TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/4 2000/11/0043

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Veröffentlicht am 04.10.2000
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Index

90/02 Führerscheingesetz;

Norm

FSG 1997 §8 Abs1;
FSG 1997 §8 Abs2;
FSG-GV 1997 §12 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in G, vertreten durch Dr. Peter Fürnschuß, Rechtsanwalt in 8510 Stainz, Hauptplatz 7/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. Februar 2000, Zl. 11 - 39 - 381/98 - 9, betreffend Verlängerung der Gültigkeit der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Antrag vom 25. März 1998 begehrte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner bis 5. Mai 1998 befristeten Lenkberechtigung. Hinsichtlich der Klassen B und F wurde ihm die Lenkberechtigung mit Bescheid vom 5. Mai 1998 für die Dauer von vier Jahren erteilt mit dem Auftrag, alle zwei Jahre einen EEG-Befund vorzulegen.

Hinsichtlich der Verlängerung der Lenkberechtigung für die Gruppe 2 (Klassen C und E) wurde der Antrag mit Bescheid der Erstbehörde vom 17. Juli 1998 abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, nach dem ärztlichen Gutachten vom 24. April 1998 sei der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 nicht geeignet, weil er an Epilepsie leide. Nach § 12 Abs. 3 der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV dürfe solchen Personen keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden.

In der dagegen erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer, dass bei ihm ein epileptisches Leiden vorliege.

Die belangte Behörde holte ein Gutachten ihrer ärztlichen Amtssachverständigen ein. In diesem Gutachten vom 17. Februar 1999 wird ausgeführt, dem im Jahr 1975 geborenen Beschwerdeführer sei im Jahr 1993 die Lenkberechtigung aufgrund einer seit seiner Kindheit bekannten Epilepsie befristet auf ein Jahr erteilt worden. 1995 sei der Zeitraum für die Nachuntersuchung auf drei Jahre erweitert worden, weil das 24-Stunden-EEG unauffällig und seit 1994 keine Therapie mehr notwendig gewesen sei. Der Amtsarzt der Erstbehörde habe bei der Nachuntersuchung im April 1998 die gesundheitliche Eignung für Kraftfahrzeuge der Klasse B für die Dauer von vier Jahren bejaht und die Eignung für die Gruppe 2 im Hinblick auf das vorliegende epileptische Leiden verneint. Im 14. Lebensjahr sei der letzte Anfall gewesen. Seit dem 19. Lebensjahr sei die Therapie beendet. Auch ohne Therapie habe es seither keine Anfälle mehr gegeben. Nach dem nervenfachärztlichen Befundbericht vom 17. Dezember 1998 (der sich in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht befindet) bestehe eine kryptogene generalisierte Anfallsbereitschaft, wobei der letzte Anfall vor elf Jahren in erster Linie im Rahmen einer Unterzuckerung aufgetreten sei. Seit Jahren sei der Beschwerdeführer auch ohne Therapie anfallsfrei. Im Alter von neun Jahren sei es beim Beschwerdeführer erstmals zu Abwesenheitszuständen von wenigen Sekunden gekommen. Er sei damals auf Convulex eingestellt werden und anschließend drei Jahre lang anfallsfrei gewesen. Am Ende eines Tages, an dem er absolute Nahrungskarenz eingehalten habe, sei es zu einem generalisierten Krampfanfall gekommen. Ihm sei danach zusätzlich Neurotop retard verordnet worden. Diese Medikation habe der Beschwerdeführer bis zu seinem 17. Lebensjahr beibehalten, danach seien die Medikamente "ausgeschlichen" worden. Auch nach dem Absetzen der Antiepileptika seien keine Anfälle mehr aufgetreten. In neurologischer Hinsicht finde sich ein regelrechter Befund. Im EEG vom 17. Dezember 1998 fänden sich vereinzelt generalisierte langsame Wellen aus dem Thetabereich, jedoch keine epilepsietypischen Entladungen. Der generalisierte Krampfanfall im Alter von 12 Jahren sei eher auf eine hypoglykämische Stoffwechselsituation zurückzuführen und nicht als typische Anfallsmanifestation im Rahmen einer Epilepsie zu interpretieren. Aufgrund der langjährigen Anfallsfreiheit auch ohne Therapie und dem Fehlen von epilepsietypischen Entladungen im EEG sei aus nervenfachärztlicher Sicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Die Frage, ob damit eine erhöhte Anfallsbereitschaft als "ausgeheilt" bezeichnet werden könne, könne jedoch nicht beantwortet werden, weil letztlich auch jeder Gesunde unter bestimmten Voraussetzungen einen Anfall erleiden könne und klare Untersuchungsmethoden, die dies ausschlössen, nicht bestünden.

Die ärztliche Amtssachverständige der belangten Behörde kam aufgrund dieses nervenfachärztlichen Befundberichtes zu dem Ergebnis, obgleich der Beschwerdeführer seit Jahren auch ohne Therapie anfallsfrei sei, könne die Frage, ob die Anfallsbereitschaft ausgeheilt sei, nicht beantwortet werden, da es klare Untersuchungsmethoden, die dies ausschlössen, nicht gebe. Der Beschwerdeführer sei daher zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gesundheitlich nicht geeignet.

In seiner Äußerung vom 8. März 1999 vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, dem ärztlichen Gutachten sei nicht zu entnehmen, dass er unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leide. Bei keinem Lenker könne durch klare Untersuchungsmethoden eine Anfallsbereitschaft ausgeschlossen werden.

