TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/13 WI-38/12

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Veröffentlicht am 13.03.2013
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Index

50 GEWERBERECHT
50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
EGVG ArtI Abs4 Z4
VfGG §67 Abs2, §68 Abs1
WirtschaftskammerG 1998 §88 Abs5, §89 Abs2, §98
Wirtschaftskammer-WahlO §19

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung der Urwahl in einen Fachgruppenausschuss der Wirtschaftskammer Wien im Hinblick auf die Nichtveröffentlichung des Wahlvorschlages der Anfechtungswerberin wegen fehlender Unterstützungserklärungen; im Übrigen Zurückweisung der Wahlanfechtung

Spruch

              I. Der Wahlanfechtung wird, soweit sie sich gegen die Nichtveröffentlichung des Wahlvorschlages der Anfechtungswerberin wendet, nicht stattgegeben.

              II. Im Übrigen wird die Wahlanfechtung zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt, Anfechtungsvorbringen und Vorverfahren

              1. Wahlverfahren

              1.1. Vom 27. Februar bis 2. März 2010 fanden die Urwahlen in die Ausschüsse der Fachgruppen der Wirtschaftskammer Wien, darunter die Fachgruppe 103 - Landesinnung Wien der Dachdecker, Glaser und Spengler der Wirtschaftskammer Wien, statt. Am 12. März 2010 wurden die Wahlergebnisse in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" als Veröffentlichungsorgan der Wirtschaftskammer Wien verlautbart.

              1.2. Die Wählergruppe "FPÖ pro Mittelstand - Freiheitliche und Unabhängige" (in der Folge: FPÖ pro Mittelstand) erstattete am 14. Jänner 2010 einen Wahlvorschlag, auf dem die Bewerber Fritz R., Natascha M., Wolfgang T. und Bruno H. aufschienen. Dem Wahlvorschlag beigeschlossen waren u.a. eine mit 30. Oktober 2009 datierte "Zustimmungs- und Unterstützungserklärung" des Fritz R., mit der dieser seine Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der FPÖ pro Mittelstand sowie seine Unterstützung des Wahlvorschlages, auf dem er kandidierte, bekanntgab, sowie "Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen" der Natascha M. vom 25. September 2009, des Wolfgang T. vom 18. September 2009 und des Bruno H. (undatiert), mit denen diese ihre Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der FPÖ pro Mittelstand sowie ihre Unterstützung dieses Wahlvorschlages, auf dem sie kandidierten, bekanntgaben und alle bisher erteilten Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen widerriefen.

              Am 15. Jänner 2010 erstattete die Wählergruppe "Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER WIRTSCHAFTSTREIBENDER" (in der Folge: RFW) einen Wahlvorschlag, auf dem neben weiteren Bewerbern auch Fritz R., Bruno H., Natascha M. und Wolfgang T. als Bewerber aufschienen. Dem Wahlvorschlag beigeschlossen waren u.a. "Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen" des Fritz R. vom 4. April 2009, des Bruno H. vom 23. März 2009, der Natascha M. vom 2. April 2009 und des Wolfgang T. vom 1. April 2009, mit denen diese ihre Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste des RFW sowie ihre Unterstützung des Wahlvorschlages, auf dem sie kandidierten, bekanntgaben.

              Am 12. Jänner 2010 - also noch vor Einbringung der beiden Wahlvorschläge - langten bei der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien (in der Folge: Hauptwahlkommission) Schreiben des Wolfgang T. vom 4. Jänner 2010 und der Natascha M. vom 7. Jänner 2010 ein, in denen diese "nochmals" erklärten, dass sie sich entschlossen hätten, bei der Wirtschaftskammerwahl 2010 für die Liste RFW zu kandidieren und allfällige andere Zustimmungserklärungen ungültig seien. Darüber hinaus langten am 14. Jänner 2012 ein gleichlautendes,

mit 12. Jänner 2010 datiertes Schreiben des Fritz R. sowie ein

mit 12. Jänner 2010 datiertes Schreiben des Bruno H. ein, in dem dieser erklärte, seine abgegebene(n) Einverständnis- und Unterstützungserklärung(en) für die Liste FPÖ pro Mittelstand anlässlich der Wirtschaftskammerwahl 2010 zurückzuziehen und für nichtig zu erklären; seine Unterstützung bzw. sein Einverständnis mit der Kandidatur für die Liste RFW blieben aufrecht.

