TE Vwgh Erkenntnis 2013/9/5 2013/09/0095

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Veröffentlicht am 05.09.2013
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E19104000;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art11;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art13;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art14 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art14 Abs2;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art14 Abs3;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art19;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art2 litd;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art21;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art4 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art7 Abs1;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Art8;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Kap2;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Kap3;
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL;
AuslBG §12a;
AuslBG §12b;
AuslBG §4 Abs1;
AuslBG §4 Abs2;
AuslBG §4 Abs3 Z3 idF 2011/I/025;
EURallg;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des SM in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 12. Dezember 2012, Zl. 3/08114/357 8227, betreffend Antrag auf Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer beantragte für den indischen Staatsangehörigen NS (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof) die Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung für die berufliche Tätigkeit Fierantengehilfe mit einem monatlichen Bruttolohn von EUR 1.250,-- für eine Arbeitszeit von 30 Wochenstunden.

Der Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass NS kein Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet zukomme.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 6. Juni 2013, B 117/2013-5, ihre Behandlung ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die bereits für den Fall der Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof ausgeführte Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Unstrittig ist, dass NS die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Z. 3 AuslBG nicht erfüllt.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig, weil NS auf Grund seines langjährigen Aufenthaltes in Italien in diesem Staat den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EG" erhalten habe. Er sei nach Art. 11 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (in der Folge: RL) den österreichischen Inländern gleichgestellt.

Damit verkennt der Beschwerdeführer den klaren Inhalt der RL:

Schon aus den Erwägungen, die zur RL führten, ist deren Hauptabsicht zu erkennen. So wird in den Erwägungen (2) dargestellt, dass die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen an diejenige der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten angenähert werde sollte und "einer Person, die sich während eines noch näher zu bestimmenden Zeitraums in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat und einen langfristigen Aufenthaltstitel besitzt, in diesem Mitgliedstaat" (Hervorhebung durch Fettdruck durch den Verwaltungsgerichtshof) "eine Reihe einheitliche Rechte gewährt werden sollte, die denjenigen der Unionsbürger so nah wie möglich sind".

Gemäß Kapitel I, Art 3 (1) findet die RL auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.

Da sich der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen rechtmäßig in Italien aufgehalten hat, ist die RL grundsätzlich auf ihn anzuwenden.

Kapitel II der RL betrifft die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem Mitgliedstaat. Aus Art 4 (1) und Art 7 (1) wird klar, dass dieses Kapitel die Rechtsstellung in demjenigen Mitgliedstaat betrifft, in dem sich der langfristig Aufenthaltsberechtigte aufhält und in dem er die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten durch Ausstellung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung - EG (Art 8) erlangt hat (vgl. Art 4 (1) "Die Mitgliedstaaten erteilen Drittstaatsangehörigen, die sich … rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben …"; Art 7 (1) "… des Mitgliedstaats, in dem er sich aufhält …").

Der vom Beschwerdeführer als Grundlage für seine Argumentation betonte Art 11 ist in diesem Kapitel II der RL geregelt. Art 11 betrifft ausschließlich die Gleichbehandlung mit den eigenen Staatsangehörigen desjenigen Mitgliedstaates, in dem der Aufenthaltsberechtigte die langfristige Aufenthaltsberechtigung - EG erlangt hat. Auch Art 13, nach dem zwar die Mitgliedstaaten für die Ausstellung dauerhafter oder unbefristeter Aufenthaltstitel günstigere Voraussetzungen als diejenigen der RL vorsehen können, aber ausdrücklich besagt, dass diese Aufenthaltstitel nicht das Recht auf Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten gemäß Kap III begründen, befindet sich in diesem Kapitel II.

