TE Vwgh Erkenntnis 2014/11/18 Ro 2014/05/0082

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Veröffentlicht am 18.11.2014
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;

Norm

BauO Wr §16 Abs2;
BauO Wr §79 Abs3;
BauO Wr §79 Abs5;
BauO Wr §79;
BauRallg;
VwGG §47 Abs2 Z2;
VwGG §47 Abs5;
VwGG §48 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Sußner, über die Revision der R GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Biel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rauhensteingasse 1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 13. Juni 2014, Zl. VGW-111/V/067/20506/2014-8, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Dr. W H in W, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 83-85/18; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; weitere Partei:

Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die revisionswerbende Partei hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 und der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit Eingabe vom 21. Mai 2013 suchte die revisionswerbende Partei beim Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 37) um Erteilung einer Baubewilligung für einen Neubau auf der Liegenschaft EZ 1773, KG P., mit der Grundstücksadresse B.- Gasse 15 (Baulos 9 bzw. Parzelle 5) an.

Die revisionswerbende Partei ist grundbücherliche Eigentümerin dieser Liegenschaft mit den Grundstücken Nr. 564/87 ("Bauf. (Gebäude), Gärten") und Nr. 564/88 ("Sonst (Straßen)").

Der Mitbeteiligte ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ 1770, KG P., mit den Grundstücken Nr. 564/65 ("Gärten") und Nr. 564/82 ("Sonst (Straßen)") und derselben Grundstücksadresse B.-Gasse 15 (Baulos 6 bzw. Parzelle 6), welche Liegenschaft südseitig an die Liegenschaft der revisionswerbenden Partei angrenzt.

In dem für diese Liegenschaften maßgeblichen Plandokument 7695 ist die Widmung als "Gartensiedlungsgebiet" im Sinn des § 4 Abs. 2 lit. C sublit. b der Bauordnung für Wien (BO) ausgewiesen. Die beiden Grundstücke Nr. 564/82 und Nr. 564/88 bilden einen Aufschließungsweg im Sinne des § 16 Abs. 2 zweiter Satz BO und haben somit eine gemeinsame Grenze.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2013 teilte die Magistratsabteilung 64 auf Grund eines diesbezüglichen Auskunftsersuchens der Magistratsabteilung 37 dieser mit, dass für das Baugrundstück Nr. 564/87 (Baulos 9) keine Abteilungsbewilligung erforderlich sei, das Grundstück mit Bescheid (des Magistrates) vom 9. Dezember 1997 als Baulos genehmigt worden sei und vor der Erteilung einer Baubewilligung die Schaffung eines Bauloses gemäß § 66 BO nicht erforderlich sei.

Vor Durchführung der Bauverhandlung am 24. September 2013 erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 19. September 2013 gegen das Bauvorhaben Einwendungen und brachte u.a. vor, dass das Stiegenhaus in der Abstandsfläche geplant und wegen des geringen Abstandes zu den Nachbargrenzen gemäß § 84 Abs. 2 lit. a BO nicht zulässig sei. Auch müsste gemäß § 16 Abs. 3 leg. cit. der Aufschließungsweg eine Mindestbreite von 3 m haben, was hier jedoch nicht der Fall sei.

Mit Bescheid des Magistrates vom 27. November 2013 wurden der revisionswerbenden Partei unter Spruchpunkt I. die Baubewilligung gemäß § 70 BO für die Errichtung eines Gebäudes mit einer Wohneinheit (Einfamilienhaus) und Geländeveränderungen in einem Teilbereich des Bauloses sowie unter Spruchpunkt II. die Baubewilligung gegen jederzeitigen Widerruf gemäß § 71 BO für die Herstellung eines Schutzdaches über dem Eingang erteilt, dies jeweils nach Maßgabe der Einreichpläne unter mehreren Vorschreibungen.

