TE Vfgh Erkenntnis 2014/8/22 WI2/2014

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Veröffentlicht am 22.08.2014
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Index

10/04 Wahlen

Norm

EuropawahlO §16 ff, §26, §27, §30, §36, §41, §44, §46, §61, §78, §79, §80
EU-Direktwahlakt Art1 Abs3, Art8, Art9, Art10 Abs1, Abs2
EUV Art14 Abs3
EU-Grundrechte-Charta Art39
Richtlinie 93/109/EG des Rates vom 06.12.1993 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ..., ABl 1993 L 329, 34, idF ABl 2013 L 26, 27 Art4
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art23a Abs1, Abs4, Art26 Abs6, Art44 Abs3
B-VG Art141 Abs1 lita
EMRK 1. ZP Art3
Europa-WählerevidenzG §27 ff
VfGG §68 Abs1, Abs2, §12 Abs2 Z1
ZPO §219 Abs1

Leitsatz

Abweisung einer Anfechtung der Wahl zum Europäischen Parlament vom Mai 2014; keine Bedenken gegen die gesetzlichen Bestimmungen über die Stimmabgabe mittels Briefwahl; kein Verstoß gegen die unionsrechtlich verankerten Wahlgrundsätze der freien und geheimen Wahl; keine Gesamtänderung der Bundesverfassung; "early voting" dem System der Briefwahl immanent; keine gesetzwidrige Reihenfolge der wahlwerbenden Parteien auf dem amtlichen Stimmzettel; Unbedenklichkeit des - auch in die Europawahlordnung eingeführten - Systems der Unterstützungsunterschriften

Spruch

Der Anfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren

1. Am 25. Mai 2014 fand die von der Bundesregierung durch Verordnung BGBI. II 35/2014 ausgeschriebene Wahl zum Europäischen Parlament statt.

1.1. Dieser Wahl lagen die von der Bundeswahlbehörde überprüften Wahlvorschläge folgender wahlwerbender Parteien zugrunde:

Österreichische Volkspartei – Liste Othmar Karas (ÖVP),
Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ),
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) – Die Freiheitlichen (FPÖ),
Die Grünen – Die Grüne Alternative (GRÜNE),
BZÖ – Liste Mag. Werthmann (BZÖ),
NEOS Das Neue Österreich und Liberales Forum (NEOS),
Die Reformkonservativen – Liste Ewald Stadler (REKOS),
Europa Anders – KPÖ, Piratenpartei, Wandel und Unabhängige (ANDERS) und
EU-Austritt, Direkte Demokratie, Neutralität (EU-Stop) (EUSTOP).

1.2. Laut – am 6. Juni 2014 verlautbarter – Feststellung der Bundeswahlbehörde wurden bei dieser Wahl insgesamt 2.823.561 gültige Stimmen abgegeben, 85.936 Stimmzettel wurden als ungültig gewertet. Es gelangten 18 Mandate zur Vergabe. Davon entfielen auf die

ÖVP: 761.896 Stimmen (5 Mandate),
SPÖ: 680.180 Stimmen (5 Mandate),
FPÖ: 556.835 Stimmen (4 Mandate),
GRÜNE: 410.089 Stimmen (3 Mandate),
BZÖ: 13.208 Stimmen (0 Mandate),
NEOS: 229.781 Stimmen (1 Mandat),
REKOS: 33.224 Stimmen (0 Mandate),
ANDERS: 60.451 Stimmen (0 Mandate) und
EUSTOP: 77.897 Stimmen (0 Mandate).

2. Mit ihrer am 13. Juni 2014 eingebrachten, auf Art141 B-VG gestützten Anfechtung beantragt die Wählergruppe "EU-Austritt, Direkte Demokratie, Neutralität (EU-Stop)", vertreten durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter, der Verfassungsgerichtshof möge die Wahl zum Europäischen Parlament vom 25. Mai 2014 "für nichtig erklären und wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze aufheben".

Begründend führt die anfechtungswerbende Partei im Wesentlichen Folgendes aus:

"1. Sachverhalt:

[…]

ln der 'Ausschreibung' ist nicht enthalten, wie viele Abgeordneten-Posten im EU-Parlament in Österreich überhaupt ausgeschrieben werden.

[…]

Die Bundeswahlbehörde beschlo[ss] am 23.4.2014 den amtlichen Stimmzettel und die Reihenfolge der wahlwerbenden Parteien. ln Folge dessen wurde EUSTOP der Listennummer 10 am Stimmzettel zugeteilt. Insgesamt befinden sich aber nur neun Parteien am Stimmzettel. Die Liste 3 bleibt leer.

[…]

Der Versand der (Brief-)Wahlkarten […] in Österreich startete in einigen Gemeinden am 30. April 2014, z.B. in Graz […]. Andere Gemeinde[n] haben offenbar einige Tage später mit dem Versand begonnen. Es gibt aber auch Fälle, wo jemand bereits am 30. April 2014 die Wahlkarte zugesandt bekommen hat. […] Bei Bedarf können auch […] Personen namhaft gemacht werden, die […] Ende April bis Mitte Mai 2014 die Wahlkarten zugesandt bekommen haben.

Insgesamt wurden laut österreichischem Innenministerium 444.057 Wahlkarten für die EU-Wahl 2014 in Österreich ausgestellt […]. 353.790 Briefwahlstimmen wurden letztendlich als gültig gewertet. Das sind mehr als 12% der gültigen 2.823.561 Stimmen und entscheiden die Vergabe von zwei bis drei Mandaten im EU-Parlament[.]

Sofort nach Erhalt der (Brief-)Wahlkarte – und noch vor dem von der EU festgelegten Wahlzeitraum 22.5.-25.5.2014 – haben mehrere tausend (wenn nicht sogar über 100.000) Wahlkartenbesitzer in Österreich ihre (Briefwahl-)Stimme abgegeben. Der Nachweis ist insoferne leicht zu führen, da die Rücksendekuverts einen Poststempel haben mü[ss]ten bzw. bei Stimmabgaben auf den Magistratischen Bezirksämtern, Rathäuser oder Bez[ir]kswahlbehörden vermutlich vermerkt wurde.

[…]

Der staatliche Rundfunk ORF gab am 25.5.2014 bereits [u]m 17 Uhr Ergebnisse von Gemeinden, Bundesländer[n] und Bundesergebnisse beruhend auf dem jeweiligen Auszählungsstand bekannt und zwar über Fernsehen, Radio und Internet. Die Daten hatte der ORF vermutlich direkt vom Innenministerium oder über den Umweg der APA. Um 18:00 Uhr schließen die letzten Wahllokale im EU-Mitgliedsland Deutschland. Um 21:00 Uhr schließen die letzten Wahllokale im EU-Mitgliedsland Polen. Um 23:00 Uhr schließen die letzten Wahllokale in der EU, um genau zu sein in Italien.

[…]

Laut der Webseite des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes werden die beruflichen Werdegänge der Verfassungsrichter sehr genau dargestellt, nicht jedoch ihre derzeitigen oder ehemaligen Parteimitgliedschaften und auch nicht, welche politische Partei sie für den Posten des Verfassungsrichters vorgeschlagen hat. Alle 14 Verfassungsrichter werden im gegenständlichen Verfahren – immerhin geht es hier um eine Wahlanfechtung einer wahlwerbenden Partei – entscheiden, so sie sich nicht für – politisch – befangen erklären.

2. Anfechtungsgegenstand:

Bei der Wahl der österreichischen Mitglieder zum Europäischen Parlament am 25.05.2014 wurden Bestimmungen der EuWO, namentlich §46 (1), §61 (2), sowie [Art9 und 10 des EU-Direktwahlaktes], Beschluss des Rates vom 14. Juni 2013 […] zur Festsetzung des Zeitraums für die achte allgemeine unmittelbare Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, 2013/299/EU, Euratom: Artikel 1, Artikel 23a (1) B-VG, Art6 EMRK und Art3 1. ZP EMRK in einem Maße verletzt, dass die Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten und auch tatsächlich von Einfluss waren.

Bei den §26, §27, §30 Abs2 und §36 EuWO werden Gesetzesprüfungsverfahren durch den Verfassungsgerichtshof angeregt.

Bei gesetzeskonformer Durchführung der Wahl hätte es ein anders Wahlergebnis […] gegeben und auch eine andere Mandatsverteilung.

Wir fechten daher die Wahl der Österreichischen Mitglieder zum Europäischen Parlament im Bundesgebiet vom 25.05.2014 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens an und beantragen, das Wahlverfahren für nichtig zu erklären, wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze aufzuheben und wiederholen zu lassen.

