TE Vwgh Erkenntnis 2014/3/27 2013/10/0183

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2014
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E13301400;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

32004R0852 Lebensmittelhygiene Anh2 Kap9 Z3;
32004R0852 Lebensmittelhygiene Art4 Abs2;
32004R0852 Lebensmittelhygiene Art5;
62010CJ0382 Albrecht VORAB;
EURallg;
LMSVG 2006 §39 Abs1;
LMSVG 2006 §4 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der H GmbH in Graz, vertreten durch die Lindner & Rock Rechtsanwälte OEG in 8043 Graz, Mariatrosterstraße 87a, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 28. Mai 2013, Zl. UVS 413.12-1/2011-29, betreffend eine Maßnahme nach § 39 LMSVG (weitere Partei: Bundesminister für Gesundheit), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 28. Februar 2011 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 39 Abs. 1 Z. 13 und 14 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz, BGBl. I Nr. 13/2006 (LMSVG), aufgetragen, die "für das Frühstücksbuffet in Selbstbedienung dargebotenen Lebensmittel vor Kontamination zu schützen". Für die Durchführung dieser Maßnahme wurde eine Frist bis zum 20. April 2011 gesetzt.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark wurde einer dagegen erhobenen Berufung gemäß § 39 Abs. 1 Z. 12, 13 und 14 LMSVG iVm Anhang II, Kapitel IX Z. 3 der Verordnung (EG) 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene (im Folgenden: Lebensmittelhygiene-Verordnung) mit der Maßgabe keine Folge gegeben, dass folgende Maßnahme bis 31. Juli 2013 durchzuführen sei: Soweit "das Frühstücksbuffet bisher nicht vor Kontamination geschützt" sei, somit "bezüglich der Gemüseschälchen in Front des Büffets", sei für einen Schutz vor Kontamination ("Spuckschutz") zu sorgen.

Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Beschwerdeführerin in der Berufung u.a. ausgeführt, dass ein Anspucken und Anhauchen der Genussmittel grundsätzlich nicht möglich sei, außer ein Gast hauche bzw. spucke die Genussmittel vorsätzlich an. Derartiges könne auch bei Umsetzung der angeordneten Maßnahme nicht verhindert werden. Es sei eine notorische Tatsache, dass in österreichischen Hotelbetrieben ein Spuckschutz nicht zwingend vorgesehen sei. Das Hotel der Beschwerdeführerin werde unter Einhaltung der im Konzessionserteilungsverfahren aufgetragenen Auflagen geführt. Der Schutz sei insofern gegeben, als das geschulte Personal darauf achte, dass eine Kontamination der Speisen und Genussmittel durch die Hotelbesucher unterbunden werde. Eine Kontaminationsgefahr beim Frühstücksbuffet werde durch ständig gesetzte Reinigungsmaßnahmen und durch ständige Überwachung des Buffets hintangehalten. Bei Entnahme der Speisen müsse der Gast den Spuckschutz beiseiteschieben. Die Erstbehörde habe keine konkrete Vorkehrungsmaßnahme vorgeschrieben; eine unbestimmte Auflage könne aber nicht erfüllt werden.

Die belangte Behörde führte zur Begründung ihrer Entscheidung im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin betreibe das Augartenhotel in Graz. Bei einem Lokalaugenschein am 21. Mai 2013 sei festgestellt worden, dass beim Frühstücksbuffet nunmehr über den offenen Speisen der Wurst- und Käsewaren, der Früchte und der Müslizutaten Plastikhauben angebracht seien. Nur die Gemüsezutaten und Aufstriche, wie "Paprika, Gurken, Tomaten, Schwammerl, etc.", seien an der Vorderseite des Buffets im mittleren Bereich der gekühlten Ablage in freistehenden Schälchen noch ohne Schutz angeboten worden. Diese seien der Gefahr einer Kontamination "durch beim Sprechen abgesonderten Speichel (Tröpfcheninfektion)" ausgesetzt gewesen. Diese Feststellungen würden sich aus dem (im Berufungsverfahren eingeholten) Gutachten eines Sachverständigen vom 23. Mai 2013 sowie aus den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung vom 28. Mai 2013 ergeben.