In Bezug auf die oben wiedergegebenen Einwendungen des Mitbeteiligten führte der Magistrat (u.a.) aus, dass das gegenständliche Stiegenhaus 1,50 m vor die Front des Gebäudes in den Vorgarten vorrage und gemäß § 84 BO Stiegenhäuser mit einer Ausladung von 1,50 m über Baufluchtlinien, in die Abstandsfläche und in den Vorgarten vorragen dürften. Darüber hinaus stehe dem Nachbarn gemäß § 79 Abs. 5 BO lediglich das Recht auf Einhaltung des Abstandes von 2 m zur Grundgrenze zu, wenn kein direkter Anbau erfolge. Der Abstand zur Grundgrenze sei gegeben, weshalb der genannte Einwand als unbegründet abgewiesen werde.

Auf Grund der vom Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde nach Durchführung einer Verhandlung mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 13. Juni 2014 in Stattgebung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG die beantragte Baubewilligung gegenüber der revisionswerbenden Partei versagt und gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

Dazu führte das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, dass sich das in Rede stehende Stiegenhaus an der nördlichen Gebäudefront über mehrere Ebenen erstrecke sowie dieses gegenüber der Liegenschaft des Mitbeteiligten situiert sei und in einer Ausladung von 1,5 m von der nördlichen Gebäudefront in Richtung der Grundgrenze bzw. des Aufschließungsweges rage. Von der Achse dieses 2,5 m breiten Aufschließungsweges, der die beiden Liegenschaften trenne, seien das Stiegenhaus (Treppenhausvorbau) 2,5 m und die nördliche Front des projektierten Gebäudes 4 m entfernt. Auf die Einhaltung der im Gartensiedlungsgebiet maßgebenden Bestimmungen über die Ausnutzbarkeit und die Situierung der Baulichkeiten (insbesondere § 76 Abs. 11 und § 79 Abs. 5 BO) könne der Nachbar dringen. Da das an der dem Mitbeteiligten zugewandten nördlichen Gebäudefront projektierte, über mehrere übereinander liegende Ebenen gehende Treppenhaus von der Achse des Aufschließungsweges eine Entfernung von bloß 2,5 m aufweise und gemäß § 79 Abs. 5 BO in Gartensiedlungsgebieten die Gebäude auf Baulosen von der Achse des Aufschließungsweges einen Mindestabstand von 4 m haben müssten, sei das Vorbringen des Mitbeteiligten, dass das Treppenhaus die gesetzlichen Abstandsbestimmungen nicht einhalte, im Hinblick auf die angeführte Gesetzesbestimmung zutreffend. Das Verwaltungsgericht könne der vom Magistrat vertretenen Ansicht, dass im Hinblick auf § 84 Abs. 2 BO eine Überschreitung der in § 79 Abs. 5 erster Satz leg. cit. festgelegten Abstandsfläche eröffnet sei, nicht beitreten, weil auf Grund des klaren Wortlautes der zuletzt genannten Bestimmung, welche von einem Mindestabstand spreche, kein Anhaltspunkt ersichtlich sei, dass in diese Fläche gebaut worden dürfe. Für diese Ansicht spreche auch § 79 Abs. 5 zweiter und dritter Satz leg. cit., dem zufolge ein Gebäude, das nicht unmittelbar an Grundgrenzen errichtet werde, von diesen einen Abstand von mindestens 2 m einhalten müsse und dieser Abstand, mit Ausnahme von Nebengebäuden, von jeder Bebauung freizuhalten sei. Zwar sei die nördliche Front des projektierten Gebäudes von der (nördlichen) Liegenschaftsgrenze mehr als 2 m entfernt. Das Treppenhaus halte jedoch, wie aus dem Einreichplan klar ersichtlich sei, nicht diese "Abstandsfläche" von mindestens 2 m von der nördlichen Liegenschaftsgrenze ein. Dass das über mehrere übereinander liegende Ebenen gehende Treppenhaus kein Nebengebäude im Sinn des § 82 Abs. 1 leg. cit. sei und daher die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 79 Abs. 5 dritter Satz leg. cit. nicht erfülle, sei evident. Die Baubewilligung sei daher gemäß § 79 Abs. 5 leg. cit. zu versagen.

