TE Vwgh Erkenntnis 2014/9/23 2012/11/0187

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Veröffentlicht am 23.09.2014
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Index

43/01 Wehrrecht allgemein;
44 Zivildienst;

Norm

WehrG 2001 §26 Abs1 Z2;
ZDG 1986 §13 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des T V in A, vertreten durch Dr. Metin Akyürek, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Köstlergasse 1/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport vom 26. Juli 2012, Zl. P1048941/4-PersC/2012, betreffend Befreiung vom Grundwehrdienst und Aufschub desselben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurden der Antrag des Beschwerdeführers auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 des Wehrgesetzes 2001 (WG) und dessen (Eventual-)Antrag auf Aufschub des Grundwehrdienstes gemäß § 26 Abs. 3 WG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der im Jahre 1993 geborene Beschwerdeführer habe in seinem Schriftsatz vom 3. November 2011 zum Antrag auf Befreiung ausgeführt, dass er in seinem 7. Lebensjahr die Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper begonnen habe. Diese Ausbildung habe er seit dem Jahr 2008 an der B-W Schule fortgesetzt und damit insgesamt 11 Jahre, somit mehr als die Hälfte seines Lebens, in diese Berufsausbildung investiert. Sein Alltag sei in dieser Zeit von täglichem Training, Freizeitverzicht und neben harter disziplinierter Arbeit an sich selbst auch durch ein Sportverbot gekennzeichnet gewesen. Alle diese Bemühungen und Investitionen würden, so der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf eine dem Antrag beigelegte gutachterliche Äußerung, durch eine Einberufung zum Grundwehrdienst vernichtet werden (entsprechend der gutachterlichen Äußerung sei die körperliche Ausbildung eines Ballettschülers bzw. die Dynamik, Elastizität und Sensibilität der Muskeln durch kein sportliches Training erreichbar, sondern es werde - im Gegenteil - durch jedes andersgeartete Training zerstört, was über Jahre durch spezielle Übungen erreicht worden sei).

Die belangte Behörde stellte fest, der Beschwerdeführer sei mit Stellungsbeschluss vom 3. November 2011 für tauglich erklärt worden und zu Beginn des Jahres der Stellung in einer Schulausbildung gestanden, die er voraussichtlich mit 31. Juli 2012 beenden werde. Gemäß § 25 Abs. 1 WG könne er erst nach dem Abschluss der Schulausbildung zum Grundwehrdienst einberufen werden, ein Einberufungsbefehl sei gegenüber dem Beschwerdeführer bislang nicht ergangen.

In seiner gegen den abweisenden erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer weitere Gutachten vorgelegt, die der medizinische Amtssachverständige, insbesondere was die weitreichenden Folgen einer Trainingsunterbrechung betreffe, als schlüssig und nachvollziehbar bezeichnet habe. Nach den Ausführungen des Amtssachverständigen sei durch die Notwendigkeit, im Grundwehrdienst die allgemeine Kondition und damit die Kraftvermehrung zu trainieren, die erworbene Balance des Tänzers in Bezug auf Dehnungsfähigkeit von Muskeln und Gelenken gestört. Herkömmliche Hebe- und Tragebelastungen und besonderes Krafttraining mit Muskelaufbau im Arm- und Schultergürtelbereich seien für den Körper des Balletttänzers ungeeignet. Das permanente Tragen von Feldschuhen sei nicht mit den durch das Balletttraining induzierten, trainierten Sprunggelenksveränderungen vereinbar.

Ein Zusammenhang der Einbuße spezifischer körperlicher Fähigkeiten sei aber laut Amtssachverständigem "mit der Art der Verwendung im Grundwehrdienst" zu sehen, aber auch von der Möglichkeit abhängig, während des Grundwehrdienstes das individuelle Training fortführen zu können. Im konkreten Fall wäre aus militärmedizinischer Sicht eine Einberufung als "Systemerhalter" möglich, ohne dass dadurch die "Balletteignung" beeinflusst würde.

Weiter stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer einen für den Zeitraum 11. September 2012 bis 31. August 2013 geltenden Arbeitsvertrag als Solotänzer beim Theater Augsburg vorgelegt habe.

