TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/08 D15 409819-1/2009

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Veröffentlicht am 08.07.2013
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Spruch

D15 409819-1/2009/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Riepl als Vorsitzende und durch den Richter Mag. Windhager als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.10.2009, FZ. 08 12.647-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.03.2013 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gem. §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 idgF (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und Moslem, reiste am 15.12.2008 per Flugzeug in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 15.12.2008 im internationalen Transit am Flughafen XXXX aufgegriffen und erklärte dort vor der Polizei, einen Antrag auf internationalen Schutz stellen zu wollen. Er schilderte Probleme in Tschetschenien in Zusammenhang mit seiner Religionsausübung. Er habe einen Flug von XXXX nach XXXX mit Zwischenlandung in XXXX gebucht. Es sei ihm geraten worden, den Reisepass wegzuwerfen, da er diesfalls nicht nach Russland zurückgeschickt werden könne. Er habe deshalb den Reisepass im Flugzeug weggeworfen.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 17.12.2008 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er an, legal mit seinem Auslandsreisepass ausgereist zu sein. Seinen Reisepass habe er am Flughafen XXXX zerrissen und in die Toilette geschmissen. Er sei mit dem Zug nach XXXX gefahren und dort mit dem Flugzeug über XXXX nach XXXX geflogen.

 

Zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt, schilderte er, dass in Tschetschenien Krieg herrsche. Ein ruhiges Leben sei dort nicht möglich. Die Russen hätten ihn als Terrorist bezeichnet, ihn eingesperrt und auch geschlagen. Der Beschwerdeführer sei sehr oft eingesperrt worden und sei dabei drei Mal unmenschlich behandelt worden. Er habe Angst um sein Leben, weshalb er geflüchtet sei.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 27.08.2009 durch das Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, niederschriftlich einvernommen.

 

Dabei schilderte er, dass sich im Herkunftsstaat neben seiner Mutter und seiner Schwester seine Lebensgefährtin aufhalte. Sein Vater sei bereits verstorben.

 

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, erklärte der Beschwerdeführer, an Tuberkulose zu leiden und legte dahingehend ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vor.

 

Er sei im Übrigen sehr nervös und habe auch Probleme mit seinem Gedächtnis. Manchmal habe er auch Schmerzen wegen der Medikamente, die er wegen der Tuberkulose einnehmen müsse. Die Probleme mit seinem Gedächtnis habe er erst seit seiner Einreise in das Bundesgebiet. Je mehr Medikamente er einnehmen müsse, umso schwieriger werde es mit seinem Gedächtnis. An Tuberkulose leide er seit dem Jahr 2004 oder 2005. Er sei deswegen auch schon in seiner Heimat in ärztlicher Behandlung gestanden. Er sei in einem Krankenhaus in MOSKAU behandelt worden, wie im Übrigen auch in Dagestan und davor in Georgien. Zuletzt sei er wegen seiner Tuberkuloseerkrankung auch in Tschetschenien in Behandlung gewesen. Er sei in XXXX in einem speziellen Krankenhaus für Tuberkulosekranke behandelt worden. Dort sei er sechs oder sieben Monate vor seiner Ausreise behandelt worden. Er habe seine Ausreise direkt vom Krankenhaus in XXXX angetreten.

 

Der Beschwerdeführer erklärte auf wiederholte Nachfrage, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen.

 

Der Beschwerdeführer habe sich vor der Ausreise abwechselnd im Krankenhaus, zuhause oder bei Verwandten aufgehalten. An seiner Wohnadresse in XXXX habe sich auch seine Mutter aufgehalten. Drei Monate vor der Ausreise habe er seine Lebensgefährtin geheiratet und habe sich mit dieser bei seinen Verwandten aufgehalten.

 

Auf Nachfrage wo er sich nun die letzten sechs Monate vor seiner Ausreise aufgehalten habe, meinte der Beschwerdeführer, dass er die meiste Zeit im Krankenhaus gewesen sei. An den Wochenenden habe er raus dürfen und habe sich bei seiner Lebensgefährtin aufgehalten. Einen gemeinsamen Wohnsitz habe er mit dieser nicht gehabt. Der Beschwerdeführer habe bei seinen Verwandten gelebt. Aufgrund seiner offenen TBC habe er nicht bei seiner Mutter bleiben wollen. Er habe seine Mutter nicht anstecken wollen.

 

Aufgrund von Problemen habe er XXXX verlassen müssen.

 

Befragt, weshalb er nicht weiter im Krankenhaus geblieben sei, erklärte der Beschwerdeführer, dass er ja geheiratet habe und nicht nur an den Wochenenden bei seiner Lebensgefährtin sein habe wollen. Deswegen habe er sich nicht mehr behandeln lassen wollen.

 

Auf Vorhalt, wieso er einerseits Angst gehabt habe seine Mutter anzustecken, jedoch mit seiner Lebensgefährtin leben habe wollen, meinte er, dass seine Lebensgefährtin diesen Wunsch gehabt habe. Außerdem habe er diese nicht oft gesehen. Er habe seine Lebensgefährtin nur zwei oder drei Mal gesehen. Er habe drei Monate vor der Abreise geheiratet, wobei er das Datum nicht mehr wisse. Er habe sie traditionell geheiratet. Kinder hätten sie keine.

 

Der Beschwerdeführer verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

 

Im Herkunftsstaat würden sich Cousins, andere weitschichtige Verwandte, seine Schwester, und seine Lebensgefährtin aufhalten. Seine Mutter habe er zu deren in Georgien lebenden Bruder geschickt. Befragt, wie es trotz Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet möglich gewesen sei, die Mutter nach Georgien zu schicken, meinte er, dass sie selbständig nach Georgien gereist sei, er ihr jedoch telefonisch zur Ausreise geraten haben soll.

 

Der Beschwerdeführer legte seine Wohnsituation in XXXX dar.

 

Nach seinem Reisepass befragt, erklärte er: "Wir haben sie weggeschmissen." Auf Nachfrage erklärte er, dass er mit einer Gruppe eingereist sei und alle aus dieser Gruppe hätten die Reisepässe weggeschmissen. Dies sei ihnen von einem Taxifahrer aus Ägypten so gesagt worden.

 

Nach der Gruppe befragt, mit der er ausgereist sein soll, meinte er, dass er mit einem Freund namens XXXX (Zl. 08 12.649-BAG) ausgereist sei. Dieser halte sich wie der Beschwerdeführer als Asylwerber in Österreich auf.