Die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass ungeachtet des klaren Wortlautes des § 79 Abs. 5 leg. cit. eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darüber, ob § 84 Abs. 2 BO eine Überschreitung der in § 79 Abs. 5 leg. cit. festgelegten Abstandsfläche eröffne, nicht ersichtlich sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis dahin abzuändern, dass dem Ansuchen der revisionswerbenden Partei vollinhaltlich stattgegeben und der Bescheid des Magistrates vom 27. November 2013 wiederhergestellt werde, in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Das Verwaltungsgericht legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und seine Akten (u.a.) mit dem Bemerken vor, dass mit der Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25, der Einleitungssatz des § 84 Abs. 2 BO dahin geändert worden sei, dass in die Abstände gemäß § 79 Abs. 5 erster Satz leg. cit. die in § 84 Abs. 2 lit. a und b leg. cit. genannten Gebäudeteile vorragen dürften. Diese Novelle sei (zwar) nach der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses in Kraft getreten. Die in den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Intention lege (jedoch) die Auslegung nahe, dass die im Revisionsverfahren zur Anwendung kommende (frühere) Rechtslage im Ergebnis den projektierten Treppenhausvorbau nicht zulasse.

Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision abzuweisen.

Auch der Magistrat erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragt, der Revision stattzugeben und den Bescheid des Magistrates vom 27. November 2013 "vollinhaltlich zu bestätigen", in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist aus den im angefochtenen Erkenntnis angeführten Gründen zulässig, sie ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.

Für die Beurteilung des Revisionsfalles sind die Bestimmungen der BO, LGBl. Nr. 11/1930, idF des LGBl. Nr. 46/2013 maßgeblich.

Die §§ 4, 5, 16, 79, 84, 134 und 134a BO lauten auszugsweise:

"Inhalt der Flächenwidmungspläne

§ 4. (...)

(2) In den Flächenwidmungsplänen können folgende Widmungen der Grundflächen ausgewiesen werden:

(...)

C.        Bauland:

        (...)

        b)        Gartensiedlungsgebiete, in denen örtlich

begrenzte Teile zusätzlich für Gemeinschaftsanlagen, die wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen, gesundheitlichen und sportlichen Zwecken dienen, ausgewiesen werden können;

(...)

(...)"

"Inhalt der Bebauungspläne

§ 5. (...)

(...)

(6) In den Bebauungsplänen können folgende Fluchtlinien festgesetzt werden:

a) Baulinien, das sind die Grenzen der im Bauland gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen (Wege, Gassen, Straßen und Plätze) gegen alle übrigen Grundflächen des anliegenden Baulandes; sie geben das Recht, an ihnen Fenster und vor ihnen Anschlüsse an die in den Verkehrsflächen liegenden Straßen-kanäle und öffentlichen Versorgungsleitungen und die nach § 83 Abs. 1 zulässigen Vorbauten herzustellen sowie Ein- und Ausgänge und Ein- und Ausfahrten anzuordnen, wenn der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt;

b) Straßenfluchtlinien, das sind die Grenzen der im Grünland oder Sondergebiet gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen gegen alle übrigen Grundflächen des anliegenden Grünlandes oder Sondergebietes; sie geben das Recht, an ihnen Fenster und vor ihnen Anschlüsse an die in den Verkehrsflächen liegenden Straßenkanäle und öffentlichen Versorgungsleitungen und die nach § 83 Abs. 1 zulässigen Vorbauten herzustellen sowie Ein- und Ausgänge und Ein- und Ausfahrten anzuordnen, wenn der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt;

c) Verkehrsfluchtlinien, das sind die Grenzen des Verkehrsbandes gegen alle übrigen Widmungsgebiete oder die Grenzen von öffentlichen Verkehrsflächen im Bauland, Grünland oder in Sondergebieten, an die die Rechte und Pflichten aus den Baulinien und Straßenfluchtlinien nicht geknüpft sind;

(...)

e) Baufluchtlinien, das sind die Grenzen, über die mit einem Gebäude oder Gebäudeteil mit Ausnahme der gemäß § 84 zulässigen Vorbauten nicht vorgerückt werden darf;

(...)"