Hingegen regelt Kapitel III der RL den "Aufenthalt in den anderen Mitgliedstaaten" als demjenigen, in dem die langfristige Aufenthaltsberechtigung - EG erlangt wurde (siehe insbesondere Art 14 (1) RL). Gemäß Art 14 (1) erwirbt ein langfristig Aufenthaltsberechtigter ein Aufenthaltsrecht von länger als drei Monaten im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, der ihm die Rechtsstellung eine langfristig Aufenthaltsberechtigungen zuerkannt hat, sofern die in diesem Kapitel festgelegten Bedingungen erfüllt sind. Art 14 (2), den der Beschwerdeführer aus seinem Zusammenhang gerissen hervorhebt, nennt einige Aufenthaltsgründe. Für den darin ua genannten, hier gegenständlichen Fall einer unselbständigen Erwerbstätigkeit regelt Art 14 (3) der RL, dass diese anderen Mitgliedstaaten eine Arbeitsmarktprüfung durchführen können und hinsichtlich "der Anforderungen für die Besetzung einer freien Stelle bzw. hinsichtlich der Ausübung einer solchen Tätigkeit ihre nationalen Verfahren anwenden." Auch aus der vom Beschwerdeführer des Weiteren zitierten Bestimmung des Art 15 (4) der RL ist nichts für das behauptete Recht auf einen unbeschränkten Zugang des NS zum österreichischen Arbeitsmarkt zu gewinnen.

Die letzte Bestätigung liefert Art 21 der RL, der die im Zweiten Mitgliedstaat (Definition siehe Art 2 lit d RL: Im Sinne dieser RL bezeichnet der Ausdruck Zweiter Mitgliedstaat einen anderen Mitgliedstaat als den, der einem Drittstaatsangehörigen erstmals die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt hat, und in dem dieser langfristig Aufenthaltsberechtigte sein Aufenthaltsrecht ausübt) zu gewährende Gleichbehandlung regelt. Nach dieser Bestimmung entsteht die Gleichbehandlung erst dann, "sobald die langfristig Aufenthaltsberechtigten im zweiten Mitgliedstaat den Aufenthaltstitel gemäß Art 19 RL" (d.i. der Aufenthaltstitel, der vom zweiten Mitgliedstaat erteilt wird) "erhalten haben".

Der Bestimmung des § 4 Abs. 3 Z. 3 AuslBG (seit der Fassung BGBl. I Nr. 25/2011), wonach eine Beschäftigungsbewilligung dem Arbeitgeber bei Erfüllung der allgemeinen Voraussetzung gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AuslBG nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" eines anderen Mitgliedstaates besitzt und die Voraussetzung für eine Beschäftigung als Fachkraft gemäß § 12a AuslBG oder als Schlüsselkraft gemäß § 12b AuslBG erfüllt, steht sohin mit der RL im Einklang.

Es kann daher keine Rede davon sein, dass die belangte Behörde - wie der Beschwerdeführer vermeint - sich über europarechtliche Bestimmungen hinweggesetzt habe.

Dem Antrag auf "Durchführung eines Gesetzesprüfungs- und/oder Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV" war nicht näherzutreten, weil im gegenständlichen Verfahren die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts (selbst ohne Vorliegen einer einschlägigen Rechtsprechung des EuGH) derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH vom 6. Oktober 1982, 283/81, "C.I.L.F.I.T.", Slg. 1982, 3415).

Da der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wird eine Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abgewiesen (§ 35 Abs. 1 VwGG), so ist der Verwaltungsgerichtshof an einen Antrag des Beschwerdeführers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedenfalls dann nicht gebunden, wenn dem Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41), unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 2005, Zl. 2004/08/0044, und vom 19. November 2004, Zl. 2000/02/0269). Des Weiteren hat der EGMR in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 2010, Zl. 2009/05/0160).

Solche Umstände liegen aber auch im gegenständlichen Fall vor, weil es ausschließlich um das rechtliche Verständnis der Richtlinie 2003/109/EG geht, sohin um eine reine Rechtsfrage. In der Beschwerde werden keine Fragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.

Wien, am 5. September 2013

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2013090095.X00

Im RIS seit

27.09.2013

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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