TE OGH 2009/3/25 16Ok14/08

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Veröffentlicht am 25.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Vogel und Dr. E. Solé sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Bauer und Dr. Haas als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1.) J*****gesellschaft mbH, 2.) U***** GmbH, beide *****, vertreten durch Dr. Axel Reidlinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin P***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Karasek, Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien und Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, sowie der Amtsparteien Bundeswettbewerbsbehörde, Praterstraße 31, 1020 Wien und des Bundeskartellanwalts, 1016 Wien, Schmerlingplatz 11, über die Rekurse der Bundeswettbewerbsbehörde sowie der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 30. Juli 2008, GZ 25 Kt 34/07-49, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beiden Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Antragstellerinnen betreiben und verwalten das Einkaufszentrum „U*****" in L***** bei L*****, die Antragsgegnerin das Einkaufszentrum „P*****" in P***** bei L*****. Beide Einkaufszentren sind nahezu gleichzeitig im Jahr 1989/1990 entstanden und rund 900 m voneinander entfernt. Beide sind Einkaufszentren von überregionaler Bedeutung mit einem gemischten Branchensortiment und einer Reihe von „Ankermarken" als Frequenzbringer. Die Verkaufsfläche der P***** der Antragsgegnerinnen beträgt rund 67.000 m2 mit 119 Handelsstandorten und rund 270 Mio EUR Umsatz im Jahr 2006. Die Betreiberin dieses Einkaufszentrums eröffnete im April 2008 an einem rund 8,5 km entfernten Standort ein regionales Einkaufszentrum (L*****) mit dem Schwerpunkt Nahversorgung und einer Verkaufsfläche von rund 8.000 m², wobei Bestandnehmer der P*****, die in das Nahversorgungskonzept passen, auch als Bestandnehmer für das neue Einkaufszentrum geworben werden. Mit Ausnahme der Bereiche Optik und Telekommunikation gibt es in jeder Branche auf dem österreichischen Markt tätige „Ankermarken", die nicht in der P***** vertreten sind. Die Antragsgegnerinnen konnten in 90 % ihrer Bestandverträge eine sogenannte Radiusklausel durchsetzen, die dem Bestandnehmer innerhalb eines bestimmten Umkreises von - je nach Verhandlungsposition - 5, 10 oder 15 km den Betrieb eines Geschäfts in einem anderen Einkaufszentrum untersagt. Die Radiusklausel bezieht sich nicht auf Geschäfte in der L***** Innenstadt, sofern es sich nicht um ein dort befindliches kleineres Einkaufszentrum handelt und steht nicht im Zusammenhang mit bestimmten - auch nicht mieterspezifischen - Investitionen. Die Klausel gilt für die Dauer des jeweiligen Bestandvertrags, nicht aber für die Zeit danach. Die Laufzeit der Bestandverträge im Einkaufszentrum der Beklagten beträgt zwischen drei und 15 Jahre, die Kündigungsfrist im Schnitt ein, zum Teil zwei Jahre.

Die Verkaufsfläche der U***** der Antragstellerinnen beträgt rund 33.000 m² mit 72 Handelsstandorten, wobei mit Ausnahme von Möbeln und Heimtextilien ebenfalls ein gemischtes Branchensortiment besteht. Mehrere Bestandnehmer sind sowohl in der U***** als auch in der P***** vertreten (Interspar, Bipa, C&A, H&M, Deichmann und andere), im Elektrobereich ist die U***** mit dem Media Markt führend, während sie im Bereich Drogerie/Parfumerie nur eine bekannte Marke (Bipa) und im Bereich Mobiltelefonie - mit Ausnahme der Angebote des Media Markts - über keinen bekannten Betreiber als Bestandnehmer verfügt. Zum Teil werden in der P***** geführte Marken in der U***** mit anderem „Brand-Label" geführt (zB Humanic als Shoe4You).