"Beurteilung des Abteilungsvorhabens § 16. (1) Bei Schaffung und Veränderung von

Bauplätzen, Baulosen, Kleingärten oder Teilen von solchen sind die Bestimmungen des Bebauungsplanes einzuhalten. Bauplätze müssen unmittelbar, Baulose unmittelbar oder mittelbar über Aufschließungswege an eine vorgesehene öffentliche Verkehrsfläche angrenzen und eine solche Gestalt und Größe erhalten, dass auf ihnen und auf den angrenzenden Liegenschaften den Anforderungen dieses Gesetzes und des Bebauungsplanes entsprechende Gebäude errichtet werden können. (...)

(2) (...) Sofern die den Baulosen vorgelagerten Teilflächen der Aufschließungswege (Trennstücke) nicht in eine eigene, gemeinsame Einlage gelegt werden, sind sie der jeweiligen Einlage des angrenzenden Bauloses zuzuschreiben, dürfen aber dem Flächenausmaß des Bauloses nicht zugerechnet werden. (...)

(3) Aufschließungswege im Gartensiedlungsgebiet müssen mindestens 3 m breit sein und mit der öffentlichen Verkehrsfläche unmittelbar verbunden sein; die Verbindung zur öffentlichen Verkehrsfläche darf auch über Grundflächen, die für die Errichtung von Gemeinschaftsanlagen zur Einstellung von Kraftfahrzeugen freizuhalten sind oder der Errichtung von baulichen Anlagen zum Einstellen von Kraftfahrzeugen vorbehalten bleiben (§ 5 Abs. 4 lit. t) erfolgen. (...) Die seitlichen Grundgrenzen von Baulosen müssen möglichst senkrecht zur Achse der Aufschließungswege verlaufen. (...)

(...)"

"Vorgärten, Abstandsflächen und gärtnerisch

auszugestaltende Flächen

§ 79. (1) Der Vorgarten ist der an der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie gelegene Grundstreifen, der frei bleibt, wenn durch den Bebauungsplan das Anbauen eines Gebäudes an diesen Fluchtlinien untersagt ist. Seine Tiefe beträgt 5 m, soweit im Bebauungsplan durch Fluchtlinien nicht eine andere Tiefe festgesetzt wird.

(...)

(3) (...) Die Fläche, die zwischen den Nachbargrenzen und den gedachten Abstandslinien liegt, wird als Abstandsfläche bezeichnet. (...)

(...)

(5) In Gartensiedlungsgebieten müssen die Gebäude auf den Baulosen von der Achse der Aufschließungswege einen Mindestabstand von 4 m aufweisen. Wird das Gebäude nicht unmittelbar an Grundgrenzen errichtet, muss es von diesen einen Abstand von mindestens 2 m einhalten. Dieser Abstand ist mit Ausnahme von Nebengebäuden von jeder Bebauung freizuhalten. Für das Anbauen an Grundgrenzen bedarf es nicht der Zustimmung des Eigentümers der Nachbarliegenschaft. Baulose dürfen auch geschlossen bebaut werden.

(...)"

"Bauteile vor den Baufluchtlinien und in Abstandsflächen und Vorgärten

§ 84. (1) Über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen und in die Vorgärten dürfen die im § 83 Abs. 1 genannten Vorbauten sowie Transport- und Einsteigschächte vorragen; diese Schächte dürfen das anschließende Gelände nicht überragen.