In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgebenden Rechtsvorschriften aus, gegenständlich sei, was zunächst die Befreiung des Beschwerdeführers von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes anlange, entscheidend, ob besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen im Sinne des § 26 Abs.1 Z 2 WG die Befreiung erforderten. Zwar bestünden beim Beschwerdeführer wirtschaftliche Interessen an der Befreiung, weil dieser aufgrund der Ballettausbildung seit seinem 7. Lebensjahr ein wirtschaftliches Eigeninteresse daran habe, die dafür getätigten (finanziellen) Aufwendungen durch den vorgelegten Arbeitsvertrag fruchtbringend zu machen.

Dennoch seien diese wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers nach Ansicht der belangten Behörde nicht besonders rücksichtswürdig, weil der Beschwerdeführer seine wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur sog. Harmonisierungspflicht so eingerichtet habe, dass einer Einberufung keine vorhersehbaren Schwierigkeiten entgegen stehen. Seit dem Zeitpunkt der Feststellung seiner Tauglichkeit im November 2011 hätte der Beschwerdeführer seine Interessen mit der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes harmonisieren müssen. Unvorhergesehene Ereignisse bei "der Gestaltung des Ausbildungsablaufes und beim Abschluss des Arbeitsvertrages", die einer solchen Harmonisierung entgegen gestanden wären, seien nicht ersichtlich.

Die belangte Behörde verkenne nicht, dass dem Beschwerdeführer trotz entsprechender Dispositionen wirtschaftliche Nachteile entstehen könnten, doch gingen diese Nachteile nicht über jenes Ausmaß hinaus, das allen Wehrpflichtigen zumutbar sei:

Durch eine Weisung an das zuständige Militärkommando sei nämlich sicher gestellt worden, dass hinsichtlich Ort und Zeitpunkt der Einberufung des Beschwerdeführers auf dessen Ausbildung zum Balletttänzer Rücksicht genommen werde und dass er im Rahmen der Leistung des Grundwehrdienstes "so verwendet werde, dass es zu keiner Schädigung" seiner körperlichen Ballettfertigkeiten kommen werde. Außerdem könne sich der Beschwerdeführer auch während des Grundwehrdienstes "nach

Dienstschluss oder an Wochenenden ... einem grundsätzlich

täglichen harten Balletttraining unterziehen".

Mangels besonders rücksichtswürdiger wirtschaftlicher Interessen sei daher der Antrag auf Befreiung abzuweisen gewesen.

Zur Abweisung des Ansuchens auf Aufschub des Grundwehrdienstes führte die belangte Behörde aus, gegenständlich sei im Zeitpunkt der Approbation des angefochtenem Bescheides beim Beschwerdeführer noch keine "Heranziehbarkeit zum Grundwehrdienst" iSd § 26 Abs. 3 Z 1 WG gegeben gewesen (Hinweis auf § 25 Abs. 1 Z 4 WG), sodass die Jahresfrist des § 26 Abs. 3 Z 1 WG noch nicht abgelaufen sei und ein Aufschub nach der letztgenannten Bestimmung noch nicht in Betracht komme. Mangels "weiterführender Ausbildung" des Beschwerdeführers komme auch der Tatbestand des § 26 Abs. 3 Z 2 WG nicht zum Tragen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, soweit (wie vorliegend) durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

§ 26 Wehrgesetz 2001, BGBl. 146/2001 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 63/2012, lautet:

"Befreiung und Aufschub

§ 26. (1) Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien

1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und

2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Als sonstige öffentliche Interessen gelten insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische Interessen sowie die Tätigkeiten von Fachkräften der Entwicklungshilfe nach § 15 des Entwicklungshelfergesetzes. Eine Befreiung ist auch zulässig, wenn eine Voraussetzung nach Z 1 oder 2 während eines Präsenzdienstes eintritt. Befreiungen nach Z 1 hat der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport zu verfügen.

(2) Anträge auf Befreiung nach Abs. 1 Z 2 dürfen beim Militärkommando eingebracht werden und darüber hinaus

1. hinsichtlich des Grundwehrdienstes auch im Stellungsverfahren bei der Stellungskommission und

2. während einer Präsenzdienstleistung auch bei jener militärischen Dienststelle, der der Wehrpflichtige zur Dienstleistung zugeteilt ist.