Die U***** konnte in etwa 30 % ihrer Bestandverträge eine ähnliche Radiusklausel durchsetzen, ihre Bestandnehmer aber nicht in gleicher Weise an sich binden wie die P*****. Mehrere Bestandnehmer haben sich entschlossen, von der U***** in die P***** umzusiedeln (Mexx, Sisley), zum Teil noch während laufenden Bestandvertrags mit der U***** (Marionnaud). Zum Teil haben Bestandnehmer, die bei der U***** nicht durch eine Radiusklausel gebunden waren, in der P***** neue Geschäfte eröffnet (C&A, Vögele Mode, Esprit) und in der Folge ihr Geschäft in der U***** verkleinert (C&A), oder waren nicht mehr bereit, in der U***** zu bleiben (Esprit) bzw konnten nur durch Mietfreistellungen zum Bleiben überredet werden (H&M, Vögele Mode). Je mehr Bestandnehmer Interesse daran haben, sich in der P***** zu etablieren, desto mehr verliert die U***** an Attraktivität für weitere Bestandnehmer, sodass diese zum Teil die vorzeitige Beendigung ihrer Bestandverträge erwägen (Eduscho). Auch potenzielle Bestandnehmer werden von einem „Einstieg" bei der U***** abgehalten, weil sie dort kein vergleichbar attraktives, stabiles Umfeld vorfinden wie in der P*****. Die dadurch geschwächte Stellung der U***** führt dazu, dass sich Bestandnehmer immer kürzere Bestandzeiten, zum Teil nur noch sechs Monate, ausbedingen oder die U***** die Übernahme der Kosten für den Lokalausbau bzw für Personal (Parfümerie Tachezy) oder rein umsatzabhängige Pachtentgelte zugesteht, um Bestandnehmer am Standort zu halten. Zum Teil wären Bestandnehmer der P***** daran interessiert, auch in der U***** unter derselben Bezeichnung vertreten zu sein (Libro).

Die Antragstellerinnen begehren, der Antragsgegnerin zu untersagen, in ihren Verträgen mit Bestandnehmern die Radiusklausel oder Klauseln mit gleicher Zweckbestimmung und Wirkung vorzusehen (Punkt 1.) und ihr aufzutragen, allen Bestandnehmern ihres Einkaufszentrums, deren Bestandverträge dagegen verstoßen, vom vollen Wortlaut des Beschlusses des Kartellgerichts in Kenntnis zu setzen (Punkt 2.), alle Investoren, die sie auf das Bestehen dieser Radiusklausel aufmerksam gemacht hat, darüber zu informieren (Punkt 3.), sowie letztlich die Veröffentlichung dieses Beschlusses (Punkt 4.). Die Vereinbarung und Durchsetzung der Radiusklausel verstoße gegen das Missbrauchsverbot des § 5 KartG, weil der Antragsgegnerin auf dem sachlich relevanten Markt für hochwertige Einkaufszentren im räumlich relevanten Großraum L***** eine marktbeherrschende Stellung zukomme. Diese sei aus dem starken Branchen- und Markenmix ersichtlich, mit dem sie in einigen Kernbereichen die Palette der sogenannten „Ankermarken" fast vollständig abdecke. Bezeichnend für die Marktmacht sei auch, dass sie die Radiusklausel gegenüber mehr als 90 % ihrer Bestandnehmer habe durchsetzen können, während dies den Betreibern der U***** in nur rund 35 % ihrer Verträge, meist gegenüber weniger zugkräftigen Bestandnehmern, gelungen sei. Die Radiusklausel stelle eine ausschließliche Bezugsverpflichtung der Bestandnehmer dar und führe zu einer Abschottung dieser Kunden aber auch von Investoren. Da der Nutzen eines Einzelhandelsunternehmens aus dem Betrieb einer Verkaufsfläche in einem Einkaufszentrum mit der Präsenz anderer, möglichst zugkräftiger Einzelhandelsunternehmen steige, weil nur dadurch ein stabiler Kundenstrom gewährleistet sei, komme es außerdem zu einem Agglomerationseffekt („Sogwirkung").