 

Sein Auslandsreisepass sei dem Beschwerdeführer im Jänner 2008 in XXXX ausgestellt worden. Er habe ihn selbst abgeholt. Sein Inlandspass befinde sich bei seinen Verwandten in XXXX. Er sei zuerst in XXXX angekommen und habe dort seinen Inlandsreisepass gelassen. In XXXX würden sich weitschichtige Verwandte väterlicherseits des Beschwerdeführers aufhalten. Bis zur Ausreise sei er mit diesen in Kontakt gestanden - danach nicht mehr. Es handle sich um einen Cousin zweiten Grades väterlicherseits, der in XXXX arbeite und sich dort seit fünf oder sechs Jahren aufhalte.

 

Im Herkunftsstaat habe er auf verschiedenen Baustellen gearbeitet. Zuletzt habe er sich jedoch nur im Krankenhaus befunden und habe keiner Beschäftigung mehr nachgehen können.

 

Als er bereits im Krankenhaus gewesen sei, habe er seinen Lebensunterhalt durch die Verpachtung einer Autoreparaturwerkstatt finanziert, die er gemeinsam mit einem Freund gehabt habe. Seine Mutter habe nicht gearbeitet. Diese habe eine Pension bezogen und sei vom Beschwerdeführer unterstützt worden.

 

Zum Ausreisegrund befragt, schilderte der Beschwerdeführer, dass kurz vor seiner Ausreise seine Probleme begonnen hätten. Das genaue Datum sei zwanzig Tage vor seiner Ausreise gewesen, als er abgeholt worden sei. Der Beschwerdeführer habe einen Monat vor der Ausreise verschiedene organisatorische Besorgungen gemacht. Er habe einen Pass usw. machen müssen. Aber vorher sei er abgeholt worden, als er aus einer Moschee herausgegangen sei. Diese Moschee befinde sich im Stadtzentrum von XXXX. Beim Herausgehen sei er in ein Auto gezerrt worden. Man habe ihm unterwegs eine Maske über den Kopf gestülpt. Er sei an einen unbekannten Ort in einen Keller gebracht worden, wo ihm die Maske wieder abgenommen worden sei. Danach hätten die Verhöre und Folterungen begonnen. Er sei 18 oder 20 Tage lang festgehalten worden, wobei er die Dauer nicht mehr genau angeben könne. Danach sei er im Stadtzentrum freigelassen worden und nachhause gegangen. Nach diesem Vorfall habe er beschlossen, den Herkunftsstaat zu verlassen.

 

Nach weiteren Problemen im Herkunftsstaat befragt, erklärte er, dass dort immer wieder derartige Vorfälle passieren würden. Nachts seien Maskierte zum Beschwerdeführer nachhause gekommen und hätten ihn erniedrigt. Er sei abgeholt und verhört worden. Dies sei im Jahr 2004 oder 2005 geschehen.

 

Er sei ca. einen Monat lang festgehalten worden. In der Folge schilderte der Beschwerdeführer auf Nachfrage den Vorfall im Detail. Er sei damals ca. einen Monat lang festgehalten worden. Er sei beschuldigt worden, ein Rebell zu sein und sei auch im Zusammenhang mit einer Explosion befragt worden. Ihm seien Fotos von dem Beschwerdeführer unbekannten Personen gezeigt worden. Es sei ihm gedroht worden, dass er den Raum nicht lebendig verlassen werde. Wieso er trotzdem freigelassen worden sei, wisse er nicht.

 

Die Personen, die ihn mitgenommen hätten, seien maskiert gewesen und hätten Helme aufgehabt. Er sei eine Woche lang täglich verhört und geschlagen worden. In den folgenden Wochen sei er zwar täglich verhört, aber nur mehr alle drei Tage gefoltert worden.

 

Der Beschwerdeführer habe keine Verletzungen davongetragen und sei nicht in ärztlicher Behandlung gestanden.

 

Nach diesem Vorfall sei er nicht mehr für so lange Zeit mitgenommen und eingesperrt worden. Er sei bis zum Jahr 2006 ca. einmal im Monat nur mehr für eine kurze Zeit - nämlich für einen Tag und eine Nacht - mitgenommen worden. Nach dem Jahr 2006 habe es nur selten solche Vorfälle gegeben. Der Beschwerdeführer habe jedes Mal nach irgendeinem Angriff oder einer Explosion Besuch bekommen. Sie seien gekommen und hätten ihn mitgenommen. Es habe sich um Uniformierte - die Miliz von Kadyrov - gehandelt. Er sei in der Stadt bei verschiedenen Abteilungen des Innenministeriums festgehalten worden. Er sei jeweils wieder freigelassen worden, da sie keine Beweise gehabt hätten, dass er irgendetwas angestellt habe.

 

An das Datum des Vorfalls im Jahr 2008, bei dem er ins Auto gezerrt worden sei, könne er sich nicht mehr so genau erinnern, zumal es der erste derartige Vorfall gewesen sei. Nach seiner Freilassung sei ein Monat vergangen, in dem er die Ausreise organisiert habe. Er habe sich damals im Krankenhaus befunden, da er ja mit Strom gefoltert worden sei.

 

Danach befragt, meinte der Beschwerdeführer, dass er von den Personen festgehalten worden sei, die ihn im Jahr 2004 festgehalten hätten. Diese seien auch maskiert gewesen. Im Jahr 2008 sei er auf dem Weg aus der Moschee festgenommen worden. Es gebe manchmal Säuberungsaktionen und es würden alle mitgenommen werden, die verdächtig seien. Er wisse nicht, wo er festgehalten worden sei. Es sei ein Keller gewesen, in dem sie insgesamt zu viert festgehalten worden seien. Er habe dort XXXX kennengelernt, mit dem er schließlich ausgereist sei. Den anderen sei dasselbe gesagt worden wie dem Beschwerdeführer.

 

Er habe schließlich versprochen, für seine Verfolger als Informant zu arbeiten. Wer seine Verfolger gewesen seien, wisse er jedoch nicht. Auf Nachfrage, wie er mit diesen zusammenarbeiten hätte sollen, meinte er, dass sie damals die Masken nicht abgenommen und ihre Gesichter nicht gezeigt hätten. Es habe sich aber um Kadyrov-Leute gehandelt. Sie hätten ihm lediglich gesagt, dass er ab jetzt für sie arbeiten werde. Danach sei er nur noch verhört und nicht mehr geschlagen geworden. Den genauen Grund weshalb er freigelassen worden sei, wisse er nicht. XXXX sei bereits ca. einen oder zwei Tage vor dem Beschwerdeführer freigelassen worden.

