TE Vwgh Erkenntnis 2014/2/19 2013/22/0037

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Veröffentlicht am 19.02.2014
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

MRK Art8 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des U, vertreten durch Mag. Dieter Johann Hutter, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schlögelgasse 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 2. Oktober 2012, Zl. 161.784/2- III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die bescheiderlassende Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation, auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die bescheiderlassende Behörde aus, die Ehegattin des Beschwerdeführers sei mit den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern am 6. November 2007, der Beschwerdeführer sei am 19. November 2007 von Polen in das österreichische Bundesgebiet eingereist; alle Familienmitglieder hätten am Tag ihrer Einreise Asylanträge gestellt. Diese Anträge seien im Instanzenzug vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheiden vom 11. Jänner 2008 zurückgewiesen worden. Die neuerlich gestellten Anträge seien letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14. März 2011 iVm einer Ausweisung gemäß § 4 AsylG zurückgewiesen worden. Den Beschwerdeführer betreffend hätten die Asylbehörden festgestellt, dass er einen unzulässigen Asylantrag gestellt habe, weil er als Asylberechtigter in Polen bereits Schutz in einem sicheren Drittstaat genieße.

Den nunmehr gegenständlichen Antrag habe der Beschwerdeführer am 16. November 2011 gestellt und damit begründet, dass seit der Ausweisungsentscheidung des Asylgerichtshofes eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten sei. Er könne auf eine abgelegte Sprachprüfung auf dem "Niveau A2" und eine Einstellungszusage sowie auf das Anknüpfen von sozialen Kontakten und den Aufbau eines sozialen Netzwerkes durch den Schul- bzw. Kindergartenbesuch seiner Kinder verweisen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer auf seine gesundheitliche Situation, die seiner Ehegattin und seines minderjährigen Sohnes E. - unter Vorlage diverser psychiatrischer Befunde - hingewiesen. Bezugnehmend auf die Achtung des Familienlebens habe der Beschwerdeführer angegeben, dass neben seiner Kernfamilie, mit der er zusammenlebe, sein Bruder, seine fünf Neffen und sein volljähriger Sohn in Österreich lebten.

Die bescheiderlassende Behörde führte dazu - soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevant - aus, weder zum Bruder und dessen Kindern noch zum volljährigen Sohn des Beschwerdeführers liege ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis vor. Auch habe keine "hinreichend starke Nahebeziehung" erkannt werden können, weil der Beschwerdeführer nicht angegeben habe, mit diesen Familienmitgliedern zusammenzuleben oder ihnen Unterhalt zu gewähren. Darüber hinaus lebe sein volljähriger Sohn mit seiner eigenen Familie zusammen und verfüge ebenfalls über keinen Aufenthaltstitel für Österreich. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachten sozialen Integration sei entgegenzuhalten, dass der nur vorläufig berechtigte Aufenthalt auf einen letztlich unzulässigen Asylantrag vom 19. November 2007 zurückzuführen sei. Sein Aufenthalt sei zumindest als teilweise unrechtmäßig einzustufen. Der Beschwerdeführer sei zu keinem Zeitpunkt berechtigt gewesen, sich auf Dauer in Österreich niederzulassen. Die integrationsbegründenden Aspekte - Besuch eines Deutschkurses, Einstellungsbestätigung und die soziale Vernetzung - während eines ca. fünfjährigen Aufenthaltes würden keine derart außergewöhnlichen Umstände darstellen, dass die persönlichen Interessen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens überwögen. Maßgeblich sei auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens im Ausland und nicht in Österreich verbracht habe. Die von den Kindern des Beschwerdeführers erworbene Integration - insbesondere durch den Schulbesuch - könne dem österreichischen Staat nicht "vorgeworfen" werden, zumal in Österreich eine Schulpflicht bestehe. Bezugnehmend auf die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers, seiner Ehegattin und seines minderjährigen Sohnes sei der Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 14. März 2011 davon ausgegangen, dass in Polen ein Zugang zur Gesundheitsversorgung bestehe. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer im Zuge des Asylverfahrens immer wieder angegeben, dass er in Polen bestens versorgt und betreut worden sei. Gegenteiliges habe er im Niederlassungsverfahren nicht vorgebracht.

Gegen den angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Der Verwaltungsgerichthof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die bescheiderlassende Behörde erwogen:

Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Weiters ist festzuhalten, dass angesichts der Erlassung des angefochtenen Bescheides (10. Oktober 2012) die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden sind.

