TE Vwgh Erkenntnis 2000/10/18 97/08/0475

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Veröffentlicht am 18.10.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §44 Abs1 Z3;
ASVG §44 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des C in L, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Ebendorferstraße 7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 25. April 1997 (richtig: 26. Juni 1997), Zl. 5-s26n34/6-97, betreffend Nachentrichtung von Beiträgen (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer den Aufwand von S 13.250,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist seit dem 1. Jänner 1994 als selbständiger Musiker im Sinne des § 4 Abs. 3 Z 3 ASVG zur Pflichtversicherung gemeldet. Mit Bescheid vom 11. Februar 1997 sprach die Steiermärkische Gebietskrankenkasse aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 410 Abs. 1 Z 7 in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG verpflichtet sei, "ausgehend von der in § 25 Abs. 5 GSVG festgelegten Beitragsgrundlage - das sind im Kalenderjahr 1996 somit S 12.452,-- monatlich - für die Beitragszeiträume Jänner bis September 1996 die in der Beitragsnachverrechnungsanzeige vom 12. 11. 1996 ausgewiesenen Beiträge in Höhe von insgesamt S 18.879,09 nachzuentrichten". Die Beitragsnachverrechungsanzeige vom 12. November 1996 bilde einen integrierenden Bestandteil dieses Bescheides.

Die belangte Behörde gab dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und führte begründend aus, "dass bei den den Dienstnehmern gleichgestellten selbständig Erwerbstätigen im Sinne des § 4 Abs. 3 ASVG als Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge nach § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG das Erwerbseinkommen zu gelten hat" und diesbezüglich nach der - im bekämpften Bescheid zitierten - verwaltungsgerichtlichen Judikatur die beitragsrechtlichen Vorschriften des GSVG analog heranzuziehen seien. Demnach habe als Beitragsgrundlage ein Zwölftel jenes Einkommens zu gelten, das im Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Kalenderjahres ausgewiesen werde. Als Mindestbeitragsgrundlage sei der in § 25 Abs. 5 GSVG genannte Betrag (1996: S 12.452,-- monatlich) heranzuziehen. Die Mindestbeitragsgrundlage sei gemäß § 25a Abs. 1 GSVG auch dann anzuwenden, wenn - wie im Beschwerdefall -ein Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Jahres noch nicht vorliege, weil die die Pflichtversicherung begründende Tätigkeit noch nicht mehr als drei Jahre ausgeübt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen sie jeweils die Abweisung der Beschwerde beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 14. Oktober 1999, G 36/99, ausgesprochen, dass die Worte "Musiker und" in § 4 Abs. 3 Z 3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 i.d.F. BGBl. Nr. 157/1958, wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot des Art. 18 B-VG verfassungswidrig waren. Dieses Erkenntnis ist aber für den vorliegenden Fall außer Betracht zu lassen, weil der vorliegende Beschwerdefall kein Anlassfall des genannten verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses war und der Verfassungsgerichtshof auch nicht angeordnet hat, dass die verfassungswidrige Norm auch auf vor ihrem Außerkrafttreten verwirklichte Tatbestände nicht mehr anzuwenden sei (vgl. dazu etwa den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 16. April 1998, B 467/98; aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 21. September 1999, Zlen. 97/08/0069, 0070).

§ 44 Abs. 1 Z 3 in der Fassung BGBl. Nr. 201/1967 lautet:

"(1) Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) ist für Pflichtversicherte, sofern im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende auf volle Schilling gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt:

1.

...

2.

...

3.

bei den den Dienstnehmern nach § 4 Abs. 3 gleichgestellten Personen (§ 4 Abs. 1 Z 6), bei den nach § 7 Z 3 lit. c in der Unfallversicherung teilversicherten öffentlichen Verwaltern und bei den nach § 8 Abs. 1 Z 4 in der Kranken- und Unfallversicherung teilversicherten bildenden Künstlern das Erwerbseinkommen, das diese Personen aus der die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung erzielen;

(...)."

