TE Vfgh Beschluss 2013/2/25 G104/12, SV1/12

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Veröffentlicht am 25.02.2013
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Index

39 VÖLKERRECHTLICHE VERTRÄGE
39/01 Finanzinstitutionen, Währungsabkommen

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art23i Abs4, Art50
B-VG Art140a Abs1
Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag)

Leitsatz

Unzulässigkeit der Anträge eines Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung einer bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung sowie auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des ESM-Vertrags mangels Darlegung eines unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre des Antragstellers

Spruch

              Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

              I.1. Mit beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Schriftsatz stellt der Antragsteller, ein Abgeordneter zum Nationalrat, gemäß Art140a Abs1 iVm Art140 Abs1 B-VG und §§62 ff. und 66 VfGG die Anträge,

              "der Verfassungsgerichtshof möge:

              1. gemäß Art140 B-VG iVm 140 a B-VG den Art23i Abs4 B-VG (idgF durch BGBl I 2010/57) als verfassungswidrig aufheben,

              2. gemäß Art140 B-VG iVm 140 a B-VG feststellen, dass

              a. der 'Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus' (ESM-Vertrag), BGBl III 138/2012, zur Gänze rechtswidrig ist,

              b. in eventu dass

              i. in Anhang I zum ESM-Vertrag die Wort/Ziffernfolge 'Republik Österreich 2,7834' und in Anhang II hiezu die Wort/Ziffernfolge 'Republik Österreich 194.838 19.483.800.000' rechtswidrig ist, und/oder

              ii. Art19 ESM-V rechtswidrig ist und/oder

              iii. Art25 Abs2 ESM-V rechtswidrig ist und/oder

              iv. in Art8 Abs5 ESM-V die Wortfolge 'zum

Ausgabekurs' rechtswidrig ist und/oder

              v. in Art35 Abs1 ESM-V die Wortfolge 'die Mitglieder des Gouverneursrats,' rechtswidrig ist und/oder

              vi. in Art35 Abs1 ESM-V die Wortfolge 'der

Vorsitzende des Gouverneursrats,' rechtswidrig ist und/oder

              vii. in Art35 Abs1 ESM-V die Wortfolge 'die stellvertretenden Mitglieder des Gouvemeursrats,' rechtswidrig ist und/oder

              viii. Art37 Abs3 ESM-V rechtswidrig ist."

              2. Hinsichtlich der Antragslegitimation zur Anfechtung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden: ESMV), BGBl. III 138/2012, erstattet der Antragsteller folgendes Vorbringen:

              Er sei auf Grund der Wahl vom 28. September 2008 seit der konstituierenden Sitzung des Nationalrats am 28. Oktober 2008 Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat. Es gehöre zu seinen wesentlichen Aufgaben als Abgeordneter, unter Einhaltung der Verfassungsgrundsätze an der Gesetzgebung (Art24 ff. B-VG) und an der Genehmigung von Staatsverträgen mitzuwirken. Der Antragsteller sei durch die offenkundige Rechtswidrigkeit des ESMV mehrfach in seinen subjektiven Rechten unmittelbar betroffen: Durch den ESMV erfolge eine unbillige und unsachliche Einschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten des Antragstellers an der Bundesgesetzgebung, "da angesichts der durch den ESM-Vertrag bewirkten massiven Schmälerung des Bundesbudgets die weitreichenden rechtspolitischen Gestaltungsspielräume des Bundesgesetzgebers beträchtlich eingeschränkt" würden. Dadurch sei der Antragsteller in seinem subjektiven Recht, als Organwalter der Bundesgesetzgebung an dieser verfassungsgemäß mitzuwirken, verletzt. Die Bestimmungen des ESMV seien für den Antragsteller unmittelbar wirksam, "da sie ihn gegenwärtig und ad personam als Mitglied des Nationalrates" beträfen. Es liege auch kein zumutbarer Umweg vor, den ESMV anzufechten, weil der Vertrag unmittelbar anwendbar und "für jedermann rechtsverbindlich" sei. Der ESMV wirke sich auch objektiv nachteilig aus, weil es "zu einer Änderung der Rechtsstellungsposition des Antragstellers als Organwalter und Träger der österreichischen Bundesverfassung [komme] [...], die für ihn nachteilig und durch die Verfassung nicht gedeckt" sei. Insgesamt lägen daher sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Individualantrags vor.

              3. Hinsichtlich seiner Antragslegitimation zur Anfechtung des Art23i Abs4 B-VG erstattet der Antragsteller kein Vorbringen.

              4. In der Sache macht der Antragsteller Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Art23i Abs4 B-VG sowie hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des ESMV bzw. einzelner seiner Bestimmungen geltend.

              5. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Anträge zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Zur Zulässigkeit führt die Bundesregierung auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Antragsteller habe nicht dargelegt, aus welchen Gründen Art23i Abs4 B-VG unmittelbar in seine Rechtssphäre eingreife. Davon abgesehen sei aber von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller Adressat einer bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung sei, die Regelungen über die Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates bei bestimmten Beschlüssen des Europäischen Rates beträfen (Verweis auf VfSlg. 17.588/2005). Der Antrag auf Aufhebung des Art23i Abs4 B-VG sei daher unzulässig. Der Antrag des Antragstellers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des ESMV stütze sich ausschließlich auf seine Funktion als Abgeordneter zum Nationalrat. Mit diesem Vorbringen nehme der Antragsteller nicht auf seine eigene Rechtssphäre, sondern auf seine Organstellung Bezug. Der Antrag sei daher schon aus diesem Grund unzulässig (Verweis auf VfSlg. 19.085/2010). Der Antrag sei aber auch aus dem Grund als unzulässig zurückzuweisen, dass der Antragsteller konkrete Darlegungen, warum die bekämpften Regelungen im Einzelnen rechtswidrig seien, unterlasse.

