RS Vfgh 2013/6/29 G35/2013 ua, V32/2013 ua

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Veröffentlicht am 29.06.2013
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Index

72/01 Hochschulorganisation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art81c Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
StGG Art17
UniversitätsG 2002 §91, §143 Abs30

Leitsatz

Aufhebung einer - Studienbeitragsregelungen bestimmter Satzungen in Gesetzesrang hebenden - Bestimmung des UniversitätsG 2002 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz; keine sachliche Rechtfertigung der nur für bestimmte Universitäten und ihre Studierenden im Wesentlichen gleichermaßen angeordneten Studienbeitragspflicht; verfassungsgesetzlich gewährleistete Autonomie öffentlicher Universitäten keine Rechtfertigung für die getroffene Regelung angesichts der (Finanzierungs-)Verantwortung des Staates

Rechtssatz

Aufhebung des §143 Abs30 Satz 3 UniversitätsG 2002 (UG 2002) idF BGBl I 18/2013.

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens.

Da nur generelle Normen, die als Verordnungen zu qualifizieren sind, einen tauglichen Prüfungsgegenstand eines Verfahrens nach Art139 B-VG bilden, ist im zur Zahl V71/2012 geführten, amtswegig eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren zu klären, welche Rechtsqualität den in Prüfung gezogenen Regelungen (nunmehr) zukommt, womit der VfGH jedenfalls die Wortfolge "Folgende Regelungen über Studienbeiträge in Satzungen von Universitäten gelten vom 1. Juni 2012 bis zum Wirksamwerden des §91 Abs1 bis 3 in der Fassung BGBl I Nr 18/2013 als Bundesgesetze:" in §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 und die Ziffer 1 der genannten Bestimmung (bezüglich §23 und §23a der Satzung der Universität Wien) anzuwenden hat.

Ein untrennbarer Zusammenhang umfasst zunächst, wegen der Einheit der Norm, den Einleitungsteil und die in den Anlassverfahren anzuwendenden Ziffern 1, 2, 3, 4 und 7 des Satzes 3 des §143 Abs30 UG 2002; weil bei einer allfälligen Aufhebung nur dieser Teile mit den Ziffern 5, 6, 8 und 9 bloß ein sinnentleerter sprachlicher Torso übrig bliebe, sind von einer allfälligen Aufhebung auch diese zu erfassen.

Der VfGH geht davon aus, dass die verordnungsrangigen Rechtsvorschriften, die in den Rang eines Bundesgesetzes gehoben werden, in einem dem Bundesgesetzblatt gleichwertigen Kundmachungsorgan verlautbart sind und die Fundstellen auch in §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 ausdrücklich genannt sind (Verpflichtung jeder Universität gem §20 Abs6 UG 2002 zur Herausgabe eines Mitteilungsblattes und zur Veröffentlichung der Satzung).

Keine Verletzung des Vertrauensschutzes.

Die Verpflichtung, an den in den Ziffern 1 bis 9 des §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 genannten öffentlichen Universitäten für das Wintersemester 2012/13 unter näher bestimmten Voraussetzungen einen Studienbeitrag zu entrichten, beruhte ursprünglich auf Satzungsbestimmungen öffentlicher Universitäten. Dass diese - jeweils als Änderung der die Rechtsqualität von Verordnungen aufweisenden Satzungen der jeweiligen Universität kundgemachten - Regelungen im Hinblick auf ihre Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit allenfalls auf einer "unsicheren Rechtslage" beruhten, lässt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des VfGH noch kein berechtigtes Vertrauen darauf entstehen, dass für das Wintersemester 2012/13 keine Studienbeitragspflicht besteht bzw bereits entrichtete Studienbeiträge jedenfalls rückerstattet werden.

Die durch §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 erfolgte Regelung der Studienbeitragspflicht im Wintersemester 2012/13 erfasst (nur) einen Teil der technischen Universitäten, einen Teil der künstlerischen Universitäten, einen Teil der "Volluniversitäten" und einen Teil der speziellen Universitäten, andere vergleichbare Universitäten hingegen nicht. Nach dieser Regelung haben aber auch Studierende so unterschiedlicher Universitäten wie der Universität Wien, der Technischen Universität Graz, der Veterinärmedizinischen Universität Wien oder der Universität Mozarteum Salzburg, also Studierende von "Volluniversitäten", von speziellen Universitäten, von technischen und von künstlerischen Universitäten einen im Wesentlichen gleich geregelten Studienbeitrag zu entrichten.

Das schließt es aus, die Rechtfertigung für die, nur bestimmte Universitäten erfassende, aber diese weitgehend einheitlich regelnde Bestimmung des §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 in der Art und den Anforderungen der jeweils betroffenen Universität begründet zu sehen. Die autonome Entwicklung der öffentlichen Universitäten (vgl Art81c B-VG) vermag die Regelung des §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 nicht zu rechtfertigen.