 

Der Beschwerdeführer konnte auf Nachfrage nicht erklären, wie die Zusammenarbeit mit den Kadyrov-Leuten vor sich gehen hätte sollen. Er habe ihnen gesagt, dass er nichts wisse und nichts könne.

 

Nach Schilderungen betreffend die ihm zugefügten Misshandlungen erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich deswegen nicht in ärztliche Behandlung begeben habe.

 

Er sei nach seiner Freilassung aufgrund seiner Tuberkulose-Erkrankung im Krankenhaus gewesen. Dies habe angefangen, als er mit Strom gefoltert worden sei. Damals hätten die Blutungen aus dem Mund und der Nase angefangen, wobei dies auf seine TBC-Erkrankung zurückzuführen gewesen sei. Die Folterungen hätten seinen Zustand jedoch verschlimmert. Der Beschwerdeführer sei vor seiner Anhaltung bereits ständig in ärztlicher Behandlung aufgrund seiner Tuberkuloseerkrankung gestanden. Er sei auch am Tag des Moscheebesuchs zuvor in ärztlicher Behandlung wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung gewesen.

 

Der Beschwerdeführer besitze keine ärztlichen Unterlagen aus seiner Heimat.

 

In Inguschetien habe er sich aufgehalten, da er von seiner Mutter dorthin zu Verwandten geschickt worden sei. Er habe dort auf Baustellen gearbeitet.

 

Es sei ihm nicht möglich, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation - außerhalb von Tschetschenien - niederzulassen.

 

Seine Mutter habe dem Beschwerdeführer nach seiner Ausreise telefonisch mitgeteilt, dass nach ihm gefragt worden sei. Sie habe neben dem Haus ein Auto ohne Kennzeichen stehen sehen und den Verdacht geschöpft, dass sie beobachtet werde. Der Beschwerdeführer habe ihr deshalb geraten, nach Georgien zu ihrem Bruder zu ziehen.

 

In der Zeit während seines Aufenthaltes in XXXX habe er keine Probleme gehabt. Er sei dort acht Monate lang behandelt worden. Er habe auch in Inguschetien keine Probleme gehabt. Dort werde nicht wie in Russland kontrolliert und werde man auch nicht gefragt, ob man Tschetschene sei oder nicht.

 

Auf die Frage, wieso er nicht schon früher ausgereist sei, meinte er, geduldig gewartet und auf ein Ende des Krieges bzw. eine Verbesserung der Situation gehofft zu haben. Außerdem sei seine Mutter im Herkunftsstaat aufhältig gewesen.

 

Der Beschwerdeführer habe seine Ausreise bzw. seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf einer Autoreparaturwerkstätte, die einem Freund und ihm gehört habe, erwirtschaftet. Im Übrigen habe er eine Pension erhalten, als er im Krankenhaus gewesen sei. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass er für den weiteren Bezug der Pension zur Kontrolle erscheinen müsste. Deswegen sei ihm die Pension mittlerweile gestrichen worden.

 

Im Übrigen erklärte der Beschwerdeführer, nicht politisch tätig und auch kein Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein. Er sei - abgesehen vom Geschilderten - nicht in Haft gewesen. Er sei keiner persönlichen Verfolgung durch staatliche Stellen ausgesetzt gewesen und habe auch keine sonstigen Probleme mit diesen gehabt. Aufgrund des Umstandes, dass er Moslem und Tschetschene gewesen sei, sei er in XXXX gehasst worden. Sonst habe er keine Probleme im Zusammenhang mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt.

 

Er vermute, dass seine ganzen Probleme in Zusammenhang mit seiner Religion stehen würden. Es gebe in Tschetschenien zwar viele Moslems, doch werden jene, die die Moschee besuchen, verdächtigt und würden von Kadyrovs Leuten verfolgt werden.

 

Dem Beschwerdeführer wurden aktuelle Länderinformationen zum Herkunftsstaat zur schriftlichen Stellungnahme vorgehalten.

 

Für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte der Beschwerdeführer, zu einer Zusammenarbeit mit Kadyrovs Leuten gezwungen zu werden.

 

Nicht maskierte Kadyrov-Leute seien vor einem bzw. ungefähr zwei Monaten zu seiner Mutter gekommen und hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt. Die Mutter sei gefragt worden, wo der Beschwerdeführer sei, was er mache und ob er eventuell im Krieg sei. Der Beschwerdeführer hätte zu ihnen kommen sollen.

 

Die Kadyrov-Leute würden mit Krieg meinen, ob der Beschwerdeführer im Widerstand kämpfe, was er jedoch niemals getan habe.

 

Zu seinen Lebensumständen im Bundesgebiet befragt, meinte der Beschwerdeführer, dass er ärztliche Termine wahrnehme und Medikamente einnehme. Sonst mache er nichts. Er beziehe staatliche Hilfe und lebe von der Grundversorgung. Er sei kein Mitglied in einem Verein und seine Kontakte würde sich auf jene Personen beschränken, mit welchen er im Krankenhaus zu tun habe. Er besuche auch keine sonstigen Ausbildungsmaßnahmen oder Deutschkurse.

 

Auf ausdrückliche Befragung am Ende der Einvernahme bestätigte der Beschwerdeführer, dass er psychisch und physisch in der Lage gewesen sei, der Einvernahme zu folgen.

 

Das vorgelegte Konvolut an medizinischen Unterlagen besteht aus folgenden Teilen: Mit Bescheid der XXXX wurde die gesundheitliche "Überwachung" des Beschwerdeführers aufgrund seiner Tuberkuloseerkrankung angeordnet. Das XXXX legte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom XXXX ebenso derartige Verpflichtungen im Zusammenhang mit seiner Tuberkuloseerkrankung auf. Im vorgelegten Patientenbrief der Lungenabteilung eines näher genannten KH vom 16.07.2009 wurden Lungentuberkulose und Hepatitis B beim Beschwerdeführer diagnostiziert. Aufgrund dessen habe sich der Beschwerdeführer vom 16.01.2009 bis 16.07.2009 in stationärer Behandlung befunden und müsse sich nach seiner Entlassung einer langfristigen tagesstationären Infusionstherapie (4 x wöchentlich) unterziehen.

