RS Vfgh 2014/12/2 G148/2014

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Veröffentlicht am 02.12.2014
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Index

41/01 Sicherheitsrecht

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art136 Abs2
SicherheitspolizeiG §65, §77 Abs2
VwGVG §13, §22

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung des SicherheitspolizeiG betr den generellen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung mangels Erforderlichkeit einer vom VwGVG abweichenden Regelung

Rechtssatz

Aufhebung des §77 Abs2 erster Satz zweiter Halbsatz SicherheitspolizeiG - SPG, BGBl 566/1991 idF BGBl I 161/2013.

Das Kriterium iSd Art136 Abs2 B-VG, dass durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind, entspricht jenem des Art11 Abs2 letzter Halbsatz B-VG. Vom VwGVG abweichende Regelungen - wie die angefochtene - dürfen daher nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes "unerlässlich" sind (vgl zu Art11 Abs2 B-VG die Rechtsprechung beginnend mit VfSlg 8945/1980).

Zulässigkeit abweichender Regelungen nur, wenn sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen (vgl VfSlg 15218/1998, 17340/2004); in dieser Hinsicht hat die durch Art136 Abs2 letzter Satz B-VG geschaffene Rechtslage auch nichts geändert.

Da das Landesverwaltungsgericht nicht befugt ist, im Verfahren gegen die bescheidmäßige Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, muss der von der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene die erkennungsdienstliche Behandlung vorerst jedenfalls hinnehmen, selbst dann, wenn im Einzelfall der damit verbundene Eingriff in seine Rechte potentiell auf einer rechtswidrigen behördlichen Entscheidung beruht. Durch diese angefochtene Regelung wird der Rechtsschutzsuchende mit dem Rechtsschutzrisiko in einem besonders grundrechtssensiblen Bereich bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung einseitig belastet.

Der VfGH übersieht dabei nicht, dass es Fälle gibt, bei denen das öffentliche Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr die sofortige Vollstreckung einer erkennungsdienstlichen Behandlung rechtfertigt. Diesem öffentlichen Interesse wird jedoch bereits mit der Möglichkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung durch die anordnende Behörde unter den Voraussetzungen des §13 Abs2 VwGVG entsprochen, sodass bei entsprechender Gefahrenprognose auch die mögliche Entstehung oder Fortsetzung eines rechtswidrigen Zustandes etwa in Form der Begehung schwerer Straftaten nicht hingenommen werden muss und es somit einer abweichenden Regelung nicht bedarf. Da diese rechtliche Möglichkeit hinreicht, ist der generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht erforderlich (vgl auch VfSlg 15218/1998).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsgerichtsverfahren, Wirkung aufschiebende, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Polizei, Sicherheitspolizei, Bedarfskompetenz, Bedarfsgesetzgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G148.2014

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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