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 9 NAG ist u.a. davon abhängig, dass dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der behördlichen Interessensabwägung und führt im Wesentlichen aus, die bescheiderlassende Behörde habe eine ausreichende Würdigung der vom Beschwerdeführer besuchten Deutschkurse auf dem "Niveau A2" und der Einstellungszusage als Botenfahrer unterlassen. Der Beschwerdeführer sei sowohl von seinem Heimatstaat als auch von Polen entwurzelt und habe seinen neuen Lebensmittelpunkt nunmehr in Österreich. Die bescheiderlassende Behörde berücksichtige auch nicht ausreichend die Situation seiner drei minderjährigen Kinder. Der Umstand, dass nahezu die gesamte Familie (der volljährige Sohn, der Bruder und fünf Neffen des Beschwerdeführers) in Österreich aufhältig sei, stelle einen als wesentlich zu würdigenden Punkt dar. Mittlerweile habe der volljährige Sohn und dessen Familie Asyl bekommen und halte sich rechtmäßig in Österreich auf. Entgegen den Ausführungen der bescheiderlassenden Behörde bestehe zwischen dem Beschwerdeführer und seinem volljährigen Sohn eine hinreichend starke Nahebeziehung; sie hätten sowohl in Polen als auch in Österreich - bis zur Zuerkennung des Asylstatus an den Sohn - im selben Haushalt gelebt. Auch wenn der Sohn nunmehr in einem eigenen Haushalt lebe, bestehe zwischen ihnen nach wie vor eine über die übliche Bindung hinausgehende familiäre Beziehung. Die bescheiderlassende Behörde habe diesbezüglich Ermittlungsschritte unterlassen und das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens - insbesondere in Bezug auf den volljährigen Sohn - nicht näher "beleuchtet". Eine "Zerstückelung" der Familie würde einen immensen Eingriff in deren Privat- und Familienleben darstellen; eine gegenseitige soziale und finanzielle Unterstützung sei nicht mehr möglich. Auch die drei minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers fühlten sich ihrem älteren Bruder sehr nahe und könnten durch dessen Anwesenheit und Unterstützung in der Entwicklung nur profitieren. Die bescheiderlassende Behörde habe auch nicht geprüft, in welchem Ausmaß die Integration des Beschwerdeführers und dessen Familie stattgefunden habe.

Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde nicht, das Ergebnis der behördlichen Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK in Zweifel zu ziehen.

Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 14. März 2011 gemeinsam mit seiner Ehegattin und ihren drei minderjährigen Kindern aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegattin und die minderjährigen Kinder über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügten, ergeben sich aus den Verwaltungsakten nicht; vielmehr bestätigte der Asylgerichtshof in einer Mitteilung vom 29. April 2013, dass für den Beschwerdeführer, seine Ehegattin und die drei minderjährigen Kinder durchsetzbare Ausweisungsentscheidungen vorlägen. Gegenteiliges wurde auch vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht.

Angesichts dessen ist der bescheiderlassenden Behörde zuzustimmen, dass durch die Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels kein Eingriff in das Familienleben - bezogen auf die Kernfamilie - des Beschwerdeführers vorliegt, weil die gesamte Kernfamilie des Beschwerdeführers (Ehegattin und die drei minderjährigen Kinder) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0677, und vom 26. Februar 2013, Zl. 2012/22/0239).

Der Beschwerdeführer machte auch die familiären Bindungen zu seinem volljährigen Sohn, zu seinem Bruder und dessen Kindern geltend.

Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423, mit Hinweisen auf Judikatur des EGMR). Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. April 2011, Zl. 2011/01/0093).

Bezüglich des bereits volljährigen Sohnes verneinte die bescheiderlassende Behörde eine "hinreichend starke Nahebeziehung" und stellte fest, dass der Beschwerdeführer seinem Sohne weder Unterhalt gewähre noch mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Darüber hinaus habe der volljährige Sohn eine eigene Familie und lebe mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Diesen Feststellungen trat der Beschwerdeführer nicht entgegen. Er stellte auch nicht dar, auf Grund welcher Umstände eine "über die übliche Bindung hinausgehende familiäre Beziehung" vorliege, die eine Erteilung eines Aufenthaltstitels geboten erscheinen lasse.

Den Bruder des Beschwerdeführers und dessen Kinder betreffend berücksichtigte die bescheiderlassende Behörde, dass der Beschwerdeführer mit diesen weder in einem gemeinsamen Haushalt lebe noch eine Unterhaltsgewährung bestehe. Der Beschwerdeführer legte auch diesbezüglich nicht dar, worin die über die normalen gefühlsmäßigen Beziehungen hinausgehende "Abhängigkeit" bestehen soll; eine solche ist auch den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.

Aus welchem Grund eine finanzielle Unterstützung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Kernfamilie nach deren Ausweisung nach Polen, wo ihnen Asyl zuerkannt wurde, einerseits und den übrigen Familienmitgliedern andererseits nicht mehr möglich sein sollte, wurde nicht dargelegt. Auch die sozialen Kontakte können - wenn auch eingeschränkt - durch Telefonate und Besuche gepflogen werden.

Wenn die bescheiderlassende Behörde daher das Vorliegen einer "hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung" bzw. ein über die üblichen Bindungen hinausgehendes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seinem volljährigen Sohn, seinem Bruder und seinen Neffen verneinte, kann dies nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Entgegen den Beschwerdeausführungen nahm die bescheiderlassende Behörde auf die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers auf Niveau A2 sowie die Einstellungszusage ausreichend Bedacht und kam zutreffend zu dem Ergebnis, dass die dadurch erzielte Integration keinen solchen Grad erreicht, dass dem Beschwerdeführer der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wäre.

Gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers, seiner Ehegattin und seines minderjährigen Sohnes E. wurden in der Beschwerde nicht mehr vorgebracht, weshalb auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht einzugehen war.

Die Auffassung der bescheiderlassenden Behörde, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht als geboten erscheinen lassen, ist nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. I Nr. 8/2014.

Wien, am 19. Februar 2014

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013220037.X00

Im RIS seit

14.03.2014

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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