(2) Über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen und in die Vorgärten dürfen außerdem folgende Gebäudeteile vorragen:

a) auf eine Breite von höchstens einem Drittel der betreffenden Gebäudefront Erker, Balkone und Treppenhausvorbauten und Aufzugsschächte, sofern die Ausladung der Balkone höchstens 2,50 m und der anderen Bauteile höchstens 1,50 m beträgt und sie von den Nachbargrenzen einen Abstand von wenigstens 3 m einhalten; die sich daraus für Erker ergebende Kubatur an einer Gebäudefront kann unter Einhaltung dieser Ausladung und des Abstandes von Nachbargrenzen an dieser Front frei angeordnet werden. An Gebäuden, deren Gebäudehöhe nach den Bestimmungen des § 75 Abs. 4 und 5 zu bemessen ist, dürfen solche Vorbauten an den Straßenfronten nur eine Ausladung von höchstens 1 m aufweisen. Darüber hinaus sind bis zu einem weiteren Drittel der Gebäudefront solche Balkone über gärtnerisch auszugestaltenden Flächen, ausgenommen Abstandsflächen, zulässig;

(...)"

"Parteien

§ 134. (...)

(...)

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134 a erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134 a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§ 8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Bauwerk liegen.

(...)"

"Subjektiv-öffentliche Nachbarrechte § 134a. (1) Subjektiv-öffentliche

Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, werden durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

(...)"

Die Revision vertritt die Auffassung, dass dem Mitbeteiligten in Bezug auf die Einhaltung eines Abstandes des projektierten Gebäudes bzw. Treppenhauses zur Achse des Aufschließungsweges keine Parteistellung zukomme, weil das in seinem Eigentum stehende Grundstück mit dem verfahrensgegenständlichen "Gebäude" keine gemeinsame Grundgrenze habe und sich der Aufschließungsweg dazwischen befinde.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Beim gegenständlichen Aufschließungsweg handelt es sich - wie sich aus der Darstellung des Plandokumentes in Verbindung mit den in den Akten erliegenden Grundbuchsauszügen ergibt - nicht um eine Liegenschaft, die als Grundbuchskörper eine eigene Einlage bildet, sondern um zwei Teilflächen (Trennstücke), die der jeweiligen Einlage der beiden genannten Baulose zugeschrieben sind (vgl. dazu § 16 Abs. 2 zweiter Satz BO; ferner zum Inhalt einer Grundbuchseinlage u.a. die §§ 4 und 31 des Allgemeinen Grundbuchsanlegungsgesetzes). Die revisionswerbende Partei irrt daher mit ihrer Rechtsansicht, dass die Liegenschaft des Mitbeteiligten mit ihrer Liegenschaft keine gemeinsame Grundgrenze habe, insoweit, als der Aufschließungsweg zum einen Teil zu ihrer Liegenschaft und zum anderen Teil zur Liegenschaft des Mitbeteiligten gehört. In Anbetracht der Lage der Grundstücke und deren Entfernung voneinander begegnet die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass dem Mitbeteiligten, der mit seinen im baubehördlichen Verfahren erhobenen Einwendungen (auch) die Verletzung von Abstandsvorschriften gegenüber seiner Liegenschaft geltend gemacht und somit die Verletzung eines subjektivöffentlichen Rechtes im Sinn des § 134a Abs. 1 lit. a leg. cit. behauptet hat, die Parteistellung zukomme, keinen Bedenken.

Im Übrigen käme, selbst wenn der Aufschließungsweg als (einheitliche) Liegenschaft im Sinn des § 134 Abs. 3 leg. cit. zu beurteilen wäre, dem Mitbeteiligten als Eigentümer des daran anschließenden Bauloses dennoch gemäß § 134 Abs. 3 fünfter Satz leg. cit. die Parteistellung als Nachbarn mit dem Recht zur Geltendmachung von subjektiv-öffentlichen Rechten im Sinn des § 134a Abs. 1 leg. cit. zu, weil nach dieser Gesetzesbestimmung auch solche Liegenschaften im Bauland als benachbart gelten, die bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von der Bauliegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen.

