TE Vfgh Erkenntnis 2014/6/5 U2238/2013

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Veröffentlicht am 05.06.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §10
Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG vom 29.04.04 Art2, Art3, Art6, Art27

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung des türkischen Ehemannes einer in Österreich niedergelassenen Unionsbürgerin infolge Anwendung einer den unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechtes offenkundig widersprechenden innerstaatlichen Regelung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit sie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei anordnet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Die bekämpfte Entscheidung wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

III. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein am 20. Mai 1980 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 20. April 2005 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. März 2006 wurde der Asylantrag gemäß §7 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (im Folgenden: AsylG 1997) abgewiesen, gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei zulässig ist, und der Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 aus dem Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen.

2. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. März 2006 erhobene Berufung wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 16. November 2010 gemäß §§7, 8 Abs1 AsylG 1997 und §10 Abs1 Z2 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (im Folgenden: AsylG 2005) abgewiesen.

3. Am 7. August 2012 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Juli 2013 wurde der Asylantrag gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III).

4. Am 15. Mai 2013 heiratete der Beschwerdeführer eine in Österreich niedergelassene Staatsangehörige von Ungarn. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau leben seit 1. August 2013 im gemeinsamen Haushalt in Österreich.

5. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Juli 2013 erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 13. September 2013 in allen Spruchpunkten abgewiesen. Hinsichtlich der Ausweisung des Beschwerdeführers führte der Asylgerichtshof wie folgt aus:

"II.4.2.1 Im Hinblick auf die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet in die Türkei war festzustellen, dass ein Cousin des Beschwerdeführers in Österreich aufhältig ist und dieser den Beschwerdeführer finanziell unterstützt, jedoch nicht an gleicher Adresse gemeldet ist. Zudem hat der Beschwerdeführer am 15.05.2013 die ungarische Staatsbürgerin E. B. geheiratet, wobei seit 01.08.2013 ein gemeinsamer Wohnsitz besteht.

II.4.2.1.2. Im Hinblick auf die ungarische Ehegattin des Beschwerdeführers war Folgendes zu berücksichtigen: Eine Ausweisung ist demnach gemäß §10 Abs2 Z1 AsylG 2005 unzulässig, wenn dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt. Es kommen hier Aufenthaltsrechte nach dem Fremdenpolizeigesetz, dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz oder Aufenthaltsrechte in Frage, die direkt vom Gemeinschaftsrecht (z.B. EU/VO, EU/RL bzw. Assoziationsabkommen der EU) abgeleitet werden können (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, 4. Auflage, K20. zu §10).

Aus der Regierungsvorlage, RV 952 XXII. GP zu §9 NAG ergibt sich, dass die zweite Kategorie der Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen neben den konstitutiven Aufenthaltstiteln die bereits bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechte von Unionsbürgern bzw. EWR-Bürgern und deren Angehörigen auf Grund des primären und sekundären Gemeinschaftsrecht darstellen. Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht in diesen Fällen ergibt sich somit nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern Kraft unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht. Nach welchen Voraussetzungen ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthalts- und Niederlassungsrecht besteht, richtet sich ausschließlich nach EU-Recht, im Speziellen nach der Verordnung EWG 1612/68 und der Richtlinie 2004/38/EG (FreizügigkeitsRL, vgl. unten II.4.3.1).

Da eine Ausweisung des Beschwerdeführers nur dann in Betracht kommt, wenn ihm auch kein 'nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht' zukommt, ist im vorliegenden Fall vor Prüfung der Voraussetzungen für eine Ausweisung auch die Frage zu beantworten, ob der Beschwerdeführer aufgrund einer der FreizügigkeitsRL – allenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung – entsprechenden österreichischen Rechtsvorschrift oder der unmittelbaren Anwendung der FreizügigkeitsRL zum Aufenthalt in Österreich berechtigt ist.

Dazu ist einerseits zu prüfen, ob die Ehegattin des Beschwerdeführers von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und in Österreich als niedergelassen angesehen werden kann, und andererseits darf das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers in Österreich nicht die Grundinteressen der Gesellschaft in einer Weise berühren, die eine Ausweisung geboten erscheinen lässt.

Zunächst sind Feststellungen dahingehend zu treffen, ob der Ehegattin ein Recht auf Freizügigkeit iSd der FreizügigkeitsRL zukommt und – gegebenenfalls – ob sie jemals von diesem auch Gebrauch gemacht hat.

Gemäß Art2 Z2 der RL ist Familienangehöriger eines Unionsbürgers u.a. der Ehemann einer Unionsbürgerin.

Gemäß Art3 Abs1 der RL gilt diese für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinn des Art2 Z2 der RL, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

Betreffend die Ehegattin des Beschwerdeführers, welche als ungarische Staatsbürgerin somit Unionsbürgerin ist, scheinen seit 01.08.2013 erstmalig eine Hauptwohnsitzmeldung in Österreich auf, und hat diese damit vom ihr zukommenden Recht auf Freizügigkeit durch Wohnsitznahme in Österreich – außerhalb ihres Heimatstaates Ungarn – Gebrauch gemacht.

Wie sich aus der entsprechenden Einsichtnahme in das Fremdeninformationssystem ergibt, wurde von der Ehegattin des Beschwerdeführers bislang keine Dokumentation ihres gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechtes (seit 01.01.2010 wäre dies eine Aufenthaltskarte) beantragt.

Zwar genügt es gemäß Art6 FreizügigkeitsRL für einen Aufenthalt bis zu drei Monaten, wenn der Unionsbürger im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ist. Gleiches gilt für drittstaatszugehörige Familienangehörige, sofern diese 'den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen' (vgl hierzu auch die erläuternden Bemerkungen in RV 952 XXII. GP zu §51 NAG). Für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten ist jedoch Art7 FreizügigkeitsRL maßgeblich, der verschiedene – alternativ zu erfüllende – Voraussetzungen statuiert.

Der Ehegattin des Beschwerdeführers steht somit für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts ex-lege ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß Art6 FreizügigkeitsRL zu. Nach Ablauf dieser drei Monate hat die Beschwerdeführerin sich aber um entsprechende Bescheinigungsdokumente (§§9, 53 NAG) zu kümmern bzw. muss sie für das Vorliegen der in Art7 normierten Voraussetzungen Sorge tragen. Ein Recht wie ein gemeinschaftliches Aufenthaltsrecht kann nämlich an sich – auch wenn entsprechende Dokumente bloß deklaratorischen Charakter haben – nur dann tatsächlich bestehen, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Nach dreimonatigem Aufenthalt müsste sodann eine der alternativ in Art7 FreizügigkeitsRL normierten Varianten bzw. ein entsprechend in Umsetzung der Richtlinie in §51 NAG vorgesehener Sachverhalt vorliegen.

Im vorliegenden Fall gilt die Ehegattin des Beschwerdeführers als noch nicht im Bundesgebiet niedergelassen, da sie sich erst eineinhalb Monate, obschon bereits am 15.05.2013 die Ehe geschlossen wurde, nachweislich im Bundesgebiet aufhält. Des Weiteren wurden vom Beschwerdeführer zu den Voraussetzungen für eine allfällige rechtmäßige Niederlassung der Ehegattin iSd Bestimmungen keinerlei Angaben gemacht.

Somit kann die Ehegattin des Beschwerdeführers für sich selbst aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus der FreizügigkeitsRL kein Recht auf Niederlassung ableiten. Zwar kennt diese Richtlinie neben dem Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten (Art7 ff) ein Recht auf Daueraufenthalt (Art16ff, vg. Auch §53a und §54a NAG), dieses Recht kommt dem Unionsbürger oder seinen Familienangehörigen aber erst – von einzelnen, nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren zu. Die erste Meldung im Bundesgebiet der Ehegattin des Beschwerdeführers datiert mit 01.08.2013. Jedenfalls liegt somit kein ununterbrochener Aufenthalt von mehr als fünf Jahren vor und wurde vom Beschwerdeführer auch nichts anderes vorgebracht (siehe auch VwGH 02.07.2010, 2007/09/0194).

Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht möglich, für sich – gestützt auf ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht der Ehegattin und Bezugsperson – ein Aufenthaltsrecht aus der FreizügigkeitsRL abzuleiten und ist auch nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer aus anderen gemeinschaftsrechtlichen oder innerstaatlichen Vorschriften ein Aufenthaltsrecht zukäme. Insbesondere kann dem Beschwerdeführer mangels gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger kein Aufenthaltsrecht als Angehöriger gemäß §52 NAG zukommen, wobei er die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung, die Vorlage eines gültigen Reisepasses (Personalausweises) und der Nachweis des Bestehens der Ehe, der familiären Beziehung bzw. der Unterhaltsgewährung eventuell nachweisen könnte.

Mit seiner Ehegattin, mit welcher er seit 01.08.2013 in einem gemeinsamen Haushalt lebt, führt der Beschwerdeführer jedoch ein schützenswertes von Art8 EMRK erfasstes Familienleben.

Werden – unter einem zugegebener Maßen erhöhten Schutz stehende – familiäre Beziehungen zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem der Fremde nicht mit einem weiteren Verbleib im Inland rechnen konnte, so erfahren die aus dieser Beziehung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessensabwägung nachteilig beeinflussende Minderung (vgl. VwGH 27.02.2003, 2002/18/0207). Schließlich können Fremde, die bei Begründung ihres Familienlebens aufgrund ihres ungewissen Aufenthaltsstatus nicht mit dessen Fortsetzung rechnen durften, nach Ansicht des EGMR nur unter außergewöhnlichen Umständen den Schutz des Art8 EMRK erlangen (vgl. EGMR 11.04.2006, Fall Useinov). Weiters besteht das Familienleben erst seit kurzer Zeit, und besteht ein gemeinsamer Haushalt laut Auskunft aus dem ZMR jedenfalls erst seit dem 01.08.2013. Ungeachtet der bereits getroffenen Ausführungen ist auch festzuhalten, dass im Verfahren nicht hervorgekommen ist, dass der Beschwerdeführer mit seiner Gattin ein Familienleben nicht auch außerhalb Österreichs, sondern in der Türkei, führen könnte. Der Beschwerdeführer verfügt in der Türkei auch noch über familiären Anschluss. Die anzunehmende Lebensumstellung, der die Familienmitglieder des Beschwerdeführers wahrscheinlich in der Türkei begegnen, steht der Ausweisung nicht entgegen."

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art8 EMRK und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

7. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. 2004 L 158, S 77, (im Folgenden: Freizügigkeits-RL) lauten auszugsweise:

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. 'Unionsbürger' jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2. 'Familienangehöriger'

a) den Ehegatten;

b) – d) …

3. 'Aufnahmemitgliedstaat' den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.

Artikel 3

Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2) ...

...

Artikel 6

Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten

(1) Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.

Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.

(3) - (4) ...

...

KAPITEL VI

Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit

Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

(3) - (4) ..."

III. Erwägungen

A. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet richtet, erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (vgl. zB. VfSlg 15.910/2000).

Ein derartiger Widerspruch ist im vorliegenden Fall gegeben:

2. Gemäß Art2 Z2 der Freizügigkeits-RL ist Familienangehöriger eines Unionsbürgers u.a. der Ehemann einer Unionsbürgerin. Gemäß Art3 Abs1 der Freizügigkeits-RL gilt diese für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinn des Art2 Z2 der Freizügigkeits-RL, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

Gemäß Art27 Abs1 der Freizügigkeits-RL dürfen die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen (im Sinn des Art2 Z2 der Freizügigkeits-RL), ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, ausschließlich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden.

