TE Vfgh Beschluss 2013/11/21 B629/2013

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Veröffentlicht am 21.11.2013
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Index

10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof, Asylgerichtshof

Norm

VfGG §33
ZPO §146 Abs1

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags; kein minderer Grad des Versehens; fehlende Kontrolle der tatsächlichen Sendung bei Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs; Zurückweisung der Beschwerde als verspätet

Spruch

I.              Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II.              Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Beschwerdeführer beantragte am 29. Mai 2013 die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang zur Beschwerdeführung gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, vom 15. April 2013. Diesem Antrag gab der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Juli 2013 statt. Mit Schreiben vom 19. August 2013 – zugestellt am 22. August 2013 – forderte der Verfassungsgerichthof den mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 12. August 2013 bestellten Verfahrenshelfer auf, innerhalb von sechs Wochen eine Beschwerde einzubringen.

Auf Grund der Mitteilung des Verfassungsgerichtshofes vom 31. Oktober 2013, dass bis zu diesem Tag keine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingelangt ist, hielt der Substitut Einschau in seinen elektronischen Akt und stellte fest, dass die Anwaltssoftware die Beschwerde samt Bescheid nicht im elektronischen Rechtsverkehr an den Verfassungsgerichtshof übermittelt hat und er stellte noch am selben Tag durch einen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Schriftsatz einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde. Unter einem erhob der Substitut Beschwerde gegen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Büro II. Instanz, vom 15. April 2013 und legte eine Kopie des angefochtenen Bescheides bei.

2.1. Der Substitut begründet den Wiedereinsetzungsantrag damit, dass die Anwaltssoftware die Sendung zum Versand freigegeben habe. Diese Freigabe erfolge nur, wenn die entsprechenden Daten in die Eingabemaske korrekt eingetragen worden seien. Der aktbearbeitende Mitarbeiter, ein langjährig in dieser Kanzlei tätiger Konzipient, der kurz vor der Rechtsanwaltsprüfung stehe und seine Aufgaben immer derart zuverlässig und genau erfüllt habe, dass er weitgehend selbständig arbeite, habe daher berechtigterweise davon ausgehen können, dass die Anwaltssoftware die Übermittlung der Daten an den Verfassungsgerichtshof erfolgreich durchführen werde. Die Unterlassung der Überprüfung der tatsächlichen Sendung an den Verfassungsgerichtshof stelle daher ein bloß minderes Versehen sowie ein unvorhergesehenes Ereignis gemäß §146 ZPO dar.

In seinem Schriftsatz vom 12. November 2013 ergänzt der Substitut, dass aus dem ERV-Protokoll der Anwaltssoftware hervorgehe, dass die Einbringung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof daran gescheitert sei, dass das Geburtsdatum und das Geschlecht des Beschwerdeführers im elektronischen Akt nicht eingegeben gewesen seien. Die Einbringungsstelle habe die Sendung daher nach erfolgter Prüfung zurückgewiesen. Die Eingabe dieser Daten sei aber nur für die Beschwerdeerhebung an den Verfassungsgerichtshof erforderlich, nicht aber für Eingaben bei ordentlichen Gerichten. Weil die eingegebenen Daten richtig waren, habe die Anwaltssoftware aber – wie im Wiedereinsetzungsantrag ausgeführt – die Sendung freigegeben und den Status der Sendung auf "angenommen" gesetzt. Es könne regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Prüfung der Sendung beim Empfänger ebenfalls positiv ausfalle. Nur zwei der letzten 74 Eingaben via ERV seien fehlgeschlagen – beide seien an den Verfassungsgerichtshof adressiert gewesen, wobei der Übermittlungsfehler in der zweiten an den Verfassungsgerichtshof adressierten Eingabe sofort aufgefallen sei.

2.2. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 Abs1 VfGG idF BGBl I 33/2013 die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO (auch weiterhin) sinngemäß anzuwenden:

Nach §146 Abs1 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers – oder dessen Substituten (vgl. Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² (2002) §146 ZPO Rz 51) – einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

2.3. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 31. Oktober 2013 weg. Mit dem am selben Tag im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.

Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens des Bevollmächtigten im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist. Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, ein Postausgangsbuch anzulegen, um zu verhindern, dass ein für die Postaufgabe bestimmtes Schriftstück am Weg zur Post – aus welchem Grund auch immer – verloren geht, ohne dass dies spätestens bei der Postaufgabe bemerkt wird (VfSlg 15.539/1999).

Dies gilt im selben Maß für die Übermittlung im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs: Weil diese fehleranfällig ist, trifft den Absender die Verpflichtung zur Kontrolle, ob die Eingabe tatsächlich und richtig abgesendet wurde und ob sie auch beim Adressaten eingelangt ist (vgl. zur Kontrolle des Sendeberichts bei der Übermittlung mittels Telefax VwGH 8.7.2004, 2004/07/0100; 30.3.2004, 2003/06/0043; 15.9.2005, 2005/07/0104 bzw. zur Kontrolle des Postausgangsordners bei der Benützung von E-Mail-Programmen VwSlg. 16.834 A/2006). Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, etwa weil sich der Absender mit den technischen Möglichkeiten nicht oder nur unzureichend vertraut gemacht hat, stellt dies jedenfalls ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar.

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist zu entnehmen, dass die in der Kanzlei des Substituten verwendete Anwaltssoftware zwar ein Versendungsprotokoll erstellt, das dem Postausgangsbuch entspricht, dass dieses aber nicht kontrolliert wird, sondern dass sich die Kanzlei mit der Prüfung der Richtigkeit der eingegebenen Daten durch die Anwaltssoftware vor Absendung begnügt. Dadurch hat der Substitut die gebotene Sorgfaltspflicht bei der Einrichtung seines Kanzleibetriebs verletzt. Dies trifft umso mehr zu, als sich aus dem übermittelten Versendungsprotokoll ergibt, dass im selben Monat bereits einmal die Übermittlung eines Antrages an den Verfassungsgerichthof durch denselben Konzipienten gescheitert ist.

2.4. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

3. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, elektronischer Rechtsverkehr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:B629.2013

Zuletzt aktualisiert am

02.12.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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