TE Vwgh Erkenntnis 2014/1/31 2013/02/0260

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Veröffentlicht am 31.01.2014
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §19 Abs3;
AVG §39 Abs2;
VStG §24;
VStG §51f Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Riedinger und den Hofrat Mag. Dr. Köller sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Z in W, vertreten durch Mag. Hermann Ortner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4/12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 2. September 2013, Zl. Senat-BN-12-1267, betreffend Übertretungen der StVO (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis vom 1. August 2012 schuldig erkannt, er habe am 21. April 2012 um

13.10 Uhr an einem näher genannten Ort als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Lastkraftwagens 1. das Fahrzeug bei einem Unfall nicht sofort angehalten, obwohl das Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und 2. nicht die nächste Polizeiinspektion vom Verkehrsunfall mit Sachschaden ohne unnötigen Aufschub verständigt, obwohl das Verhalten am Unfallort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und ein gegenseitiger Nachweis von Name und Anschrift nicht erfolgt sei. Er habe dadurch 1. § 4 Abs. 1 lit. a iVm § 99 Abs. 2 lit. a StVO und 2. § 4 Abs. 5 iVm § 99 Abs. 3 lit. b StVO verletzt, wofür über den Beschwerdeführer Geldstrafen von 1. EUR 220,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 108 Stunden) und 2. von EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 69 Stunden) verhängt wurden.

In seiner dagegen erhobenen - als Einspruch bezeichneten - Berufung hat der Beschwerdeführer zwei Zeugen mit Namen und Anschrift namhaft gemacht.

Die belangte Behörde hat für den 22. August 2013 eine mündliche Verhandlung anberaumt und unter anderen den Beschwerdeführer geladen.

Mit Fax-Nachricht vom 12. August 2013 teilte der Beschwerdeführer der belangten Behörde mit, dass er zur Verhandlung am 22. August 2013 nicht kommen könne, er sei krank, habe eine Untersuchung und ersuche um Verlegung der mündlichen Verhandlung auf einen Termin nach dem 7. September 2013.

Im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2013 hat die belangte Behörde festgehalten, dass der Beschwerdeführer trotz ausgewiesener Ladung zur Verhandlung nicht erschienen sei; die Verhandlung werde daher gemäß § 51f Abs. 2 VStG in seiner Abwesenheit durchgeführt. In dieser Verhandlung wurde ein Zeuge vernommen und der angefochtene Bescheid verkündet, mit dem die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen hat.

In der Begründung der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde unter anderem aus, der Beschwerdeführer habe trotz ausgewiesener Ladung an der Verhandlung am 22. August 2013 nicht teilgenommen. Er habe mit Telefax vom 12. August 2013 bekannt gegeben, dass er krank sei, er habe aber keine ärztliche Bestätigung vorgelegt. Gemäß § 51f Abs. 2 VStG sei die Verhandlung daher in seiner Abwesenheit durchgeführt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer unter anderem die Bestätigung einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23. Oktober 2013 vor, wonach der Beschwerdeführer am 15. August 2013 und am 22. August 2013 ihre Ordination besucht habe. Bei letzterem Besuch sei beim Beschwerdeführer eine "Streptococcus angina" mit Fieber über 39 Grad C und "Tachycardie" diagnostiziert und als Therapie eine Infusion und eine "Antibiotische Peroraletherapie" verordnet worden.

Der Beschwerdeführer rügt als Verfahrensmangel, er sei persönlich nicht in der mündlichen Verhandlung einvernommen worden. Er habe sich vorweg für die Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt, er sei durch Krankheit an der Teilnahme verhindert gewesen.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat über die vom Beschwerdeführer erhobene Berufung eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Es hindert nach § 51f Abs. 2 VStG weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses, wenn die Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Berufungsverhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine ordnungsgemäße Ladung.

Nach dem auch im Verwaltungsstrafverfahren (vgl. § 24 VStG) anzuwendenden § 19 Abs. 3 erster Satz AVG hat derjenige, der nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten.