              6. Des Weiteren tritt die Bundesregierung dem Antrag in der Sache entgegen.

              II. Die Anträge sind mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen:

              1. Gemäß Art140a Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen. Dabei ist auf die mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Art50 B-VG abgeschlossenen Staatsverträge und die gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Staatsverträge gemäß Art16 Abs1 B-VG der Art140 B-VG, auf alle anderen Staatsverträge der Art139 B-VG anzuwenden.

              Bei dem vom Antragsteller angefochtenen ESMV handelt es sich um einen gemäß Art50 Abs1 Z1 B-VG genehmigten Staatsvertrag, auf den somit Art140 B-VG anzuwenden ist.

              2. Der Antragsteller stützt seine Antragslegitimation auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG.

              Nach dieser Bestimmung erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie im Fall seiner Verfassungswidrigkeit verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

              3. Dieses Erfordernis erfüllen die Anträge nicht:

              3.1. Hinsichtlich seines Antrags, Art23i Abs4 B-VG aufzuheben, führt selbst der Antragsteller keinerlei Wirkungen ins Treffen, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert.

              3.2. Hinsichtlich des ESMV stützt der Antragsteller seine Ausführungen zur Antragslegitimation auf seine Funktion als Nationalratsabgeordneter und auf die Behauptung, durch den ESMV erfolge eine unbillige und unsachliche Einschränkung seiner "Mitwirkungsmöglichkeiten" an der Bundesgesetzgebung, "da angesichts der durch den ESM-Vertrag bewirkten massiven Schmälerung des Bundesbudgets die weitreichenden rechtspolitischen Gestaltungsspielräume des Bundesgesetzgebers beträchtlich eingeschränkt" würden. Damit aber nimmt der Antragsteller nicht auf seine eigene Rechtssphäre, sondern auf seine Organstellung Bezug.

              Der Verfassungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit Organwaltern in der Verwaltung wiederholt ausgesprochen, dass Rechtsvorschriften, die bloß die Ausübung staatlicher Funktionen zum Gegenstand haben, nicht die Rechtssphäre der diese Funktion ausübenden Organwalter berühren

(VfSlg. 10.571/1985 mwN, 11.750/1988, 15.025/1997, 17.588/2005 und 18.774/2009).

              Abgeordneten zum Nationalrat ist durch verschiedene Bestimmungen des Bundesverfassungsrechts eine besonders geschützte Rechtsstellung eingeräumt, die mit ihrer Abgeordneteneigenschaft unmittelbar verbunden ist. Zu dieser gehören die sich aus dem passiven Wahlrecht nach Art26 B-VG ergebende Rechtsstellung, das Interpellationsrecht nach Art52 Abs1 B-VG, der Grundsatz des freien Mandats nach Art56 Abs1 B-VG oder die Immunität der Abgeordneten nach Art57 B-VG. Diese Rechtsstellung vermittelt nicht die Wahrung der Zuständigkeit des Nationalrates zur Beschlussfassung in bestimmten gesetzlich zu regelnden Angelegenheiten durch den Nationalrat, sondern ein allgemeines Recht auf Teilnahme des Antragstellers an der Gesetzgebung (des Bundes). Nur insoweit kommt eine Berührung der Rechtssphäre von Abgeordneten zum Nationalrat in Betracht (VfSlg. 19.085/2010).

              Ein Eingriff in diese Rechtssphäre wird vom

Antragsteller allerdings nicht behauptet. Vielmehr wird in der Bezugnahme auf Rechte des Antragstellers zur Mitwirkung an der Gesetzgebung der Sache nach eine Beschränkung der Zuständigkeit des Organs Nationalrat geltend gemacht, nicht aber, dass der Antragsteller in seiner Rechtssphäre berührt wird (siehe wieder VfSlg. 19.085/2010).

              3.3. Der Antragsteller vermag sohin nicht darzutun, dass er durch die im Antrag näher bezeichneten Regelungen des ESMV unmittelbar in seinen Rechten berührt ist. Der Antrag erweist sich bereits aus diesem Grund als unzulässig.

              Bei diesem Ergebnis kann angesichts der Ausführungen unter 3.1. und 3.2. dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die vom Antragsteller bekämpften Regelungen im Einzelnen Rechte im Sinne des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG einräumen (vgl. etwa VfSlg. 17.588/2005).

              III. Der Antrag auf Aufhebung des Art23i Abs4 B-VG und jener auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des ESMV sowie die Eventualanträge auf Feststellung der Rechtswidrigkeit näher bezeichneter Bestimmungen des ESMV sind somit mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen.

              Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Staatsverträge, EU-Recht, VfGH / Staatsvertragsprüfung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, Nationalrat, Organ Organwalter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G104.2012

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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