TE Vwgh Erkenntnis 2013/9/4 2013/08/0113

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Veröffentlicht am 04.09.2013
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §10 Abs1;
ASVG §11 Abs1;
ASVG §111;
ASVG §33;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 6/7/15 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 14. Mai 2013, Zl. E 109/15/2012.013/010, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: M F in S; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 26. März 2012 wurde der Mitbeteiligte gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 iVm § 33 Abs. 1 und Abs. 1a ASVG mit einer Geldstrafe von EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage) belegt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der B. GmbH in E. zu verantworten habe, dass diese Gesellschaft es unterlassen habe, den bei ihr vom 14. bis zum 16. Juli 2011 beschäftigten und in der Krankenversicherung pflichtversicherten M. M. vor Arbeitsantritt (14. Juli 2011, 07.00 Uhr) bei der zuständigen Gebietskrankenkasse zur Krankenversicherung anzumelden.

Der Mitbeteiligte brachte in seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vor, zwischen M. M. und der B. GmbH sei im genannten Zeitraum kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. M. M. habe ab 18. Juli 2011 bei der B. GmbH eine "Schnupperlehre" absolviert und sei in dieser Zeit ordnungsgemäß bei der Krankenkasse angemeldet gewesen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.

Die B. GmbH habe eine Baustelle in W. betrieben. Am 16. Juli 2011 habe gegen 09.40 Uhr eine Kontrolle von Beamten des Finanzamtes Wien stattgefunden. Milos M. sei dabei angetroffen worden, wie er Isoliermatten von der Baustelle zu einem vor der Baustelle befindlichen Klein-Lkw getragen und auf diesen aufgeladen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei er nicht zur Sozialversicherung gemeldet gewesen. Er sei für diese Zeit auch nicht von der Bgld. Gebietskrankenkasse als Arbeitnehmer der B. GmbH in die Pflichtversicherung einbezogen worden. Erst in der Zeit vom 19. bis zum 25. Juli 2011 sei er als geringfügig beschäftigter Arbeiter der B. GmbH zur Pflichtversicherung gemeldet worden. In dem von M. M. anlässlich der Kontrolle ausgefüllten Personenblatt habe dieser angegeben, seit 14. Juli 2011 als Bauhelfer für die B. GmbH zu arbeiten. "Es wurde weder angekreuzt, dass er Lohn erhält, noch dass über Lohn nicht gesprochen wurde. Es ist angekreuzt, dass er Essen/Trinken erhält."

Es habe nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, dass M. M. im angegebenen Zeitraum bei der B. GmbH beschäftigt gewesen sei. Zu Gunsten des Mitbeteiligten werde davon ausgegangen, "dass er dies nicht war". Diese "Feststellung" beruhe auf folgenden Überlegungen: Für eine Beschäftigung spreche, dass M. M. für die B. GmbH Arbeiten durchgeführt und anlässlich der Kontrolle angegeben habe, bei der B. GmbH beschäftigt zu sein. Zu berücksichtigen sei jedoch, dass weder mit M. M. noch mit den sonstigen auf der Baustelle anwesenden Personen (drei Mitarbeitern der B. GmbH) Niederschriften aufgenommen worden seien. Die bei der Kontrolle anwesenden Personen hätten bei ihrer späteren Zeugenbefragung angegeben, "dass M. M. nur zu Besuch gewesen sei". Diese Angaben seien zwar unglaubwürdig, weil M. M. im Arbeitsgewand arbeitend angetroffen worden sei. Auch die Angabe des Zeugen M. M., dass er gedacht habe, dass er eine Schnupperwoche habe, sei unglaubwürdig, weil an einem Samstag nach der Lebenserfahrung nicht mit einer Schnupperwoche begonnen werde. Es werde daher davon ausgegangen, dass M. M. am 14. und 16. Juli 2011 für die B. GmbH Arbeiten erbracht habe. Allein aus dieser Tatsache könne aber "nicht zwingend gefolgt werden, dass er bei dieser Gesellschaft auch beschäftigt war". Ein Beschäftigungsverhältnis iSd ASVG werde durch den "Einstellungsakt" begründet. Das Vorliegen eines solchen "Einstellungsaktes" für die Zeit vom 14. Juli bis zum 16. Juli 2011

