RS Vfgh 2014/12/9 G160/2014 ua, G171/2014 ua

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Veröffentlicht am 09.12.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
FremdenpolizeiG 2005 §46a Abs1a, Abs2
AVG §8

Leitsatz

Kein Verstoß einer Regelung des FremdenpolizeiG 2005 über die Feststellung der Duldung des Aufenthalts von Fremden gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz; ex lege-Eintritt einer Duldung mit Vorliegen der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung; Antragsrecht eines Fremden auf Ausstellung einer Karte für Geduldete; Eintritt der Duldung als Tatbestandsmerkmal für die Ausstellung der Karte im Rechtsmittelweg überprüfbar

Rechtssatz

§46a Abs1a FremdenpolizeiG 2005 - FPG, BGBl I 100 idF BGBl I 38/2011, war nicht verfassungswidrig.

Der VfGH geht - gestützt auf die Entstehungsgeschichte der in Prüfung gezogenen Norm - mit der Bundesregierung davon aus, dass eine Duldung gemäß §46a Abs1a FPG bereits ex lege mit dem Vorliegen der tatsächlichen Unmöglichkeit der Abschiebung und nicht erst mit deren behördlicher Feststellung eintritt.

Die behördliche Pflicht zur Ausstellung einer Karte für Geduldete dient "auch dem Schutz der Interessen spezifischer Einzelpersonen", weshalb der Verpflichtung der Behörde zur Ausstellung dieser Karte ein entsprechendes Recht eines Fremden gegenübersteht. Dieses subjektive öffentliche Recht begründet iVm §8 AVG die Parteistellung des Fremden in einem Verfahren über die Ausstellung der Karte - und damit einen Anspruch auf eine meritorische Entscheidung über dieses Recht, aus dem sich wieder ein Antragsrecht auf Ausstellung der Karte ergibt. Im Zuge des Verfahrens über die Ausstellung dieser Karte hat die Behörde zu prüfen, ob der Sachverhalt einer Duldung eingetreten ist, dh ob die Abschiebung aus tatsächlichen, nicht vom Antragsteller zu vertretenden Gründen iSv §46a Abs1a FPG wegen des Erfordernisses der Ausstellung eines Heimreisezertifikates in absehbarer Zeit unmöglich ist. Ist dies der Fall, hat die Behörde die Karte für Geduldete auszustellen, ist die Duldung hingegen nicht eingetreten, etwa weil der Fremde Vereitelungshandlungen setzt, hat sie einen abweisenden Bescheid zu erlassen. Da das Vorliegen tatsächlicher Hindernisse und die entsprechende Feststellung gemäß §46a Abs1a FPG sohin eine Tatbestandsvoraussetzung zur Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß §46a Abs2 FPG bilden, so ergibt sich daraus aber auch, dass gegen einen solchen Bescheid in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren nach der hier maßgeblichen Rechtslage vor dem 01.01.2014 vor dem VwGH für den Fremden ausreichender Rechtsschutz bestanden hat. Die "Feststellung der Duldung" erweist sich bei diesem Gesetzesverständnis als Darlegung der Ergebnisse des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens im Rahmen der Tatsachenfeststellungen in der Bescheidbegründung der Behörde.

Vor dem Hintergrund eines solchen Verständnisses der Norm vermag der VfGH seine Bedenken weder hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips noch hinsichtlich des Gleichheitssatzes aufrechtzuerhalten: Der Eintritt der Duldung ist nämlich als Tatbestandselement für die Ausstellung der Karte im Rechtsmittelweg überprüfbar. Da die Duldung ex lege eintritt, wenn eine (freiwillige) Ausreise nicht möglich ist und tatsächliche, vom Fremden nicht zu vertretende Gründe eine Abschiebung verhindern, ist der Fremde, sofern er gehörig mitwirkt bzw mit der Behörde zusammenarbeitet (vgl §46a Abs1b FPG), jedenfalls solange geduldet, bis ein Heimreisezertifikat (Ersatzreisedokument) ausgestellt wurde oder einer der in §46a Abs1b FPG beschriebenen Fälle eintritt. Damit ist hinreichend genau bestimmt, ob und wann eine Duldung eintritt. Auch das Bedenken des VfGH, dass diese Aspekte nicht ausreichend genau gesetzlich determiniert seien, ist damit zerstreut.

Es kann bei einem ex lege Eintritt der Rechtsfolge der Duldung aber auch zu keiner willkürlichen Bildung unterschiedlich behandelter Gruppen von Fremden durch bloße Untätigkeit der Behörde kommen.

Auflagen iSv §46a Abs1a FPG sind nur im Laufe des Verwaltungsverfahrens mittels Verfahrensanordnung mitzuteilen; dieses Verfahren wird mit einem bekämpfbaren Bescheid abgeschlossen. Es kann sich dabei sowohl um ein von Amts wegen eingeleitetes, als auch um ein auf Antrag des Fremden eingeleitetes Verfahren zur Ausstellung einer Karte für Geduldete handeln.

(Anlassfall B1353/2012 ua, E v 09.12.2014, Abweisung bzw Zurückweisung der Beschwerde.

She ebenso E v 23.02.2015, G171/2014 ua: Abweisung des Antrags des Bundesverwaltungsgerichts auf Aufhebung des §46 Abs1a FPG idF BGBl I 87/2012).

Entscheidungstexte

  • G160/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 09.12.2014 G160/2014 ua
  • G171/2014 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 23.02.2015 G171/2014 ua

Schlagworte

Fremdenpolizei, Duldung, Aufenthaltsverbot, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz, Parteistellung, Rechte subjektive öffentliche, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, Feststellungsbescheid, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:G160.2014

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2016
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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