Aus den getroffenen Feststellungen gehe hervor, dass ein Großteil der bei den Vorkontrollen ungeschützt beim Frühstücksbuffet angebotenen Speisen mittlerweile in Behältnissen mit einer Abdeckung angeboten würden und beim Ortsaugenschein am 21. Mai 2013 nur mehr die Gemüseschälchen an der Vorderseite des Buffets nicht abgedeckt gewesen seien. Da die Beschwerdeführerin die (von der Erstbehörde erlassene) Anordnung mittlerweile zu einem großen Teil erfüllt habe, sei nur mehr "der restliche Teil des Frühstücksbuffets" Gegenstand des Verfahrens. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergebe sich klar, dass bei einem Frühstücksbuffet offen angebotene Speisen der Gefahr ausgesetzt seien, durch "beim Sprechen abgesonderten Speichel (Tröpfcheninfektion)" kontaminiert zu werden. Dieser Gefahr könne durch verschiedene Maßnahmen begegnet werden, wie Abdecken mit Zellophan, Plastikhauben oder Anbringung einer Abdeckung. Die Lebensmittelhygiene-Verordnung schreibe nicht vor, auf welche Weise der Schutz zu bewerkstelligen sei, sondern überlasse dies dem Lebensmittelunternehmer. Daher sei das Berufungsvorbringen, die erstbehördliche Anordnung sei unbestimmt, unzutreffend. Auch das Berufungsvorbringen, wonach der Schutz bei Entnahme der Speisen entfernt werden müsse und dabei eine Kontaminationsmöglichkeit gegeben sei, sei nicht zielführend, zumal es - worauf auch der Sachverständige hinweise - darauf ankomme, dass "ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit" erreicht werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde macht (u.a.) geltend, der erstinstanzliche Bescheid sei nicht durch den gemäß § 39 Abs. 1 LMSVG zuständigen Landeshauptmann ergangen, sondern durch den Bürgermeister der Stadt Graz. Es habe daher (in erster Instanz) eine unzuständige Behörde entschieden. § 25 LMSVG räume dem Landeshauptmann zwar eine Delegationsmöglichkeit ein, diese sei jedoch auf § 39 LMSVG nicht anzuwenden.

Dem ist Folgendes zu erwidern:

Gemäß § 25 Abs. 1 erster Satz LMSVG (in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 95/2010) kann der Landeshauptmann, wenn es Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der amtlichen Kontrolle erfordern, Aufgaben der amtlichen Kontrolle - ausgenommen Schlachttier- und Fleischuntersuchung, Hygienekontrollen von Schlacht-, Zerlegungs- und Wildbearbeitungsbetrieben sowie Rückstandskontrollen bei lebenden Tieren und Fleisch - mit Verordnung solchen Gemeinden übertragen, die über eigene Aufsichtsorgane im Sinne des § 24 Abs. 3 leg. cit. und - zur Setzung von mit Bescheid zu erlassenden Maßnahmen gemäß § 39 leg. cit. - über andere Bedienstete verfügen. Gemäß § 98 Abs. 1 LMSVG gelten (u.a.) Verordnungen auf Grund des LMG 1975 als auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassen.

Mit § 1 der auf Grund des § 35 Abs. 3 LMG 1975 ergangenen Verordnung des Landeshauptmannes der Steiermark vom 14. April 1982, LGBl. Nr. 17/1982, wurden der Stadtgemeinde Graz sämtliche Aufgaben der Überwachung des Verkehrs mit den durch das LMG 1975 erfassten Waren für den Bereich der Landeshauptstadt Graz übertragen. Die genannte Verordnung gilt daher gemäß § 98 Abs. 1 LMSVG als eine solche nach § 25 Abs. 1 LMSVG. Dass eine Delegation, wie von der Beschwerde ohne Begründung behauptet, im Bereich der Maßnahmen nach § 39 LMSVG nicht erfolgen dürfe, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Der diesbezügliche Beschwerdeeinwand trifft daher nicht zu. Dennoch ist die Beschwerde - im Ergebnis - berechtigt:

Gemäß § 4 Abs. 1 LMSVG sind die in der Anlage genannten unmittelbar anwendbaren Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen dieses Bundesgesetzes zu vollziehen. Die Anlage zum LMSVG nennt in ihrem Teil 2 u.a. die Lebensmittelhygiene-Verordnung.

Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Lebensmittelhygiene-Verordnung haben Lebensmittelunternehmer, die auf Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln tätig sind, die den in Abs. 1 geregelten Arbeitsgängen (der Primärproduktion) nachgeordnet sind, (u.a.) die allgemeinen Hygienevorschriften gemäß Anhang II zu erfüllen. Im Anhang II dieser Verordnung ist im Kapitel IX unter Z. 3 geregelt, dass Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen sind, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre. Nach Art. 5 Abs. 1 der Lebensmittelhygiene-Verordnung haben die Lebensmittelunternehmer ein oder mehrere ständige Verfahren, die auf den HACCP-Grundsätzen beruhen, einzurichten, durchzuführen und aufrecht zu erhalten. Einer dieser Grundsätze ist der in Art. 5 Abs. 2 lit. a der zitierten Verordnung geregelte, wonach Gefahren zu ermitteln sind, die vermieden, ausgeschaltet oder auf ein annehmbares Maß reduziert werden müssen.