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 13. März 1968, Slg. Nr. 7310/A, und vom 29. April 1971, Zl. 1812/70, die Auffassung, dass das gemäß § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 201/1967 die allgemeine Beitragsgrundlage bildende Erwerbseinkommen des Beschwerdeführers, der als selbständiger Musiker gemäß § 4 Abs. 3 Z 3 leg. cit. den Dienstnehmern gleichgestellt sei, unter analoger Heranziehung der beitragsrechtlichen Vorschriften des GSVG zu ermitteln sei. Da der Beschwerdeführer erst seit dem 1. Jänner 1994 zur Pflichtversicherung gemeldet sei, könne zur Bildung der Beitragsgrundlage für das Kalenderjahr 1996 kein Einkommensteuerbescheid des drittvorangegangenen Kalenderjahres (1993) im Sinne des § 25 Abs. 1 GSVG herangezogen werden, sodass als Beitragsgrundlage die in § 25 Abs. 5 GSVG genannte Mindestbeitragsgrundlage von S 12.452,-- monatlich (für das Jahr 1996) heranzuziehen sei.

Die Beschwerde hält dem entgegen, dass das tatsächliche Erwerbseinkommen des Beschwerdeführers für die Ermittlung der Beitragsgrundlage heranzuziehen gewesen wäre, was zu einem gänzlichen Entfall, allenfalls zu einer weitaus niedrigeren Nachverrechnung von Beiträgen geführt hätte. Der Gesetzeswortlaut des § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG biete keinen Raum dafür, in analoger Anwendung der beitragsrechtlichen Bestimmungen des GSVG fiktive Beitragsgrundlagen i.S.d. § 25 Abs. 5 GSVG heranzuziehen.

In dem bereits zitierten hg. Erkenntnis vom 13. März 1968 hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Ermittlung des Erwerbseinkommens aus einer Tätigkeit als selbstständige Hebamme im Sinne des § 4 Abs. 3 Z 1 ASVG ausgesprochen, dass unter Erwerbseinkommen nur die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit im Sinn des § 2 Abs. 3 Z 3 EStG verstanden werden könnten. Diese seien als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben Nettoeinkünfte. Zur Ermittlung des Erwerbseinkommens der den Dienstnehmern nach § 4 Abs. 3 ASVG gleichgestellten Personen biete sich nach den Auslegungsregeln des § 7 ABGB als ähnlicher, in den Gesetzen bestimmt geregelter Fall die Regelung der Beitragsgrundlage nach § 17 GSPVG an. Danach sei Grundlage für die Bemessung der Beiträge in der Pensionsversicherung der auf den Beitragsmonat entfallende Teil der Einkünfte aus der die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeit in dem dem Kalenderjahr, in das der Beitragsmonat falle, drittvorangegangenen Kalenderjahr. Hiebei seien die für die Bemessung der Einkommensteuer herangezogenen Einkünfte des Pflichtversicherten zu Grunde zu legen. Da das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz hierüber keine Bestimmung enthalte, bestünden im Hinblick auf die im hg. Erkenntnis vom 10. Februar 1960, Slg. Nr. 5201/A, entwickelten Gedankengänge keine Bedenken dagegen, im Wege der Analogie auch die Bestimmung des § 17 Abs. 4 GSPVG über die Mindestbeitragsgrundlage heranzuziehen.

Diese auf einer nicht mehr geltenden Rechtslage aufbauenden Überlegungen nahmen auch darauf Bedacht, dass die nach dem ASVG kranken- und unfallversicherten bildenden Künstler, auf deren "Erwerbseinkommen" es - nur hinsichtlich dieser Teilversicherung - nach § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG ebenfalls ankam, in der Pensionsversicherung dem § 17 GSPVG unterlagen und damit nach der damaligen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes einen analogiefähigen "im Gesetz geregelten ähnlichen Fall" bildeten.

Für den vorliegenden Fall geht der Verwaltungsgerichtshof zunächst davon aus, dass der in § 44 Abs. 1 Z 3 ASVG nicht definierte und ohne nähere Bezugnahme auf die Vorschriften des Einkommensteuerrechts verwendete Begriff des Erwerbseinkommens nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu verstehen ist (vgl. zum Begriff des Einkommens, wie er im Arbeitslosenversicherungsgesetz verwendet wird, das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 97/08/0628).

