TE Vfgh Beschluss 2013/10/2 U1815/2013 ua

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Veröffentlicht am 02.10.2013
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Index

10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof, Asylgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 Z7

Leitsatz

Wiederaufnahme eines Verfahrens und Aufhebung des Beschlusses über die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet; Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I.              Die mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12.06.2013, U1014-1015/2013-7, abgeschlossenen Beschwerdeverfahren werden wieder aufgenommen.

II.              Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12.06.2013, U1014-1015/2013-7, wird aufgehoben.

III.              Die Behandlung der Beschwerden wird abgelehnt.

Begründung

Begründung:

I. Sachverhalt und Vorbringen

1. Die Beschwerdeführer brachten mit Schriftsatz vom 18. April 2013, eingelangt beim Verfassungsgerichtshof am 3. Mai 2013, eine Beschwerde gegen zwei Entscheidungen des Asylgerichtshofes, Außenstelle Linz, vom 13. März 2013 ein. Die Beschwerde führte u.a. aus, dass diese Entscheidungen des Asylgerichtshofes den Beschwerdeführern am 18. März 2013 zugestellt worden seien.

2. Da der Poststempel der Beschwerde klar lesbar war ("01.05.2013 03:22:48") und es keinen Beleg für ein anderes Aufgabedatum gab, war davon auszugehen, dass die Beschwerde verspätet eingebracht worden war. Aus diesem Grund wurde die Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. Juni 2013, U1014-1015/2013-7, als verspätet zurückgewiesen.

3. Mit elektronischer Eingabe vom 30. Juli 2013 stellen die Beschwerdeführer nunmehr den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.

4. Begründend führen sie aus, dass die Aufgabe der Postsendung, mit welcher die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof eingebracht wurde, tatsächlich am 29. April 2013 und damit rechtzeitig erfolgt sei. Zum Beleg legen die Beschwerdeführer u.a. eine Kopie der Rechnung über den Versand vom 29. April 2013, versehen mit dem Hinweis "Rechnungsdatum = Leistungsdatum", vor.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (VfSlg 9057/1981, 11.041/1986, 12.306/1990), dass seine Entscheidungen – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Für diese Verfahren sind gemäß §35 VfGG die §§146 und 530 ff ZPO sinngemäß anzuwenden.

2. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Gemäß Abs2 leg. cit. ist die Wiederaufnahme nur zulässig, "wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, [...] die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen".

3. Die Annahme, dass die Postaufgabe der Beschwerde am 1. Mai 2013 erfolgte, führte zur Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung; entgegen dieser Annahme wurde die Beschwerde fristgerecht erhoben.

4. Die richtige Dokumentation des Postaufgabedatums seitens des Postdiensteanbieters wäre geeignet gewesen, die Zurückweisung der Beschwerde zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache ergehen können (VfSlg 12.451/1990, 14.695/1996).

5. Eine Partei – wie auch der Verfassungsgerichtshof selbst – können grundsätzlich die Richtigkeit eines Stempelaufdruckes eines Postdiensteanbieters erwarten. Ohne Verschulden der Beschwerdeführer wurde die Rechnung, die die Aufgabe am 29. April 2013 dokumentiert, erst vorgelegt, als sie von der – auf Grund eines falschen Poststempels erfolgten – Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung Kenntnis erlangten.

6. Die Beschwerdeführer haben die ihnen vom Gesetz auferlegte Sorgfalt bei der Absendung der Beschwerden beachtet. Der Antrag auf Wiederaufnahme wurde auch rechtzeitig gestellt.

7. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2013, U1014-1015/2013-7, war aus diesen Gründen unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben (vgl. VfSlg 19.152/2010).

III. Zur Beschwerde selbst

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144a Abs2 B-VG).

2. Die vorliegenden Beschwerden rügen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben gemäß Art2 EMRK, auf Verbot der Folter gemäß Art3. EMRK, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK sowie in den Rechten auf Leben gemäß Art2 GRC, auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC, auf Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung gemäß Art4 GRC, auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art7 GRC, auf Asyl gemäß Art18 GRC und auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch ein unparteiisches Gericht gemäß Art47 GRC. Darüber hinaus rügen die Beschwerdeführer die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen.

3. Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s. etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen – oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen –, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

4. Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Dasselbe gilt für Art2 EMRK. Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

5. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

6. Der Asylgerichtshof hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg 19.086/2010).

Soweit die Verletzung des Art4 GRC (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) und des Art7 GRC (Achtung des Privat- und Familienlebens) geltend gemacht wird, ist festzuhalten, dass diese Rechte keinen über die oben genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte hinausgehenden Gewährleistungsumfang haben und aus den oben genannten Gründen nicht verletzt werden (zur Anwendbarkeit der Grundrechte-Charta im verfassungsgerichtlichen Verfahren vgl. VfSlg 19.632/2012). Art18 GRC räumt überdies keine über die Genfer Flüchtlingskonvention hinausgehenden Rechte ein.

7. Zur behaupteten Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 verwiesen. Das weitere Vorbringen zur Grundrechte-Charta vermag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern.

8. Auch soweit die Beschwerden verfassungsrechtliche Fragen insofern berühren, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtenen Entscheidungen tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zu §41 Abs7 AsylG 2005 vgl. ebenfalls VfSlg 19.632/2012) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

9. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

10. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §§34, 35 VfGG bzw. §19 Abs3 Z1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

11. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1815.2013

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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