TE OGH 2009/1/27 10ObS184/08v

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Veröffentlicht am 27.01.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth L*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Peter Lieskonig, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Höhe der Alterspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 2008, GZ 7 Rs 71/08b-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. März 2008, GZ 38 Cgs 276/07g-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 14. September 2004 anerkannte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der am 6. 2. 1947 geborenen Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension ab 1. 4. 2004 (in einer monatlichen Höhe von 558,64 EUR) und sprach gleichzeitig aus, dass aufgrund der ausgeübten Tätigkeit die Pension nicht anfällt. Die Klägerin beabsichtigte nicht, die Berufsunfähigkeitspension in Anspruch zu nehmen, sondern setzte tatsächlich ihre Berufstätigkeit bis zur Erreichung des gesetzlichen Pensionsalters fort. Vor dem 1. 3. 2007 erhielt sie seitens der beklagten Partei keine Leistungen auf der Grundlage des Bescheids vom 14. 9. 2004.

Aufgrund des am 13. 2. 2007 gestellten Antrags anerkannte die beklagte Partei mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 9. 5. 2007 den Anspruch der Klägerin auf Alterspension für die Zeit ab 1. 3. 2007 in Höhe von 647,25 EUR monatlich und sprach gleichzeitig aus, dass der Anspruch der Klägerin auf die obgenannte Berufsunfähigkeitspension mit 28. 2. 2007 erlischt.

Strittig ist im vorliegenden Fall ausschließlich die Frage, ob bei Berechnung der Alterspension der Verminderungsprozentsatz des § 261 Abs 4 und 7 ASVG, der im Fall der Klägerin 12,25 % ausmacht, anzuwenden ist oder nicht.

Das Erstgericht sprach der Klägerin die Alterspension ab 1. 3. 2007 in der Höhe von monatlich 737,20 EUR zu. Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 261 Abs 7 ASVG könne die Alterspension nur im Fall des „Hinzutretens" zu einer tatsächlich in Anspruch genommenen Berufsunfähigkeitspension gekürzt werden. Da die Klägerin bis zum Anfall der Alterspension ununterbrochen ihrer beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei, ohne die zuerkannte Berufsunfähigkeitspension tatsächlich in Anspruch zu nehmen, könne § 261 Abs 7 ASVG und damit der Verminderungsprozentsatz des § 261 Abs 4 ASVG nicht angewendet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Der in Rede stehende Abschlag nach § 261 Abs 7 ASVG (Verminderungsprozentsatz) sei nur im Fall der tatsächlichen Inanspruchnahme der vorangehenden Pensionsleistung - hier der mit 1. 4. 2004 anerkannten, aber nicht angefallenen Berufsunfähigkeitspension der Klägerin - anzuwenden. Auch § 261 Abs 4 ASVG spreche ausdrücklich von der „Inanspruchnahme einer Leistung". Der Umstand, dass der Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension mit 1. 4. 2004 anerkannt worden sei, ohne dass es tatsächlich jemals zu einer Inanspruchnahme dieser Pensionsleistung gekommen wäre, bewirke demnach keine Verminderung ihrer Alterspension.

Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der entscheidenden, gemäß § 502 Abs 1 ZPO bedeutsamen Frage fehle, ob der Verminderungsprozentsatz des § 261 ASVG auch dann anzuwenden sei, wenn eine Pensionsleistung nicht angefallen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revision der beklagten Partei liegt im Wesentlichen die Rechtsansicht zugrunde, dass der Verminderungsprozentsatz von 12,25 % (§ 261 Abs 4 iVm Abs 7 ASVG) zwingend anzuwenden sei, weil die bei der Klägerin aufgrund des Zuerkennungsbescheids vom 14. 9. 2004 eindeutig erfüllte „Inanspruchnahme einer Leistung" (= Anspruch auf die Leistung) klar von ihrer Auszahlung (= Anfall nach § 86 ASVG) zu trennen sei; andernfalls wäre dem § 86 Abs 3 Z 2 ASVG der Boden entzogen.

Dazu hat der Senat erwogen:

1. Mit dem ASRÄG 1997 (54. ASVG-Novelle, BGBl I 1997/139) wurde durch eine Neuregelung der Bestimmungen über den Steigerungsbetrag versucht, „den späteren Pensionsantritt attraktiver zu machen und dadurch das faktische Pensionsantrittsalter anzuheben" (RV 886 BlgNR 20. GP 106): Wenn der Versicherte die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nahm, waren für jedes Jahr zwei Steigerungspunkte abzuziehen, wobei eine Deckelung mit 15 % eingezogen wurde.

