RS Vfgh 2013/3/14 B1326/12

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.03.2013
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Index

10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht
L9270 Jugendwohlfahrt, Kinderheime

Norm

DSG 2000 §1 Abs2, §8 Abs1, Abs4, §31, §31a, §36, §38
Oö JWG 1991 §5c Abs4 Z2
EMRK Art8 Abs2
Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG Art22, Art28 Abs1
EU-Grundrechte-Charta Art8 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung einer Beschwerde an die Datenschutzkommission wegen Übermittlung von Verwaltungsstrafdaten für Zwecke eines Verfahrens in einer Jugendwohlfahrtssache nach dem Oö Jugendwohlfahrtsgesetz 1991; keine Bedenken gegen die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes 2000 betreffend die Organisation der im vorliegenden Fall als Gericht im unionsrechtlichen Sinn und nicht als Kontrollstelle tätig gewordenen Datenschutzkommission im Hinblick auf die erforderliche Unabhängigkeit

Rechtssatz

Im vorliegenden Fall stellt §5c Abs4 Z2 Oö JWG 1991 die im Sinne des §1 Abs2 iVm §8 Abs1 und Abs4 DSG 2000 notwendige gesetzliche Ermächtigung zur Datenübermittlung dar.

§5c Abs4 Oö JWG 1991 regelt die Verwendung personenbezogener Daten bestimmter Personen im überwiegenden Interesse eines Minderjährigen, bei denen typischer Weise ein Naheverhältnis zwischen einem Minderjährigen und eben jenen Personen besteht. Aus diesem Grund erweist sich bereits die Prämisse der Beschwerdeführerin als unrichtig, dass der in §5c Abs4 Oö. JWG 1991 genannte Personenkreis zu weit gefasst sei.

Der durch §5c Abs4 Z2 Oö JWG 1991 verankerte Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrecht auf Datenschutz erscheint nach Maßgabe des Art8 Abs2 EMRK iVm §1 Abs2 DSG 2000 verhältnismäßig, weil die Behörde in Wahrnehmung der ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben zur Wahrung des Kindeswohles, das zweifelsohne ein Schutzgut iSd Art8 Abs2 EMRK darstellt, nur tätig werden darf, wenn Pflege und Erziehung durch die Erziehungsberechtigten das Wohl des Minderjährigen nicht ausreichend gewährleisten. Nur in einem solchen Fall darf die Behörde gemäß §5c Abs4 Z2 Oö JWG 1991 personenbezogene Daten von Minderjährigen, mit ihnen verwandten oder verschwägerten Personen, Personen, die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, Bezugspersonen sowie ganz oder teilweise mit der Obsorge betrauten Personen zum Zweck der Stellungnahme an Zivil- oder Strafgerichte verwenden. Es handelt sich daher im konkreten Fall um ein möglichst gelindes und im engeren Sinne angemessenes Mittel, personenbezogene Daten zur Beurteilung des Kindeswohls bzw. zur Ermittlung des Kindeswillens zu verwenden.

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Datenschutzkommission (im Folgenden: DSK) habe §5c Abs4 Z2 Oö JWG 1991 denkunmöglich angewendet, geht ins Leere. Die DSK hat die Verwendung der personenbezogenen Daten der Beschwerdeführerin denkmöglich als im Rahmen der der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land obliegenden Aufgaben als Organ des Jugendwohlfahrtsträgers gelegen gewertet und damit die Tätigkeit der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land in Verfolgung eines gesetzlichen Zwecks qualifiziert.

Letztlich hat auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16.10.2012, Rs C-614/10, Kommission/Österreich, in dem dieser feststellte, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Art28 Abs1 UAbs2 der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (im Folgenden: Datenschutz-RL) verstoßen habe, weil die DSK nicht dem in Art28 Abs1 UAbs2 der Datenschutz-RL verankerten Kriterium der völligen Unabhängigkeit genüge, keine Auswirkungen auf das Beschwerdeverfahren.

Im Beschwerdeverfahren wird die DSK auf Grund der §§31 und 31a DSG 2000 und somit im Anwendungsbereich des Art22 Datenschutz-RL als Gericht im unionsrechtlichen Sinn, das über einen eingelegten Rechtsbehelf abspricht, tätig. Art28 Abs1 UAbs2 Datenschutz-RL bzw. die aus unionsrechtlicher Sicht mangelhafte Umsetzung des Art28 Abs1 UAbs2 Datenschutz-RL iVm Art8 Abs3 GRC (EuGH 12.10.2012, Rs C-614/10, Kommission/Österreich) durch die nationalen Bestimmungen zur Organisation der DSK spielt daher im vorliegenden Verfahren keine Rolle.

Der VfGH hat keine Bedenken, dass die die Organisation der DSK betreffenden Bestimmungen des DSG 2000 in Bezug auf die Funktion der DSK gemäß §31 und §31a DSG 2000 im Beschwerdeverfahren verfassungskonform sind und den Anforderungen des Art8 Abs3 GRC iVm Art22 Datenschutz-RL genügen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Datenschutz, Jugendfürsorge, EU-Recht Richtlinie, Privat- und Familienleben, Behördenorganisation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:B1326.2012

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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