              1.3. In der Folge teilte die Hauptwahlkommission dem Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand schriftlich mit, dass deren Wahlvorschlag Mängel dahingehend aufweise, dass dieser - nach Berücksichtigung allfälliger unten angeführter Streichungen - keinen wählbaren Bewerber aufweise und daher nicht zuzulassen sei. Die Bewerber Fritz R., Natascha M., Wolfgang T. und Bruno H. hätten erklärt, auf einem anderen Wahlvorschlag zu kandidieren und seien daher von diesem Wahlvorschlag zu streichen gewesen; der Wahlvorschlag sei daher vorläufig nicht zuzulassen gewesen.

              In der Folge finden sich im Wahlakt mit 27. Jänner 2010 datierte "Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen" der Natascha M. und des Bruno H., mit denen diese ihre Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der FPÖ pro Mittelstand sowie ihre Unterstützung des Wahlvorschlages, auf dem sie kandidieren, bekanntgeben und gleichzeitig alle zuvor widersprechenden Kandidaturerklärungen widerrufen.

              1.4. Am 12. Februar 2010 wurden in der Zeitung

"Wiener Wirtschaft" die "eingereichten gültigen Wahlvorschläge" verlautbart, wobei für die vorliegende Fachgruppe folgende Listen genannt wurden: Liste 1: Die Wiener Dachdecker, Glaser und Spengler - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND; Liste 2: Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Bauer; Liste 3: Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER WIRTSCHAFTSTREIBENDER; Liste 4: GRÜNE WIRTSCHAFT (GRÜNE). Die Bewerber Fritz R., Bruno H., Natascha M. und Wolfgang T. schienen dabei am Wahlvorschlag des RFW auf.

              1.5. Nach Durchführung der Wahl vom 27. Februar bis 2. März 2010 wurde das Wahlergebnis von der Hauptwahlkommission am 12. März 2010 in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" verlautbart, wobei auf die Liste 1: Die Wiener Dachdecker, Glaser und Spengler - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND zwölf Mandate, auf die Liste 2:

Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Bauer drei Mandate und auf die Liste 3: Parteifreie Wahlgemeinschaft

FACHLISTE DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER

WIRTSCHAFTSTREIBENDER ein Mandat entfielen.

              2. Verfahren vor den Wahlbehörden

              2.1. Das am 12. März 2010 verlautbarte Ergebnis der Wahl in den Ausschuss der vorliegende Fachgruppe sowie dessen Ermittlung wurden vom Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand mit Einspruch gemäß §98 Wirtschaftskammergesetz (in der Folge: WKG) bekämpft. Mit Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien vom 2. September 2010 wurde der Einspruch der Wählergruppe abgewiesen.

              2.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand durch ihren Zustellungsbevollmächtigten Beschwerde gemäß §98 Abs4 WKG. Das Verfahren über diese Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 5. September 2011 auf Grund bei der Staatsanwaltschaft Wien laufender Ermittlungen wegen behaupteten Wahlkartenbetruges ausgesetzt. In der Folge wurden mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 17. Juli 2012 der Aussetzungsbescheid aufgehoben, die Anträge auf Einsicht in die Wahlkartenakte sowie die Abstimmungsverzeichnisse und Stimmzettel gemäß §19 Wirtschaftskammer-Wahlordnung zurückgewiesen und die Anträge auf Aufhebung des Bescheides der Hauptwahlkommission sowie auf Ungültigerklärung der Wirtschaftskammerwahl 2010 in Wien in der vorliegenden Fachgruppe und auf Neuausschreibung dieser Wahl gemäß §98 WKG abgewiesen.

              Begründend wurde im Hinblick auf die Streichung der Bewerber Wolfgang T., Natascha M., Bruno H. und Fritz R. vom Wahlvorschlag der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand ausgeführt, dass die Durchführung eines Verfahrens gemäß §88 Abs5 WKG (Aufforderung des Bewerbers, sich zu erklären, für welche Liste er kandidieren wolle) nicht erforderlich gewesen sei, weil sich die Bewerber mit den am 12. und 14. Jänner 2010 bei der Hauptwahlkommission eingelangten Schreiben schon zuvor eindeutig geäußert hätten, für welche der Listen sie kandidieren wollten. Darüber hinaus wurde die Streichung der Liste FPÖ pro Mittelstand auch mit dem Fehlen von Unterstützungserklärungen - es seien nur vier (statt der geforderten fünf) ausdrückliche Einverständnis- und Unterstützungserklärungen vorgelegen - begründet.