 

Im Patientenbrief wurde dargelegt, dass die Lungentuberkulose beim Beschwerdeführer seit dem Jahr 2005 bekannt sei. Im Jahr 2005 und im Jahr 2007 sei der Beschwerdeführer in Tschetschenien, im Jahr 2006 in XXXX behandelt worden.

 

Die Therapie des Beschwerdeführers könne frühestens im Jänner 2011 beendet werden. Aus heutiger Sicht sei die Prognose, wenn die Therapie konsequent fortgeführt werden würde, sehr gut. Sollte die Therapie beendet oder inkonsequent fortgeführt werden, sei die Prognose schlecht und der Beschwerdeführer könne neuerlich eine ansteckende Form der Tuberkulose entwickeln.

 

Schließlich wurde ein Bericht über die ambulante Begutachtung des Beschwerdeführers vom 26.08.2009 eines näher genannten KH vorgelegt.

 

I.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.10.2009, Zl. 08 12.647-BAE, hat das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihm den Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 im Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und er gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III).

 

Das Bundesasylamt legte der Entscheidung aktuelle Länderinformationen zum Herkunftsstaat zugrunde.

 

Die Identität wurde von der belangten Behörde mangels Vorlage entsprechender Dokumente nicht festgestellt.

 

Die Glaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungsgründe wurde verneint, da sich das Vorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich und teilweise auch unplausibel gestaltet habe.

 

Der Beschwerdeführer habe keine gleichbleibenden Ausführungen zum Aufenthalt vor der Ausreise und auch zu seinem Fluchtgrund machen können. Die von ihm angeführte Festnahme mit anschließender Anhaltung während der er gefoltert worden sei, sei widersprüchlich dargestellt worden.

 

Plausibel sei in diesem Zusammenhang auch nicht, dass er sich nach seiner Freilassung bis zur Ausreise zur Behandlung ins Krankenhaus begeben habe, wo er keine Probleme zu gewärtigen gehabt habe.

 

Als Indiz gegen die Glaubwürdigkeit betrachtete die belangte Behörde weiters, dass der Beschwerdeführer sich persönlich einen Reisepass bei den zuständigen Behörden ausstellen lassen habe.

 

Im Fall des Beschwerdeführers hätten sich auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen subsidiärer Schutzgründe ergeben. Die TBC-Erkrankung des Beschwerdeführers habe bereits im Herkunftsstaat bestanden und sei der Beschwerdeführer dahingehend auch bis zur Ausreise in Behandlung gestanden. Auch aus den Länderinformationen zur medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat würden sich adäquate Behandlungsmöglichkeiten ergeben. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stehe einer Abschiebung des Beschwerdeführers im Lichte des Art. 3 EMRK nicht entgegen. Andere Abschiebehindernisse hätten sich aus dem Akteninhalt nicht ergeben.

 

Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei im Lichte des Art. 8 EMRK notwendig und geboten.

 

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht - am 03.11.2009 - Beschwerde erhoben, in der dieser wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit seinem gesamten Umfang nach angefochten wurde.

 

Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid habe der Beschwerdeführer seine Verfolgung im Detail geschildert. Insbesondere von seiner Anhaltung habe er konkret und lebensnah berichtet. Das Vorbringen sei demnach keineswegs als vage zu qualifizieren.

 

Das Vorbringen stehe auch im Einklang mit der Situation in Tschetschenien und sei daher als plausibel zu qualifizieren.

 

Dem Beschwerdeführer seien im angefochtenen Bescheid dargelegte Widersprüche auch nicht vorgehalten worden.

 

Der Beschwerdeführer sei im Krankenhaus, wo er sich zuletzt aufgehalten habe, nicht verhaftet worden, da er sich dort wegen offener TBC aufgehalten habe.

 

Auch der Umstand, dass er unter Verwendung seines Reisepasses ausgereist sei, schließe eine asylrelevante Verfolgung nicht aus. Die Judikatur des VwGH besage, dass aus der legalen Ausreise eines Asylwerbers alleine noch nicht der Schluss gezogen werden könne, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer sei auch nicht näher zum Pass bzw. den Umständen der Ausreise mit dem Pass gefragt worden.

 

Im Übrigen habe es die belangte Behörde unterlassen, die Ausführungen des Beschwerdeführers mit jenen seines genannten Freundes (Zl. 08 12.649-BAG) zu vergleichen, der gemeinsam mit dem Beschwerdeführer inhaftiert gewesen sei.

 

Der Beschwerdeführer beantragte, den genannten Zeugen zu vernehmen.

 

Auch der Umstand, dass seine übrigen Familienmitglieder bereits Tschetschenien verlassen hätten und nun in Georgien leben würden, deute darauf hin, dass seine Familie tatsächlich massiv verfolgt werde. Er habe vor der belangten Behörde auch angegeben, dass nach seiner Ausreise regelmäßig bei seiner Mutter nach ihm gefragt worden sei.

 

Die Länderinformationen im angefochtenen Bescheid würden die aktuelle Situation nach dem offiziellen Ende des Krieges und dem Abzug der russischen Truppen nicht berücksichtigen. Dahingehend wurden Berichte über das aktuelle Geschehen im Nordkaukasus (Quelle: derstandard.at) der Beschwerde beigelegt, wonach sich dort die Sicherheitslage in den letzten Monaten verschlechtert habe.

 

Tatsächlich würden Rebellen unvermindert verfolgt. Dem Beschwerdeführer drohe demnach im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung aus politischen Gründen, nämlich wegen unterstellter Verbindungen zum tschetschenischen Widerstand.

 

Der Beschwerdeführer sei streng gläubiger Moslem und sei ihm deswegen eine entsprechende politische Gesinnung unterstellt worden, weshalb seine Verfolgung auch als religiöse Verfolgung gedeutet werden könne.

 

Seine Mutter sei auch gefragt worden, ob sich der Beschwerdeführer den islamischen Kämpfern in den Bergen angeschlossen habe.

 

Dem Beschwerdeführer stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

 

Der Beschwerdeführer stellte schließlich die Schreibweise seines Namens richtig.

 

Aus den genannten Gründen hätte dem Beschwerdeführer zumindest subsidiärer Schutz gewährt werden müssen.

 

Auch die Möglichkeit zur Behandlung seiner TBC-Erkrankung müsse entsprechend geprüft werden.