Bescheide nach Abs. 1 Z 1 sind, sofern es sich um eine Befreiung wegen einer beruflichen Tätigkeit handelt, dem Auftraggeber für diese berufliche Tätigkeit, insbesondere dem Arbeitgeber des Wehrpflichtigen, zur Kenntnis zu bringen.

(3) Tauglichen Wehrpflichtigen ist, sofern militärische Interessen nicht entgegenstehen, der Antritt des Grundwehrdienstes aufzuschieben, wenn

1. sie nicht zu einem innerhalb eines Jahres nach ihrer jeweiligen Heranziehbarkeit zum Grundwehrdienst gelegenen Termin zu diesem Präsenzdienst einberufen wurden und sie durch eine Unterbrechung einer bereits begonnen Schul- oder Hochschulausbildung oder sonstigen Berufsvorbereitung einen bedeutenden Nachteil erleiden würden oder

2. sie vor der rechtswirksam verfügten Einberufung zum Grundwehrdienst eine weiterführende Ausbildung begonnen haben und eine Unterbrechung dieser Ausbildung eine außerordentliche Härte bedeuten würde.

Ein Aufschub ist auf Antrag der Wehrpflichtigen zu verfügen. Der Aufschub darf bis zum Abschluss der jeweiligen Berufsvorbereitung gewährt werden, längstens jedoch bis zum Ablauf des 15. September jenes Kalenderjahres, in dem diese Wehrpflichtigen das 28. Lebensjahr vollenden.

(4) Mit Erlassung eines Bescheides, durch den einem Wehrpflichtigen eine Befreiung oder ein Aufschub gewährt wurde, wird eine bereits rechtswirksam verfügte Einberufung für den Zeitraum dieser Befreiung oder dieses Aufschubes für ihn unwirksam."

Zur Frage der Gegenstandslosigkeit der Beschwerde:

Nach dem Einlangen der vorliegenden Beschwerde hat die belangte Behörde den Bescheid vom 24. September 2012 erlassen, mit welchem der Beschwerdeführer - von Amts wegen aus öffentlichen Interessen gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 WG - "für die Dauer ihrer Tätigkeit als hauptberuflicher Solotänzer" von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes befreit wurde.

Der Beschwerdeführer hat dazu (u.a.) vorgebracht, dass er durch diesen Bescheid weder formell noch materiell klaglos gestellt worden sei, weil der genannte Bescheid vom 24. September 2012 die Befreiung nur für die Dauer seiner Tätigkeit als "hauptberuflicher Solotänzer" ausspreche, die Befreiung somit (anders als nach seinem Antrag) im Falle eines bloßen Engagements als Ensembletänzer nicht mehr aufrecht bleibe.

Mit dem genannten Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht, weil trotz des Bescheides vom 24. September 2012 eine Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid vom 26. Juli 2012 nicht auszuschließen ist: Wäre der angefochtene Bescheid (was im Folgenden zu prüfen ist) rechtswidrig, weil die Befreiung des Beschwerdeführers von der Leistung des Grundwehrdienstes etwa schon aufgrund seiner Ballettausbildung und seines besonderen wirtschaftlichen Interesses an der beruflichen Tätigkeit als Balletttänzer schlechthin (also nicht zwingend als Solotänzer) gerechtfertigt wäre, so ist nicht auszuschließen, dass er bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Erlassung eines Ersatzbescheides gegenüber der Befreiung durch den Bescheid vom 24. September 2012 in seiner Rechtsposition besser gestellt wäre.

Entgegen dem Vorbringen der belangten Behörde liegen daher gegenständlich die Voraussetzungen für die Einstellung des Beschwerdeverfahrens infolge Gegenstandsloswerdens der Beschwerde nicht vor.

Zur Befreiung (§ 26 Abs. 1 Z 2 WG):

Im vorliegenden Fall geht auch die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine mehrjährige Ausbildung als Balletttänzer zur Aufrechterhaltung seines Könnens einerseits ein regelmäßiges und gezieltes Training als Balletttänzer benötigt und andererseits körperliche Anstrengungen, wie sie üblicherweise im Grundwehrdienst abverlangt werden, bei sonst drohendem Verlust seiner Beweglichkeit als Balletttänzer unterlassen muss.