Die revisionswerbende Partei bringt weiters vor, aus § 84 BO ergebe sich, dass die dort geregelten Baulichkeiten über Baufluchtlinien in die Abstandsfläche und in die Vorgärten hervorragen dürften. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung ergebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese nicht auf Gartensiedlungsgebiete anzuwenden sei. Zulässige Bauten innerhalb der Abstandsflächen hätten bei der Messung des Abstandes außer Betracht zu bleiben und seien daher innerhalb des Grenzabstandes durch den Nachbarn hinzunehmen. Ebenso wie § 86 Abs. 2 BO gegenüber § 79 Abs. 6 leg. cit. als lex specialis gelte, handle es sich auch bei § 84 Abs. 2 lit. a leg. cit. um eine spezielle Norm zu § 79 Abs. 5 leg. cit. Die in § 84 Abs. 2 leg. cit. geregelten Abstände würden beim gegenständlichen Bauvorhaben eingehalten. Wäre § 84 leg. cit. im Gartensiedlungsgebiet nicht anzuwenden, wären auch Vorbauten gemäß § 83 leg. cit., also z.B. Gesimse, Fallrohre, Stützmauern, Pfeiler, Schächte, etc., unzulässig. Wenn im angefochtenen Erkenntnis damit argumentiert werde, dass gemäß § 75 (gemeint: § 79) Abs. 5 leg. cit. ein Abstand von 2 m einzuhalten wäre, so beziehe sich diese Regelung auf den Abstand zur seitlichen Grundgrenze und nicht auf den "Vorgarten". Folgte man dieser Argumentation, könnte ja somit direkt an den Aufschließungsweg angebaut werden.

Auch dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Soweit die Revision allerdings darauf hinweist, dass sich der in § 79 Abs. 5 zweiter Satz BO normierte Abstand von mindestens 2 m nicht auf die Grundgrenze im Bereich eines Aufschließungsweges bezieht, trifft diese Auffassung zu. Dass mit dem Begriff "Grundgrenze" in dieser Bestimmung nicht die Grundgrenze im Bereich der Achse des Aufschließungsweges gemeint ist, ergibt sich bereits daraus, dass - jedenfalls dann, wenn der Aufschließungsweg nicht gemäß § 16 Abs. 2 zweiter Satz BO in eine eigene, gemeinsame (im Miteigentum der Eigentümer der daran anschließenden Baulose stehende) Einlage gelegt wurde - dies bei einer anderen Auslegung des § 79 Abs. 5 leg. cit. unterschiedliche, nicht miteinander in Übereinstimmung zu bringende Rechtsfolgen nach sich zöge, nämlich die Verpflichtung, mit dem Gebäude in Bezug auf den Aufschließungsweg sowohl einen Abstand von 4 m als auch einen solchen von 2 m einzuhalten.

Aber auch dann, wenn es sich bei diesem Weg um eine eigene, gemeinsame Einlage im Sinn des § 16 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. handelte und der Aufschließungsweg eine größere oder geringere Breite als 4 m hätte, führte die Einhaltung der in § 79 Abs. 5 erster und zweiter Satz leg. cit. normierten Mindestabstände zu unterschiedlichen Ergebnissen. Schon daraus geht hervor, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff "Grundgrenze" in § 79 Abs. 5 leg. cit. nicht Grenze im Bereich (Achse oder Randlinie) des Aufschließungsweges gemeint haben kann.

Unter Zugrundelegung dieses Normenverständnisses handelt es sich auch bei dem in § 79 Abs. 3 leg. cit. verwendeten Begriff "Nachbargrenze" nicht um die Grenze im Bereich des Aufschließungsweges. Im Übrigen wäre es, unterstellte man dem Begriff "Nachbargrenze" oder "Grundgrenze" gemäß § 79 leg. cit. auch die Grenze im Bereich eines Aufschließungsweges, sachlich nicht zu rechtfertigen, unterschiedliche Mindestabstände der Gebäude von einem Aufschließungsweg davon abhängig zu machen, ob die Teilflächen dieses Aufschließungsweges im Sinn des § 16 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. in eine eigene Einlage gelegt oder der jeweiligen Einlage des angrenzenden Bauloses zugeschrieben wurden.

Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung findet § 84 Abs. 2 lit. a leg. cit. im vorliegenden Revisionsfall keine Anwendung. Diese Gesetzesbestimmung normiert die Voraussetzungen, unter welchen (u.a.) Treppenhausvorbauten über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen und in die Vorgärten vorragen dürfen, und setzt somit solche Fluchtlinien, Abstandsflächen oder Vorgärten im Bereich des Baugrundstückes voraus. Gemäß § 79 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. wird die Fläche, die zwischen den Nachbargrenzen und den gedachten Abstandslinien liegt, als Abstandsfläche bezeichnet. Gemäß § 79 Abs. 1 leg. cit. ist als Vorgarten der an der Baulinie, Straßenfluchtlinie oder Verkehrsfluchtlinie gelegene Grundstreifen, der freibleibt, wenn durch den Bebauungsplan das Anbauen eines Gebäudes an diesen Fluchtlinien untersagt ist, definiert.

Für den Bereich des gegenständlichen Baugrundstückes der revisionswerbenden Partei wurde mit dem Plandokument weder eine Baufluchtlinie noch eine Straßenfluchtlinie noch eine Verkehrsfluchtlinie festgesetzt. Das Bestehen solcher Fluchtlinien wird auch weder im angefochtenen Erkenntnis erwähnt noch von den Parteien des Revisionsverfahrens behauptet.

Mangels des Vorhandenseins einer Baufluchtlinie, einer Abstandsfläche - dass es sich bei der Grenze im Bereich eines Aufschließungsweges nicht um eine "Nachbargrenze" im Sinn des § 79 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. handelt, wurde oben bereits dargelegt - oder eines Vorgartens ist somit der Tatbestand des § 84 Abs. 2 lit. a leg. cit. nicht erfüllt. Im Hinblick darauf erübrigt es sich, auf das Verhältnis dieser Gesetzesbestimmung zu § 79 Abs. 5 BO näher einzugehen.

In diesem Zusammenhang sei noch bemerkt, dass - worauf das Verwaltungsgericht bei Vorlage der Akten hingewiesen hat - mit der allerdings erst nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses in Kraft getretenen Bauordnungsnovelle 2014, LGBl. Nr. 25, (u.a.) § 84 Abs. 2 lit. a BO geändert wurde und die in dieser Gesetzesbestimmung angeführten Gebäudeteile nunmehr in Abstände gemäß § 79 Abs. 5 erster Satz leg. cit. vorragen dürfen.

Die vorliegende Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013. Hiebei gebührt auch für die vom Magistrat erstattete Revisionsbeantwortung Aufwandersatz. Der Magistrat schloss sich in seiner Revisionsbeantwortung im Ergebnis der Argumentation der revisionswerbenden Partei an und beantragte, der Revision stattzugeben, dies verbunden mit dem weiteren Antrag auf Zuerkennung des Aufwandersatzes für den Schriftsatzaufwand. Gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 VwGG hat der Rechtsträger, in dessen Namen die belangte Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenem Verfahren tätig geworden ist, Anspruch auf Aufwandersatz im Falle einer Abweisung der Revision. Die Bundeshauptstadt Wien als Rechtsträger im Sinn dieser Gesetzesbestimmung hat sich - da die Revision abgewiesen wurde - im Ergebnis gegen die Auffassung der revisionswerbenden Partei durchgesetzt, weshalb ihr gemäß § 47 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 5 iVm § 48 Abs. 2 Z 1 leg. cit. - ungeachtet der vom Magistrat vertretenen Rechtsauffassung, die vom Verwaltungsgericht und vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt wurde - Schriftsatzaufwand für die Revisionsbeantwortung zuzusprechen war (vgl. dazu etwa hg. Erkenntnis vom 23. September 2014, Ro 2014/11/0083).

Wien, am 18. November 2014

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 GrundgrenzeNachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:RO2014050082.J00

Im RIS seit

08.01.2015

Zuletzt aktualisiert am

09.01.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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