Soweit daher - wie im vorliegenden Fall - nicht der Zusammenhang mit anderen Rechtsvorschriften bzw. systematische oder teleologische Überlegungen etwas anderes gebieten, ist zunächst von der Bedeutung dieses Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch, da es sich um einen Begriff der Nationalökonomie handelt, auch unter Bedachtnahme auf den entsprechenden fachlichen Sprachgebrauch auszugehen. Danach sind Einkommen die einer Wirtschaftseinheit in einer Zeitperiode als Gegenleistung für ihre Beteiligung am volkswirtschaftlichen Produktionsprozess zufließenden Geldbeträge, Güter oder Nutzungen, die ohne Schmälerung des Vermögens zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse verwendet werden können (vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 7, "Einkommen" 520). Selbst der umfassende fiskalische Einkommensbegriff umfasst grundsätzlich nur solche Einkünfte als Einkommen, welche die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaftseinheit erhöhen (vgl. Meyers Enzykl. Lex., aaO, 521); eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit einer Wirtschaftseinheit liegt aber insoweit nicht vor, als dem Geldzufluss etwa ein wertgleicher Sachabfluss gegenübersteht. Auch das Einkommensteuergesetz geht im Sinne dieser Überlegungen von einem Wertzuwachs als Gegenstand der Besteuerung aus (vgl. Doralt, Einkommensteuergesetz , Rdz 2 zu § 2).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt hingegen - insoweit in Abkehr von der zitierten Vorjudikatur - für die hier anzuwendende neue Rechtslage nicht die Auffassung, dass für die konkrete Ermittlung des Erwerbseinkommens an Stelle des nicht mehr dem Rechtsbestand angehörenden § 17 Abs. 4 GSPVG nunmehr der als analogiefähige Nachfolgebestimmung betrachtete, eine Mindestbeitragsgrundlage festsetzende § 25 Abs. 5 GSVG in der hier maßgebenden Fassung der 21. Novelle zum GSVG, BGBl. Nr. 412/1996, heranzuziehen wäre. Dem § 44 Abs. 1 ASVG kann auch weder ein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass eine "vorläufige" allgemeine Beitragsgrundlage nach Maßgabe der § 25a Abs. 1 i.V.m.

§ 25 Abs. 5 GSVG zu bilden wäre, noch einer dafür, dass bei Vorliegen der notwendigen Nachweise an die Stelle dieser vorläufigen Beitragsgrundlage im Sinne des § 25a GSVG eine endgültige Beitragsgrundlage treten solle, die gemäß § 25a GSVG insbesondere unter Berücksichtigung des § 25 Abs. 5 GSVG, also zumindest in Höhe der in dieser Gesetzesstelle genannten Beitragsgrundlage, festzusetzen wäre.

Der "Arbeitsverdienst" (das "Erwerbseinkommen") und damit die allgemeine Beitragsgrundlage nach dem § 44 Abs. 1 ASVG ist nach den oben dargestellten grundsätzlichen Überlegungen im Falle des Beschwerdeführers in der Weise zu errechnen, dass jeweils für den Zeitraum seiner Tätigkeit als Musiker (§ 10 Abs. 5 und § 12 Abs. 4 ASVG) in dem Kalenderjahr, in dem der Beitragszeitraum (gemäß § 44 Abs. 2 ASVG der Kalendermonat, der einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist) liegt, der auf den Beitragszeitraum entfallende, auf volle Schilling gerundete Durchschnitt des Einkommens zu ermitteln ist. Bei der danach vorzunehmenden Festsetzung der Beiträge ist zu beachten, dass nach § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG die Geringfügigkeitsgrenzen des § 5 Abs. 2 ASVG auch für den einem Dienstnehmer gleichgestellten Beschwerdeführer mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass es statt auf das "Entgelt" auf das "Erwerbseinkommen" im oben genannten Sinn ankommt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Oktober 2000

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 VwRallg7 Erwerbseinkommen Einkommen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997080475.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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