"konnte gegenständlich eben nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit angenommen werden. Der Umstand, dass Herr M. M. auf der Baustelle gearbeitet hat, reicht dafür nicht aus, da zu berücksichtigen ist, dass der (Mitbeteiligte) dabei auf der Baustelle nicht anwesend war. Der (Mitbeteiligte) gab an, dass nur er zur Vornahme von Einstellungen befugt sei und er daher vor einer Einstellung immer zumindest telefonisch kontaktiert werde, was gegenständlich eben nicht der Fall gewesen sei. Überdies gab er an, in dieser Zeit auf Urlaub gewesen zu sein. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass M. M. im vorgeworfenen Tatzeitraum ohne Wissen und Willen des (Mitbeteiligten) tätig war. Für diese Auffassung spricht auch, dass im Personenblatt weder angekreuzt ist, dass er Lohn erhält, noch dass über Lohn nicht gesprochen wurde, sondern lediglich, dass er Essen/Trinken erhält. (...) Ein Beschäftigungsverhältnis im Tatzeitraum konnte daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden."

Den Mitbeteiligten habe keine Verpflichtung getroffen, M. M. beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, sodass das Strafverfahren im Zweifel einzustellen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt vor, in der Begründung eines Bescheides seien die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nur dies ermögliche erst die nachprüfende verwaltungsgerichtliche Kontrolle. Die belangte Behörde habe "die Bereiche des Tatsächlichen und des Rechtlichen nicht eindeutig voneinander unterschieden". Anders wäre es nicht zu erklären, dass bei der Rechtsfrage des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses die Zweifelsregel angewendet worden sei. Bei Rechtsfragen bestehe kein Raum für eine Zweifelsentscheidung. Es sei zu einer vermischten Darstellung der einzelnen voneinander zu trennenden Abschnitte der Bescheidbegründung gekommen. Dies habe eine inhaltlich fehlerhafte Entscheidung nach sich gezogen.

Die belangte Behörde habe ferner zu entscheidungsrelevanten Umständen keine eindeutige Feststellungen getroffen. Sie habe das (mögliche) fehlende Wissen und Wollen des Mitbeteiligten in Bezug auf das Tätigwerden des M. M. zu Unrecht als wesentliches Argument für das Nichtzustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses herangezogen. Ihr sei zwar durchaus darin zuzustimmen, dass nicht jede faktische Erbringung von Arbeitsleistungen zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses führe. Allerdings sei das von ihr abgeleitete Ergebnis unrichtig. Immerhin habe M. M. auf der Baustelle der B. GmbH an zwei Tagen für sieben Stunden Dienste geleistet, die von den anderen an diesem Arbeitsort tätigen (drei) Arbeitskräften der B. GmbH, u.a. auch von den beiden Vorarbeitern, wahrgenommen worden und ohne Zurückweisung entgegengenommen worden seien. Dieser eindeutige, von der belangten Behörde als erwiesen angenommene Sachverhalt wäre bei zutreffender rechtlicher Beurteilung als zu einem Beschäftigungsverhältnis führender Einstellungsakt zu qualifizieren gewesen, zumal der Mitbeteiligte bei seiner Abwesenheit vom Arbeitsort durch seine verantwortlichen Mitarbeiter repräsentiert worden sei. Dieser "Umweg" hätte allerdings nur dann beschritten werden müssen, wenn man nicht ohnehin davon ausgegangen wäre, dass beim Mitbeteiligten aktuelles Wissen vorgelegen sei. Dieser Umstand sei jedoch von der belangten Behörde offengelassen worden. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass M. M. ohne Wissen und Willen des Mitbeteiligten durch die B. GmbH beschäftigt worden wäre, wäre durchaus von schuldhaftem Verhalten auszugehen. Fahrlässigkeit werde bei Ungehorsamsdelikten schon auf Grund des Gesetzes vermutet. Der Mitbeteiligte hätte sein mangelndes Verschulden glaubhaft zu machen, etwa dadurch, dass er im Betrieb ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet hätte, sodass er unter den vorhersehbaren Verhältnissen mit gutem Grund die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften hätte erwarten können.