              3. Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof

              3.1. Mit ihrer Wahlanfechtung ficht die Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand als Anfechtungswerberin im verfassungsgerichtlichen Verfahren durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter gemäß Art141 B-VG der Sache nach die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 103 - Landesinnung Wien der Dachdecker, Glaser und Spengler der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar 2010 bis 2. März 2010 an und beantragt, die Wahl für nichtig zu erklären und als rechtswidrig aufzuheben.

              Begründend wird in Hinblick auf die Zulässigkeit des Wahlvorschlages lediglich vorgebracht, dass die Wahlbehörde es rechtswidrig unterlassen habe, das im Falle von Doppelkandidaturen verpflichtende Verfahren des §88 Abs5 WKG einzuhalten. Die von der Hauptwahlkommission gewählte Vorgangsweise, ihre Entscheidung über die Streichung bzw. das Belassen eines Bewerbers auf einer Liste danach zu richten, zu welchem Datum dieser Bewerber Zustimmungserklärungen bzw. Widerrufserklärungen gegenüber einer der Wählergruppen abgegeben habe, finde keine gesetzliche Deckung. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Rechtswidrigkeit nach Lage des konkreten Falles auf das Wahlergebnis zumindest von Einfluss sein konnte.

              3.2. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend legte dem Verfassungsgerichtshof die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, "die Beschwerde als unbegründet abzuweisen". Begründend wird - in Bezug auch auf weitere beim Verfassungsgerichtshof anhängige Anfechtungen von Urwahlen in die Ausschüsse von Fachgruppen der Wirtschaftskammer Wien - u.a. ausgeführt, dass die Hauptwahlkommission davon ausgegangen sei, dass bei den in Rede stehenden Doppelkandidaturen keine Fälle des §88 Abs5 WKG vorgelegen seien, weil die Wahlwerber zwar auf mehreren Listen aufgeschienen seien, aber unmittelbar vor der Wahl schriftlich erklärt hätten, für die Liste RFW kandidieren zu wollen (und ihre Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen für andere Listen zurückzuziehen). Diese Schreiben seien als ausdrückliche Willenserklärungen zu qualifizieren, die man gemäß §88 Abs5 WKG hätte einfordern müssen, sodass es eines solchen Verfahrens nicht mehr bedurft hätte. Das Mängelbehebungsverfahren des §88 Abs5 WKG sei nur bei unklaren Situationen durchzuführen, nicht aber dann, wenn der Wahlwerber in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang vor der Wahl bekanntgegeben habe, für welche Liste er zu kandidieren beabsichtige.

              II. Erwägungen

              Der Verfassungsgerichthof hat über die - soweit sie sich gegen die Nichtveröffentlichung des Wahlvorschlages der Anfechtungswerberin wendet zulässige (s. VfGH 1.3.2013, WI-4/12) - Anfechtung erwogen:

              Die vorliegende Anfechtung entspricht inhaltlich in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis VfGH 1.3.2013, WI-4/12, zugrunde liegenden Anfechtung, die ebenfalls eine gleichartige Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens zum Ausschuss einer Fachgruppe der Wirtschaftskammer Wien behauptet.

              Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses VfGH 1.3.2013, WI-4/12, hinzuweisen; aus diesem ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass die in der Anfechtungsschrift behauptete Rechtswidrigkeit hinsichtlich der Durchführung des für den Fall von Doppelkandidaturen vorgesehenen Verfahrens gemäß §88 Abs5 WKG - läge sie auch tatsächlich vor - keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben konnte, weil die Unzulässigkeit des Wahlvorschlages auch mit dem Fehlen der notwendigen Zahl von Unterstützungserklärungen begründet wurde, diesbezüglich jedoch in der Wahlanfechtung keine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens behauptet wurde. Da eine Wählergruppe, deren Wahlvorschlag zu Recht nicht zugelassen wurde, nicht zur Anfechtung des weiteren Wahlverfahrens befugt ist (s. VfGH 1.3.2013, WI-4/12), ist auf die weiteren Behauptungen der Anfechtungswerberin nicht einzugehen.

              III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Der Wahlanfechtung ist daher, soweit sie sich

gegen die Nichtveröffentlichung des Wahlvorschlages der Anfechtungswerberin wendet, nicht stattzugeben.

              2. Im Übrigen ist die Wahlanfechtung als unzulässig zurückzuweisen.

              3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, berufliche Vertretungen, Wirtschaftskammern, Wahlvorschlag, Wahlanfechtung administrative, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Akteneinsicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:WI38.2012

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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