[…]

4. Behauptete Rechtswidrigkeiten:

4.1. Wählen außerhalb der von der EU festgelegten Wahlzeit

[…]

Österreichische Briefwähler konnten schon Wochen vor dem von der EU festgelegten Wahlzeitraum wählen. Aus dem geltenden EU-Recht geht der Wahlzeitraum 22. bis 25. Mai 2014 hervor und zwar ohne Ausnahmen, auch nicht für die Briefwahl. Hätte die EU einen längeren Zeitraum für die Stimmabgaben haben wollen, dann hätte sie das auch so beschließen können, hat die EU aber nicht. Die Briefwahl ist im EU-Recht nicht vorgesehen, aber wenn man das schon hineinzuinterpretieren versuchte, dann höchstens in den 4 Tagen des von der EU ausgeschrieben[en] Wahlzeitraumes.

[…]

EU-rechtswidriger Weise wurde […] in Österreich eine Stimmabgabe außerhalb des von der EU festgesetzten Wahlzeitraums ermöglicht, die allerdings nur für die Briefwahlwähler galt. […] Ab wann die Österreichischen Behörden Wahlkarten versenden dürfen und so den Beginn der Wahlzeit für die Briefwähler auslösen, ist in der gesamten EuWO nicht zu finden. Dies steht offenbar im Belieben der jeweiligen Gemeinde. Da kann es offenbar bei den verschiedenen Gemeinden Unterschiede von Tagen und Wochen geben, obwohl sonst bei der Wahlzeit alles auf Minuten geregelt ist. Dadurch haben nicht alle Wahlberechtigten einer Gemeinde und auch nicht in ganz Österreich annähernd die gleiche Chance, an der EU-Wahl teilzunehmen. […] Aus unserer Sicht kann weder der österreichische Gesetzgeber […] und schon gar nicht die Gemeinden […] eine rechtsgültige Wahlzeit vor der – von der übergeordneten EU festgelegten – Wahlzeit ermöglichen. Somit sind alle Österreichischen Stimmzettel zur Europawahl 2014, die vor dem 22.5.2014 [um] 0.00 […] Uhr ausgefüllt und abgesendet bzw abgegeben wurden, [EU]-rechtswidrig und somit ungültig. Um eine rechtsgültige Wahl zu ermöglichen[,] haben die Wahlbehörden der EU-Mitgliedsländer […] alle notwendigen und möglichen Schritte zu setzen, um einen Mi[ss]brauch und eine rechtswidrige Stimmabgabe zu verhindern. Daraus kann folgen, da[ss] die Wahlkartenstimmabgabe / Briefwahl zur Gänze gegen wesentliche Grundsätze der demokratischen Grundordnung verstößt und somit zur Gänze rechtswidrig ist. Der VfGH sollte prüfen, ob diese österreichische Bestimmung des §46 Abs1 EuWO betreffend die Stimmabgabe vor der von der EU festgelegten Wahlzeit [EU]-rechtswidrig ist oder nicht, sowie ob die Wahlkartenstimmabgabe rechtswidrig ist.

Relevanz der Einhaltung de[s] von der EU vorgegebenen Wahlzeitraum[s]: Das Wählen nach Wahlschlu[ss] mittels Briefwahl – gesetzlich verboten und dennoch bis 30. September 2011 möglich – hatte das Problem, da[ss] damit jede Wahl besonders leicht nachträglich manipuliert werden konnte. Man gab dem Wahlbetrug den hübscheren Name[n] 'taktisches Wählen'. Aber das half auch nichts. Letztendlich wurde das Wählen nach Wahlschlu[ss] per 30.9.2011 abgeschafft. Das Wählen vor Wahlbeginn bringt – neben der Rechtswidrigkeit – ganz andere Probleme mit sich: 1. Haben die Wähler – die lange vor dem rechtmäßigen Wahlbeginn gewählt haben – nicht den gleichen Informationsstand. ln Wirklichkeit machen die ganzen Wahldiskussionssendungen keinen Sinn, wenn die Leute schon Wochen vorher gewählt haben. Dann macht auch die ganze Wahlwerbung keinen Sinn, für die die Parlamentsparteien immerhin Millionen an Steuergelder[n] kassieren. 2. [k]önnen so Personen wählen, die den Wahltag gar nicht mehr erlebt haben, weil sie knapp davor verstorben sind. 3. Ist auch gesetzlich überhaupt nicht geregelt, was mit den bereits seit Wochen abgegebenen Stimmen zu passieren hat. Wer garantiert, da[ss] die Stimmzettel innerhalb von Wochen nicht in einem unbeobachteten oder unbewachten Moment manipuliert werden oder gar verschwinden?

Neue Parteien wurden erst mit der Berichterstattung in den Medien in Richtung rechtskonformer Wahltag am 25.5.2014 immer mehr bekannt. Das gilt insbesondere für die Anfechtungswerberin, die Liste 10, EUSTOP. Im Zeitraum 30.4.2014 (erste Gemeinde[n] verschickten die Wahlkarten) und 25.5.2014 0:00 Uhr (Beginn der rechtskonformen Wahlzeit) gab es zahlreiche Livesendungen und Zeitungsbeiträge mit dem Spitzenkandidaten von EUSTOP, *********************. […] lnsoferne wäre das Einhalten des von der EU [EU]-weit vorgegebenen Wahlzeitraums nicht nur fair und rechtskonform gewesen, sondern für die Liste 10 EUSTOP besonders vorteilhaft gewesen.

4.2. Wahlverfälschung durch mehrfache Stimmabgabe

[…]

Es gibt im österreichischen Recht und EU-Recht keine Bestimmung bezüglich der Vorkehrungen, um eine doppelte Stimmabgabe von EU-Bürgern zu verhindern bzw. diese überhaupt festzustellen.

Mag. Robert Stein – Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium – erklärte im Presseinterview am 2.6.2014, da[ss] es kaum zu kontrollieren sei, ob EU-Bürger nur einmal oder doch zweimal gewählt haben. Und noch direkter: 'Die Doppelwahl von Doppelstaatsbürgern lä[ss]t sich nicht verhindern, weil das EU-Recht nichts dagegen vorsieht'. Der deutsche Grün-Politiker Beck sieht das Problem darin, da[ss] es kein einheitliches europäisches Wahlregister gibt.

[…]

Eine doppelte Stimmabgabe ist meist nur mit einer Briefwahl möglich, da man an einem Wahltag schwer in 2 EU-Ländern sein kann und wenn dann nur zu hohen Reisekosten z.B. wenn man einen Wohnsitz in Brüssel und in Wien hat. Das zeigt auf, da[ss] die Br[ie]fwahl besonders mi[ss]brauchsanfällig ist. Bis jetzt hat das österreichische Innenministerium nicht bekannt gegeben, wie[v]iele Wahlberechtigte mit Doppelstaatsbürgerschaften sich unter den in Österreich Wahlberechtigten befunden haben. Daher können wir auch nicht abschätzen, wie groß der mögliche Mi[ss]brauch gewesen ist und ob sich dadurch die Mandatsvergabe verändert hätte. Auch ist uns keine Abschätzung des Innenministeriums bekannt, wie viel[e] Österreich[er] im EU-Ausland und wie viel[e] EU-Bürger in Österreich doppelt gewählt haben könnten. Mit Sicherheit sind es mehr als nur Einzelfälle. Es scheint in Österreich überprüfenswert, inwieweit eine doppelte Stimmabgabe von EU-Bürgern ausgeschlossen werden konnte oder ob es nicht sogar wie in Deutschland eine Aufforderung zur – in vielen Fällen doppelten – Stimmabgabe gab. Die mehrfache Stimmabgabe stellt einen Verstoß gegen den [EU-Direktwahlakt] dar, also auch gegen Artikel 23a (1) B[-]VG. Die EU-Wahl, wo mehrfache Stimmabgaben möglich sind, ist EU-rechts- und verfassungswidrig. Es ist aber Aufgabe des Staates[,] Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine rechtskonforme Wahl zu ermöglichen.

Die Bestimmungen zur Briefwahl in Österreich in der EuWO §26, §27 und §46 sind nicht EU-rechtskonform und nicht verfassungskonform. Es wird angeregt, da[ss] der VfGH die Bestimmungen zur Briefwahl überprüft.

Antrag: Die Wahl der Mitglieder zum Europäischen Parlament vom 25.5.2014 ist daher für nichtig zu erklären und als rechtswidrig aufzuheben. Bei der Wahlwiederholung mu[ss] von den Österreichischen Behörden sichergestellt werden, da[ss] nur jene EU-Bürger in Österreich wahlberechtigt sind, die nicht bereits in ihrem Heimatland wahlberechtigt sind.