Schließlich kommt dem Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, gemäß des im vorliegenden Fall relevanten Art6 Abs1 und 2 der Freizügigkeits-RL ein – an keine weiteren Bedingungen oder Formalitäten geknüpftes – Aufenthaltsrecht für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten in diesem Mitgliedstaat zu, sofern er den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleitet oder ihm nachzieht.

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein drittstaatszugehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers auf die Freizügigkeits-RL berufen kann, sprach der EuGH im Urteil vom 25. Juli 2008, C-127/08, Metock, Slg. 2008, I-06241, Folgendes aus: Ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratet ist, muss sich vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat nicht rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben, um sich auf die Bestimmungen der Freizügigkeits-RL berufen zu können. Vielmehr kann sich der Drittstaatsangehörige, der mit einem Unionsbürger, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, verheiratet ist und der diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen, unabhängig davon, wo und wann die Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist.

Darüber hinaus präzisierte der EuGH im Beschluss vom 19. Dezember 2008, C-551/07, Sahin, die Voraussetzungen, unter denen sich ein Drittstaatsangehöriger auf die Freizügigkeits-RL berufen kann, dahin gehend, dass die Freizügigkeits-RL auch jene Familienangehörigen erfasst, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben, wobei es keine Rolle spielt, dass sich der Familienangehörige zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Eigenschaft oder der Begründung des Familienlebens nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaates vorläufig in diesem Staat aufhält.

3. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein, stellte einen Asylantrag und heiratete in weiterer Folge eine in Österreich niedergelassene ungarische Staatsangehörige. Mit der angefochtenen Entscheidung wies der Asylgerichtshof in Anwendung des §10 Abs1 AsylG 2005 den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet in die Türkei aus, nachdem dessen Asylantrag abgewiesen und ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht zuerkannt worden war. Der Asylgerichtshof begründete seine Entscheidung unter Verweis auf die Freizügigkeits-RL damit, dass sich die Ehefrau des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt nachweislich erst eineinhalb Monate (seit 1. August 2013) im österreichischen Bundesgebiet aufhalte und daher aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus der Freizügigkeits-RL, kein Recht auf Niederlassung ableiten könne. Dem Beschwerdeführer sei es somit nicht möglich, für sich – gestützt auf ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht der Ehefrau – ein Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeits-RL abzuleiten. Da auch die Interessenabwägung iSv Art8 EMRK zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehe – das Familienleben mit seiner Ehefrau könne in der Türkei fortgeführt werden –, stehe einer Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet in die Türkei nichts entgegen.

Wie sich aus der zitierten Judikatur des EuGH ergibt und wovon auch der Asylgerichtshof ausgeht, kann sich der Beschwerdeführer auf die Freizügigkeits-RL berufen, deren Umsetzungsfrist zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits abgelaufen war und die unmittelbar anwendbar ist (vgl. EuGH 4.12.1974, Rs. 41/74, van Duyn, Slg. 1974,

1337). Da ein Familienangehöriger einer Unionsbürgerin, die durch die Wohnsitznahme in Österreich – auch in den ersten drei Monaten – ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, nur unter den Voraussetzungen des Art27 Abs2 der Freizügigkeits-RL ausgewiesen werden darf, hat der Asylgerichtshof eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift (§10 Abs1 AsylG 2005) angewendet, die offenkundig unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Unionsrechtes widerspricht. Eine derartige Gesetzesanwendung steht in einem solchen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch, dass der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist (vgl. VfSlg 15.448/1999, 15.910/2000, 18.970/2009; VfGH 26.04.2010, U2309/2009).

Die angefochtene Entscheidung ist daher, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet richtet, aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

B. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Asylantrages und die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten richtet, wird ihre Behandlung abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, insoweit sie die Abweisung des Asylantrages und die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betrifft, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung).

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit sie die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei betrifft, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die angefochtene Entscheidung ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, EU-Recht Richtlinie, Recht auf Freizügigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U2238.2013

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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