TE OGH 2008/1/23 7Rs167/07s

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Veröffentlicht am 23.01.2008
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Prof. DDr. Huberger als Vorsitzenden, die Richterinnen des Oberlandesgerichtes Dr. Tarmann-Prentner und Maga. Smutny sowie die fachkundigen Laienrichter ADir.RegRätin Ilse Maurer-Binder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Richard Preißler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, geb. *****, *****, *****, wider die beklagte Partei *****, *****, *****, vertreten durch Mag. Roman Maier, ebendort, wegen Aufrechnung gem. § 103 Abs 1 Z 1 ASVG, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15.5.2007, 10 Cgs 48/07g-7, gemäß §§ 2 ASGG, 492 Abs 2 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die ordentliche Revision ist zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht von der beklagten Partei eine Invaliditätspension von EUR 522,62 brutto monatlich (Höhe im Jahre 2007). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8.2.2007 erklärte die beklagte Partei gemäß § 103 ASVG ab 1.2.2007 die Aufrechnung eines von der Wiener Gebietskrankenkasse festgestellten vollstreckbaren Rückstandes an Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt EUR 70.388,54 in monatlichen Raten von EUR 30,-- auf den Pensionsanspruch des Klägers.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wird vorgebracht, die Aufrechnung sei unzulässig.

Der Kläger habe im Schuldenregulierungsverfahren 16 S 82/06a des Bezirksgerichtes Fünfhaus mit seinen Gläubigern einen rechtskräftigen Zahlungsplan über eine Quote von 6,29%, zahlbar in 83 monatlichen Raten, abgeschlossen.

Die Wiener Gebietskrankenkasse habe verabsäumt, ihre klagsgegenständliche Forderung im Schuldenregulierungsverfahren anzumelden und erst am 25.1.2007 die nachträgliche Berücksichtigung gemäß § 197 KO beantragt. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden, jedenfalls könne die Aufrechnung aber nur bis zur Höhe der Quote erfolgen. Die Pension des Klägers unterschreite außerdem den Richtsatz nach § 293 ASVG.

Mit Beschluss vom 8.3.2007, 16 S 82/06a-18, stellte das Bezirksgericht Fünfhaus gemäß § 197 KO fest, dass die Quote für die nachträglich angemeldete Forderung der Wiener Gebietskrankenkasse nicht den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Schuldners entspreche.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben und festgestellt, dass die Aufrechnung der Forderung von EUR 70.388,54 samt Zinsen ab 1.2.2007 unzulässig sei. Es traf dazu die auf den Seiten 2 bis 4 der Urteilsausfertigung (AS 26 bis 28) wiedergegebenen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (§§ 2 ASGG, 500a ZPO). Rechtlich gelangte es zu dem Ergebnis, die Forderung der Wiener Gebietskrankenkasse sei mangels rechtzeitiger Anmeldung im Insolvenzverfahren nicht aufrechenbar.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der beklagten Partei (ON 8) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsabweisenden Sinne abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat sich nicht am Berufungsverfahren beteiligt. Die Berufung ist nicht berechtigt.

Die Beklagte führt aus, das Aufrechnungsrecht gemäß § 103 ASVG bestehe nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes analog einem Pfandrecht auch im Schuldenregulierungsverfahren fort. Für unpfändbare Bezugsteile, die überhaupt nicht zur Konkursmasse zählen, gelte nicht einmal die Zweijahresfrist gemäß § 12a KO. Durch die monatliche Nettopension des Klägers von EUR 496,75 und das Nettoeinkommen seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau von EUR 700,32 werde der Familienrichtsatz von EUR 1.091,14 überschritten. Die im Bescheid festgelegte Rate von EUR 30,-- monatlich liege ohnehin unter dem nach § 103 ASVG höchstzulässigen Aufrechnungsbetrag.

Die Berufungsausführungen über den Fortbestand des Aufrechnungsrechtes nach § 103 ASVG im Konkurs sind grundsätzlich zutreffend (Konecny in Konecny/Schubert, KO § 102 Rz 21 mwN; 10 ObS 375/01x), der entgegenstehenden rechtlichen Begründung des Erstgerichtes kann insoweit nicht gefolgt werden.

Dem Sozialversicherungsträger wird mit der gesetzlichen Aufrechnungsbefugnis eine einem Absonderungsrecht vergleichbare Deckung verliehen (stRsp - SZ 56/128; SZ 58/169; 10 Obs 375/01x mwN; RIS-Justiz RS0064257; Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze, §§ 19, 20 KO Rz 3 mwN). Das Aufrechnungsrecht überdauert auch den Abschluss eines Zwangsausgleiches oder Zahlungsplanes, weil die Aufrechnungsmöglichkeit dem Konkursgläubiger eben eine besondere, dem Pfand vergleichbare Sicherheit schafft (vgl 6 Ob 2072/96s = ZIK 1998, 69 im Anschluss an SZ 65/56 = JBl 1993, 198).