4.3. Briefwahl in Österreich entspricht nicht dem persönlichen, geheimen, freien EU-Wahlrecht und auch nicht der Bundesverfassung.

[…]

Nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet [Art3 1. ZPEMRK] die Mitgliedstaaten auch zur Setzung positiver Maßnahmen, begründet also 'positive obligations'. Wie alle Grundrechte müssen auch diese Wahlrechtsgarantien wirksam und effektiv sein ('practical and effective') sein und dürfen nicht nur theoretisch und illusorisch ('theoretical and illusionary') sein.

[…]

[…] Durch die Briefwahl werden das persönliche, geheime und freie Wahlrecht ad absurdum geführt und somit EU-Recht schwerwiegend durchbrochen. […]

Ein Briefwahlrecht ist im Wahlrecht der Europäischen Union nicht vorgesehen und das wird seinen guten Grund haben. Ein Mi[ss]brauch der Briefwahl ist gegenwärtig leicht möglich, insbesondere auch das Weitergeben oder Verkaufen von (Brief-)Wahlkarten. Das Weitergeben oder Verkaufen der (Brief-)Wahlkarte ist deshalb in Österreich leicht möglich, weil keine Wahlkommission die persönliche und geheime Stimmabgabe der Briefwähler garantieren kann. Die Unterschrift zur eidesstaatlichen Erklärung greift zu kurz, denn die könnte man sich bei der rechtswidrigen Weitergabe der Wahlkarte gleich mitgeben lassen. Somit ist es auch leicht möglich, da[ss] Personen in einem Abhängigkeitsverhältnis gezwungen werden können, ihre Wahlkarte [jemandem] anderen zu überlassen […]. Damit ist dann aber das freie und persönliche Wahlrecht nicht mehr gegeben. Es liegt somit nicht nur ein Verstoß gegen die österreichische Bundesverfassung vor, sondern auch gegen geltendes EU-Recht.

Die Bestimmungen zur Briefwahl in Österreich in der EuWO §26, §27 und §46 sind nicht EMRK-konform, nicht EU-rechtskonform und nicht verfassungskonform. Es wird angeregt, da[ss] der VfGH die Bestimmungen zur Briefwahl überprüft.

Es gäbe eine einfache Lösung, wie auch jene Leute wählen können, die am Wahltag nicht in ihrer Heimatgemeind[e] sind, nämlich mit Wahlkarten, mit denen man in amtlichen Wahllokalen anderer Gemeinden wählen kann. Dieses System hat es in Österreich bis zum 30.6.2007 gegeben und garantierte eine rechtskonforme Wahl.

[…]

4.4. Dzt. Festlegung der Reihenfolge am Stimmzettel diskriminiert neue Parteien; [n]ur wahlwerbende Parteien haben am Stimmzet[t]el aufzuscheinen.

[…]

Insgesamt werden über […] §36 der EuWO neu kandidierende Parteien massiv benachteiligt. Parteien, die zuletzt im Europäischen Parlament vertreten waren[,] wissen schon seit der letzten EU-Wahl – also 5 Jahre vorher –, welchen Listenplatz sie bei der kommenden EU-Wahl am Stimmzettel haben werden[,] und können ihre Wahlwerbung dahingehend vorbereiten. Neu kandidierende Parteien erfahren die ihnen zugewiesene Listennummer am Stimmzettel erst kurz nach Ende der Einreichungsfrist für die Wahlvorschläge. Bei dieser EU-Wahl war das erst am 23.4.2014 […] – also erst knapp 1 Monat vor dem Wahltag. Das benachteiligte EUSTOP sehr, weil wir deshalb keine entsprechenden Plakate und Flugblätter vorher mit der richtigen Listennummer drucken lassen konnten. Dies ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Man kann sich auch die Frage stellen, wie unfair ein Wahlrecht sein mu[ss], da[ss] es als verfassungswidrig aufgehoben wird. Fair wäre aus unserer Sicht, wenn die Reihenfolge der Parteien am Stimmzettel nach der Anzahl der abgegebenen Unterstützungserklärungen des eingereichten Wahlvorschlages einer Partei stattfindet oder alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben der kandidierenden Parteien.

Rechtswid[ri]ges Kuriosum mit leerer Liste 3 am Stimmzettel: Beim Stimmzettel der EU-Wahl 2014 in Österreich blieb die Zeile Nummer 3 leer. […] Das führte zu dem Kuriosum, da[ss] zwar 9 Parteien kandidierten, sich die wahlwerbende Partei EUSTOP aber auf den 10[.] Listenplatz befand. Das war einigen Leuten ganz schwer zu erklären. Manche Wahlberechtigte glaubten, da[ss] wir als Liste EUSTOP die Kandidatur nicht geschafft haben, weil sie in den Medien gehört, gesehen und· gelesen haben, da[ss] nur 9 Parteien am Stimmzettel stehen werden (Manche Medien berichteten sogar nur über 8 Parteien und Spitzenkandidaten). Das hat somit die Liste 10 (EUSTOP) am meisten betroffen. Einen solchen Fall hat es laut Medienberichten noch nie in Österreich gegeben.

Jedenfalls war der Stimmzettel nicht gesetzeskonform erstellt. […] §61. EuWO […] bestimmt, wie der amtliche Stimmzettel auszu[s]ehen hat: Abs(2)[:] Der amtliche Stimmzettel hat für jede wahlwerbende Partei eine gleich große Zeile vorzusehen. Umkehrschlu[ss]: Für nicht-wahlwerbende Parteien ist – nach einer Wortinterpretation des Gesetzestextes – keine gleich große Zeile vorzusehen. Klarer Weise und international üblich ist es, für nicht wahlwerbende Parteien gar keine Zeile vorzusehen. Dieses ergibt vermutlich auch eine teleologische Interpretation des Gesetzestextes. Da[ss] unter Liste 3 sich keine wahlwerbende Partei und keine Kandidaten an der Wahlwerbung beteiligten[,] ging schon aus den veröffentlichten Wahlvorschlägen nach §36 EuWO hervor, wo völlig zu recht 'leer' geschrieben stand.

Antrag: Der VfGH möge prüfen, ob §36 Abs3 - 5 EuWO verfassungskonform sind. Der VfGH möge den verwendeten amtlichen Stimmzettel als gesetzwidrig zu §62 Abs2 EuWO erkennen.

(Exkurs: Wieviele Wahlberechtigte die Phantom-Liste 3 am Stimmzettel angekreuzt haben, wurde weder von der Bundeswahlbehörde[…] noch vom Innenministerium verlautbart. Warum nicht? Weil es so peinlich ist? Man könnte doch die Öffentlichkeit dahingehend informieren, da[ss] xy Wahlberechtigte ungültig gewählt haben und davon z Wahlberechtigte die Phantom-Liste 3 angekreuzt haben, wo jedes Ankreuzen als ungültige Stimme gezählt wurde.)

4.5. Ungleichbehandlung der Parteien in Bezug auf die Kandidatur

[…]

Grundsätzlich ist [die] gesetzliche Bestimmung [in §30 Abs2 EuWO] noch keine Ungleichbehandlung, weil jede wahlwerbende Gruppe die Möglichkeit hat, die Unterschrift eines Abgeordneten am Wahlvorschlag zu erlangen. Allerdings ist es die gelebte Praxis, da[ss] die Mandatare anderer Parteien im Parlament keinen Wahlvorschlag einer anderen Partei unterstützen werden insbesondere im Zusammenhang mit §30 Abs2 EuWO, wo festgelegt ist, da[ss] der Abgeordnete nur eine Unterschrift für einen Wahlvorschlag abgeben darf. Diese wird er/sie wohl nur für die eigene Partei und nicht für eine Konkurrenzpartei abgeben, einerseits aus Überzeugung für die eigene Partei, andererseite ev. aus Eigennutz in Hinblick auf die eigene Parteikarriere, weiters um nicht das in ihn bzw in sie gesetzte Wählervertrauen zu verlieren.

Die nicht im österreichischen Nationalrat bzw. im EU-Parlament vertretenen Parteien mu[ss]ten daher mindestens 2600 Unterstützungserklärungen von am Amt überprüften Unterstützern innerhalb von ca. 5 Wochen sammeln, um bei der EU-Wahl 2014 kandidieren zu dürfen und am Stimmzettel zu stehen. Dies stellt eine eklatante Ungleichbehandlung und Benachteiligung neuer Parteien gegenüber den Parlamentsparteien dar, denn diese konnten mit der Unterschrift eines EU-Abgeordneten bzw. 3 Nationalratsabgeordneten ihre Kandidatur zeitsparend und kostensparend bewirken.