2. Gemäß § 60 AVG (iVm § 24 VStG), der gemäß § 67 AVG auch für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente eines ordnungsgemäß begründeten Bescheides bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2009/09/0143). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen wie zB von Zeugenaussagen ist weder erforderlich noch hinreichend, eine Aufzählung aufgenommener Beweise mag zweckmäßig sein.

Lässt ein Bescheid die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides schon aus diesem Grund (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, Zl. 94/13/0200).

Der vorliegende Bescheid lässt eine Trennung in die drei genannten Begründungselemente vermissen. Er handelt die rechtliche Feststellung des (Nicht)Vorliegens eines "Einstellungsakts" bzw. einer "Beschäftigung" iSd § 4 Abs. 2 ASVG (das Ergebnis einer Subsumtion) als Sachverhaltsfeststellung ab, vermischt diese mit anderen Sachverhaltsfeststellungen, stellt zur Begründung beider Elemente beweiswürdigende Überlegungen an und lässt die Begründung für die genannte Subsumtion offen. Er unterschreitet die dargestellten Qualitätserfordernisse eines rechtsstaatlichen Bescheides und beeinträchtigt die nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in einem nicht mehr zu tolerierenden Ausmaß.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren ist zur Vermeidung überflüssiger Verfahrensschritte auf Folgendes hinzuweisen:

Die Vorschriften des ASVG über das Beschäftigungsverhältnis stehen auf dem Boden der Eingliederungstheorie. Ein Beschäftigungsverhältnis iSd ASVG wird durch den "Einstellungsakt" begründet. Es setzt einen "Verpflichtungsakt" nicht voraus. Die Pflichtversicherung der Dienstnehmer beginnt nach § 10 Abs. 1 ASVG in der Regel mit dem Tage des Beginnes (Antritts) ihrer Beschäftigung, sie dauert mit dem Beschäftigungsverhältnis fort, bis sie nach § 11 Abs. 1 ASVG in der Regel mit dem Ende der Beschäftigung erlischt. Das Beschäftigungsverhältnis iSd ASVG wird in der Regel durch die Aufnahme der Beschäftigung im Betrieb des Dienstgebers begründet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1957, VwSlg. Nr. 4.495 A/1957, sowie das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zl. 2012/08/0260).

Übertretungen des § 33 ASVG sind Ungehorsamsdelikte iSd § 5 Abs. 1 VStG, weil zum Tatbestand dieser Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört. Das verantwortliche Organ ist strafbar, wenn es nicht genügende Vorkehrungen getroffen hat, um die Verwirklichung des Tatbildes durch den unmittelbaren Täter zu verhindern. In einem solchen Fall einer zur Last gelegten Unterlassung besteht gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG von vornherein die Vermutung eines Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) des Täters, welche aber von ihm widerlegt werden kann. Es ist daher Sache des Dienstgebers, glaubhaft zu machen, dass ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden traf, und initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht.

Für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Dienstgebers für eine unterbliebene Anmeldung zur Sozialversicherung ist die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems entscheidend, das verhindert, dass Beschäftigungsverhältnisse durch die Aufnahme einer Beschäftigung im Betrieb des Dienstgebers ohne dessen Zustimmung bzw. ohne die erforderliche Anmeldung zur Sozialversicherung begonnen werden. Die Erteilung entsprechender Weisungen entschuldigt den Arbeitgeber nur dann, wenn er dargelegt und nachgewiesen hat, dass er Maßnahmen ergriffen hat, die die Einhaltung der erteilten Anordnungen betreffend die Beachtung der Rechtsvorschriften über die Anmeldung von pflichtversicherten Dienstnehmern gewährleisten, insbesondere, welche Kontrollen er eingerichtet hat und wie er sich vom Funktionieren des Kontrollsystems informiert hat (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2012/08/0260).

Wien, am 4. September 2013

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel AllgemeinBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelVerantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2013080113.X00

Im RIS seit

01.10.2013

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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