Die Antragstellerinnen stützen ihr Begehren auch auf einen Verstoß gegen § 1 KartG, weil die Radiusklausel dazu führe, dass die Antragsgegnerin jeden Wettbewerb anderer Anbieter von Bestandflächen unterbinden könne und potenzielle Bestandnehmer für alle anderen Wettbewerber vertraglich gesperrt würden. Ein Rechtfertigungstatbestand nach § 2 KartG liege nicht vor. Die Klausel sei für die Erzielung allfälliger Effizienzgewinne nicht unerlässlich. Nichtkundenspezifische Investitionen eines Einkaufszentrumsbetreibers bedürften keines Schutzes durch ein Wettbewerbsverbot, sondern würden ohnehin über die Betriebskosten verrechnet. Bei kundenspezifischen Investitionen könne der Bestandgeber das Risiko auch in deutlich weniger wettbewerbsbeschränkender Weise mindern.

Die Antragsgegnerinnen beantragen, den Antrag abzuweisen. Die von der Erstantragstellerin in ihren Bestandverträgen selbst verwendete Radiusklausel sei sogar schärfer. Es bestehe kein auf hochwertige Einkaufszentren beschränkter Markt, sondern Konkurrenz sämtlicher Anbieter von Verkaufsflächen zueinander. Auch räumlich sei der Markt nicht auf P***** oder den Großraum L***** zu beschränken. Die Bestandnehmer der P***** gehörten zu österreich-, europa- oder weltweit tätigen Handelsketten, die zwischen Verkaufsflächen in ganz Österreich, Europa bzw der ganzen Welt wählen könnten. Die Antragsgegnerinnen stünden daher mit einer Unzahl von Anbietern von Verkaufsflächen im Wettbewerb. Die Radiusklausel sei für einen funktionierenden Wettbewerb notwendig und gemäß 4 Ob 112/00z wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Der Bestandgeber eines Einkaufszentrums müsse einen möglichst großen Kundenkreis ansprechen. Hätten beide Einkaufszentren mehr oder weniger die gleichen Bestandnehmer, könnten sie sich wegen dieser Unternehmensverbindungen nicht mehr zum Vorteil der Konsumenten konkurrieren. Bei Beendigung des Bestandverhältnisses sei ein Wechsel in das Einkaufszentrum der Antragstellerinnen möglich, ebenso könne eine Filiale unter anderer Geschäftsbezeichnung eröffnet werden. Die Radiusklausel sei auch keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung im Sinne des § 1 KartG. Die Klausel fördere sogar den Wettbewerb - sowohl unter den Einkaufszentren als auch im Markenwettbewerb. Angesichts der hohen Investitionskosten des Aufbaus und Betriebs eines Einkaufszentrums sei sie auch notwendig und daher keine verbotene Wettbewerbsbeschränkung.

Die Bundeswettbewerbsbehörde hält die Radiusklausel für grundsätzlich geeignet, den Wettbewerb zu beschränken, weil sie als eine de facto-Exklusivbindung den Wettbewerb nur solange aufrecht erhalte, bis eine kritische Masse an potenziellen Bestandnehmern dem Markt entzogen sei. Die Klausel bilde für neu eintretende Einkaufszentren eine Marktzutrittsbarriere und sei daher nur angemessen, wenn sie zum Investitions- oder Risikoschutz notwendig sei. Eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung im Sinne des § 1 KartG könne bei einem Zusammenspiel mehrerer gleichartiger Verträge als Bündel eintreten.

Nach dem Bundeskartellanwalt bildet die Radiusklausel sowohl eine vertikale Absprache betreffend die Marketing- und Dienstleistungen des Einkaufszentrums als auch eine „konglomerate Absprache". Die Bestandverträge gingen über Miet- und Pachtvereinbarungen hinaus und seien daher als Leistungsvereinbarungen im Sinne der Vertikal-GVO anzusehen. Die Klausel umfasse aber auch horizontale Aspekte. Die Antragsgegnerin erfülle die Funktion eines Kartellbüros für horizontale Absprachen der Bestandnehmer, sie bewerbe, sammle, dokumentiere und setze auch gegenüber Dritten Vereinbarungen durch, die letztlich horizontale Wettbewerber, nämlich die Bestandnehmer einer Branche, verpflichteten, ausschließlich einen Standort im räumlich relevanten Markt zu betreiben.

