RS Vfgh 2013/6/28 WIII2/2013

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Veröffentlicht am 28.06.2013
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Index

10/06 Direkte Demokratie

Norm

B-VG Art9a Abs3, Abs4, Art45, Art46, Art49b
B-VG Art141 Abs3 / Volksbefragung
EMRK Art4 Abs2, Abs3
VolksbefragungsG 1989 §16 Abs1, Abs2
NRWO 1992 §42 Abs3
VfGG §68 Abs2, §70 Abs1

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung vom 20.01.2013 betreffend die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes; keine Bedenken gegen die Regelungen des VolksbefragungsG 1989 über die Anfechtungsvoraussetzungen; Zulässigkeit einer Volksbefragung auch in einer Angelegenheit der Bundesverfassungsgesetzgebung; Zulässigkeit der Fragestellung; kein Einfluss der behaupteten Verfälschung des Befragungsergebnisses bzw Verletzung des Neutralitätsgebotes auf das Ergebnis der Volksbefragung

Rechtssatz

Zulässigkeit der von mehr als 200 Personen, die in der Stimmliste einer Gemeinde des Landeswahlkreises Tirol eingetragen sind, unterstützten Anfechtung der Volksbefragung wegen Rechtswidrigkeit des Verfahrens.

Ungültigkeit von Unterstützungserklärungen mit bestimmten Mängeln iSd §16 Abs1 letzter Satz VolksbefragungsG 1989 iVm §42 Abs3 NRWO 1992 (zB Unvollständigkeit der Angaben zur Person; Bezugnahme der Gemeindebestätigung auf einen anderen Stichtag als den 28.11.2012).

Ungültigkeit auch von Unterstützungserklärungen, weil der darauf enthaltene Vermerk "Die eigenhändige Unterschrift auf der Unterstützungserklärung wurde vor der Gemeindebehörde geleistet *) / war gerichtlich *) / notariell beglaubigt *)" vollständig durchgestrichen ist. Jedoch Gültigkeit jener Unterstützungserklärungen, bei denen in diesem Vordruck nichts gestrichen wurde, weil §16 Abs1 VolksbefragungsG 1989 iVm §42 Abs3 letzter Teilsatz NRWO 1992 nur verlangt, dass die eigenhändige Unterschrift auf eine der in dieser Bestimmung genannten Arten geleistet wurde, nicht aber, dass die gewählte Art auch ausdrücklich zu vermerken ist.

Keine Ungültigkeit von insofern unvollständig ausgefüllten Unterstützungserklärungen, als bei der Bestätigung der Gemeinde im dafür vorgesehenen Bereich kein Stichtag, zu dem die Eintragung in die Stimmliste bestätigt wird, eingetragen ist, weil das verwendete Formular auch den Text "Die nachstehende Gemeinde bestätigt, dass der (die) Unterstützungswillige am Stichtag (28. November 2012) zur Volksbefragung vom 20. Jänner 2013 in der Wählerevidenz eingetragen und bei der Volksbefragung vom 20. Jänner 2013 stimmberechtigt war" enthält.

Vorlage der erforderlichen Zahl von Unterstützungserklärungen aus nur einem Landeswahlkreis ausreichend.

Auch im Verfahren über die Anfechtung von Volksbefragungen hat sich der VfGH nur auf die Prüfung zu beschränken, ob dem Verfahren zur Volksbefragung die in der Anfechtungsschrift behaupteten Rechtswidrigkeiten anhaften.

Keine Verfassungswidrigkeit des §16 Abs1 VolksbefragungsG 1989.

Dem - gemäß Art141 Abs3 B-VG zur Regelung der Voraussetzungen für die Anfechtung des Ergebnisses von Volksbefragungen beim VfGH berufenen - Gesetzgeber kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er die Voraussetzungen zur Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung derart ausgestaltet, dass er eine Mindestzahl von Unterstützungserklärungen vorsieht und diesbezüglich absolute Zahlen für die einzelnen Landeswahlkreise festlegt; insbesondere liegt die in §16 Abs1 VolksbefragungsG 1989 festgelegte Mindestzahl von Unterstützungserklärungen für den Landeswahlkreis Tirol mit 200 Unterstützungserklärungen - das sind 0,037 % der zum Stichtag 28. November 2012 Stimmberechtigten - innerhalb des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers.

