TE Vfgh Erkenntnis 2013/2/22 U1957/12

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Veröffentlicht am 22.02.2013
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129e Abs2
AsylG 1997 §7, §8, §24b

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine Entscheidung des Asylgerichtshofes im Beisein eines männlichen Richters als Beisitzer trotz Berufung der Beschwerdeführerin auf die sexuelle Selbstbestimmung; Verstoß gegen den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung

Spruch

              I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

              Die Entscheidung wird aufgehoben.

              II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              1.1. Die Beschwerdeführerin, eine mongolische Staatsangehörige, stellte am 29. März 2009 nach schlepperunterstützter Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie brachte vor, über mehrere Jahre hinweg wiederholt von ihrem geschiedenen Ehemann und seinen Freunden bedroht, misshandelt und vergewaltigt worden zu sein. Die Polizei hätte ihren Ex-Mann mehrmals festgenommen, aber nicht dauerhaft inhaftiert. Aus diesem Grund hätte sie schließlich beschlossen, die Mongolei zu verlassen.

              1.2. Mit der - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffenen -angefochtenen Entscheidung wurde die erhobene Beschwerde durch einen männlichen Richter als Vorsitzenden und eine weibliche Richterin als Beisitzerin gemäß §§3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen auf die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin gestützt. Ihre Angaben seien oberflächlich und unstimmig gewesen, sodass von einer konstruierten Fluchtgeschichte auszugehen sei. Abgesehen davon seien die mongolischen Behörden willens und in der Lage, ihre Bürger vor Übergriffen Privater zu schützen. Der Beschwerdeführerin drohe in der Mongolei kein reales Risiko einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK und es könne keine so starke Integration erkannt werden, dass ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art8 EMRK die öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt.

              2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Geltend gemacht wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) und des Verbotes der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art3 EMRK) sowie in Rechten nach Art4 und 18 GRC.

              Begründend wird in der Beschwerde u.a. ausgeführt, dass die Entscheidung durch einen aus zwei weiblichen Richterinnen bestehenden Senat getroffen hätte werden müssen. Da im vorliegenden Fall der Senat aus einem männlichen Richter als Vorsitzenden und einer weiblichen Richterin als Beisitzerin bestand, verstoße die Entscheidung gegen das Prinzip der festen Geschäftsverteilung und damit auch gegen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

              3. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. U.a. bringt er folgendes vor:

              "Das Vorbringen von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung hat in diesem Verfahren keine zentrale Rolle gespielt. Das öfters anzutreffende Vorbringen von weiblichen Asylwerberinnen aus der Mongolei, sie seien häuslicher Gewalt durch einen Mann unterworfen gewesen, mitumfasst oftmals auch die Angabe, sie sei auch vergewaltigt worden. Diese Frage ist allerdings im Kontext mit der vorherrschenden Frage, ob die Frau überhaupt der Verfolgung durch häusliche Gewalt ausgesetzt war bzw. noch aktuell ist (noch abgesehen von der Frage, ob diese Verfolgung sodann eine konventionsrelevante Verfolgung darstellen würde), zu sehen. Im gegenständlichen Fall waren auch in der mündlichen Verhandlung keinerlei Fragen zu irgendwelchen sexuellen Eingriffen zu stellen. §20 Asylgesetz 2005 ist daher im gegenständlichen Verfahren nicht verletzt worden.

              In der Beschwerde wird behauptet, dass schon alleine durch die Zuteilung des gegenständlichen Verfahrens an die Gerichtsabteilung C 13 das Prinzip der festen Geschäftsverteilung verletzt worden sei. Dazu ist anzuführen, dass bei Anwendung des §20 Asylgesetz 2005 wohl nur solche Fluchtvorbringen die normierte Wirkung auf die Besetzung der sie beurteilenden Behörde haben können, die zumindest nach einer Grobprüfung (dem Anschein nach) plausibel und stimmig sind.[...]"

              4. Die vorliegende Beschwerde entspricht in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem hg. Erkenntnis vom 29. November 2011, U1913-1915/10, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich ebenfalls gegen eine gleichlautende Entscheidung des Asylgerichtshofes wendet. Auch im vorliegenden Fall macht der Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll des Bundesasylamtes deutlich, dass die Beschwerdeführerin aussagt, ihr Mann sei mit Freunden gekommen und habe sie sogar vergewaltigt. §20 Asylgesetz 2005 kommt daher unzweifelhaft zur Anwendung.

              5. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines zu U1913-1915/10 am 29. November 2011 gefällten - der vorliegenden Entscheidung in anonymisierter Fassung beigelegten - Erkenntnisses hinzuweisen; aus diesem ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass die Beschwerdeführerin durch den Umstand, dass über ihre Beschwerde trotz des von ihr (bereits) vor dem Bundesasylamt behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung durch einen aus einem männlichen Vorsitzer bestehenden Senat des Asylgerichtshofes entschieden wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde, weshalb die Entscheidung aufzuheben war.

              6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

              7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Behördenzuständigkeit, Behördenzusammensetzung, Asylgerichtshof

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1957.2012

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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