Der VfGH möge daher ein Gesetzesprüfungsverfahren zur Überprüfung der Europawahlordnung §30 Abs2 einleiten, inwiefer[n] dieser dem Gleichheitsgrundsatz und dem Grundsatz eines 'gleichen Wahlrechts' der österreichischen Bundesverfassung bzw. internationalen Bestimmungen widerspricht.

Relevanz: Hätten alle Parteien die Unterstützungserklärungen sammeln müssen, dann hätte es z.B. die REKOS vermutlich gar nicht auf den Stimmzettel der EU-Wahl 2014 geschafft und die Verteilung der Protestwähler und EU-Kritiker wäre eine ganz andere gewesen. Schon im Vorfeld der Wahl wäre die übermäßig lange Redezeit von Ewald Stadler bei Fernsehdiskussionen anderen Kandidaten – so auch dem EUSTOP-Spitzenkandidaten ********************* – zu Gute gekommen. Dies hätte eine deutliche Verschiebung der Wähler von allen Parteien in Richtung EUSTOP bewirkt. Dadurch hätte EUSTOP statt 2,8% noch deutlich mehr Stimmen erhalten können und so ein Mandat für das EU-Parlament erreichen können. Bei den REKOS kommt dazu, da[ss] die Kandidatur durch die Unterschrift vom EU-Abgeordneten Ewald Stadler ermöglicht wurde, der bei der EU-Wahl 2009 noch als Spitzenkandidat für das BZÖ kandidierte und er dieses Mandat für die Ermöglichung der Kandidatur der neuen Partei REKOS – wo Ewald Stadler nun selbst Spitzenkandidat ist – im Jahr 2014 mi[ss]brauchte. Das war ganz offensichtlich nicht der Wählerwille der BZÖ-Wähler und [-]Wählerinnen des Jahres 2009, da es die REKOS-Partei ja erst seit Ende des Jahres 2013 gibt. Beim BZÖ sicherte die Kandidatur die EU-Abgeordnete Mag. Angelika Werthmann ab, die bei der EU-Wahl 2009 auf der Liste 'Hans Peter Martin' kandiderte: Die Wähler haben bei der EU-Wahl 2009 der Liste 'Hans Peter Martin' hauptsächlich wegen Hans Peter Martin als Spitzenkandidat das Vertrauen geschenkt […] und nicht um 5 Jahre später über die Listendritte dem BZÖ die Kandidatur zu EU-Wahl 2014 zu ermöglichen.

4.6.: Mängel bei der Kundmachung der Kandidaten:

[…]

Unter 'sichtbar' [iSd §41 EuWO] ist vermutlich auch 'lesbar' zu verstehen. Tatsächlich war die Schriftgröße – in der die Kandidaten geschrieben wurden – unleserlich klein. […] Diese Kundmachung verwendete eine 4.0 Schriftgröße, was [ein] Drittel der Schriftgröße eines normalen Textes ausmacht. Auch die Fußnoten in wissenschaftlichen Arbeiten gehen nie unter das Format 8.0 herunter, sind also mindestens doppelt so groß wie die in den Wahllokalen ausgehängte Kundmachung der Wahlkandidaten. Diese Schriftgröße war für einen großen Teil der Wähler nicht lesbar. Es gab Kundmachungen mit schwarzen Buchstaben auf blaue[m] Papier (z.B. in Wien […]) und schwarze[n] Buchstaben auf weiße[m] Papier (z.B. in Purkersdorf). Die Version mit schwarzen Buchstaben auf blauem Papier war besonders schwer zu lesen oder für viele Menschen eben gar nicht mehr zu lesen.

Relevanz: Die für viele Wahlberechtigte unleserlich kleine Schrift bewirkte eine massive Behinderung bei der Vergabe von Vorzugsstimmen durch die Wähler. Sinn der Kundmachung (sic) wäre es ja gerade, da[ss] man die Wähler seitens der Behörde auf ihre Wahlmöglichkeiten aufmerksam macht. Dies ist nicht möglich, wenn die Namen unleserlich winzig klein geschrieben werden. […]

Die Wahlbehörden haben also flächendeckend ihre Verpflichtungen nach §36 Abs1 EuWO missachtet, weil der unlesbare Aushang nicht als solcher gewertet werden kann. Die Unmöglichkeit für den Wähler, sich in der Wahlzelle über die Kandidaten wirksam zu informieren, muss für sich allein zur absoluten Ungültigkeit der Wahl führen.

[…]

4.8.: Vorzeitige Bekanntgabe von Wahlergebnissen in Österreich

Während in Italien am Sonntag den 25.5.2014 noch bis 23 Uhr gewählt wurde, wurden in Österreich schon Ergebnisse der EU-Wahl verlautbart. Ab 17 Uhr brachte der ORF Ergebnisse und Hochrechnungen über das Wahlergebnis in Österreich. Ab 19 Uhr wurde das Ergebnis mit einem Auszählungsstand von 96,7% in Österreich […] bereits veröffentlicht. Ab 20 Uhr [war] es vermutlich schon ein 100%-iger Auszählungsstand. Daduch ergibt sich, da[ss] Daten und Informationen über die Wahlergebnisse bereits vor dem offiziellen Wahlschlu[ss] um 17 Uhr in Österreich – bzw vor 23 Uhr in der EU – an behördenfremde Personen (der ORF ist kein staatliches Organ, sondern eine Stiftung sui generis, also staatsfremd) weitergegeben wurden und […] auf Basis der Verletzung des Amtsgeheimnisses [erfolgten] und […] nicht geeignet [waren], […] allfällige Wahlmanipulationen abzuwehren.

Die Veröffentlichungen von Ergebnissen in Österreich stehen im Widerspruch [zu Art10 Abs2 des EU-Direktwahlaktes.]

Vermutlich ist der Sinn des geltenden EU-Rechts, Veröffentlichungspraktiken wie jene am Wahltag 25.5.2014 in Österreich zu verhindern, da diese die Ergebnisse in anderen EU-Ländern beeinflussen können. Insbesondere könnten die Wahlergebnisse Österreichs[…] die Wahlergebnisse in Deutschland und im – zu Italien zählenden – deutschsprachigen Südtirol geführt [sic!] haben.

4.9. Befangene Höchstrichter beim VfGH:

Wir halten Höchstrichter beim VfGH in Wahlrechtsangelegenheiten für befangen, die entweder Parteimitglied einer wahlwerbenden Partei sind oder in der Vergangenheit gewesen [sind], ein[e] Funktion oder [ein] Dienstverhältnis bei einer politischen Partei oder einer ihrer Vorfeldorganisationen hatten[…] oder ein sonstiges politisches Naheverhältnis zu einer wahlwerbenden Partei haben. […] Nur weil kein Ausschließungsgrund nach Art147 Abs4 8-VG vorliegt[,] sagt das noch lange nicht, da[ss] auch kein Befangenheitsgrund nach Art6 EMRK vorliegt. Wir können die […] genannten Verfassungsrichter auf Basis des VfGG §12 zwar nicht ablehnen, die allfällige Mitwirkung würde jedoch dem Art6 EMRK widersprechen.

Relevanz: Insbesondere eine bestehe[n]de oder vergangene Parteimitgliedschaft oder ein zurückliegendes Anstellungsverhältnis eines Höchstrichters untermauern das Naheverhältnis eines Höchstrichters zu einer Partei und gerade bei einer Wahl geht es um den politischen Wettbewerb zwischen politischen Parteien. Somit ist nicht ausgeschlossen, da[ss] befangene Höchstrichter – bewu[ss]t oder unbewu[ss]t – zugunsten der Parteien entscheiden, deren Parteimitglied sie sind oder waren. Ein Naheverhältnis von VfGH-Richtern zu beispielsweise SPÖ und ÖVP löst gerade deshalb einen Befangenheitsgrund aus, da SPÖ und ÖVP direkte politische Konkurrenten der wahlwerbenden EUSTOP-Partei sind […] und diese VfGH-Richter somit nicht mehr unbefangen (frei von jeder Emotion) entscheiden können.

[…]

Wie 'unparteilich' und 'unbefangen' können Höchstrichter mit 'Parteibuch' in Gerichtsverfahren zu einer Wahlanfechtung sein, wo es um den politischen Wettbewerb zwischen Parteien geht und wo sie ein politische[s] Naheverhältnis zu einer Partei haben, die an der gegenständlichen Wahl teilgenommen hat? Was ergibt der 'äußere Anschein' schon alleine aufgrund der zahlreichen Medienbericht[e] zur Parteipolitik im Verfassungsgerichtshof? […]

5. Antragstellung:

Die Anfechtungswerberin stellt sohin nachstehenden Antrag[,] der Verfassungsgerichtshof wolle in Stattgebung dieser Anfechtung das Verfahren zur Wahl der österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments vom 25.05.2014 für nichtig erklären und wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze aufheben." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Die Bundeswahlbehörde als die nach der EuWO höchste Wahlbehörde (§68 Abs2 VfGG) legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift. Darin führt die Bundeswahlbehörde im Wesentlichen Folgendes aus:

"Am Rande sei angemerkt, dass die die wahlwerbende Gruppe 'EU-Austritt, Direkte Demokratie, Neutralität (EU-Stop)' keinerlei Gebrauch von der in §6 Abs2 EuWO geregelten Möglichkeit gemacht hat, Vertrauenspersonen in die Bundeswahlbehörde zu entsenden. Diese (maximal zwei) Vertrauenspersonen hätten an allen Sitzungen der Bundeswahlbehörde betreffend die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments teilnehmen und den jeder wahlwerbenden Partei zustehenden unmittelbaren Einblick in die einzelnen Schritte des Wahlverfahrens nützen können. Auch der Beschlussfassung des amtlichen Endergebnisses im Rahmen der Sitzung der Bundeswahlbehörde am 6. Juni 2014 hätte die Anfechtungswerberin auf diese Weise beiwohnen können.

3. Zum inhaltlichen Vorbringen der Anfechtungswerberin:

3.1. Zur Frage des 'Wählens außerhalb der von der EU festgelegten Wahlzeit' (Punkt 4.1. der Anfechtungsschrift):

[…]

Gemäß Art8 des Direktwahlaktes bestimmt sich das Wahlverfahren vorbehaltlich der Vorschriften des Direktwahlaktes in jedem Mitgliedstaat nach dessen innerstaatlichen Vorschriften. Diese können dabei den Besonderheiten in einem Mitgliedstaat Rechnung tragen, solange nicht das Verhältniswahlsystem insgesamt in Frage gestellt wird. Es steht außer Zweifel, dass die Normierung verschiedener Möglichkeiten der Stimmabgabe (so genannte 'voting channels', Näheres unter Punkt 3.3.) im Gestaltungsspielraum des innerstaatlichen Gesetzgebers liegt. Auch in einer Zusammenschau mit den Regelungen der […] Richtlinie 93/109/EG […] kann Art10 Abs1 des Direktwahlaktes nur in der Weise interpretiert werden, dass die Wahl zwar grundsätzlich in dem genannten viertägigen Zeitraum stattzufinden hat, dass aber auch andere 'voting channels' bereits vor dem Wahltag oder den Wahltagen zulässig sind. Anders wäre nämlich die Richtlinie 93/109/EG nicht umsetzbar, in welcher Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern mit Hauptwohnsitz außerhalb des Herkunftsmitgliedstaates eine Wahlmöglichkeit zwischen der Stimmabgabe im Herkunftsmitgliedstaat und der Stimmabgabe im Wohnsitzmitgliedstaat eingeräumt wird. Auf diesen Umstand hat die Anfechtungswerberin selbst in der Anfechtungsschrift unter Punkt 2 ausdrücklich verwiesen. Eine solche Stimmabgabe 'aus dem Ausland' wird in aller Regel nur durch besondere Lösungen, insbesondere durch Briefwahl-Modelle, umsetzbar sein.

Durch Art26 Abs6 in Verbindung mit Art23a Abs4 B-VG ist für Österreich verfassungsrechtlich klargestellt, dass die Briefwahl bei Europawahlen zulässig ist. Da einer Briefwahl-Lösung die Möglichkeit einer Stimmabgabe vor dem Wahltag geradezu immanent ist, nimmt der Gesetzgeber den unterschiedlichen Informationsstand von Wählerinnen und Wählern und den Umstand, dass Personen bereits ihre Stimme abgegeben haben, die in der Folge vor dem Wahltag verstorben sind, in Kauf. Für die Aufbewahrung und Auswertung der bis zum Wahltag verschlossen zu lassenden Wahlkarten, die zur Stimmabgabe mittels Briefwahl verwendet worden sind, enthält die Europawahlordnung detaillierte Regelungen (§46 EuWO).

Bei der Einführung der Briefwahl in Österreich im Jahr 2007 wurden bezüglich der von der Anfechtungswerberin aufgeworfenen Frage auch weder im Begutachtungsverfahren[…] noch im parlamentarischen Prozess von irgendeiner Seite Zweifel an der unionsrechtlichen Zulässigkeit erhoben. Als wesentliches Indiz, dass die Briefwahl bei Europawahlen im Rahmen des Direktwahlaktes zulässig war und ist, gilt auch der Umstand, dass sie außer in Österreich in zahlreichen Mitgliedstaaten – teilweise nur für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger mit Hauptwohnsitz außerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates, teilweise für alle Bürgerinnen und Bürger des jeweiligen Mitgliedstaates – angeboten wird. Nach dem im BM.I vorliegenden Wissensstand werden zumindest in Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Portugal, Schweden, der Slowakei, Slowenien, Spanien und dem Vereinigten Königreich Modelle einer vorzeitigen Stimmabgabe mit anschließender postalischer Übermittlung angeboten. Eine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts hat am 24. November 1981 die Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt (BVerfGE 59, 119). So liege etwa die Vorverlegung der Wahlhandlung bei der Briefwahl in deren Natur, da der Weg der Wahlkarte von den Wählerinnen und Wählern zur Wahlbehörde in das Verfahren mit eingerechnet werden müsse. Die Briefwahl eröffne zudem Wahlberechtigten, die sich sonst aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen gehindert sähen, ihre Stimme im Wahllokal abzugeben, die Teilnahme an der Wahl. Diese deutsche verfassungsgerichtliche Entscheidung ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit einer Stimmabgabe auf dem Postweg schon 1956 eingeführt hat und diese seit der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 (als einer von damals lediglich neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften) auch für dieses Wahlereignis nützt. Die von Art8 des Direktwahlaktes gestützte nationalrechtliche Praxis wurde dabei unionsrechtlich nie beanstandet.

Der österreichische Gesetzgeber hat keinen frühestmöglichen Zeitpunkt für die Zulassung einer Stimmabgabe mittels Wahlkarte angeordnet. Ein solcher Zeitpunkt ist auch durch das B-VG weder direkt noch indirekt vorgegeben. Freilich ist eine Ausstellung von Wahlkarten erst dann denkmöglich, wenn der amtliche Stimmzettel produziert worden ist. Die amtlichen Stimmzettel wurden im Auftrag des BM.I vom zuständigen Drucksorten-Provider (Firma ********) in zwei Teillieferungen an die Bezirkswahlbehörden versendet. Die erste Teillieferung der amtlichen Stimmzettel – ungefähr 10 Prozent der Auflagenhöhe – wurde ab dem 25. April 2014 per Post (EMS) den Bezirkswahlbehörden übermittelt; die restlichen 90 Prozent der amtlichen Stimmzettel ergingen in der Zeit vom 30. April 2014 bis zum 9. Mai 2014 per Spedition an die Bezirkswahlbehörden. Die Städte mit eigenem Statut und die Bezirkshauptmannschaften erhielten die amtlichen Stimmzettel direkt vom Drucksorten-Provider, die Gemeindewahlbehörden erhielten die Stimmzettel über die Bezirkshauptmannschaften, die Sprengelwahlbehörden in Wien über die Landeswahlbehörde und die Sprengelwahlbehörden außerhalb Wiens über die Gemeinden. Hält man sich diesen komplexen Ablauf der Auslieferung vor Augen, liegt es in der Natur der Sache, dass der Beginn der Ausstellung von Wahlkarten nicht in allen 2.354 Gemeinden Österreichs zu ein und demselben Zeitpunkt stattfinden kann. Dessen ungeachtet wurden im BM.I alle logistischen Maßnahmen getroffen, um spätestens am 26. Tag vor dem Wahltag möglichst in allen Gemeinden eine flächendeckende Versorgung der für die Ausstellung der Wahlkarten benötigten Formulare und Drucksorten sicherzustellen.

3.2. Zur Frage der 'Wahlverfälschung durch mehrfache Stimmabgabe' (Punkt 4.2. der Anfechtungsschrift):

Die in der Anfechtungsschrift aufgestellte Behauptung, es gebe 'im österreichischen Recht und EU-Recht keine Bestimmung bezüglich der Vorkehrungen, um eine doppelte Stimmabgabe von EU-Bürgern zu verhindern bzw. diese überhaupt festzustellen' trifft keineswegs zu.

Art9 des Direktwahlaktes bestimmt, dass bei der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 'jeder Wähler nur einmal wählen' kann. In Art4 Abs1 der Richtlinie 93/109/EG ist festgelegt, dass jeder aktiv Wahlberechtigte der Gemeinschaft sein aktives Wahlrecht entweder im Wohnsitzmitgliedstaat oder im Herkunftsmitgliedstaat ausüben kann, dass aber bei einer Wahl niemand mehr als eine Stimme abgeben kann. Zur Sicherstellung dieser Vorgabe ist in Art13 der Richtlinie festgelegt, dass die Mitgliedstaaten untereinander die Informationen auszutauschen haben, die für die Durchführung der Bestimmungen des Art4 notwendig sind. Hierfür hat der Wohnsitzmitgliedstaat auf der Grundlage der 'förmlichen Erklärungen' gemäß Art9 und 10 der Richtlinie dem Herkunftsmitgliedstaat rechtzeitig vor jeder Wahl die Informationen über dessen Staatsangehörige, die in das Wählerverzeichnis eingetragen wurden oder die eine Kandidatur eingereicht haben, zu übermitteln. Der Herkunftsmitgliedstaat hat gemäß seinen Vorschriften die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die doppelte Stimmabgabe und die doppelte Kandidatur seiner Staatsangehörigen zu verhindern.

In Umsetzung des Art13 der Richtlinie 93/109/EG hat der österreichische Gesetzgeber im Jahr 1995 parallel zu den in den Gemeinden zu führenden bestehenden Wählerevidenzen die Europa-Wählerevidenzen als getrennt zu führende Evidenzen gesetzlich verankert. Durch die Regelungen des §13 des Bundesgesetzes über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG), BGBl Nr 118/1996, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 115/2013 (in der Folge als 'EuWEG' bezeichnet), werden die Daten der nicht-österreichischen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger mit Hauptwohnsitz in Österreich sowie die Daten jener Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher, die auf Antrag – unter Abgabe der durch die Richtlinie vorgeschriebenen förmlichen Erklärung – in die Europa-Wählerevidenz einer österreichischen Gemeinde eingetragen sind, in einer speziellen Datenbank, der Zentralen Europa-Wählerevidenz (ZEUWE), zusammengefasst. Die Übermittlung der Daten für die ZEUWE von den Gemeinden – im Wege der Ämter der Landesregierungen – an das BM.I erfolgt jährlich, vor einer Europawahl zusätzlich nach dem Stichtag und nochmals nach Abschluss der Wählerverzeichnisse. Die Übermittlung der Daten der betroffenen Personen an die jeweiligen Herkunftsmitgliedstaaten erfolgt durch Österreich – ausgeführt durch das BM.I – in Vollziehung des §13 Abs7 EuWEG kurz nach dem Stichtag zur jeweiligen Europawahl. Im Gegenzug übermitteln viele andere Mitgliedstaaten dem BM.I die in ihren Registern gespeicherten Daten von bei ihnen wahlberechtigten österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern.

Mit den Bestimmungen des EuWEG, insbesondere mit §13, sind die Vorgaben der Richtlinie 93/109/EG zur Verhinderung von rechtswidrigen Doppel-Stimmabgaben einwandfrei umgesetzt. Auch in der Praxis hat das BM.I bei Durchführung des oben beschriebenen Datenaustausches die Bestimmungen des Unionsrechts und des EuWEG mit großen administrativen Anstrengungen umgesetzt. Hierbei hat sich das BM.I insbesondere an die in Arbeitsgruppensitzungen der Kommission erarbeiteten Vorgaben betreffend die zu übermittelnden Datenfelder und die vereinbarte XML-Schnittstelle mit Verschlüsselung gehalten. So wie viele andere Mitgliedstaaten hat auch Österreich entsprechend den auf Arbeitsgruppenebene bei der Kommission getroffenen Vereinbarungen ein 'single point of contact' (im BM.I) bekanntgegeben, damit der Datenaustausch reibungslos stattfinden kann.

In Vollziehung des §13 EuWEG hat das BM.I Daten von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, die in Europa-Wählerevidenzen österreichischer Gemeinden – und somit in der ZEUWE – gespeichert sind, an alle anderen 27 Mitgliedstaaten übermittelt. Insgesamt wurden 31.446 Datensätze weitergeleitet. Im Gegenzug hat Österreich aus 16 Staaten insgesamt 11.674 Datensätze entgegen genommen. Anhand der eingelangten Datensätze wurden die betroffenen Gemeinden über aufgrund einer Doppeleintragung zu streichende Unionsbürgerinnen und Unionsbürger verständigt. Die Streichungen betrafen 2.390 Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Durch diese zahlenmäßige Darstellung wird ersichtlich, dass Österreich, vertreten durch das BM.I, in größtmöglichem Ausmaß für ein europaweites 'Daten-Clearing' betreffend eine mögliche Doppelregistrierung für die Ausübung des Wahlrechts bei Europawahlen Sorge getragen hat.

Dies ändert nichts an dem auch von der Anfechtungswerberin beschriebenen Umstand, dass das System des Datenaustausches auf europäischer Ebene nicht lückenlos funktioniert. Die Vertreterinnen und Vertreter Österreichs in Arbeitsgruppen auf Ebene des Rates und der Europäischen Kommission haben seit 1993 wiederholt darauf hingewiesen, dass nur mit einem vereinheitlichten Fristengefüge ein einigermaßen lückenlos funktionierendes Abgleichen der Datensätze erreicht werden könnte. Die Richtlinie 93/109/EG enthält auch keinerlei Regelungen betreffend Unionsbürgerinnen und Unionsbürger mit zwei oder mehreren Staatsangehörigkeiten. Die Bestimmungen kommen nicht einmal indirekt zum Tragen, da bei dem in Rede stehenden Personenkreis der Herkunftsmitgliedstaat und der Wohnsitzmitgliedstaat typischer Weise identisch sind.

Um eine – stets rechtswidrige – mehrfache Stimmabgabe durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger mit zwei oder mehreren Staatsangehörigkeiten lückenlos zu verhindern, müssten in der Richtlinie entsprechende Vorkehrungen (z.B. systematisierte Erfassung von Doppelstaatsbürgerinnen und Doppelstaatsbürgern in einem europaweit zentralen Register) und entsprechende Vorlaufzeiten getroffen werden. Ohne solche Vorkehrungen hat kein Mitgliedstaat eine Handhabe, allfällige rechtswidrige Stimmabgaben durch Angehörige des betroffenen Personenkreises im Vorhinein zu verhindern. Bezüglich einer möglichen Doppelstimmabgabe durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsmitgliedstaat wohnen, ist festzuhalten, dass eine solche Handlung vielerorts den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllen wird.

In Österreich ist mit Blick auf die einschlägige Lehre (Bachner-Foregger in WK² [2009] StGB §266 Rz 4) davon auszugehen, dass eine Unionsbürgerin oder ein Unionsbürger, der (die) EU-rechtswidrig in die Europa-Wählerevidenz einer österreichischen Gemeinde eingetragen oder allenfalls nicht rechtzeitig gelöscht worden ist, im Fall einer Stimmabgabe bei einer Europawahl in Österreich ein gerichtlich strafbares Delikt gemäß §266 Abs1 des Strafgesetzbuches ('Fälschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung') verwirklicht. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass in vielen der Fälle, in denen der oben beschriebene Datenaustausch zu einer Streichung eines Datensatzes aus einem der beiden Register der betroffenen Mitgliedstaaten geführt hat, die Doppelregistrierung den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern gar nicht bekannt war.

Im BM.I ist bei der zurückliegenden Europawahl kein einziger Fall einer rechtswidrigen Doppelstimmabgabe bekannt geworden. Es wurde auch in keinem einzigen Fall ein konkreter Verdacht erhoben. Damit eine rechtswidrige Doppelstimmabgabe anfechtungsrelevant ist, müsste ein Anfechtungswerber einerseits konkrete Fälle nachweisen, in denen tatsächlich Doppelstimmabgaben stattgefunden haben, und des Weiteren ausführen, dass die jeweilige Stimmabgabe in Österreich – mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Eintragung in die entsprechende Europa-Wählerevidenz einer Gemeinde und in der Folge in das entsprechende Wählerverzeichnis – tatsächlich rechtswidrig war. Dieser Nachweis müsste zudem hinsichtlich einer so großen Zahl an Fällen erfolgen, dass diese auf das Ergebnis der Europawahl von Einfluss hätten sein können. Einen solchen Nachweis hat die Anfechtungswerberin in keiner Weise erbracht. Vielmehr hat sie bloße Vermutungen, basierend auf der oben beschriebenen Sachlage, geäußert.

