TE OGH 2008/12/16 11Os139/08p

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Veröffentlicht am 16.12.2008
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Karolos A***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 12 Hv 45/06w des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen den Erneuerungswerber, einen griechischen Staatsangehörigen, wurde beim Landesgericht für Strafsachen Graz ein Strafverfahren wegen des Verdachts des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB geführt.

Anlässlich der ersten Vernehmung im Vorverfahren (ON 10) stellte der Untersuchungsrichter fest, dass Dr. Karolos A***** nur gebrochen deutsch spreche (S 169), weshalb ein Dolmetscher für die griechische Sprache zur weiteren verantwortlichen Abhörung des Genannten beigezogen wurde (S 171a f).

Der Strafantrag der Staatsanwaltschaft Graz samt einer Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz wurde Dr. A***** am 5. April 2006 zugemittelt.

Zu den Terminen der Hauptverhandlung am 27. April 2006, 26. Mai 2006 und am 29. August 2007 (ON 17, 21 und 40) kam der Angeklagte ohne Verteidiger (wiewohl er bereits im Vorverfahren zu seinen diesbezüglichen Rechten belehrt worden war - S 165) und bekundete unter Beistand des jeweils anwesenden Dolmetschers für die griechische Sprache, die Anschuldigungen zu verstehen und sich nicht schuldig zu bekennen, wobei er zu sämtlichen Vorwürfen eine längere Erklärung abgab. Noch vor Urteilsfällung erklärte er in seinem Schlusswort, bereits jetzt Berufung anzumelden (S 313), was er nach Entscheidungsverkündung wiederholte.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. August 2007, GZ 12 Hv 45/06w-41, wurde Dr. Karolos A***** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt. Im Rechtsmittelverfahren wurde er durch einen gewählten Verteidiger vertreten (ON 43), welcher eine umfängliche Berufungsschrift zur Ausführung brachte (ON 44), die vom Verteidiger in der Berufungsverhandlung unter Stellung der dort ersichtlichen Beweisanträge vorgetragen wurde (S 407). Das Berufungsgericht fasste den Beschluss auf Abweisung der Beweisanträge mangels Darlegung relevanter Beweisthemen (S 409) und gab mit Urteil vom 5. März 2008, AZ 9 Bs 436/07x, der Berufung nicht Folge (ON 51 der Hv-Akten). Diese Entscheidung wurde dem Verurteilten am 3. April 2008 zuhanden seines Verteidigers zugestellt (S 436).

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner am 8. September 2008 beim Obersten Gerichtshof (somit rechtzeitig innerhalb der 6-monatigen Frist des Art 35 Abs 1 MRK [13 Os 135/06m, EvBl 2007, 154, 832]) eingelangten Eingabe begehrt Dr. Karolos A***** - gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 im Zusammenhang mit Art 6 Abs 3 lit c MRK (1.) und auf Freiheit nach „Art 5" MRK (2.) - die Erneuerung des gegen ihn geführten Strafverfahrens. Er erblickt eine Beschneidung seiner Verteidigungsrechte darin, dass er - obwohl er der deutschen Sprache nicht mächtig sei - in erster Instanz unvertreten geblieben war, weil ihm kein „Pflichtverteidiger" bestellt worden sei. Weiters sei ihm in erster und zweiter Instanz nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, „sich selbst persönlich zu verteidigen". So sei ihm in der (für eine Dauer von 45 Minuten anberaumten) Berufungsverhandlung lediglich „14 Sekunden" Zeit für eine Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zur Verfügung gestanden (1.1.). Die Übersetzungen des Verhandlungsgeschehens durch den beigezogenen Dolmetscher in erster und zweiter Instanz wären lediglich „fragmentarisch" erfolgt, sodass er dem Fortgang des Verfahrens nicht habe folgen können (1.2.). Letztlich habe er auch Anträge auf Ladung und Vernehmung eines „Entlastungszeugen" sowie die „nochmalige" Einvernahme „sämtlicher Belastungszeugen" gestellt (1.3.).

Rechtlich bringt der Erneuerungswerber unter Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 8. Februar 2000, Appl.Nr. 25878/94 (Cooke gegen Österreich; siehe ÖJZ 2000/15 MRK, 775) vor, es wäre „für die Fairness des Verfahrens wesentlich gewesen, dass ihm beim Gerichtstag über die Berufung die Möglichkeit geboten worden wäre, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen und die beantragten Zeugen zu laden", was ihm - dem die Gelegenheit zur Stellungnahme ausdrücklich eingeräumt worden war und wovon er auch Gebrauch gemacht hatte (S 407) - zufolge „des Zeitdrucks" des Gerichts „faktisch" verwehrt gewesen sei (1.1. und 1.3.).

