TE Vwgh Erkenntnis 2013/9/11 2012/02/0021

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Veröffentlicht am 11.09.2013
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §5 Abs2 Z1;
StVO 1960 §5 Abs2;
VStG §21 Abs1;
VStG §21;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Senatspräsidentin Dr. Riedinger sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 11. November 2011, Zl. VwSen-166455/4/Br/Th, betreffend Übertretung der StVO 1960 (weitere Partei:

Oberösterreichische Landesregierung, mitbeteiligte Partei: U in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er sich auf die Übertretung der StVO 1960 bezieht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft F. vom 18. Februar 2010 wurde der Mitbeteiligte für schuldig befunden,

1. er habe sich am 31. Jänner 2009 um 13.45 Uhr an einem näher genannten Ort nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organs der Straßenaufsicht geweigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, wobei habe vermutet werden können, dass er zum angeführten Zeitpunkt am angeführten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe,

2. er habe das angeführte Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt, obwohl er nicht im Besitz einer von der Behörde erteilten Lenkberechtigung gewesen sei.

Er habe dadurch zu 1. eine Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960 und zu 2. eine Übertretung des § 1 Abs. 3 FSG begangen, weshalb über ihn jeweils eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 11. November 2011 wurde der Berufung mit der Maßgabe Folge gegeben, dass unter Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wurde.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, am 31. Jänner 2009 sei der näher bezeichnete Pkw von einer Zivilstreife im Rahmen einer Schwerpunktaktion der Kriminalpolizei wahrgenommen worden. Der Mitbeteiligte habe sich in diesem von einem Mann namens A. gelenkten Pkw als Beifahrer an Bord befunden. An einem näher genannten Ort habe dieser Lenker den Pkw abgestellt und sich entfernt. Da die Polizei durch den abgestellten Pkw an der Weiterfahrt behindert worden sei, habe der Polizist dem sich entfernenden Lenker zugerufen, er solle wegfahren.

Dieser Lenker wiederum habe dem Beifahrer signalisiert, dies zu tun. Daraufhin sei der Mitbeteiligte vom Beifahrersitz ausgestiegen und laut Anzeige vor den Augen der Polizeibeamten ca. 15 Meter gefahren, um das Fahrzeug wieder abzustellen. Da den Beamten von vorherigen Amtshandlungen bekannt gewesen sei, dass es sich beim nunmehrigen Lenker um einen "drogenabhängigen Georgier ohne Führerschein" gehandelt habe, sei dieser in der Folge zum Alkotest aufgefordert worden, wobei er vermeint habe, "er sei krank im Kopf und mache keinen Alkotest".

Zusammenfassend lasse sich dieses Ergebnis dahingehend beurteilen, dass offenbar die Beamten diese im Ergebnis von ihnen selbst herbeigeführte Fahrt, offenbar sehenden Auges geduldet und keine Veranlassung gesehen haben dürften, diese allenfalls zu verhindern. Sohin könne der Schluss gezogen werden, dass dahinter wohl keinerlei Gefährdung für Dritte erblickt worden sei, Motive über die unterbliebene Verhinderung dieser Fahrt könnten auf sich bewenden. Dass beim Mitbeteiligten keine Fahrabsicht im eigentlichen Sinn vorgelegen und wohl kein subjektives Unrechtsbewusstsein betreffend eine allfällige Fahruntauglichkeit bzw. seine Führerscheinlosigkeit in der Bewegung des KFZ von nur wenigen Metern vorgelegen habe, könne angesichts der unmittelbaren Anwesenheit der Polizei als erwiesen gelten. Offenbar sei der Mitbeteiligte durch den Zuruf oder das Handzeichen "wegzufahren" im wahrsten Sinne des Wortes in diese Falle getappt, welche für ihn nach nunmehr fast drei Jahren mit Kosten von mehr als 1.500 Euro zu Buche schlagen solle.

Es sei die Tatschuld an der Verweigerung insofern von bloß geringem Umfang zu qualifizieren, weil der Mitbeteiligte vor den Augen der Polizei und darüber hinaus in deren Interesse und auf deren Veranlassung das Fahrzeug wenige Meter bewegt habe und er selbst aus subjektiver Sicht in nachvollziehbarer Weise wohl von keiner substantiellen Lenkeigenschaft ausgegangen sei. Aus der Sicht des Betroffenen sei es daher durchaus nachvollziehbar, dass er angesichts einer nicht vordergründig einleuchtenden Grundlage für einen Alkotest nicht geneigt gewesen sei, diesen auch durchzuführen.

Es hätten mit der Verweigerung objektiv besehen in Wahrheit auch keine nachteiligen Folgen verbunden gewesen sein können. Da die Atemluftuntersuchung nicht als Selbstzweck, sondern letztlich im Kontext mit einem "Lenken in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand und was unter Lenken allgemein verstanden zu werden pflege" in Beziehung zu setzen sei, falle dieses Beziehungsgefüge im Falle des Nachweises des Bewegens eines Fahrzeuges im Ausmaß von einigen Metern in einem allenfalls durch Alkohol oder Suchtmittel - hier wohl, wenn überhaupt, durch Substitol - beeinträchtigten Zustand weg.

Das Absehen von einer Bestrafung scheine daher auch hier im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit geboten. In dem im Rahmen der Beweiswürdigung festgestellten geringen Verschuldens und der fehlenden nachteiligen Tatfolgen, bestehe auf die Anwendung des § 21 VStG letztlich ein Rechtsanspruch.

Gegen das Absehen von der Verhängung einer Strafe nach § 21 Abs. 1 VStG zu Spruchpunkt 1 des Straferkenntnisses (Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960) richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Mitbeteiligte gab keine Äußerung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, die Lenkereigenschaft des Mitbeteiligten sei unbestritten, sei doch der PKW immerhin ca. 15 m gefahren worden. Ob die Lenkereigenschaft dem Mitbeteiligten auch "substantiell" erscheine, bleibe rechtlich unbeachtlich; dies umso mehr, als bereits die (bloße) Inbetriebnahme eines Fahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand verboten sei. Ein Verdacht auf Alkoholisierung sei für die Aufforderung zur Atemluftuntersuchung rechtlich ebensowenig gefordert.

Das gegenständliche Delikt (Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960) sei als Ungehorsamsdelikt zu qualifizieren und stelle somit eine Durchbrechung des im Verwaltungsstrafrecht normierten Verschuldensprinzips dar. Schon die bloße Zuwiderhandlung gegen ein Verbot oder die Nichtbefolgung eines Gebotes ziehe die Strafe nach sich, falls der Täter nicht beweise, dass ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei.

Wenn die belangte Behörde ausführe, dass der Mitbeteiligte erst aufgrund der Aufforderung der Polizisten, den verkehrsbehindernd abgestellten PKW wegzufahren, das Fahrzeug gelenkt habe, so sei dem entgegenzuhalten, dass dem eine aktenwidrige Interpretation des festgestellten Sachverhaltes zugrunde liege. Eine direkte Aufforderung an den Mitbeteiligten, der ursprünglich nur Beifahrer gewesen sei, sei nach der Aktenlage nicht ergangen, sondern die Aufforderung sei an den ursprünglichen Lenker des Fahrzeuges gerichtet worden und dieser wiederum habe in der Folge seinen Beifahrer - den Mitbeteiligten - aufgefordert, das Fahrzeug wegzustellen. Die Prüfung allfälliger rechtlicher Folgen einer direkten Aufforderung der Polizeibeamten an den Mitbeteiligten könne daher unterbleiben.

Unbestritten geblieben ist, dass der Mitbeteiligte unmittelbar vor der Aufforderung zum Alkomattest das Fahrzeug des A. auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr in Betrieb nahm und dieses ca. 15 m lenkte und der Aufforderung zum Alkomattest nicht nachgekommen ist. Ferner stellte bereits die Behörde erster Instanz im Straferkenntnis aufgrund der Angaben der einschreitenden Polizeibeamten in der Anzeige vom 2. Februar 2009 mehrere Alkoholisierungsmerkmale des Mitbeteiligten zum Tatzeitpunkt fest. Diese Feststellungen vermochte der Mitbeteiligte im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens nicht zu widerlegen.

Gemäß § 5 Abs. 2 Z. 1 StVO 1960 sind Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben, zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung zu § 5 Abs. 2 zweiter Satz StVO 1960, dass der bloße Verdacht, der Aufgeforderte habe ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt, ausreicht. Der Verdacht muss sich demnach einerseits auf die Alkoholisierung und andererseits auf das Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand beziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2012, Zl. 2011/02/0046).

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung reicht das Vorliegen eines Alkoholisierungsmerkmales zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Ablegung der Atemluftprobe und für die nach § 5 Abs. 2 zweiter Satz StVO 1960 geforderte Vermutung aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2008, Zl. 2007/02/0357).

Die Behörde erster Instanz ging hinsichtlich der Übertretung nach Spruchpunkt 1 des Straferkenntnisses (Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960) von einem fahrlässigen Verhalten des Beschwerdeführers aus.

Gemäß § 21 Abs. 1 VStG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013, kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

Voraussetzung für die Anwendung des § 21 Abs. 1 VStG ist das kumulative Vorliegen beider in dieser Gesetzesstelle genannten Kriterien, nämlich ein geringfügiges Verschulden und lediglich unbedeutende Folgen. Von geringem Verschulden im Sinne des § 21 VStG ist nur dann zu sprechen, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. April 2013, Zl. 2011/08/0218, mwN).

Davon kann im vorliegenden Fall jedoch in Bezug auf die zu beurteilende Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960 nicht die Rede sein, zumal es aufgrund des im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Verhaltens des Zweimitbeteiligten bei Verweigerung der Durchführung der Kontrolle des Atemalkoholgehaltes mittels Alkomat an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass dessen Verschulden geringfügig war.

Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, ob allenfalls die Strecke des Lenkens eines Kfz auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr nur sehr kurz war.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 11. September 2013

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012020021.X00

Im RIS seit

09.10.2013

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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