3.3. Zur Frage, ob die Briefwahl in Österreich dem 'persönlichen, geheimen, freien EU-Wahlrecht' und der Bundesverfassung entspricht (Punkt 4.3. der Anfechtungsschrift):

Dass einfachgesetzliche Regelungen betreffend eine Anwendung der Briefwahl mit Prinzipien der geheimen und der persönlichen Wahl in Widerspruch stehen würden, hielt der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 10.412/1985 fest. Um die Einführung der Briefwahl in Einklang mit dem Verfassungsrecht zu bringen, wurden daher vom Bundesverfassungsgesetzgeber in mehreren Etappen entsprechende verfassungsgesetzliche Grundlagen geschaffen […]. Mit der Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes BGBl I 2007/27 wurde schließlich in Art26 Abs6 B-VG normiert, dass 'Wahlberechtigte, die voraussichtlich am Wahltag verhindert sein werden, ihre Stimme vor der Wahlbehörde abzugeben, etwa wegen Ortsabwesenheit, aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufenthalts im Ausland, (…) ihr Wahlrecht auf Antrag unter Angabe des Grundes durch Briefwahl ausüben (können). Die Identität des Antragstellers ist glaubhaft zu machen. Der Wahlberechtigte hat durch Unterschrift an Eides statt zu erklären, dass die Stimmabgabe persönlich und geheim erfolgt ist.' Ein Widerspruch zum Verfassungsrecht kann somit nicht mehr bestehen. Auf Basis der genannten Verfassungsänderung wurden in der Folge umfangreiche einfachgesetzliche Änderungen in der EuWO vorgenommen, die auch im Einklang mit den in Art14 Abs3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) genannten Wahlgrundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Wahl zu stehen scheinen. Dafür spricht nicht nur eine Absenz jeglicher diesbezüglichen Diskussion in der europarechtlichen Literatur, in Entscheidungen des EuGH oder in Rechtsmeinungen der EU-Institutionen, sondern auch eine legislative Entschließung des Europäische Parlaments vom 12. Juni 2002 […] zur Änderung des Direktwahlaktes, in der sich dieses explizit für einen 'voting channel' der Briefwahl bei Europawahlen ausspricht […].

3.4. Zur Frage der Festlegung der Reihenfolge am Stimmzettel (Punkt 4.4. der Anfechtungsschrift):

Der Vorwurf der Anfechtungswerberin, dass die Reihenfolge der wahlwerbenden Gruppen auf dem amtlichen Stimmzettel neue Parteien 'diskriminiere', kann nicht nachvollzogen werden. Die Ausgestaltung des bei der Europawahl 2014 zur Verwendung gelangten amtlichen Stimmzettels wurde durch die Bundeswahlbehörde nach eingehender rechtlicher Prüfung im Rahmen der Sitzung vom 23. April 2014 festgelegt. Beim Abschluss und bei der Veröffentlichung der Wahlvorschläge und in der Folge bei der Festlegung des Layouts des amtlichen Stimmzettels wurden die einschlägigen Bestimmungen der EuWO exakt umgesetzt. Art23a B-VG enthält keine näheren Regelungen hinsichtlich der Vergabe der Listenplätze, die Reihung der Listenplätze ist vielmehr durch §36 Abs3 und 4 EuWO definiert. Für die Bundeswahlbehörde bedeutete dies, dass sich die Reihenfolge auf den Listenplätzen 1, 2, 4 und 5 nach der Mandatsstärke jener zuletzt im Europäischen Parlament vertreten gewesenen Parteien zu richten hatte, die einen Wahlvorschlag eingebracht haben. Der Bestimmung des §36 Abs5 EuWO entsprechend hatte bei der Veröffentlichung des Wahlvorschlages beim 3. Listenplatz das Wort 'leer' aufzuscheinen, da die im Jahr 2009 wahlwerbende Gruppe Liste 'Dr. Martin – Für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit' bei der Europawahl 2014 keinen Wahlvorschlag mehr eingebracht hat. In §61 Abs2 EuWO ist nämlich vorgesehen, dass der Stimmzettel unter Berücksichtigung der gemäß §36 EuWO erfolgten Veröffentlichung die aus dem Muster der Anlage 5 ersichtlichen Angaben zu enthalten hat. Somit war es in rechtskonformer Anwendung der zitierten Bestimmungen unausweichlich, die Nummer des Listenplatzes mit der Nummer 3 und das Wort 'leer' in den amtlichen Stimmzettel zu übernehmen.

Die Anfechtungswerberin führt zutreffend aus, dass auf dem amtlichen Stimmzettel für jede wahlwerbende Partei eine gleichgroße Zeile vorzusehen war (§61 Abs1 erster Satz EuWO). Der in diesem Zusammenhang ins Treffen gebrachte Umkehrschluss, der sich ohnedies nur bei einer bestimmten Betonung der einzelnen Wörter des zitierten Satzes überhaupt nachvollziehen ließe, erscheint mit Blick auf die vom Verfassungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung zur Auslegung wahlrechtlicher Normen strikt nach dem Wortlaut (vgl. z.B. VfSlg 16.034/2000) allerdings vollkommen verfehlt. Allenfalls ließe sich aus dem zitierten Satz des Gesetzestextes unter Beachtung der genannten Interpretationsvorgabe ableiten, dass auf dem amtlichen Stimmzettel für den Listenplatz 3 auch eine Zeile mit einem kleineren – oder sinnloser Weise auch größeren – Zeilenabstand als bei den übrigen Listenplätzen zulässig gewesen wäre.

Dass die Angaben in der Veröffentlichung gemäß §36 EuWO und auf dem amtlichen Stimmzettel inhaltlich übereinstimmen müssen, erscheint auch aus praktischer Sicht geboten. Das – für rechtswidrig erachtete – Weglassen jener Zeile, in dem die Listenplatz-Bezeichnung '3' und das Wort 'leer' abgedruckt war, hätte bewirkt, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich die Frage gestellt hätten, wieso die Listenplätze nicht durchnummeriert sind. Die Anfechtungswerberin übersieht in ihrer Argumentation, dass auch bei einem – als rechtswidrig zu bewertenden – Weglassen der in Rede stehenden Zeile für den 3. Listenplatz die anfechtende wahlwerbende Gruppe den Listenplatz mit der Nummer 10, und nicht jenen mit der Nummer 9, erhalten hätte.

Als völlig verfehlt anzusehen ist die in einem als 'Exkurs' bezeichneten Absatz aufgeworfene Frage der Anfechtungswerberin, warum weder die Bundeswahlbehörde[…] noch das BM.I die Anzahl der Wahlberechtigten verlautbart hat, die 'die Phantom-Liste 3 am Stimmzettel angekreuzt' hätten. Abgesehen davon, dass die Zeile mit dem 3. Listenplatz gar keinen Kreis zum Ankreuzen aufgewiesen hat, übersieht die Anfechtungswerberin, dass eine Kennzeichnung dieses Bereichs jedenfalls zu einer ungültigen Stimme geführt hätte. Eine kumulierte Erforschung von Ungültigkeitsgründen bei der Stimmabgabe und somit die Bekanntgabe einer solchen Aufgliederung ist gesetzlich nicht vorgesehen und wurd[e] daher auch nicht vorgenommen.

3.5. Zur Frage der 'Ungleichbehandlung der Parteien in Bezug auf die Kandidatur' (Punkt 4.5. der Anfechtungsschrift):

Die Bedenken der Anfechtungswerberin, dass den Unterschriften von Nationalratsabgeordneten oder Mitgliedern des Europäischen Parlaments gegenüber den Unterstützungserklärungen von (sonstigen) wahlberechtigten Personen ein ungebührliches Gewicht eingeräumt und somit das gleiche Wahlrecht verletzt werde, sind unbegründet. Österreichische Wahlordnungen auf unterschiedlichen Ebenen sehen seit vielen Jahrzehnten neben dem Sammeln individueller positiver Bekundungen aus dem Wahlvolk die Möglichkeit vor, dass auch Abgeordnete eines allgemeinen Vertretungskörpers ihre Unterstützung für eine wahlwerbende Gruppe deklarieren können. Der Verfassungsgerichtshof hat dies regelmäßig für unbedenklich erachtet, da diese Abgeordneten bereits eine 'nicht unbeträchtliche Zahl von Wahlberechtigten' repräsentieren (vgl. VfSlg 6201/1970, 7387/1974, 10.178/1984 […]). Während in der Regierungsvorlage zu[r] Europawahl im Jahr 1996 (20. GP RV 18 AB 28 S. 5) noch zwei Mitglieder des Europäischen Parlaments vorgesehen waren, wurde im parlamentarischen Verfahren eine Reduzierung auf ein Mitglied vorgenommen; dies erscheint umso nachvollziehbarer, da für ein Mandat im Europäischen Parlament wesentlich mehr Stimmen erzielt werden müssen, als für ein Mandat im Nationalrat […]. Die Zahl von 2.600 Unterstützungserklärungen entspricht der Summe für eine bundesweite Kandidatur bei einer Nationalratswahl […]; der Gesetzgeber hat die Hürden für erforderliche Unterstützungserklärungen in vergangenen Novellen wiederholt gesenkt […].

3.6. Zur Frage möglicher 'Mängel bei der Kundmachung der Kandidaten' (Punkt 4.6. der Anfechtungsschrift):

Der Gesetzgeber hat weder für die in den Wahlzellen gemäß §44 Abs4 EuWO anzubringenden Kundmachungen der Wahlvorschläge[…] noch für das durch §41 EuWO festgelegte Anschlagen dieser Kundmachungen vor den Wahllokalen hinsichtlich der zu verwendenden Schriftgröße oder der Farbe des zu verwendenden Papiers nähere Regelungen erlassen. Das Adverb 'sichtbar' in §44 Abs4 EuWO bezieht sich auf das 'Anschlagen' der Kundmachung in der Wahlzelle. Dass ein solches sichtbares Anschlagen nicht erfolgt wäre, hat die Anfechtungswerberin nicht geltend gemacht. Die Kundmachungen, in denen die Daten der Bewerberinnen und Bewerber – übrigens nicht mit einer Schriftgröße von 4 DTP-Punkten, sondern mit einer Schriftgröße von exakt 5,14 DTP-Punkten – wiedergegeben worden sind, müssen für Menschen ohne Sehbehinderung oder mit einem entsprechenden Ausgleich der Sehbehinderung […] gut lesbar gewesen sein […].

Auch für den Fall, dass bei der Europawahl 2014 die betreffenden Daten mit etwas größeren Druckbuchstaben wiedergegeben und generell auf weißem Papier abgedruckt worden wären, hätten sie sich wohl auf Grund der Tatsache, dass die Daten von knapp 400 Bewerberinnen und Bewerbern aufzuscheinen hatten, für das Lesen durch stark sehbehinderte Menschen als nicht geeignet erwiesen, es sei denn, man hätte die Kundmachungen auf mehrere Drucksorten (mehrere Papierbögen) aufgeteilt. Die Platzverhältnisse in vielen Wahlzellen hätten eine solche – bislang bei keiner Wahl getätigte – Vorgangsweise allerdings kaum zugelassen. In der Praxis wird das den Wahlkarten gemäß §27 Abs4 EuWO anzuschließende Beiblatt zur Wahlkarte, auf dem die veröffentlichten Wahlvorschläge in etwas größerer Schrift angeführt waren, in den meisten Wahllokalen vorrätig gewesen sein (sei es aus verwendeten Wahlkarten, sei es aus Restbeständen der Gemeinde[)].

[…]

3.8. Zur Frage der 'vorzeitigen Bekanntgabe von Wahlergebnissen in Österreich' (Punkt 4.8. der Anfechtungsschrift):

In der Bundeswahlbehörde wurde darauf geachtet, dass im Zusammenhang mit einer amtlichen Bekanntgabe des Ergebnisses der Europawahl oder auch einer amtlichen Bekanntgabe von Zwischenergebnissen am Wahltag die einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen sowie die Bestimmungen der EuWO strikt eingehalten werden.

In ihrer ursprünglichen Fassung lautete die für den frühestmöglichen Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Wahlergebnisses relevante, ab 1979 zur Anwendung gelangte Bestimmung des Direktwahlaktes (damals Art9 Abs2) wie folgt:

'(2) Mit der Ermittlung des Wahlergebnisses darf erst begonnen werden, wenn die Wahl in dem Mitgliedstaat, dessen Wähler innerhalb des in Absatz 1 genannten Zeitraums als letzte wählen, abgeschlossen ist.'

Aufgrund dieser europarechtlichen Vorgabe war in der Stammfassung der EuWO (§66) verankert, dass mit der Stimmauszählung für die Europawahl am Wahltag erst zu einem Zeitpunkt begonnen werden durfte, an dem das letzte Wahllokal in Europa seine Tore schloss. Man war sich bei der Konzipierung der EuWO im Klaren darüber, dass sich im Fall einer vorzeitigen Auszählung der Stimmen ein 'Durchsickern' von Ergebnissen nicht verhindern lassen würde. Aus diesem Grund hat sich Österreich gemeinsam mit mehreren anderen Mitgliedstaaten nach der Europawahl 1999 dafür eingesetzt, die entsprechende Bestimmung des Direktwahlaktes dahingehend zu ändern, dass ein Auszählen der Stimmen zum Zeitpunkt der Schließung des letzten Wahllokals in einem Mitgliedstaat jedenfalls möglich und ein 'Durchsickern' von Ergebnissen aus europarechtlicher Sicht nicht mehr mit Rechtswidrigkeit behaftet sein sollte. Nach längeren Verhandlungen auf der Ebene des Europäischen Rates wurde im Jahr 2002 eine Änderung des Direktwahlaktes im Sinn der seinerzeitigen Intentionen Österreichs und anderer Mitgliedstaaten herbeigeführt (ABl. Nr L 283, 21. Oktober 2002, S. 1).

Die Bestimmung des Direktwahlaktes (in der konsolidierten Fassung nunmehr Art10 Abs2) lautet wie folgt:

'(2) Ein Mitgliedstaat darf das ihn betreffende Wahlergebnis erst dann amtlich bekannt geben, wenn die Wahl in dem Mitgliedstaat, dessen Wähler innerhalb des in Absatz 1 genannten Zeitraums als Letzte wählen, abgeschlossen ist.'

[…]

Die relevante Bestimmung des Direktwahlaktes wurde, wie oben ersichtlich, in jener Weise abgeändert, dass nicht mehr an die Ermittlung des Wahlergebnisses, sondern an die 'amtliche[…]' Bekanntgabe des Wahlergebnisses (in der englischen Fassung: ' … officially make public the results …') angeknüpft wird. Somit erstreckt sich das Verbot lediglich auf eine behördliche Bekanntgabe des Gesamtergebnisses in einem Mitgliedstaat. Auch in der Literatur wird die Ansicht unterstrichen, dass die Auswertung des Wahlergebnisses bereits früher möglich sein muss (vgl. Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 6 [2011] Rn 632).

Dem Besonderen Teil der Erläuterungen zur Änderung des Direktwahlaktes im Jahr 2002 (anlässlich der Ratifizierung der Änderung des Direktwahlaktes in Österreich) ist zu entnehmen, dass Abs2 in der geänderten Fassung für Österreich gesetzesergänzend war, da pro futuro lediglich mit der amtlichen Bekanntgabe des Wahlergebnisses bis zu jenem Zeitpunkt zuzuwarten sei, zu dem die Wahl in dem Mitgliedstaat, dessen Wähler innerhalb des in Abs1 angeführten Zeitraumes als letzte wählen, abgeschlossen sei. §66 Abs2 EuWO bestimme in Übereinstimmung mit der Stammfassung des Direktwahlaktes, dass mit der Stimmauszählung erst nach Abschluss der Wahlen in allen anderen Mitgliedstaaten begonnen werden dürfe. Diese Bestimmung der EuWO stehe mit der geänderten Fassung von Art10 Abs2 des Direktwahlaktes nicht in Widerspruch. Die geänderte Formulierung erlaube Österreich allerdings, eine Regelung zu treffen, die es – wie bei anderen Wahlen gewohnt – ermögliche, dass die Wahlbehörden örtliche Wahlergebnisse unmittelbar nach Schließung des jeweiligen Wahllokales ermitteln und auch an übergeordnete Wahlbehörden weiterleiten dürfen. Lediglich mit einer amtlichen Bekanntgabe – eine solche sieht die österreichische Europawahlordnung für den Wahltag gar nicht vor – sei bis zur Schließung des letzten Wahllokals in Europa zuzuwarten.

Nach erfolgter Anpassung des §66 EuWO durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 132/2003, das eine sofortige Stimmauszählung unmittelbar nach Schließung des jeweiligen Wahllokals zulässig gemacht hat, ist seitens der Kommission zu keinem Zeitpunkt Kritik an der österreichischen Rechtslage geäußert worden. Die Kommission hat in ihrer Mitteilung vom 27. Oktober 2010 (COM (2010) 605 final

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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