RS Vfgh 2014/2/20 U1990/2013

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Veröffentlicht am 20.02.2014
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AVG §9, §11, §68
AsylG 2005 §10
AsylGHG §23
VfGG §88

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Ausweisung der unter einer psychischen Erkrankung leidenden Beschwerdeführerin nach Armenien wegen aktenwidriger Bejahung der Prozessfähigkeit ohne schlüssige Auseinandersetzung mit begründeten Zweifeln an deren Vorliegen

Rechtssatz

Die Prozessfähigkeit stellt gemäß §9 AVG, der gemäß §23 AsylGHG im Verfahren vor dem AsylGH anwendbar ist, eine Prozessvoraussetzung dar, deren Mangel in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist. Bei begründeten Zweifeln an der Prozessfähigkeit einer Verfahrenspartei muss der AsylGH gemäß §11 AVG iVm §23 AsylGHG die Bestellung eines Sachwalters für das betreffende Verfahren oder für einen weiteren Aufgabenkreis anregen, indem er das zuständige Pflegschaftsgericht ersucht, die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zu prüfen.

Derartige Zweifel liegen hier vor, auf Grund deren sich der AsylGH mit der Frage der Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin auseinandersetzen hätte müssen. Mehrere Arztbriefe und psychiatrische Gutachten attestieren der Beschwerdeführerin eine psychische Erkrankung (paranoide Schizophrenie), das Gutachten vom 23.04.2013 folgert, dass es nur schwer vorstellbar sei, dass die Beschwerdeführerin ihre Interessen alleine vertreten könne. Auch äußerten sowohl die Rechtsberatung als auch die gewillkürte Vertretung im Verfahren vor dem BAA und in der Beschwerde an den AsylGH Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin. Das durch das BAA eingeholte Gutachten kann derartige Zweifel nicht ausräumen, diagnostiziert es doch eine psychische Erkrankung, beantwortet aber ansonsten - entsprechend dem Gutachtensauftrag - nur die Frage, ob eine Überstellung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin lebensbedrohlich wäre, während die Prozessfähigkeit kein Gegenstand der Untersuchung war. Der AsylGH geht auch selbst vom Vorliegen einer psychischen Beeinträchtigung aus.

Eine schlüssige Begründung, warum der AsylGH die Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin angenommen und es unterlassen hat, die Bestellung eines Sachwalters anzuregen, bleibt der AsylGH schuldig.

Die Prozessfähigkeit ist im Übrigen unabhängig von der Frage der Gültigkeit des Vollmachtsverhältnisses zu beurteilen und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen aufzugreifen.

Der AsylGH hat, indem er die Prozessfähigkeit aktenwidrig und ohne schlüssige Auseinandersetzung mit begründeten Zweifeln an deren Vorliegen bejaht hat, seine Entscheidung mit Willkür behaftet. Daran ändert auch nichts, dass es sich um ein Folgeverfahren handelt, ist doch in jedem Verfahren das Vorliegen der Prozessfähigkeit als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen.

Kostenzuspruch; die als "Erhöhungsbeitrag (ERV)" geltend gemachten Kosten sind deshalb nicht zuzusprechen, da diese bereits mit dem Pauschalsatz abgegolten sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Rechts- und Handlungsfähigkeit, Sachwalterbestellung, Bescheidbegründung, res iudicata, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U1990.2013

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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