RS UVS Oberösterreich 2012/12/28 VwSen-401246/4/Gf/Rt

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Veröffentlicht am 28.12.2012
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Der Entscheidungsvolltext sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö UVS www.uvs-ooe.gv.at abrufbar. Rechtssatz

* Annahme des Vorliegens eines Sicherungsbedürfnisses problematisch, wenn die Fremdenpolizeibehörde in diesem Zusammenhang Aspekte ins Treffen führt, die auf keiner entsprechenden gesetzlichen Grundlage beruhen, sondern vielmehr autonom von dieser selbst kreiert wurden (wie z.B. eine voraussichtlich bloß kurze Dauer der Anhaltung in Schubhaft, eine finanzielle Belastung des Staates durch die weitere Gewährung von Grundversorgung, die drohende endgültige Zuständigkeit Österreichs zur materiellen Durchführung des Asylverfahrens und die Forderung, dass sich der Fremde jederzeit zur Verfügung der Behörde halten muss), oder nicht auf konkreten faktischen Grundlagen, sondern bloß auf nicht näher belegten Hypothesen basieren; in diesem Zusammenhang erscheint eine Ergänzung solcher Umstände im Wege einer (gesetzlich nicht vorgesehenen) Gegenschrift nur insoweit als zulässig, als diese essentielle Sachverhaltsaspekte betrifft, die sich erst nach der Erlassung des Schubhaftbescheides ereignet haben.

* Der Anforderung, dass die belangte Behörde die nach dem Erkenntnis des VfGH vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., primär gebotene Heranziehung gelinderer Mittel ? als eine grundlegende materielle Voraussetzung der Zulässigkeit einer Schubhaftverhängung ? erwogen und im Ergebnis zutreffend verworfen hat, sodass sie davon ausgehend zur Anwendung der ultima-ratio-Maßnahme der Inschubhaftnahme berechtigt war, widerspricht ein Schubhaftbescheid, der sowohl bezüglich seines Aufbaus als auch bezüglich seines Inhalts die Frage der vorrangigen Anordnung gelinderer Mittel nicht in den Mittelpunkt aller Erörterungen stellt, sondern diese bloß rudimentär und beiläufig behandelt, während sich der weitaus überwiegende Teil der Begründung mit der Schubhaftproblematik selbst auseinandersetzt und jene zu Gunsten der Anordnung bloß gelinderer Mittel sprechenden Argumente teils bloß kursorisch, teils überhaupt nicht erwähnt (wie z.B., dass der Fremde seine Identität nicht verschleiert hat; dass er sich aus eigenem Antrieb zur Fremdenpolizeibehörde begeben und dort einen Asylantrag gestellt hat; dass er sich nicht aus der bundesbetreuten Unterkunft entfernt hat; dass er die öffentliche Ordnung nicht durch gravierende ? nämlich gerichtlich strafbare Handlungen ? gefährdet hat).

* Vor dem Hintergrund einer derartigen Konzeption des Schubhaftbescheides ist vielmehr davon auszugehen, dass keine konkret-fallbezogene Interessenabwägung und damit auch keine echte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen, sondern bloß solche Gesichtspunkte ins Treffen geführt wurden, die allenfalls dazu geeignet sind, eine höhere faktische Effektivität der Schubhaftverhängung im Vergleich zu bloß gelinderen Mitteln zu untermauern; auf die im wechselseitigen Vergleich zwischen gelinderen Mitteln einerseits und Schubhaft andererseits relativ höhere Effizienz kommt es jedoch schon deshalb nicht an, weil §77 Abs1 erster Satz FPG 2005 in diesem Zusammenhang den Vorrang gelinderer Mittel bereits auf der Basis einer bloß gleichen Effizienz anordnet (arg. "wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann").

* Dies gilt insbesondere dann, wenn in offenbarer Verkennung der dem §77 Abs1 FPG 2005 sowie der dem genannten VfGH-Erkennntis vom 3. Oktober 2012, G 140/11 u.a., zu Grunde liegenden Prioritätensetzung weder aus dem Schubhaftbescheid noch aus dem von der Behörde vorgelegten Akt hervorgeht, dass die Fremdenpolizeibehörde die Anordnung gelinderer Mittel überhaupt de facto erwogen hat; konsequenterweise fehlt sodann auch eine fallbezogene und auf entsprechenden Belegen fußende Auseinandersetzung mit der Frage, welches dieser Mittel im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als das am ehesten Zielführendste anzusehen ist sowie ? davon ausgehend ? in welchen Umständen gegenständlich eine derartige ultima-ratio-Situation begründet war, dass nicht einmal mit einer zumindest vorgängigen Anordnung dieses gelinderen Mittels, sondern nur mit einer unverzüglichen Schubhaftverhängung das Auslangen gefunden werden konnte. * Im Verfahren nach den §§82 f FPG 2005 ist der Unabhängige Verwaltungssenat nicht ? wie in einem sonstigen Administrativ- oder Verwaltungsstrafverfahren nach dem 1. und 2. Abschnitt des IV. Teiles des AVG bzw. nach dem 5. Abschnitt des II. Teiles des VStG ? Berufungs-, sondern nur Haftprüfungsbehörde i.S.d. Art6 PersFrSchG 1988 und Art5 Abs4 EMRK (vgl. zuletzt VwGH vom 25. Oktober 2012, Zl. 2012/21/0064). Dies bedeutet, dass dem UVS nur eine Rechtmäßigkeitskontrolle zukommt, und zwar dahin, ob es unter Zugrundelegung der von der Haftbehörde vorgenommenen Bewertung der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles verhältnismäßig war, von der Verhängung gelinderer Mittel abzusehen und stattdessen die Schubhaft zu verhängen; davon ausgehend kann die originäre Entscheidung darüber, ob bzw. welche gelinderen Mittel anzuordnen sind oder stattdessen die Schubhaft zu verhängen ist, nur von der Fremdenpolizeibehörde selbst getroffen, d.h. im Falle einer dementsprechenden Unterlassung vom UVS im Rahmen des Schubhaftbeschwerdeverfahrens auch nicht nachgetragen werden; Gleiches gilt auch hinsichtlich der Gründe für das Vorliegen einer die Schubhaftverhängung tragenden ultima-ratio-Situation: Diese müssen sich unter gleichzeitiger Angabe der entsprechenden Beweise bereits aus dem Schubhaftbescheid selbst ? und nicht etwa nur aus dem behördlichen Akt, der dem Fremden nicht bzw. nur eingeschränkt zugänglich ist ? ergeben und können nicht ex post (z.B. etwa erst im Zuge der Erstattung einer Gegenschrift oder einer öffentlichen Verhandlung vor dem UVS) substituiert werden.

Zuletzt aktualisiert am
08.04.2013
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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