Der Gläubiger ist daher auch nicht verpflichtet, bereits im Schuldenregulierungsverfahren eine Aufrechnungsmöglichkeit wahrzunehmen, um einer Kürzung seiner Forderung durch den Abschluss eines Zwangsausgleichs oder eines Zahlungsplans zu entgehen. In seinem Ergebnis ist das angefochtene Urteil aber dennoch zu bestätigen, weil die von der beklagten Partei angestellte Berechnung des dem Kläger nach § 103 Abs 2 ASVG zu belassenden Einkommens nicht dem Gesetz entspricht.

Die Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 1 und 2 ASVG idF BGBl. I Nr. 145/2003 ist bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig, wobei jedoch der anspruchsberechtigten Person ein Gesamteinkommen in der Höhe von 90% des jeweils in Betracht kommenden Richtsatzes nach § 293 ASVG verbleiben muss.

Das Gesamteinkommen ist die vom Versicherungsträger zu erbringende Geldleistung zuzüglich eines aus übrigen Einkünften der leistungsberechtigten Person erwachsenden Nettoeinkommens (§ 292) leg.cit. und der nach § 294 ASVG zu berücksichtigenden Beträge. Nettoeinkommen im Sinne des § 292 Abs 3 ASVG ist (mit hier nicht gegenständlichen Ausnahmen) die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge.

Der Richtsatz nach § 293 ASVG betrug für das Jahr 2007 für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung, die mit dem Ehepartner im gemeinsamen Haushalt lebten, EUR 1.091,14, für Alleinstehende EUR 726,00.

Während bei Feststellung des Anspruches auf Ausgleichszulage gemäß § 292 Abs 2 ASVG auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen ist, fehlt für die Berechnung des Gesamteinkommens nach § 103 Abs 2 ASVG eine vergleichbare Anordnung.

Nach den Gesetzesmaterialien (vgl Ausschussbericht des Budgetausschusses vom 5. 6. 2003, 111 der BlgNR 22. GP 19) sollte mit der Einführung des Gesamteinkommens in § 103 Abs 2 ASVG klargestellt werden, dass den Anspruchsberechtigten im Aufrechnungsfall in Hinkunft jedenfalls eine Leistung in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende, durch den das sozialrechtliche Existenzminimum festgelegt werde, gesichert sei. Der Unterschied zu § 292 Abs 2 ASVG ist auch sachgerecht, weil es bei der Aufrechnung nicht um die Gewährung einer nicht beitragsgedeckten Sozialleistung zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes geht, sondern um die zwangsweise Hereinbringung einer Forderung gegen den Leistungsempfänger. Eine Anrechnung des Einkommens des Ehepartners hätte hier - wirtschaftlich betrachtet - zur Folge, dass im Ergebnis dieser zur Abstattung einer Forderung herangezogen würde, für die er persönlich nicht haftet. Selbst eine allfällige (bei den hier streitgegenständlichen Einkommenshöhen ohnedies nicht in Betracht kommende) Geldunterhaltspflicht würde nicht ohne weiteres die Obliegenheit zur Abdeckung von persönlichen Schulden des Ehepartners umfassen.

Ist das gesamte anrechenbare Nettoeinkommen des Leistungsbeziehers geringer als 90% des in Betracht kommenden Richtsatzes für Alleinstehende nach § 293 ASVG, kommt daher eine Aufrechnung gemäß § 103 ASVG überhaupt nicht in Frage.

Ob - wofür der Wortlaut des § 103 Abs 2 ASVG eindeutig spricht - für Leistungsbezieher, die mit dem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben, darüber hinaus unabhängig vom Einkommen des Ehegatten immer zumindest 90% des Familienrichtsatzes nach § 293 ASVG als Gesamteinkommensgrenze gelten, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Da der Kläger sogar den Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG mit seiner Pension unstrittig unterschreitet, sonstige Einkünfte nicht hervorgekommen sind und das Einkommen seiner Ehegattin zwar für einen Anspruch auf Ausgleichszulage, aber nicht für die Berechnung des Gesamteinkommens nach § 103 ASVG relevant ist, fehlt es an einer aufrechenbaren Leistung.

Der Berufung kommt daher im Ergebnis keine Berechtigung zu. Die ordentliche Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - zu der entscheidungswesentlichen Rechtsfrage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes besteht.

Oberlandesgericht Wien,

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Anmerkung

EW006707Rs167.07s

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2008:0070RS00167.07S.0123.000

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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