 

Mit Urteil des XXXX vom XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

 

I.4. Am 07.03.2013 fand vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer und der beantragte Zeuge (XXXX, Zl. D12 409472-1/2009) befragt wurden (OZ 8Z). Der Beschwerdeführer wurde zur Aktualität seiner Fluchtgründe, zu seinem Gesundheitszustand bzw. zu einer mittlerweile erfolgten Integration befragt, der Zeuge zur gemeinsamen Anhaltung mit dem Beschwerdeführer. Der Zeuge verwies in diesem Zusammenhang auf seine Angaben in seinem Beschwerdeverfahren.

 

Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurden der Vertretung Länderinformationen zum Herkunftsstaat ausgefolgt und der Auftrag erteilt sich dahingehend innerhalb von 2 Wochen zu äußern.

 

Der Beschwerdeführer brachte eine Bestätigung der XXXX vom 05.03.2013 in Vorlage, wonach er sich an gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten beteiligt habe.

 

Mit Faxeingabe vom 07.03.2013 wurden entsprechende Unterlagen betreffend das in der Beschwerde dargelegte Familienleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet vorgelegt.

 

Der Beschwerdeführer sei mit XXXX, Zl. D13 414777-1/2010, nach muslimischem Recht verheiratet. Mit dieser hat der Beschwerdeführer die im Bundesgebiet geborene Tochter XXXX, Zl. D13 430606-1/2012. Das Beschwerdeverfahren seiner Lebensgefährtin und seiner minderjährigen Tochter seien derzeit beim Asylgerichtshof anhängig.

 

In der vorgelegten Geburtsurkunde betreffend die minderjährige Tochter ist der Beschwerdeführer als Vater eingetragen.

 

Im Fall des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin würde ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 vorliegen. § 34 Abs. 6 AsylG 2005 sei gemäß § 75 Abs. 9 AsylG 2005 nicht anwendbar, da die Asylanträge des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin bereits vor dem 01.01.2010 gestellt worden seien. Der Verfahrensausgang betreffend die Lebensgefährtin wäre demnach auch bei der Entscheidung betreffend den Beschwerdeführer zu berücksichtigen.

 

Mit Faxeingabe vom 21.03.2013 wurde bezugnehmend auf die Verhandlung vom 07.03.2013 eine entsprechende Stellungnahme übermittelt.

 

Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer glaubwürdig dargelegt habe, dass er mehrfach ohne Rechtsgrundlage mitgenommen, misshandelt und gefoltert worden sei. Er sei schließlich dazu genötigt worden, Dokumente zu unterschreiben, mit denen er der Kooperation mit dem Regime von Kadyrov zugestimmt habe.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätige sich auch in den Länderberichten.

 

Die tschetschenischen Behörden seien aufgrund des sehr religiösen Lebenswandels des Beschwerdeführers und seines Aussehens auf ihn aufmerksam geworden. Seine (vermeintliche) Nähe zu wahabitischen Kreisen habe ihn zu einem sehr guten Informanten gemacht, um Informationen über Widerstandskämpfer zu beschaffen, da diese derselben religiösen Ausrichtung zugerechnet werden würden und von Seiten des tschetschenischen Regimes ein gedanklicher Konnex zwischen Wahabismus und Widerstand hergestellt werden würde.

 

Den vorgehaltenen Länderberichten werde insoweit zugestimmt, als sie das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers bestätigen würden.

 

Aus den Länderberichten gehe zwar prinzipiell hervor, dass in der Verfassung Religionsfreiheit vorgesehen sei. Nicht-traditionelle Muslime, vor allem jene, die ihren Glauben strenger ausleben würden, würden jedoch oft in unmittelbarem gedanklichem Konnex mit Terrorismus gebracht und aufgrund dessen verfolgt werden.

 

Der Beschwerdeführer falle unter diesen Personenkreis. Auch aufgrund seiner nunmehrigen Lebensgefährtin, die ebenfalls streng muslimisch lebe und Witwe eines tschetschenischen Selbstmordattentäters sei, würde ein zusätzliches Gefährdungspotential im Falle einer nunmehrigen Rückkehr in den Herkunftsstaat bestehen.

 

Die religiöse Überzeugung des Beschwerdeführers stelle die Verfolgungsursache dar. Er habe mehrmals angegeben, auch bereits in Tschetschenien als sehr frommer Moslem gelebt zu haben. Er sei aufgrund seiner religiösen Überzeugung von den Leuten Kadyrovs als Informant ausgewählt worden. Zur Untermauerung wurden Zitate aus diversen Länderinformationen zitiert.

 

Das Zusammentreffen mit XXXX habe der Beschwerdeführer im Übrigen bereits vor dem Bundesasylamt am 27.08.2009 erwähnt.

 

Der Beschwerdeführer habe auch nicht - wie in der mündlichen Verhandlung vorgeworfen - divergierende Zeitangaben getätigt. Dahingehend wurden entsprechende Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens zitiert.

 

Tatsächlich bestehe lediglich bezüglich des Zeitraumes zwischen Haftentlassung und Ausreise eine kleine Ungenauigkeit von wenigen Tagen (ca. ein Monat - 20 Tage).

 

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass es zu geringfügigen Abweichungen der Angaben gekommen sei, müsse berücksichtigt werden, dass in Bezug auf ein Fluchtvorbringen ein gewisses Ausmaß an Widersprüchen völlig normal sei und eine hundertprozentige Kongruenz des Vorbringens nicht unbedingt erforderlich sei. Dies ergebe sich aus zahlreichen Entscheidungen des Asylgerichtshofes, wobei dahingehend zwei Entscheidungen auszugsweise zitiert wurden.

 

Zum Bezug der Alterspension durch die Mutter und den Bezug einer Rente des Beschwerdeführers aufgrund seiner schweren TBC-Erkrankung wurde dargelegt, dass diese Umstände nicht gegen die Verfolgung des Beschwerdeführers sprechen würden. Der Beschwerdeführer sei kein "offizieller Staatsfeind" gewesen. Seine Verfolgung leite sich auch nicht von einer vermeintlichen Tätigkeit als Widerstandskämpfer ab.

 

Die Gefahr für den Beschwerdeführer verstärke sich nicht zuletzt auch deshalb, als er trotz Zustimmung zur Kooperation mit dem Regime des Kadyrov ausgereist sei, jedoch zuvor noch Papiere unterschrieben habe, die eine nach außen hin rechtskonform scheinende strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen könnten.

 

Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen glaubwürdig - nämlich gleichbleibend, plausibel und nachvollziehbar - geschildert.

 

Weiters hätten sich durch die Einvernahme des Zeugen XXXX keine Widersprüche ergeben, was nicht allein an der Vorbereitung zur Verhandlung durch die Vertreterin liege, da inhaltlich niemals alle möglichen Fragen in der Vorbereitung abgedeckt werden hätten können, sondern daran, dass das Vorbringen der Wahrheit entspreche. Dies untermauere einmal mehr die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers.