Ausgehend davon ist entscheidungsrelevant, ob die Befreiung des Beschwerdeführers von der Leistung des Grundwehrdienstes durch ein "besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse" (§ 26 Abs. 1 Z 2 WG) erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung (hier auf das Wesentliche zusammengefasst) vorgebracht, er habe die Ausbildung zum Balletttänzer schon in seiner frühen Kindheit begonnen und dabei den Bewegungsapparat in einer ganz spezifischen Weise trainiert. Dieser Umbau des Bewegungsapparates könne nur in kindlichem und jugendlichen Alter geleistet und später weder nachgeholt noch wiederholt werden. Nicht nur jede Unterbrechung dieses Trainings, sondern auch und "insbesondere jede dieser spezifischen Anpassung des Bewegungsapparates abträgliche anderweitige körperliche Beanspruchung vernichten deshalb innerhalb kürzester Zeit vollständig und nachhaltig den gesamten Ausbildungs- und Trainingserfolg". Daher gehe im Falle der Ableistung des Grundwehrdienstes die Basis für jene berufliche Tätigkeit "vollständig und unwiederbringlich verloren", für die er seit früher Kindheit ausgebildet worden sei. Im Falle der Pflicht, den Grundwehrdienst ableisten zu müssen, hätte er also umsonst in eine Ausbildung für einen Beruf investiert, den er danach nie wieder ausüben könne.

Dieses Vorbringen wird in der Beschwerde wiederholt und dahin ergänzt, dass in seinem Fall die Nachhaltigkeit und Unbehebbarkeit des Schadens den wesentlichen Unterschied zu anderen Wehrpflichtigen darstelle: Während die Unterbrechung anderer Ausbildungen und Berufstätigkeiten durch den Grundwehrdienst zu Wiedereinstiegsschwierigkeiten führten, gingen die berufsnotwendigen Fähigkeiten des Beschwerdeführers, sollte er den Grundwehrdienst leisten müssen, verloren. Daher stelle die Befreiung des Beschwerdeführers vom Grundwehrdienst sehr wohl ein besonders rücksichtswürdiges wirtschaftliches Interesse iSd § 26 Abs. 1 Z 2 WG dar.

Soweit die belangte Behörde ins Treffen führe, sie habe mittels Weisung Vorsorge dafür getroffen, dass des beim Beschwerdeführer während des Grundwehrdienstes zu keiner Schädigung seiner Ballettfertigkeiten komme, so sei dieses Argument nicht tragfähig, weil der Beschwerdeführer ein subjektives Recht auf Schutz vor Beeinträchtigung seiner rücksichtswürdigen wirtschaftlichen Interessen habe, wohingegen eine dem Militärkommando erteilte Weisung vom Beschwerdeführer nicht durchsetzbar sei.

Dieses Beschwerdevorbringen ist aus folgenden Gründen zielführend:

Zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen ist der Wehrpflichtige gehalten, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, dass für den Fall seiner Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes voraussehbare Schwierigkeiten vermieden und nicht durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit solche Schwierigkeiten erst geschaffen werden. Unterlässt es ein Wehrpflichtiger, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Wehrpflicht zu harmonisieren, so können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig im Sinne der Bestimmungen des Wehrgesetzes angesehen werden. Ist dem Wehrpflichtigen nämlich bekannt, dass er seiner Präsenzdienstpflicht werde nachkommen müssen, so ist er gehalten, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu gestalten, dass er in der Lage ist, seiner Präsenzdienstpflicht nachzukommen. Diese Obliegenheit, die wirtschaftlichen Dispositionen mit der Präsenzdienstpflicht zu harmonisieren, besteht ab dem Zeitpunkt, ab dem vom Wehrpflichtigen verlangt werden kann, dass er nunmehr Handlungen unterlässt, die die Erfüllung der mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Wehrpflicht vereiteln oder gefährden können (vgl. zum Ganzen aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2008, Zl. 2008/11/0096, mwN).

Im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdeführer, anders als die belangte Behörde meint, ein Verstoß gegen die zuvor umschriebene sog. Harmonisierungspflicht schon deshalb nicht zur Last gelegt werden, weil die von ihm behaupteten rücksichtswürdigen Gründe aus der Ballettausbildung resultieren, die er bereits mit seinem 7. Lebensjahr begonnen hat, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm eine Bedachtnahme auf den Grundwehrdienst noch nicht zumutbar war. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde meint, der Beschwerdeführer hätte seit dem Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses betreffend seine Tauglichkeit bei der Gestaltung seines Ausbildungsverlaufes auf den zu leistenden Grundwehrdienst Bedacht nehmen können bzw. müssen.

Auch die belangte Behörde geht letztlich - zu Recht - davon aus, dass es eine Beeinträchtigung des besonders rücksichtwürdigen wirtschaftlichen Interesses des Beschwerdeführers iSd § 26 Abs. 1 Z 2 WG darstellen würde, wenn dieser seine seit der Kindheit (hier über eine Zeitraum von mehr als 11 Jahren) erlernten Ballettfertigkeiten nur deshalb beruflich nicht mehr verwerten könnte, weil diese Fertigkeiten durch die Leistung des Grundwehrdienstes - dauerhaft - beeinträchtigt würden (vgl. dazu das zur vergleichbaren Bestimmung des § 13 Abs. 1 Z 2 ZDG ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2010, Zl. 2008/11/0172, wonach besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Gründe vorliegen, wenn durch das Ableisten des Zivildienstes die Möglichkeit zur Facharztausbildung dauerhaft genommen wäre).

Ausgehend davon versuchte die belangte Behörde mittels Weisung an das zuständige Militärkommando, eine Beeinträchtigung der Ballettfertigkeiten des Beschwerdeführers im Rahmen der künftigen Leistung des Grundwehrdienstes zu vermeiden, indem der Beschwerdeführer laut Weisung "so zu verwenden" sei, dass seine Ballettfertigkeiten keinen Schaden nehmen. Der Beschwerdeführer habe außerdem die Möglichkeit, auch im Rahmen des Grundwehrdienstes (nach Dienstschluss bzw. an Wochenenden) das Balletttraining fortzusetzen.

Das erstgenannte Argument ist erkennbar im Sinne des Vorschlages des medizinischen Amtssachverständigen zu verstehen, den Beschwerdeführer während des Grundwehrdienstes nur als "Systemerhalter" ohne körperliche Anstrengungen, die seinen Ballettfähigkeiten schaden könnten, einzusetzen.

Dem ist zunächst mit der Beschwerde zu entgegnen, dass eine solche Weisung seitens des Beschwerdeführers nicht durchsetzbar ist, dies umso mehr, als der Inhalt dieser Weisung völlig unbestimmt ist.

Jedenfalls aber kann ein in seinem Umfang (angeblich) reduzierter Grundwehrdienst nicht Beurteilungsmaßstab für die Frage sein, ob durch einen solchen Grundwehrdienst besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden, da der Gesetzgeber, wenn er im WG den Begriff "Wehrdienst" verwendet, einen solchen Dienst vor Augen hat, der jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat, beinhaltet. Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann, um darüber hinaus auch die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung das hg. Erkenntnis vom 30. April 2014, Zl. Ro 2014/11/0021, mwN).

Die belangte Behörde hat daher die Voraussetzungen für die Befreiung gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 WG unrichtig beurteilt und den angefochtenen Bescheid diesbezüglich mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.

Zum Aufschub (§ 26 Abs. 3 WG):

Gleichzeitig mit dem Antrag auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes hat der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 3. November 2011 einen (Eventual-)Antrag auf Aufschub des Grundwehrdienstes gestellt. Eine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Eventualantrag liegt erst dann vor, wenn über den Primärantrag entschieden wurde (vgl. aus vielen den hg. Beschluss vom 26. Juni 2014, Zl. Ra 2014/04/0013). Die (gemäß § 42 Abs. 3 VwGG ex tunc wirkende) Aufhebung des über die Befreiung absprechenden Teiles des angefochtenen Bescheides führt somit dazu, dass auch der Abspruch über den Eventualantrag aufzuheben ist.

Der angefochtene Bescheid war daher in seiner Gesamtheit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 23. September 2014

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2012110187.X00

Im RIS seit

18.11.2014

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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