Es bestehen auch keine Bedenken gegen das Erfordernis, dass der Unterstützungswillige bei der Gemeindebehörde persönlich erscheinen muss, dient doch diese Bestimmung zur Feststellung der Identität des Unterstützungswilligen und somit zur Hintanhaltung von Manipulationen im Zuge der Sammlung von notwendigen Unterstützungserklärungen.

Der beteiligten Bundeswahlbehörde kommt kraft Gesetzes kein Handlungsspielraum zu, das Procedere zu einer Volksbefragung bis zur Beschlussfassung im Parlament oder die vom Bundespräsidenten unterfertigte und vom Bundeskanzler gegengezeichnete Entschließung, mit der die Volksbefragung angeordnet wird, materiell zu prüfen oder in irgendeiner Weise zu beeinflussen, sondern es obliegt ihr, nach Anordnung der Volksbefragung deren verfassungskonforme Durchführung sicherzustellen. Dies ändert jedoch nichts an der Beteiligung der Bundeswahlbehörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren sowie daran, dass sich die Prüfungskompetenz des VfGH gemäß Art141 Abs3 B-VG auf das gesamte Verfahren zur Volksbefragung - zu dem insbesondere auch die Anordnung durch den Bundespräsidenten gemäß Art49b Abs3 iVm Art46 Abs1 B-VG sowie der dieser Anordnung zugrunde liegende Beschluss des Nationalrates gemäß Art49b Abs1 B-VG, mit dem der Gegenstand und die Fragestellung der Volksbefragung festgelegt werden, zählen - erstreckt und damit auch diese Teile des Verfahrens der Prüfung durch den VfGH unterliegen.

Zulässigkeit einer Volksbefragung auch in Angelegenheiten von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung der Bundesverfassungsgesetzgebung.

Weder der Wortlaut noch die systematische Einordnung des Art49b Abs1 B-VG deuten darauf hin, dass der Verfassungsgesetzgeber das Instrument der Volksbefragung auf Angelegenheiten beschränken wollte, zu deren Regelung der einfache Gesetzgeber zuständig ist.

In systematischer Hinsicht spricht auch der Vergleich mit Volksbegehren und Volksabstimmungen gegen einen Ausschluss bundesverfassungsgesetzlicher Materien. Das Instrument der Volksabstimmung gemäß Art43 und Art44 Abs3 B-VG ist ausdrücklich auch auf Bundesverfassungsgesetze ausgerichtet, wobei im Falle einer Gesamtänderung der Bundesverfassung eine Volksabstimmung sogar zwingend durchzuführen ist.

Zulässigkeit der Fragestellung.

Art49b Abs2 Satz 2 B-VG ist schon nach seiner Textierung so zu verstehen, dass auch im Falle der Volksbefragung über zwei alternative Lösungsvorschläge diese in einem so engen Zusammenhang stehen müssen, dass die Fragestellung gleichsam auf einen Gegenstand hinausläuft, über den eine eindeutige Willensbildung möglich ist.

Im vorliegenden Fall besteht die Fragestellung zwar aus einer Verknüpfung von jeweils zwei Elementen in zwei alternativen Lösungsvorschlägen ("Berufsheer und bezahltes freiwilliges Sozialjahr" und "allgemeine Wehrpflicht und Zivildienst"). Dies verletzt jedoch - auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des VfGH zum Gebot der Klarheit der Fragestellung - nicht Art49b B-VG, weil der gemäß Art9a Abs4 B-VG als Wehrersatzdienst verpflichtend zu leistende Zivildienst in seiner derzeitigen Ausgestaltung - auch im Lichte des Art4 Abs2 und Abs3 litb EMRK - schon von Verfassungs wegen mit der allgemeinen Wehrpflicht verknüpft ist und die Herstellung des Zusammenhanges zwischen diesen Elementen (in alternativen Lösungsvorschlägen) daher im Rahmen der hier zu beurteilenden Fragestellung zulässig ist.