Die Partei hat im Falle einer ordnungsgemäßen Ladung zwingende Gründe für das Nichterscheinen darzutun. Die Triftigkeit des Nichterscheinens zu einer Verhandlung muss überprüfbar sein (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 2010, Zl. 2009/02/0292). Das Vorliegen eines geltend gemachten Rechtfertigungsgrundes im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG ist von der Behörde von Amts wegen zu erforschen (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, in E 58 ff zu § 19 AVG zitierte hg. Judikatur).

Nur das Vorliegen eines der im § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe kann das Nichterscheinen einer geladenen Person rechtfertigen, weil nur in diesem Fall in Bezug auf die behördliche Ladung nicht mehr von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die gemäß § 51f Abs. 2 VStG zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden kann (vgl. Erkenntnis vom 16. Oktober 2009, Zl. 2009/02/0019).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde zum Entschuldigungsschreiben des Beschwerdeführers zum Ausdruck gebracht, dass sie dem geltend gemachten Rechtfertigungsgrund deshalb keinen Glauben schenkt, weil der Beschwerdeführer keine ärztliche Bestätigung vorgelegt hat.

Damit hat die belangte Behörde gegen ihre Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des Rechtfertigungsgrundes verstoßen. Ist die belangte Behörde nämlich beweiswürdigend davon ausgegangen, dass die Entschuldigung des Beschwerdeführers ohne ärztliche Bestätigung nicht glaubwürdig sei, hätte sie den unvertretenen Beschwerdeführer auffordern müssen, eine solche - nunmehr vorliegende - ärztliche Bestätigung beizubringen (vgl. das Erkenntnis vom 3. September 2003, Zl. 2001/03/0178).

Nach dieser Bestätigung hatte der Beschwerdeführer am Verhandlungstag Fieber von über 39 Grad  C. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass bei einem solchen Zustand nicht von vorneherein von keinem begründeten Hindernis im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG auszugehen ist, das den Beschwerdeführer vom Erscheinen zur mündlichen Verhandlung abgehalten hat.

Der aufgezeigte Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil der Beschwerdeführer im Unterschied zu der Zeugenaussage seines Unfallgegners in der mündlichen Verhandlung bei der belangten Behörde etwa gemäß der Niederschrift vom 22. Mai 2012 bei der BH B aussagte, er habe sein Fahrzeug sofort nach der Berührung der beiden Außenspiegel angehalten und gemeinsam mit dem anderen Fahrzeuglenker (Zeuge) die Außenspiegel besichtigt. Es sei vereinbart worden, dass jeder mit seinem Fahrzeug zur Polizei fahre. Dann sei die Anhaltung durch die Polizei erfolgt.

Da die beiden in der Berufung namhaft gemachten Zeugen nach den Behauptungen des Beschwerdeführers in seinem Fahrzeug Beifahrer gewesen seien, bildet auch die Unterlassung von deren Einvernahme einen Verfahrensmangel, weil diese das Vorbringen des Beschwerdeführers unter Beweis hätten stellen können, während die belangte Behörde ohne deren Einvernahme zu anders lautenden, für den Beschwerdeführer nachteiligen Feststellungen gekommen ist.

Die belangte Behörde hat daher Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Aus dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift für ihre Ansicht ins Treffen geführten bereits zitierten Erkenntnis vom 16. Oktober 2009, Zl. 2009/02/0019, ist für den Beschwerdefall schon deshalb nichts zu gewinnen, weil der Beschwerdeführer dort während des gesamten Berufungsverfahrens anwaltlich vertreten gewesen ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht nach § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, idF BGBl. II Nr. 8/2014 auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Jänner 2014

Schlagworte

Ermittlungsverfahren AllgemeinAllgemein"zu einem anderen Bescheid"

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2014:2013020260.X00

Im RIS seit

03.03.2014

Zuletzt aktualisiert am

24.03.2014
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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