 

I.5. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, Zl. 08 12.647-BAE, beinhaltend die Befragungen am 15.12.2008 (AS 21-23, Bericht Polizei), am 17.12.2008 (Erstbefragung, AS 11-19) und am 27.08.2009 (AS 147-173), die Beschwerde vom 03.11.2009 (AS 273-293), die Einvernahme des Beschwerdeführers und Zeugen XXXX im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 07.03.2013 (OZ 8Z), Einsicht in die im Beschwerdeverfahren übermittelten Unterlagen, Einsicht in die Asylakten des XXXX als Zeugen, seiner Lebensgefährtin XXXX und seiner minderjährigen Tochter XXXX (Zlen. D12 409472-1/2009, 08 12.649-BAG, D13 414777-1/2010, Zl. 09 13.811-BAT, D13 430606-1/2012 und 1214.511-BAT) sowie durch Einsichtnahme in die Länderfeststellungen bestehend aus folgenden Quellen:

 

Länderfeststellung des Asylgerichtshofes (Stand: Juli 2012);

 

Analyse der Staatendokumentation hinsichtlich Unterstützter und Familienmitglieder von Widerstandskämpfern in Tschetschenien sowie

 

Bericht zum Forschungsaufenthalt, Russische Föderation - Republik Tschetschenien (Dezember 2011).

 

I.6. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers wurde Folgendes festgestellt:

 

I.6.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig. Identitätsbezeugende Dokumente hat der Beschwerdeführer im Verlauf des Asylverfahrens nicht vorgelegt.

 

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt und drohen ihm solche auch in Zukunft nicht. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe bzw. das von ihm dargelegte Bedrohungsszenario im Herkunftsstaat wird mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt.

 

Dem Beschwerdeführer droht zum Entscheidungszeitpunkt im Herkunftsstaat weder eine unmenschliche Behandlung, Todesstrafe oder unverhältnismäßige Strafe bzw. eine sonstige individuelle Gefahr.

 

Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers steht seiner Rückführung in den Herkunftsstaat nicht entgegen. Auch sonst war keine anderweitige Gefährdung im Gefolge seiner Rückkehr feststellbar, die einer Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte gleichkäme.

 

Im Bundesgebiet halten sich seine Lebensgefährtin und seine im Bundesgebiet geborene Tochter (Zlen. D13 414777-1/2010 und D13 430606-1/2012) auf. Deren Asylverfahren wurden jedoch negativ entschieden und sind diese - wie der Beschwerdeführer selbst - von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen (Erkenntnisse betreffend die Lebensgefährtin und die minderjährige Tochter vom 08.07.2013, Zlen. D13 414777-1/2010/14E und D13 430606-1/2012/4E).

 

Mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127, 129/1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten verurteilt.

 

Der Beschwerdeführer hält sich nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet seit Dezember 2008 durchgehend in Österreich auf. Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt.

 

I.6.2. Zum Herkunftsland des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

 

Hinsichtlich der aktuellen Situation in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien wird auf die im Akt einliegenden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung zur Stellungnahme vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

 

Feststellungen zur Lage in Tschetschenien und zur IFA von Tschetschenen in Russland

 

(Stand Juli 2012)

 

Die Tschetschenische Republik ist eines der 83 Subjekte der Russischen Föderation. Die sieben mehrheitlich moslemischen Republiken im Nordkaukasus wurden jüngst zu einem neuen Föderationsbezirk mit der Hauptstadt Pjatigorsk zusammengefasst. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen), fast alle sind islamischen Glaubens (sunnitische Richtung). Die Tschetschenen sind das älteste im Kaukasus ansässige Volk und nur mit den benachbarten Inguschen verwandt. Freiheit, Ehre und das Streben nach (staatlicher) Unabhängigkeit sind die höchsten Werte in der tschetschenischen Gesellschaft, Furcht zu zeigen gilt als äußerst unehrenhaft. Sehr wichtig ist auch der Respekt gegenüber älteren Personen und der Zusammenhalt in der (Groß-)Familie, den Taips (Clans) und Tukkums (Tribes). Eine große Bedeutung hat auch das Gewohnheitsrecht Adat. Es gibt sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede zwischen den Flachland- und den Bergtschetschenen.

 

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

 

Laut Ministerpräsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten. Er hat seine Macht in der Zwischenzeit gefestigt und zu einem Polizeistaat ausgebaut "(Kadyrow'scher Privatstaat" Uwe Halbach). Seit 2. September 2010 trägt Kadyrow den Titel "Oberhaupt" Tschetscheniens.

 

Bis Februar 2011 wurde Russland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg bereits in 162 Fällen für schwerste Menschenrechtsverletzungen während des zweiten Tschetschenien-Kriegs verurteilt. Im Februar 2011 wurde Ramzan Kadyrow von Präsident Medwedew zu einer zweiten fünfjährigen Amtszeit als Republiksoberhaupt ernannt. Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten. Der russische Präsident Medwedew versucht Tschetschenien auch durch Wirtschaftshilfe zu "befrieden".

 

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen wie dem Wahhabismus. Viele Moscheen wurden wiederaufgebaut, die Zentralmoschee von Grosny ist die größte in Russland. Jeder, der in Verdacht steht, ihn und seine Regierung zu kritisieren, wird verfolgt. Eine organisierte politische Opposition gibt es daher nicht. Die 16.000 Mann starken Einheiten Kadyrows sind für viele Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien bis heute verantwortlich.

 

(Tschetschenien, http://de.wikipedia.org/wiki/Tschetschenien, Zugriff 11.01.2011, Ramzan Kadyrow, http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow, Zugriff 11.01.2011, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus:

Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 25.11.2009, Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation/Tschetschenien, Adat-Blutrache vom 5.11.2009, Martin Malek, Understanding Chechen Culture, Der Standard vom 19.01.2010, Eurasisches Magazin vom 03.05.2010, Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Frauen in Tschetschenien vom 08.04.2010, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 20, The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 8, Issue 42, 02.03.2011)

 

1. Allgemeine Sicherheitssituation

 

In Tschetschenien hat Oberhaupt Ramzan Kadyrow ein repressives, stark auf seine Person zugeschnittenes Regime etabliert, was die Betätigungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft auf ein Minimum reduziert. Trotz deutlicher Wiederaufbauerfolge ist die ökonomische Lage in Tschetschenien desolat, es gibt kaum Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des staatlichen Sektors. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle ging nach einem relativen Höchststand 2009 wieder zurück. Dennoch kam es 2010 und 2011 zu einigen ernsthaften Vorfällen. Im gesamten Nordkaukasus soll es nach Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 21, Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

 

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffnete Opposition wird mittlerweile von islamistischen Kräften dominiert, welche allerdings kaum Sympathien in der Bevölkerung genießen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrierten sich auf entlegene Bergregionen.