Die Wendung "Beibehaltung [...] des Zivildienstes" ist auch nicht suggestiv oder irreführend, zumal damit lediglich (zutreffenderweise) darauf hingewiesen wird, dass dieser Lösungsvorschlag den status quo darstellt.

Art49b Abs3 B-VG - demzufolge bei der Volksbefragung jene Personen stimmberechtigt sind, die am Befragungstag das Wahlrecht zum Nationalrat besitzen - steht im Verfassungsrang. Dass bei einer Anknüpfung der Stimmberechtigung bei Volksbefragungen an das Wahlrecht zum Nationalrat einzelne Stimmberechtigte unter Umständen auch über Angelegenheiten abstimmen, die sie nicht oder weniger intensiv betreffen als andere Stimmberechtigte, ergibt sich somit unmittelbar aus der Verfassung selbst.

Kein Einfluss der behaupteten Verfälschung des Befragungsergebnisses bzw Verletzung des Neutralitätsgebotes auf das Ergebnis der Volksbefragung.

Wenngleich bei einer Volksbefragung - anders als bei einer Volksabstimmung - noch keine staatliche Maßnahme vorliegt, für die staatliche Organe legitimerweise werben dürfen, steht das Neutralitätsgebot nicht jeglicher Form der Äußerung in Bezug auf die bei der Volksbefragung angebotenen Lösungsvorschläge entgegen. Grundsätzlich steht es den als Organen der Vollziehung fungierenden Personen - ebenso wie Mitgliedern der Bundesregierung und den sonstigen obersten Organen der Vollziehung sowie den Abgeordneten zu den gesetzgebenden Körperschaften - frei, in Unterstützung und Verfolgung ihrer politischen Ziele Empfehlungen für die Volksbefragung abzugeben und dafür auch öffentlich einzustehen (vgl VfSlg 13839/1994). Dies bedeutet aber nicht, dass es bei Volksbefragungen zulässig ist, in "amtlichen Mitteilungen" oder als solche gekennzeichneten Schreiben in subjektiv wertender Weise für ein Ergebnis einzutreten und in dieser Hinsicht auf die Stimmberechtigten Einfluss zu nehmen.

Die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens (Verfälschung des Befragungsergebnisses durch behördliche Empfehlungen und Verletzung des Neutralitätsgebotes) kann im vorliegenden Fall jedoch dahingestellt bleiben.

Die einzige Rechtswirkung der Volksbefragung besteht darin, dass ihr Ergebnis gemäß Art49b Abs3 Satz 3 B-VG von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat sowie der Bundesregierung vorzulegen ist.

In den behauptetermaßen von unzulässiger Beeinflussung der Stimmberechtigten betroffenen Gemeinden waren bei der Volksbefragung insgesamt 20.434 Personen stimmberechtigt; in diesen Gemeinden entfielen von insgesamt 9710 (davon 9579 gültig) abgegebenen Stimmen 3004 Stimmen auf Lösungsvorschlag A und 6575 Stimmen auf Lösungsvorschlag B. Selbst unter der Annahme, dass ohne die der Anfechtung angeschlossenen Schreiben alle abgegebenen Stimmen auf einen der beiden Lösungsvorschläge entfallen oder ungültig abgegeben worden wären - dass die behauptete Beeinflussung Stimmberechtigte von der Stimmabgabe abgehalten hätte, wurde in der Anfechtung nicht behauptet -, hätte die behauptete Rechtswidrigkeit im vorliegenden Fall bei der gegebenen Beteiligung im Hinblick auf das bundesweite Gesamtergebnis lediglich zu einer Verschiebung um höchstens 0,2 % führen können; eine derart geringfügige Abweichung kann jedoch nicht als Einfluss auf das Ergebnis der Volksbefragung gewertet werden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Volksbefragung, Bundesheer, Wehrpflicht, Zivildienst, Werbung, VfGH / Beteiligter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:WIII2.2013

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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