1.1. Die Absätze 4 - 7 des § 261 ASVG erhielten mit dem ASRÄG 1997 die folgende Fassung:

„(4) Bei Inanspruchnahme einer Leistung vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters (§ 253 Abs. 1) ist die gemäß Abs. 2 ermittelte Summe der Steigerungspunkte zu vermindern. Das Ausmaß der Verminderung beträgt für je zwölf Monate der früheren Inanspruchnahme zwei Steigerungspunkte. ... Das Höchstausmaß der Verminderung beträgt jedoch 15 % der ... Summe der Steigerungspunkte, bei der Invaliditätspension außerdem höchstens 10 Steigerungspunkte. ...

(5) ...

(6) ...

(7) Bei Anwendung des Abs. 4 ist, wenn zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung bereits ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus einer gesetzlichen Pensionsversicherung mit Ausnahme von Pensionen aus dem Versicherungsfall des Todes bestanden hat, der Stichtag dieser Pension heranzuziehen."

1.2. Mit dem SRÄG 2000 (BGBl I 2000/92) wurde ein linearer Abschlag von 3 Steigerungspunkten pro Jahr des Pensionsantritts vor dem Regelpensionsalter eingeführt.

In den Gesetzesmaterialien (RV 181 BlgNR 21. GP) wird die Änderung wie folgt begründet: „Das Modell der Leistungsgerechtigkeit beinhaltet, dass jener, der die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nimmt, mit versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen rechnen muss und jener, der sie später in Anspruch nimmt, ebensolche Zuschläge erhält. Nur diese Berechnungsweise stellt sicher, dass sich die Gesamtaufwendungen der Pensionsversicherung nicht verändern, gleichgültig ob die Versicherten früher oder später in Pension gehen.

Nach geltendem Recht werden für die Alterspensionen in jedem Versicherungsjahr zwei Steigerungspunkte (das entspricht 2 % der Bemessungsgrundlage) erworben. Für jedes Jahr, um das Versicherte die Pension früher als bei Erreichung des Regelpensionsalters (60 Jahre für Frauen, 65 Jahre für Männer) in Anspruch nehmen, werden von der Summe der Steigerungspunkte als Malus zwei Steigerungspunkte abgezogen. Dieser linear gestaltete Abzug beträgt aber höchstens zehn Steigerungspunkte oder 15 % der Pension.

Es wird vorgeschlagen, den Malus auch weiterhin linear zu gestalten, allerdings auf drei Steigerungspunkte pro Jahr anzuheben, und zwar unter Festlegung einer Höchstgrenze von 10,5 Steigerungspunkten bzw. 15 % der Pension."

Das SRÄG 2000 orientierte sich somit bei der Neuregelung des Malus an versicherungsmathematischen Grundsätzen und es soll daher der Abschlag die Verlängerung der Bezugsdauer der Pension bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Restlebenserwartung möglichst ausgleichen. Im Ergebnis soll damit der Malus sicherstellen, dass der Frühpensionist (aus dem Blickwinkel der Versicherungsmathematik) keinen finanziellen Vorteil erhält (Resch, Neuerungen im Sozialrecht, RdW 2000/657, 670 f).

2. Mit dem 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145 (61. ASVG-Novelle, in Kraft seit 1. 1. 2004), erhielt § 261 ASVG folgende Gestalt:

„Alters(Invaliditäts)pension, Ausmaß

§ 261. (1) Die Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters und die Invaliditätspension bestehen aus dem Steigerungsbetrag, bei Vorliegen einer Höherversicherung auch aus dem besonderen Steigerungsbetrag gemäß § 248 Abs. 1. Der Steigerungsbetrag ist ein Prozentsatz der Gesamtbemessungsgrundlage (§ 240).

(2) ...

(3) ...

(4) Bei Inanspruchnahme einer Leistung vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters (§ 253 Abs. 1) ist die Leistung, ausgenommen ein besonderer Steigerungsbetrag (§ 248), zu vermindern. Das Ausmaß der Verminderung beträgt für je zwölf Monate der früheren Inanspruchnahme 4,2 % der Leistung. ... Das Höchstausmaß der Verminderung beträgt 15 % der genannten Leistung. ...

(5) ...

(6) (aufgehoben)

(7) Besteht bei Eintritt eines Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit oder des Alters ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus eigener Pensionsversicherung, so gilt die Verminderung nach Abs. 4 für diese Pension auch für die hinzutretende Leistung."