Die ärztliche Amtssachverständige führte dazu in ihrer Stellungnahme vom 6. Mai 1999 aus, nach Auskunft eines von ihr befragten namentlich bezeichneten Experten reiche ein einmaliger epileptischer Anfall aus, "um vom Gesetz her für die Führerscheingruppe 2 gesundheitlich als nicht geeignet betrachtet zu werden".

Der Beschwerdeführer widersprach dem in seiner Äußerung vom 19. Mai 1999 u.a. mit dem Hinweis, dass die Sachverständige nicht zur Beantwortung von Rechtsfragen berufen sei.

Die ärztliche Amtssachverständige führte dazu in ihrer Gutachtensergänzung vom 29. Juli 1999 aus, eine Person, die jemals in ihrem Leben einen epileptischen Anfall erlitten habe, sei zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 nicht geeignet. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Anfälle nehme nach zweijähriger Anfallsfreiheit dramatisch ab. Je länger die Anfallsfreiheit dauere, desto weniger wahrscheinlich werde das Wiederauftreten von Anfällen. Die dem Auftreten epileptischer Anfälle zugrunde liegende Hirnstörung allerdings sei durch diese Entwicklung nicht beseitigt. Das Auftreten von Spätkomplikationen gerade bei generalisierten ideopathischen Epilepsien sei ein häufig zu beobachtendes Phänomen, sodass von "Ausheilung" nicht gesprochen werden könne.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und führte nach Wiedergabe des ärztlichen Sachverständigengutachtens aus, sie stimme dem schlüssigen Gutachten samt Ergänzungen zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 FSG darf eine Lenkberechtigung nur Personen erteilt werden, die gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9).

Nach § 8 Abs. 1 FSG hat der Antragsteller der Behörde vor der Erteilung einer Lenkberechtigung ein ärztliches Gutachtens vorzulegen, dass er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein und ist von einem im örtlichen Wirkungsbereich der Behörde, die das Verfahren zur Erteilung der Lenkberechtigung durchführt, in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt für Allgemeinmedizin zu erstellen.

Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist zufolge § 8 Abs. 2 leg. cit. das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

Gemäß § 12 Abs. 3 FSG-GV kann Personen, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leiden, eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nur unter Einbeziehung einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme erteilt oder belassen werden. Der Facharzt hat die Epilepsie oder andere Bewusstseinsstörungen, deren klinische Form und Entwicklung, die bisherige Behandlung und die Anfallsfreiheit und das Anfallsrisiko zu beurteilen. Hingegen darf solchen Personen keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden.

Der Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hängt entscheidend von der Beantwortung der Frage ab, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf die im amtsärztlichen Sachverständigengutachten enthaltenen Feststellungen über seinen Gesundheitszustand zu den in § 12 Abs. 3 FSG-GV genannten Personen zu zählen ist, die unter epileptischen Anfällen oder anderen anfallsartigen Bewusstseinsstörungen oder -trübungen leiden und denen nach dem letzten Satz dieser Verordnungsstelle keine Lenkberechtigung der Gruppe 2 erteilt oder belassen werden darf.

Die belangte Behörde hat diese Frage - ihrer Sachverständigen folgende - bejaht, weil die dem Auftreten epileptischer Anfälle zugrunde liegende Hirnstörung auch bei langjähriger Anfallsfreiheit nicht "ausgeheilt" sei und Spätkomplikationen möglich seien.

Darauf kommt es aber nach § 12 Abs. 3 FSG-GV nicht entscheidend an. Unter epileptischen Anfällen "leidet" eine Person nur dann, wenn solche Anfälle wiederholt, wenn auch in unregelmäßigen oder größeren Abständen auftreten, sodass im Zeitpunkt der von der Behörde zu treffenden Entscheidung damit gerechnet werden muss, dass ein solcher Anfall in absehbarer Zeit wieder auftreten kann. Wenn aber, wie im Fall des Beschwerdeführers, seit rund elf Jahren Anfallsfreiheit besteht, während des größeren Teiles dieser Zeit sogar eine ärztliche Therapie gar nicht notwendig war und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines neuerlichen Anfalles im Hinblick auf diese Umstände äußerst gering geworden ist, kann nicht mehr davon die Rede sein, dass die betreffende Person unter epileptischen Anfällen "leidet".

Die dem angefochtenen Bescheid offenbar zugrunde liegende Auffassung der belangten Behörde, dass auch ein einmaliger Anfall die Erteilung einer Lenkberechtigung der Gruppe 2 für immer ausschließe, wäre außerdem mit den § 10 Abs. 4 und § 11 Abs. 2 FSG-GV zugrunde liegenden Wertungen nicht vereinbar. Diese Verordnungsstellen schließen die Erteilung einer Lenkberechtigung der Gruppe 2 an Personen, die einen Herzinfarkt erlitten haben oder deren Zuckerkrankheit mit Insulin behandelt werden muss, nicht von vornherein aus. Die Gefahr, dass solche Personen aufgrund ihres Gesundheitszustandes und der davon ausgehenden Auswirkungen die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden können, ist nicht geringer zu veranschlagen als das Risiko durch eine Person wie den Beschwerdeführer, der mehr als ein Jahrzehnt anfallsfrei gewesen ist und hinsichtlich dessen keine Bedenken aus nervenfachärztlicher Sicht geäußert werden.

Die Auslegung des § 12 Abs. 3 FSG-GV durch die belangte Behörde erweist sich nach dem Gesagten als unrichtig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 4. Oktober 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000110043.X00

Im RIS seit

24.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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