Der Oberste Gerichtshof hat - in weitgehender Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - erwogen:

1.1. Zu den strafprozessualen Rechten eines Angeklagten zählt insbesondere seine Befugnis, sich in jeder Verfahrenslage des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen (§ 49 Z 2 StPO, § 39 StPO aF, Art 6 Abs 3 lit c MRK), wobei die dritte Garantie des Art 6 Abs 3 lit c MRK im Recht auf Verfahrenshilfe besteht, welches gegenüber dem Recht auf einen Wahlverteidiger in zweifacher Hinsicht eingeschränkt ist: Zum einen kommt sie nur dann zum Tragen, wenn dem Angeklagten die Mittel zur Bezahlung fehlen, zum anderen muss der Beistand eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich sein (Grabenwarter, EMRK3 § 24 Rz 111). Im vorliegenden Fall stellte der wider Dr. A***** erhobene Tatvorwurf keinen Fall der notwendigen Verteidigung („Pflichtverteidiger") nach § 41 Abs 1 StPO aF (nunmehr § 61 Abs 1 StPO) dar. Der Erneuerungswerber war (teilweise) mündlich, jedenfalls aber - im Rahmen seiner Ladung als Beschuldigter im Vorverfahren und zur Hauptverhandlung [letztere ist mit (diese Belehrung enthaltenem) StPO-Formular „Lad 7" erfolgt] - schriftlich darüber belehrt worden (S 165; S 3 und 3b im AV-Bogen ON 1), dass es ihm freistehe, sich selbst zu verteidigen oder einen Verteidiger zu wählen sowie darüber, dass jeder Angeklagte, der über die zur Bezahlung der Kosten eines Wahlverteidigers notwendigen Mittel nicht verfügt, die Bestellung eines Verteidigers nach den Voraussetzungen des § 41 Abs 2 StPO aF verlangen kann. Ein wie immer geartetes Vorbringen, wonach er selbst nicht in der Lage gewesen sei, für seine Verteidigung zu sorgen, hat Dr. A***** nie, auch nicht in seiner Berufungsschrift erstattet, sodass auf die nunmehr nachgetragene Behauptung, zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens habe der Erneuerungswerber „nicht über die wirtschaftlichen Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers" verfügt, mangels Erschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK; RIS-Justiz RS0122737, ua 11 Os 19/08s und 12 Os 71/08w, EvBl 2008/166, 858) nicht weiter einzugehen ist.

Die Nichtbeherrschung der Gerichtssprache ist im Übrigen alleine kein Grund, einem Angeklagten unabhängig von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und der Bedeutung des Strafvorwurfes zusätzlich zum Dolmetscher einen Verteidiger beizugeben (Art 6 Abs 3 lit c und lit e MRK sind nicht in jedem Fall kumulativ).

Inwiefern dem Erneuerungswerber im Verfahren erster Instanz keine Möglichkeit eingeräumt worden sein soll, sich angemessen zu verteidigen, geht aus seinem Antrag nicht hervor. Die ungerügten Verhandlungsprotokolle zeigen vielmehr, dass dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ausreichend Raum gegeben wurde, seine Sicht der Dinge darzulegen und sich zu verteidigen. Zudem hatte er stets Gelegenheit (vgl S 225, 241), auf Aussagen der Zeugen zu reagieren und diesen Fragen zu stellen (Art 6 Abs 3 lit d EMRK). Überdies wurde ausführlich eine diversionelle Erledigung des Strafvorwurfs erörtert (S 245).

Eine Verletzung der - dem von ihm erwähnten Erkenntnis des EGMR zu entnehmenden - gerichtlichen Verpflichtung, die Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungsverhandlung sicherzustellen, um es ihm zu ermöglichen. „sich selbst zu verteidigen", wird nicht einmal behauptet.

Laut dem Protokoll über die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Graz (ON 49) dauerte diese über 30 Minuten. Der Rechtsmittelwerber wiederholte in Ergänzung des Vortrags seines Verteidigers seine bisherigen Angaben, zusätzlich führte er die Gründe für seine Nichtannahme des Diversionsanbotes (ON 24) aus (S 407).

Es liegt somit keine Verletzung des Art 6 Abs 3 lit c MRK vor.

1.2. Art 6 Abs 3 lit a MRK sichert jedem Angeklagten (lediglich) das Recht zu, in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen in Kenntnis gesetzt zu werden, was - wie bereits erwähnt - gegenständlich erfolgt ist (vgl S 171a; ON 16, S 205 f, 209).

Im vorliegenden Fall halten die Hauptverhandlungsprotokolle die Anwesenheit eines beeideten gerichtlichen Dolmetschers (für Griechisch) fest, dies allerdings ohne das Ausmaß der geleisteten Übersetzung näher anzugeben. Nach geübter Praxis erfolgt die Wiedergabe des Gesprochenen durch einen Dolmetscher nicht simultan, sondern konsekutiv zusammenfassend. Sowohl die in den Verhandlungen vorgebrachten Beweise als auch die verschiedenen Erklärungen, die dazu von Dr. A***** abgegeben wurden, sind protokollarisch festgehalten. Diese Einlassungen enthalten keinen formellen oder informellen Einspruch des Genannten gegen die Qualität oder den Umfang der Übersetzung. Es besteht demnach kein Hinweis, dass der Erneuerungswerber aufgrund einer mangelhaften Übersetzung nicht in der Lage gewesen wäre, den ihm zur Last gelegten Fall zu kennen und sich selbst zu verteidigen, insb seine Version der Ereignisse dem Gericht unterbreiten zu können (vgl EGMR Kamasinski gegen Österreich, ÖJZ 1990/10 MRK; EvBl 1972/139, EvBl 1987/165; Achammer, WK-StPO § 38a Rz 13).

Ein Verstoß gegen Art 6 Abs 3 lit e MRK, wie er hier offenbar (jedoch nicht nominell) gerügt wird, kann somit nicht festgestellt werden.

1.3. Für das Berufungsverfahren räumt Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d MRK kein uneingeschränktes Recht ein, die (neuerliche) Vorladung von Zeugen vor Gericht zu erreichen. Nach §§ 473 Abs 2, 489 Abs 1 StPO sind im Berufungsverfahren Zeugen, die bereits in der Hauptverhandlung vor dem Erstgericht vernommen worden sind, nur dann nochmals abzuhören, wenn das Rechtsmittelgericht gegen die Richtigkeit der auf ihre Aussagen gegründeten, im Urteil erster Instanz enthaltenen Feststellungen Bedenken hegt oder die Vernehmung neuer Zeugen über dieselben Tatsachen notwendig findet. Im Gegenstand liegt keiner dieser beiden Fälle vor. Aus der Berufungsentscheidung ergibt sich eindeutig, dass das Rechtsmittelgericht die erstinstanzlichen Feststellungen als unbedenklich ansah. Der auf eine Beweiswiederholung bzw eine Beweisergänzung gerichtete Antrag des zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertretenen Dr. A***** hätte neben dem Beweismittel auch ein taugliches Beweisthema zu bezeichnen und zu begründen gehabt, weswegen das Beweismittel geeignet sein könnte, dieses Beweisthema zu klären. Mangels Darlegung jedweder Umstände tatsächlicher Art, welche durch die begehrten Zeugenvernehmungen zu belegen seien, mangelte es dem Antrag „zum Beweis der Schuldlosigkeit" (S 355 f) an der erforderlichen Konkretisierung, weshalb er ohne Verletzung von Verteidigungsrechten und somit auch des Grundrechtes auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1, Abs 3 lit d MRK abgewiesen werden konnte (S 409; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327; Berka, Grundrechte Rz 829; Frowein/Peukert, EMRK² Art 6 Rn 99).

2. Die Geltendmachung einer Verletzung von Art 5 MRK blieb völlig substratlos: der Erneuerungswerber war nie in Haft und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Überdies handelt es sich beim Antrag nach § 363a StPO um einen subsidiären Rechtsbehelf, weshalb in Bezug auf das Grundrecht der Freiheit das GRBG zur Anwendung gelangt, dessen Voraussetzungen aktuell nicht einmal behauptet werden (14 Os 60/08t mwN).

Der Erneuerungsantrag des Dr. Karolos A***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Textnummer

E89716

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2008:0110OS00139.08P.1216.000

Im RIS seit

15.01.2009

Zuletzt aktualisiert am

15.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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