2.1. Nach den Gesetzesmaterialien zum 2. SVÄG 2003 (RV 310 BlgNR 22. GP 18) sollte „durch die Umformulierung des § 261 Abs. 7 ASVG bzw. der entsprechenden Parallelbestimmungen im GSVG und BSVG ... klarer zum Ausdruck kommen, dass der Abschlag bei Inanspruchnahme einer Pensionsleistung vor dem Regelpensionsalter auch für eine spätere Invaliditäts-(Berufsunfähigkeits-)pension oder eine Erwerbsunfähigkeitspension bzw. für eine Alterspension heranzuziehen ist (vorausgesetzt, die vorangehende Leistung gebührt noch bei Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalles)."

3. Sowohl in der Fassung des ASRÄG 1997 als auch des 2. SVÄG 2003 ist für die Anwendbarkeit des Abs 7 des § 261 ASVG ein „ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension" notwendig, während in § 261 Abs 4 ASVG für die Verminderung eine „Inanspruchnahme der Leistung" verlangt wird. Betrachtet man den Wortlaut des § 261 Abs 7 ASVG isoliert, ist der beklagten Partei zuzugestehen, dass es für die Verminderung nach Abs 4 allein darauf ankommen soll, ob bei Eintritt des Versicherungsfalls des Alters „ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus eigener Pensionsversicherung" besteht. Die in Abs 4 genannte „Inanspruchnahme der Leistung" sowie die in den Gesetzesmaterialien zum 2. SVÄG 2003 auch im Zusammenhang mit der erwähnten Änderung des § 261 Abs 7 ASVG verwendete Formulierung „bei Inanspruchnahme einer Pensionsleistung" wiederum würden nach dem Wortsinnn eher darauf hindeuten, dass die Leistung nicht nur zusteht, sondern auch effektuiert, also tatsächlich „in Anspruch genommen" wird.

4. Seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) fordert § 86 Abs 3 Z 2 ASVG für den Anfall einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit (zusätzlich) die Aufgabe der Tätigkeit, aufgrund derer der/die Versicherte als invalid oder berufsunfähig gilt. In diesem Sinn sind nach der Judikatur (RIS-Justiz RS0084313 [T3]) die Entstehung des Anspruchs auf eine Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit und deren Anfall gesondert zu prüfen. Die Aufgabe der bisherigen Tätigkeit (§ 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG) ist lediglich eine Voraussetzung für den Leistungsanfall, nicht aber für das Entstehen des Leistungsanspruchs (10 ObS 30/02p = SZ 2002/84 = SSV-NF 16/68; 10 ObS 152/02d = SZ 2002/105 = SSV-NF 16/90).

Im Fall der Klägerin ist der mit Bescheid vom 13. September 2004 zuerkannte Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension aufgrund ihrer weiteren Berufstätigkeit nicht angefallen.

5. Wie bereits unter 3. angeführt wurde, ist der Wortlaut der Absätze 4 und 7 des § 261 ASVG in ihrem Zusammenhang nicht ganz eindeutig (siehe beispielsweise auch Resch, Sozialrecht4 [2008] 136: „Bezieht der Versicherte bereits eine Eigenpension ..."), weshalb eine Interpretation nach dem Zweck nötig ist. Den Hintergrund für die Abschläge bilden letztlich versicherungsmathematische Erwägungen (siehe 1.2.). Der vorgesehene Abschlag soll, wie bereits erwähnt, die Verlängerung der Bezugsdauer der Pension bei gleichartiger Berücksichtigung der Restlebenserwartung möglichst ausgleichen und es soll damit sichergestellt werden, dass der Frühpensionist (aus dem Blickwinkel der Versicherungsmathematik) keinen finanziellen Vorteil erhält. In diesem Sinn ist der Wortlaut des § 261 Abs 7 ASVG, der ausdrücklich auf die „Vermindung nach Abs 4" Bezug nimmt, nach Ansicht des erkennenden Senats teleologisch dahin zu reduzieren, dass trotz eines bescheidmäßig zuerkannten Anspruchs auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit die Verminderung nach Abs 4 nicht eintritt, wenn die Leistung vom Versicherten tatsächlich nicht in Anspruch genommen wurde. Die Abschlagsregelung ist somit nicht anzuwenden, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Versicherte erstmals mit Eintritt des Regelpensionsalters eine Pensionsleistung tatsächlich in Anspruch nimmt und damit eine Verlängerung der Bezugsdauer der Pension, welche durch die Anwendung der Abschlagsregelung ausgeglichen werden soll, tatsächlich gar nicht vorliegt.

6. Somit ist der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Textnummer

E89930

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00184.08V.0127.000

Im RIS seit

26.02.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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