängig davon, wem oder aus welchem Titel diese Leistung zusteht."

§30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF vom 1. Jänner 2012, kundgemacht auf www.arztnoe.at am 2. Dezember 2011, außer Kraft getreten durch die Fassung vom 20. Dezember 2012, kundgemacht auf www.arztnoe.at am 10. Dezember 2012, lautet:

"§30

Invaliditätsversorgung

(1) Ist ein W[ohlfahrtsfonds]-Mitglied infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen und/oder zahnärztlichen Berufs dauernd oder

vorübergehend unfähig und aus diesem Grund aus der Ärzteliste gestrichen und

sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt, so

a) ist die Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn ein die Invalidität feststellender Bescheid eines gesetzlichen Sozialversicherungsträgers vorliegt.

b) kann die Invaliditätsversorgung gewährt werden, sofern ein durch einen gemäß Abs4 bestellten Vertrauensarzt erstelltes Gutachten die Berufsunfähigkeit bestätigt."

III.    Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof hegte im Prüfungsbeschluss u.a. das Bedenken, dass die Wortfolge in §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF 1. Jänner 2012 "und sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt" entgegen ihrer gesetzlichen Grundlage des §100 Abs1 erster Satz ÄrzteG 1998 eine weitere Voraussetzung für die Gewährung der Invaliditätsversorgung vorsehe und dass §100 Abs3 zweiter Satz ÄrzteG 1998 auch nicht dazu ermächtige.

Dieses Bedenken konnte von der Ärztekammer im Prüfungsverfahren nicht zerstreut werden.

2.2.     Gemäß §100 Abs1 ÄrzteG 1998 ist eine Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge bestimmter Gebrechen dauernd oder vorübergehend berufsunfähig ist. Sodann wird in §100 Abs2 ÄrzteG 1998 normiert, dass ein Leistungsfall für eine vorübergehende Invaliditätsversorgung jedenfalls nicht vorliegt, wenn die Berufsunfähigkeit weniger als drei Monate andauert. §100 ÄrzteG 1998 ermächtigt zum einen dazu, durch die Satzung festzulegen, "ab welchem Zeitraum der Berufsunfähigkeit eine vorübergehende Invaliditätsversorgung zu gewähren ist" (§100 Abs1 zweiter Satz ÄrzteG 1998), zum anderen dazu, "nähere Voraussetzungen für den Bezug der Invaliditätsversorgung" in der Satzung zu regeln (§100 Abs3 zweiter Satz ÄrzteG 1998).

Sowohl in Abs2 zweiter Satz als auch in Abs3 erster Satz des §100 ÄrzteG 1998 wird mit gleichem Wortlaut normiert, dass der Leistungsfall dann, wenn die vorübergehende Berufsunfähigkeit weniger als drei Monate andauert, jedenfalls nicht vorliegt.

2.3.    Die Ärztekammer weist in ihrer Äußerung vorerst zutreffend darauf hin, dass es sich bei den wortgleichen Bestimmungen des §100 Abs2 zweiter Satz und Abs3 erster Satz ÄrzteG 1998 offensichtlich um ein Redaktionsversehen handelt, zieht daraus jedoch den unzutreffenden Schluss, dass der Gesetzgeber eine viel umfassendere Ermächtigungsnorm zur Festlegung zusätzlicher Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätsversorgung geschaffen hat, die nicht im Zusammenhang mit der in §100 Abs2 ÄrzteG 1998 geregelten vorübergehenden Berufsunfähigkeit zu sehen ist.

Diese Auslegung widerspricht den bereits im Prüfungsbeschluss zitierten Gesetzesmaterialien (AB 689 BlgNR 21. GP, 4), die verdeutlichen, dass es dem Gesetzgeber hier insbesondere um eine zeitliche Abgrenzung zwischen vorübergehender Berufsunfähigkeit und kurzfristiger Erkrankung geht. Auch die Gesetzessystematik steht der Auffassung der Ärztekammer entgegen, da unter der Annahme, die Ermächtigung würde so weitreichend sein, dass sie die Festlegung jeglicher Voraussetzungen für den Leistungsfall dem Verordnungsgeber überlässt, die (restriktive) ausdrückliche Ermächtigung zur Festlegung des Zeitraumes der Gewährung einer vorübergehenden Invaliditätsversorgung in §100 Abs1 zweiter Satz ÄrzteG 1998 gerade nicht notwendig wäre.

2.4.    Die Ärztekammer räumt selbst ein, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung eine zusätzliche Bedingung für die Gewährung der Invaliditätsversorgung vorsieht.

Diese zusätzliche Bedingung rechtfertigt die Erweiterte Vollversammlung auch damit, dass das Anstreben der "Versicherungsdeckung" bislang keine verfassungsrechtlichen Bedenken erweckte. Damit verkennt die Erweiterte Vollversammlung, dass das Bestehen von Leistungsrückständen eines Versicherten gegenüber dem Wohlfahrtsfonds nicht das Entstehen eines Anspruches dieses Versicherten gegenüber dem Wohlfahrtsfonds aus einem anderen Titel, nämlich aus dem Versicherungsfall "Invalidität", hindert; diese Betrachtung mag allenfalls ein Kompensationsinteresse nahelegen, welches im Übrigen auch in §110a Abs2 ÄrzteG 1998 berücksichtigt wird, erlaubt dem Verordnungsgeber aber nicht, eine weitere Voraussetzung entgegen der gesetzlichen Grundlage für den Leistungsanfall selbst vorzusehen (vgl. auch VfSlg 14.917/1997).

Vor diesem Hintergrund vermag auch das Argument, dass eine Invaliditätsversorgung trotz Beitragsrückstand das Solidaritätsprinzip verletze, nichts zu bewirken, bleibt doch hier für eine Abwägung kein Raum.

IV.      Ergebnis

1.       Die Wortfolge "und sind alle Vorschreibungen zum Wohlfahrtsfonds gedeckt" in §30 Abs1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich idF vom 1. Jänner 2012 war daher gesetzwidrig. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken.

2.       Die Verpflichtung der Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art139 Abs5 B-VG und §59 Abs2 VfGG.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ärzte Versorgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:V62.2014

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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