Der EuGH hat mit Urteil vom 6. Oktober 2011 in der Rechtssache C-382/10, Erich Albrecht und andere gegen Landeshauptmann von Wien, Folgendes ausgesprochen:

"Anhang II Kapitel IX Nr. 3 der (Lebensmittelhygiene-Verordnung) ist dahin auszulegen, dass in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren bei Selbstbedienungsverkaufsboxen für Brot- und Gebäckstücke der Umstand, dass ein potentieller Käufer die zum Verkauf angebotenen Lebensmittel denkmöglich mit bloßen Händen berühren oder sie anniesen kann, für sich allein nicht die Feststellung erlaubt, dass diese Lebensmittel nicht vor Kontaminationen geschützt sind, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre."

Dazu führte der EuGH im Wesentlichen aus, Anhang II Kapitel IX Z. 3 iVm Art. 4 Abs. 2 der Lebensmittelhygiene-Verordnung müsse so ausgelegt werden, dass Art. 5 der zitierten Verordnung seiner praktischen Wirksamkeit nicht beraubt werde. Daraus folge, dass in einer Situation wie in den Ausgangsverfahren, in der nicht ersichtlich sei, dass von den zuständigen Behörden eine tatsächliche Kontamination festgestellt worden sei, aus der bloßen Feststellung, dass ein potentieller Käufer die zum Verkauf angebotenen Lebensmittel denkmöglich mit bloßen Händen berühren oder sie anniesen könne, nicht auf einen Verstoß gegen Anhang II Kapitel IX Z. 3 der zitierten Verordnung geschlossen werden könne, ohne die Maßnahmen zu berücksichtigen, die der Unternehmer nach Art. 5 der Verordnung getroffen habe, um die Gefahr, die eine Kontamination im Sinn der zitierten Verordnungsbestimmung darstellen könne, zu vermeiden, auszuschalten oder auf ein annehmbares Maß zu reduzieren, und ohne dass die Unzulänglichkeit der insoweit ergriffenen Maßnahmen unter Berücksichtigung aller verfügbaren einschlägigen Informationen festgestellt werde. Dazu sei festzuhalten, dass insbesondere nicht auf die Unzulänglichkeit der ergriffenen Maßnahmen geschlossen werden könne, ohne die Gutachten gebührend zu berücksichtigen, die der betroffene Lebensmittelunternehmer gegebenenfalls vorgelegt habe, um die hygienische Unbedenklichkeit solcher Selbstbedienungsverkaufsboxen nachzuweisen (Rz 21 ff).

Diese Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall insoweit übertragbar, als der Umstand, dass die (offen) zur Konsumation angebotenen Lebensmittel im Rahmen eines Frühstücksbuffets denkmöglich durch "beim Sprechen abgesonderten Speichel (Tröpfcheninfektion)" verunreinigt werden können, für sich allein nicht die Feststellung erlaubt, dass diese Lebensmittel nicht vor Kontaminationen geschützt sind, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre.

Die belangte Behörde vertrat - ohne näher auf das oben dargestellte Berufungsvorbringen zu den von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Maßnahmen einzugehen und ohne eine tatsächliche Kontamination festzustellen - die Auffassung, dass die hier in Rede stehenden Lebensmittel ("Gemüsezutaten und Aufstriche") schon durch die Feilhaltung in (offenen) Schälchen im Rahmen eines Frühstückbuffets auf Grund der Möglichkeit, durch "beim Sprechen abgesonderten Speichel (Tröpfcheninfektion)" verunreinigt zu werden, nicht ausreichend vor Kontaminationen im Sinn von Kapital IX Z. 3 des Anhanges II der Lebensmittelhygiene-Verordnung geschützt würden.

Damit hat die belangte Behörde den - vom EuGH mit dem zitierten Urteil im dargestellten Sinn klargestellten - Inhalt der Bestimmung des Anhanges II Kapitel IX Z. 3 der Lebensmittelhygiene-Verordnung verkannt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. November 2011, Zl. 2009/10/0267, und vom 15. Dezember 2011, Zl. 2010/10/0093).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG (in der hier gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 noch maßgeblichen Fassung, die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 in Geltung stand) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. März 2014

Gerichtsentscheidung

EuGH 62010CJ0382 Albrecht VORAB

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013100183.X00

Im RIS seit

02.05.2014

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten