TE Vwgh Erkenntnis 2014/6/26 2011/06/0077

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Veröffentlicht am 26.06.2014
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;

Norm

BauG Stmk 1995 §13 Abs2;
BauG Stmk 1995 §13 Abs4;
BauG Stmk 1995 §4 Z29;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der H K in L, vertreten durch Dr. Richard Stengg, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Holundergasse 12, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 11. März 2011, Zl. FA13B-12.10-N101/2011-3, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. J G, 2. I G, beide F, 3. Marktgemeinde S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid des Bürgermeisters der drittmitbeteiligten Marktgemeinde vom 8. April 2010 wurde der erst- und der zweitmitbeteiligten Partei (Bauwerber) die Baubewilligung für den Zu- und Umbau am bestehenden, im Freiland liegenden, Ferienwohnhaus auf näher angeführtem Grundstück unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin, welche Eigentümerin des westlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstückes ist, vom 14. April 2010 wurde mit Bescheid des Gemeinderates der drittmitbeteiligten Marktgemeinde vom 17. Mai 2010 als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung vom 23. Mai 2010, die mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 2011 als unbegründet abgewiesen wurde.

Begründend legte die belangte Behörde im Wesentlichen dar, bei dem gegenständlichen Projekt handle es sich um einen Zu- und Umbau an einem bestehenden Ferienwohnhaus im Freiland; die Geschoßvergrößerung betrage weniger als 100 %, es werde auch keine Nutzungsänderung vorgenommen. Es sei ein Zubau, bestehend aus einem Kellergeschoß (teilweise), Erdgeschoß und ausgebautem Dachgeschoß projektiert. Aus den Plänen gehe hervor, dass die westseitige Gebäudefront des Kellergeschoßes zu mehr als 50 % unter dem natürlichen Gelände liege. Die Kniestockhöhe des Dachgeschoßes betrage 1,25 m, die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad . Die westseitige Außenwand des Erdgeschoßes des Zubaus bestehe aus zwei im Grundriss versetzten Wandteilen mit Längen von 2,50 m (dieser Wandteil weise den erforderlichen Mindestabstand auf) und 3,75 m (dieser weise einen um 60 cm größeren Abstand als den Mindestabstand auf). Direkt oberhalb des 2,50 m langen Wandteiles sei im Bereich des Dachgeschoßes eine Schleppgaupe vorgesehen. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, das Kellergeschoß und das Dachgeschoß müssten in Bezug auf den Grenzabstand angerechnet werden, sei auszuführen, dass gemäß § 13 Abs. 4 Stmk BauG 1995 als Geschoße in der jeweiligen Gebäudefront jene anzurechnen seien, deren Außenwandfläche zu mehr als 50 % und im Mittel mindestens 1,5 m hoch über dem natürlichen Gelände lägen. Nach § 13 Abs. 5 leg. cit. seien nicht als Geschoße anzurechnen an der Traufenseite Dachgeschoße bzw. für Aufenthaltsräume ausbaufähige Dachböden, sofern die Höhe eines allfälligen Kniestockes 1,25 nicht übersteige und die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad betrage. Da die westseitige - der Grundgrenze der Beschwerdeführerin zugewandte - Gebäudefront des Kellergeschoßes zu mehr als 50% unter dem natürlichen Niveau liege, die Kniestockhöhe des Dachgeschoßes 1,25 m nicht übersteige und die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad betrage, seien sowohl Keller- als auch Dachgeschoß nicht im Sinne des § 13 Abs. 4 und 5 Stmk BauG 1995 anrechenbare Geschoße und fielen hiermit nicht unter die Abstandsregelungen nach § 13 Abs. 2 Stmk BauG 1995. Nach den im Akt befindlichen Unterlagen werde der gemäß § 13 Abs. 2 Stmk BauG 1995 geforderte Grenzabstand von 3,00 m nicht unterschritten.

Zum Vorwurf des mangelhaften Parteiengehörs, es seien erst am 8. April 2010 Unterlagen zugestellt und am 9. April 2010 sei der Bescheid erlassen worden, könne darauf hingewiesen werden, dass nach dem vorgelegten Bauakt der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 8. März 2010 Parteiengehör gewährt worden und mit Schreiben vom 21. März 2010 dieses von der Beschwerdeführerin auch wahrgenommen worden sei. Das Schreiben vom 7. April 2010 sei eine Antwort der belangten Behörde auf die Stellungnahme vom 21. März 2010 gewesen. Überdies würde eine eventuelle Verletzung des Parteiengehörs durch die Vorstellung saniert.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die mitbeteiligten Parteien haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

4.1. Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist folgende Rechtslage im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides des Gemeinderates der drittmitbeteiligten Gemeinde von Bedeutung:

Steiermärkisches Baugesetz 1995 (Stmk BauG 1995) idF

LGBl. Nr. 13/2010:

"§ 4

...

Z. 28. Gebäude: eine bauliche Anlage, die mindestens einen oberirdischen überdeckten Raum bildet, der an den Seitenflächen allseits oder überwiegend geschlossen ist. Als Gebäude gelten jedoch auch offene Garagen;

Z. 29. Gebäudefront: Außenwandfläche eines Gebäudes ohne vorspringende Bauteile, wie z.B. Balkone, Erker, Vordächer jeweils in gewöhnlichen Ausmaßen; an Gebäudeseiten ohne Außenwände gilt die Vertikalebene entlang des Dachrandes als Gebäudefront;

...

40. Kniestockhöhe: das Maß des vertikalen Abstandes zwischen Oberkante der obersten Rohdecke und der Unterkante der tragenden Dachkonstruktion (Sparren), gemessen in der äußeren Außenwandebene;

...

Abstände

§ 13

(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muß ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand).

(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, muß von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand).

(3) Steht ein Gebäude an der Grundgrenze, so hat der Nachbar, soferne durch einen Bebauungsplan oder durch Bebauungsrichtlinien nichts anderes bestimmt ist oder Gründe des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes nicht entgegenstehen, die Wahlmöglichkeit, entweder an die Grundgrenze anzubauen oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Weist das Gebäude an der Grenze Öffnungen (Fenster, Türen und dgl.) auf, so ist der erforderliche Gebäudeabstand einzuhalten.

(4) Als Geschosse in der jeweiligen Gebäudefront sind jene anzurechnen,

-

die voll ausgebaut oder zu Aufenthaltsräumen ausbaufähig sind und

-

deren Außenwandfläche zu mehr als 50 Prozent und im Mittel mindestens 1,5 m hoch über dem natürlichen Gelände liegt.

(5) Nicht als Geschosse anzurechnen sind an der

-

Traufenseite: Dachgeschosse bzw. für Aufenthaltsräume ausbaufähige Dachböden, sofern die Höhe eines allfälligen Kniestockes 1,25 m nicht übersteigt und die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad beträgt;

-

Giebelseite: das unterste Dachgeschoß bzw. der unterste für Aufenthaltsräume ausbaufähige Dachboden, sofern die Höhe eines allfälligen Kniestockes 1,25 m nicht übersteigt und die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad beträgt.

..."

4.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Dachgeschoß sei nicht als eigenes Geschoß in die Berechnung einbezogen worden, obwohl hinsichtlich der Dachgaupe der Kniestock eindeutig die Höhe von 1, 25 m übersteige. Im Gegensatz zur Gebäudefront, wo § 4 Z. 29 Stmk BauG 1995 in einer demonstrativen Aufzählung "Balkone, Erker und Vordächer jeweils in gewöhnlichen Ausmaßen" zulasse, gebe es beim Dach keine Ausnahmeregelung, sodass bei richtiger Rechtsanwendung auch der durch die Gaupe zu hohe Kniestock zu berücksichtigen und somit das Dachgeschoß in die Abstandsberechnung einzubeziehen sei. Der Balkon sei nur deswegen nicht in die Abstandsberechnung einbezogen worden, weil er rechtlich als Erker qualifiziert worden sei. Der Balkon könne jedoch kein Erker sein, weil er keinen Raum im physikalischen Sinn (Einschluss durch drei Dimensionen) und somit auch keine Raumerweiterung schaffe; er habe auch keine gewöhnlichen Ausmaße, sondern mache ca. 50 % der Fläche des Erweiterungsbaues aus. Zum Balkon sei auszuführen, dass sein Unterbau mit der Decke des Kellergeschoßes einen einheitlichen Baukörper bilde, sodass die für die Abstandsmessung relevante westliche Kellerfront durch die Balkonsäule begrenzt werde und somit eindeutig zu mehr als 50 % aus dem Gelände herausrage.

Es liege Aktenwidrigkeit vor, weil im Einreichplan deutlich ersichtlich auf dem Grundriss des Kellergeschoßes ein Abstand zum Grundstück der Beschwerdeführerin von 2,75 m eingezeichnet sei. Der notwendige Abstand von 3 m werde nicht erreicht. Der Abstand müsse bei Gebäudefronten, die aus dem Gelände herausragten, auf jeden Fall eingehalten werden.

Der Sachverhalt bedürfe einer Ergänzung, weil die Behauptung des Sachverständigen, die für die Abstandsberechnung in Betracht kommende Kellerfront liege zu mehr als 50% unter dem natürlichen Niveau, durch keine Berechnungsgrundlagen gedeckt sei.

Das Parteiengehör zur Planänderung sei durch die Frist von lediglich einem Tag zwischen Mitteilung (der drittmitbeteiligten Marktgemeinde am 7. April 2010, dass nach einer Planänderung laut Beilage die Abstände nunmehr eingehalten würden) und Erlassung des Baubewilligungsbescheides durch den Bürgermeister (am 8. April 2010) gröblich verletzt worden; es habe gar nie die Absicht bestanden, dieses Parteiengehör zu berücksichtigen.

4.3. Zunächst ist der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie auf Grund der in den Verwaltungsakten erliegenden Planunterlagen davon ausgeht, dass die westseitige Gebäudefront des Kellergeschosses zu mehr als 50 % unter dem natürlichen Gelände liegt, somit nicht im Sinne des § 13 Abs. 4 Stmk BauG 1995 als Geschoss anzurechnen ist und nicht unter die Abstandsregelung nach § 13 Abs. 2 leg. cit. fällt.

Die Nichtanrechenbarkeit des Dachgeschosses im Sinne des § 13 Abs. 5 leg. cit. stützten die Behörden darauf, dass die Kniestockhöhe des Dachgeschosses 1,25 m und die Dachneigung nicht mehr als 70 Grad beträgt. Wie die Behörden zu dieser Feststellung gelangten, ist vor dem Hintergrund der Begriffsbestimmung in § 4 Z. 40 BauG 1995 in Verbindung mit den vorliegenden Planunterlagen nicht nachvollziehbar und wird auch nicht begründet. Da der einzuhaltende Grenzabstand gemäß § 13 Abs. 2 leg. cit. von der Anrechenbarkeit des Dachgeschosses abhängt, diese Frage aber auf Grund des aufgezeigten Begründungsmangels nicht abschließend beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Bemerkt wird, dass auch bei einem Grenzabstand von 3 m das Kellergeschoss diesen Abstand einzuhalten hat.

5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014).

Wien, am 26. Juni 2014

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2011060077.X00

Im RIS seit

30.07.2014

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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