Eine solche Rechtfertigung kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Gesetzgeber nur von den durch §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 erfassten Universitäten "autonom" getroffene Entscheidungen nachvollzieht und ihnen Gesetzesrang verleiht. Die Regelung von Studienbeiträgen für die Regelstudien, also Grund-, Aufbau- und Doktoratsstudien, zählt nämlich nicht zu jenen Angelegenheiten öffentlicher Universitäten, die diese autonom und - als verfassungsgesetzlich vorgezeichnete Ausnahme von Art18 B-VG im Bereich der Verwaltung des Bundes - im Rahmen der Gesetze durch Satzungen iSd Art81c Abs1 Satz 2 B-VG regeln können.

Die den Universitäten verfassungsgesetzlich gewährleistete Befugnis, im Rahmen der Gesetze autonom zu handeln und Satzungen erlassen zu können, besteht nach Art81c Abs1 B-VG so weit, als es um die Besorgung ihrer universitären Angelegenheiten geht. Was in diesem Sinn zu den "Universitätsaufgaben" gehört, für die die Garantien des Art81c Abs1 B-VG gelten, ist in Satz 1 des Art81c Abs1 B-VG generalklauselartig angesprochen und im Einzelnen im Lichte des Art17 StGG durch eine Auslegung zu ermitteln, die am Begriff der "öffentlichen Universität" ansetzt und dabei auch die vom VfGH bei der Erlassung des Art81c B-VG vorgefundenen gesetzlichen Aufgabenzuweisungen an öffentliche Universitäten und deren Entwicklung berücksichtigt. Art81c Abs1 B-VG geht damit von einem verfassungsrechtlich vorgeprägten Bereich der Autonomie der öffentlichen Universität aus.

Ein wesentliches Merkmal öffentlicher Universitäten iSd Art81c Abs1 B-VG ist die staatliche Verantwortung für die Finanzierung der Regelstudien, also der Grund-, Aufbau- und Doktoratsstudien der öffentlichen Universitäten, sowie für ein angemessenes Ausmaß von, iSd Art81c Abs1 B-VG "freier", also keinen inhaltlichen Einflüssen ausgesetzter und keinen anderen als intrinsischen Anreizen unterliegender wissenschaftlicher Forschung an diesen Universitäten. Im Rahmen dieser Gewährleistung unterliegen öffentliche Universitäten aber auch staatlichen Anforderungen, die der Gesetzgeber wegen ihrer besonderen gesellschaftlichen Bedeutung insbesondere hinsichtlich der staatlich finanzierten Studien - etwa im Wege von Leistungsvereinbarungen - an die Universitäten stellen kann. Insoweit ordnet Art81c Abs1 Satz 2 B-VG mit dem Verweis auf den "Rahmen der Gesetze" mehr und anderes an als die Selbstverständlichkeit, dass auch Universitäten nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen dürfen.

Ob und inwieweit Studierende für die Absolvierung staatlich finanzierter Regelstudien an öffentlichen Universitäten Beiträge leisten sollen (und damit der Sache nach eine solche öffentliche Finanzierung in anderer Abgrenzung als aus allgemeinen Budgetmitteln erfolgen soll), gehört zu jenem gesetzlichen Rahmen, dem die Universitäten unterliegen und der ihr Handeln iSd Art18 Abs1 B-VG bestimmt.

Die Entscheidung, ob Studienbeiträge eingehoben werden, hat wegen Art81c Abs1 B-VG und Art18 B-VG im Hinblick auf die (Finanzierungs-)Verantwortung des Staates für öffentliche Universitäten also der Gesetzgeber zu treffen. Dieser ist damit auch verpflichtet, die gesetzliche Grundlage der Einhebung von Studienbeiträgen an Universitäten so auszugestalten, dass sie insgesamt den Anforderungen des Art18 B-VG im Hinblick auf ihre Determinierung Rechnung trägt (siehe VfSlg 19448/2011) und den Vorgaben des Gleichheitsgrundsatzes entspricht. Dies schließt auch ein, dass der Gesetzgeber einen, den genannten Anforderungen des Art18 B-VG und des Gleichheitsgrundsatzes entsprechenden Rahmen festlegt, innerhalb dessen die öffentlichen Universitäten Studienbeiträge festsetzen können.

Die durch §143 Abs30 Satz 3 UG 2002 bewirkte Ungleichbehandlung kann auch nicht durch einen "Übergangscharakter" dieser Bestimmung gerechtfertigt werden. Denn auch wenn diese Regelung mit dem Wintersemester 2012/13 nur einen (kurz bemessenen) beschränkten Anwendungsbereich hat, regelt sie für diesen Zeitraum insbesondere für die von ihr erfassten Studierenden eine jedenfalls nicht völlig unerhebliche Belastung und steht damit auch als Übergangsregelung unter den Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes. Bei den von der Regelung ja gerade intendierten Studienbeitragspflichten handelt es sich jedenfalls um keine atypischen Härtefälle.

Ausspruch gem Art140 Abs7 zweiter Satz, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

Gesonderte Entscheidung über die Gesetz- bzw Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Satzungsbestimmungen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Hochschulen, Rückwirkung, Vertrauensschutz, Verordnungserlassung, Gesetz Kundmachung, Verordnung Kundmachung, Wissenschaftsfreiheit, Determinierungsgebot, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Anlassverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G35.2013

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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