 

Seit Jahresbeginn 2010 ist es in Tschetschenien jedoch zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt, was teilweise ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien bewirkt. Die Macht von Ramzan Kadyrow, ist in Tschetschenien unumstritten. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe, über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Ministerpräsident Putin verfüge und sich großer Beliebtheit unter der Bevölkerung erfreue.

 

(Asylländerbericht Russland der Österreichischen Botschaft in Moskau, Stand 21.10.2010, Seite 15)

 

Der stetige Rückgang der föderalen Streitkräfte nach Ende der "heißen" Phase des zweiten Krieges ab 2002 kann als Zeichen für die verbesserte Sicherheitslage verstanden werden. Der Rückzug der russischen Truppen war nicht nur durch die Stabilisierung der Sicherheitslage, sondern auch durch die sukzessive Übergabe der Verantwortung auf lokale tschetschenische Streitkräfte, die erst in den letzten Jahren anwuchsen, möglich. Die andauernde Stationierung föderaler Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der trotz der Beendigung der von 1999 bis 2009 dauernden Anti-Terror-Organisation (ATO) nicht erfolgte Abzug zeigen, dass die tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin föderale Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen benötigen. Andererseits kann auch davon ausgegangen werden, dass Moskau seine Truppen vermutlich aus mangelndem Vertrauen in Kadyrow weiterhin dort stationiert lässt. Die in den letzten Monaten ergriffenen Maßnahmen und die Wortwahl der Präsidenten Medwedew und Kadyrow sowie des Ministerpräsidenten Putin zeigen jedenfalls, dass man zur Bekämpfung des "Terrorismus" im Nordkaukasus insgesamt weiterhin eher auf militärische Gewalt setzt, und soziale und wirtschaftliche Maßnahmen eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Medwedew fordert weiterhin "brutale Maßnahmen" gegen Terroristen und spricht von einem "schonungslosen Kampf" gegen die Rebellengruppen. Auch in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 oder den Anschlag auf ein Kaffeehaus in Pjatigorsk im August 2010 sprach sich Medwedew für die "Zerstörung" der Kämpfer aus. In Anbetracht der 2014 in Sotschi stattfindenden olympischen Winterspiele wird gemutmaßt, dass Medwedew meinen könnte, allein die Anwendung roher Gewalt könne die Region genügend stabilisieren um die Abhaltung der Spiele nicht zu gefährden.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 14)

 

Zusammenfassend ist auszuführen, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Organisation 2009 temporär wieder vermehrt Anschläge in Tschetschenien zu verzeichnen waren. Die 2009 sprunghaft angestiegene Anzahl an Selbstmordanschlägen ist 2010 wieder stark eingebrochen. Der jüngste Angriff auf die Heimatstadt Kadyrows Zenteroi am 29. August 2010 lässt keine Zweifel, dass die tschetschenischen Rebellen auch zu taktisch herausfordernden Aktionen fähig sind. Von einer Stärkung der Widerstandsbewegung, die in der nächsten Zeit zu einem Ausbruch größerer Kamphandlungen führen könnte, ist jedoch nicht auszugehen.

 

Wenngleich sich die Sicherheitslage im Sinne dessen, dass keine großflächigen Kampfhandlungen stattfinden und es zu keiner Vertreibung der Zivilbevölkerung kommt, stabilisiert hat, so zeigt sich also, dass dies nicht zuletzt auf die repressive Machtausübung Ramzan Kadyrows und seiner Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Allgemein ist nach wie vor ein hohes Maß an Gewalt feststellbar, vor allem außerjudizielle Tötungen und Kollektivstrafen. Das teilweise brutale und in einigen Fällen als menschenrechtswidrig zu bezeichnende Vorgehen der Sicherheitskräfte (für das diese kaum belangt werden) bringt zwar auch Resultate mit sich, da immer wieder auch führende Kämpfer "neutralisiert", also getötet oder verhaftet, werden und die Sicherheitslage in Tschetschenien dadurch weitgehend stabilisiert werden konnte, andererseits trägt dieses Vorgehen dazu bei, dass sich auch junge Menschen, die sich zunächst nicht mit radikal-islamischem Gedankengut identifizieren, der Widerstandsbewegung anschließen. Deshalb wird die Rebellenbewegung auch in nächster Zeit nicht an Schlagkraft verlieren. Eine nachhaltige Befriedung ist also weiterhin nicht absehbar, die in Zusammenhang mit Tschetschenien so oft zitierte Gewaltspirale dreht sich weiter.

 

In Tschetschenien kam es im Sommer 2010 zu einer Spaltung innerhalb des bewaffneten Widerstands, als sich ein Teil der bewaffneten Kämpfer vom bis dahin einflussreichsten Anführer Doku Umarow und seiner Doktrin der Schaffung eines islamischen "Emirat Kaukasus" lossagte. Dieser Zwist führte, zusammen mit dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen "Terroristen" und deren Angehörige, zu einer Abnahme der direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Widerstandskämpfern und Sicherheitskräften, ohne dass die Gewalt insgesamt weniger wurde. Die rund 20.000 "Kadyrowzy" sind nach wie vor aktiv. Die Jamestown Foundation schätzt, dass beinahe 90 Prozent der tschetschenischen islamistischen Gruppierungen nun dem Kommando von Emir Hussein unterstehen, während ein Großteil der dagestanischen, inguschetischen und kabardino-balkarischen "Jamaats" nach wie vor Umarow treu sind. Dieser wurde schon mehrmals totgesagt, was sich bis heute als falsch erwiesen hat.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation:

Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 4-5, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 6, 8 und 9; Russia, Freedom in the World 2012)

 

2. Verfolgungsgefahr

 

UNHCR sieht derzeit insbesondere (ehem.) Rebellen und deren Verwandte, politische Gegner Kadyrows, Personen, die eine offizielle Funktion in der Verwaltung Maschadows hatten, Menschenrechtsaktivisten und Personen, die Beschwerden bei regionalen und internationalen Menschenrechtseinrichtungen eingebracht haben und unter besonderen Umständen Frauen und Kinder, als besonders gefährdet an. Personen, die in Sicherheitseinrichtungen, z.B. unter Dudaev und Maschadov tätig gewesen sind oder früher an Rebellenaktivitäten teilgenommen haben, laufen nach wie vor Gefahr, bei einer Rückkehr in die Gefangenschaft zu geraten.

 

(Anfragebeantwortung von ACCORD vom 08.06.2010)

 

Dick Marty, Sonderberichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, bezeichnet in seinem Bericht den Nordkaukasus als die "europäische Region, in der seit Jahren die gravierendsten und umfangreichsten Menschenrechtsverletzungen stattfinden" und spricht von "systematischen Menschenrechtsverletzungen". Willkürliche Festnahmen und Haft, bei denen es in den meisten Fällen zu Folter kommt, sind im Nordkaukasus alltäglich. Das Ziel ist meistens, Informationen über mutmaßliche Widerstandskämpfer oder Geständnisse sowie die Beschuldigung anderer Personen zu erhalten, welche später in einem Gerichtsverfahren verwendet werden können. Willkürliche Festnahmen werden aber auch eingesetzt, um Menschenrechtsaktivisten, Kritiker und andere Zivilpersonen unter Druck zu setzen und zum Schweigen zu bringen.

 

Folter und Misshandlung muss aber nicht nur die gesamte Zivilbevölkerung befürchten. Sie drohen auch aus dem Ausland zurückkehrenden Tschetschenen. Das erzwungene Verschwinden von Personen gehört wie Folter und Tötungen zum Alltag im Nordkaukasus.

 

Kadyrow versprach zudem 100.000 Dollar für jeden getöteten und 50.000 Dollar für jeden lebend gefangen genommenen "Aufständischen". Diese Strategie wird auch von Moskau öffentlich unterstützt. Von Menschenrechtsorganisationen wird kritisiert, dass Entschädigungszahlungen für zerstörte Liegenschaften nur in sehr beschränktem, unzureichendem Ausmaß bezahlt werden. Amnesty International weist darauf hin, dass viele der Entschädigten bis zu 50 Prozent der erhaltenen Gelder gleich als Bestechungsgelder bezahlen mussten. Hohe tschetschenische Beamte und auch Präsident Kadyrow selbst fielen immer wieder durch Drohungen gegenüber den Angehörigen von (mutmaßlichen) Widerstandskämpfern und Rechtfertigungen von kollektiver Bestrafung auf.

 

(Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nordkaukasus: Sicherheits- und Menschenrechtslage vom 12.09.2011, Seite 10-14, sowie 17)

 

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann.

 

(BAA/Staatendokumentation: Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien, 20.4.2011)

 

2.1. Zivilbevölkerung

 

Vertreter russischer und internationaler NROs (Memorial, Human Rights Watch, amnesty international, Danish Refugee Council) zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild für Tschetschenien. Es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung.

 

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 07.03.2011, Seite 22)

 

Bei Sondereinsätzen der Anti-Terror-Organisation geraten gelegentlich auch Zivilisten ins Schussfeld, wie etwa ein Vorfall im inguschetisch-tschetschenischen Grenzgebiet im Februar 2010 zeigt:

Bei diesem Sondereinsatz kamen je nach Angaben zwischen vier und 14 Zivilisten ums Leben. Zudem steht der Vorwurf im Raum, dass Sicherheitskräfte getötete Zivilisten manchmal als Kämpfer bezeichnen würden, um die Statistik zu schönen. Die derzeit stattfindenden Kämpfe führen jedoch nicht zu einer Vertreibung der Zivilbevölkerung.

 

Bis Mai 2011 hatte der EGMR in rund 180 Fällen Verletzungen der Artikel 2 und 3 der EMRK bei Einsätzen der Sicherheitskräfte in Tschetschenien festgestellt. 60% der Beschwerden betrafen das Verschwinden von Personen. [...] Die andauernden Muster der Straffreiheit für solch ernsthafte Verletzungen zählen zu den hartnäckigsten Menschenrechtsproblemen im Nordkaukasus. Es gab sicherlich mehrere positive Schritte wie die Einrichtung von Untersuchungskomitees, die Unterstützung der Teilnahme von Opfern bei der strafrechtlichen Verfolgung und die Verkündung mehrerer Direktiven hierzu. Viele Untersuchungen ergeben jedoch keinerlei Ergebnisse; in Fällen, in denen Behörden selbst in Verbrechen involviert waren bestehen Zweifel, inwieweit diese mit den Untersuchungsbehörden die notwendige Kooperation ermöglichen können.

 

(Council of Europe - Commissioner for Human Rights: Report by Thomas Hammarberg Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 12 to 21 May 2011, 6.9.2011)

 

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) will sicherstellen, dass die Polizei und Truppen des Innenministeriums, welche Sicherheitsoperationen durchführen, die Gesetze kennen. Daher führte das Komitee zwischen Juni 2010 und Jänner 2011 Informationsveranstaltungen für Sicherheitskräfte durch. Zudem führt das IKRK regelmäßigen Dialog mit föderalen und lokalen Exekutivbehörden über Festnahmen, Inhaftierungen und Gewaltanwendung.

 

(ReliefWeb: Russian Federation/Northern Caucasus: ICRC maintains aid effort, 1.3.2011,

http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/JARR-8EJHNK?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7)

 

In den letzten Jahren kehrten nicht nur tausende Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück, sondern auch Tschetschenen, die nach Europa flüchteten. Das subjektive Unsicherheitsgefühl verhindert eine solche Rückkehr scheinbar nicht. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in Tschetschenien weiterhin Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen oder unmenschliche Behandlung durch Sicherheitskräfte stattfinden und fragwürdige Maßnahmen wie die Kollektivbestrafung von Kadyrow und anderen tschetschenischen Amtsträgern gutgeheißen werden.

 

(Analyse der Staatendokumentation, Russische Föderation: Sicherheitslage in Tschetschenien vom 12.10.2010, Seite 5)

 

2.2. Die Rebellen

 

Die tschetschenische Rebellenbewegung entwickelte sich bereits vor Ausbruch des zweiten Krieges immer mehr von einer separatistischen hin zu einem islamistischen Netzwerk und radikalisierte sich im Verlauf der Kriegsjahre erheblich. Damit einher ging die Ausbreitung der Gewalt auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan, wo die Sicherheitslage mi

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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