Das Erstgericht wies die Anträge ab und stellte dazu - über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus - zusätzlich fest, dass räumlich der Großraum L***** und sachlich das Inbestandgeben von Geschäftsstätten (Verkaufsflächen) und handelsnahen Dienstleistungen in überregional bedeutsamen Handelsagglomerationen - Einkaufszentren und innerstädtischen Einkaufszonen - als relevanter Markt anzusehen sei. Innerhalb dieses Markts befänden sich die Einkaufscenter der Antragstellerinnen und der Antragsgegnerin, das Center H***** sowie die Zone L*****-L*****straße/Hauptplatz. Der Marktanteil der P***** betrage gemessen an der Anzahl der Geschäftslokale (Handelsstandorte) 19,8 % und gemessen an der Verkaufsfläche 29,7 %. Ein auf den Umsatz bezogener Marktanteil sei nicht feststellbar. Eine marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin bestehe daher nicht. Auch ein Verstoß gegen § 1 KartG liege nicht vor. Zwar sei das Kartellverbot nicht auf Waren oder Dienstleistungen beschränkt, sondern es sei von einem weiten Verständnis unternehmerischer Tätigkeit auszugehen, das sich auf alle Wirtschaftsbereiche beziehe. Hier sei aber nicht der gesamte Vertrag, sondern nur eine einzelne darin enthaltene Klausel wettbewerbsrechtlich zu prüfen, was schon nach der Entscheidung „Delimitis" des EuGH zulässig sei. Es sei im vorliegenden Fall offensichtlich, dass ein Einzelpachtvertrag mit einer Radiusklausel nicht geeignet sei, den Markteintritt eines anderen Einkaufszentrums zu erschweren. Im vorliegenden Fall könne von konsentierten Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der Gesamtheit der Bestandnehmer, die die Radiusklausel eingegangen sind, nicht ausgegangen werden, weil die Interessen der Bestandnehmer unterschiedlich gelagert seien. Der einzelne Bestandnehmer habe auch keinerlei Einfluss darauf, wann und mit wem die Antragsgegnerin eine Radiusklausel ausverhandle, sodass die Vielzahl der Bestandverträge nicht als vom gemeinsamen Willen der Vertragsparteien getragen anzusehen sei. Im Bündel gesehen könne zwar von solchen Vereinbarungen eine erhebliche Marktabschließungswirkung ausgehen, allerdings nicht, wenn weniger als 30 % des relevanten Markts abgedeckt werden. Dies sei hier der Fall. Die einzelnen Verträge seien daher nicht kartellverbotswidrig im Sinne des § 1 KartG. Anhaltspunkte für horizontale Aspekte, wie vom Bundeskartellanwalt vorgebracht, bestünden nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse der Antragstellerinnen und der Bundeswettbewerbsbehörde sind berechtigt.

I. Zum Verzicht auf den Anspruch:

Entgegen der Rechtsansicht der Rekursbeantwortung führt die Rückziehung einer Klage nach dem UWG unter Anspruchsverzicht nicht dazu, dass auch ein Anspruch nach dem KartG nicht mehr erhoben werden könnte.

Zwar sind der Lebenssachverhalt, nämlich die Vereinbarung der Radiusklausel, und das Begehren, solche Vereinbarungen in Hinkunft nicht mehr abzuschließen und sich nicht mehr auf bestehende Vereinbarungen zu berufen (im UWG-Verfahren beschränkt auf einen Umkreis von 5 km), im Kern gleich. Die Tatbestandsvorausetzungen eines Anspruchs nach dem UWG und dem KartG gehen aber darüber hinaus und sind jeweils andere (zB was die Wiederholungsgefahr nach dem UWG oder die Marktverhältnisse nach dem KartG betrifft), sodass insgesamt unterschiedliche Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden müssen, um einen Anspruch nach dem UWG oder dem KartG durchzusetzen. Es liegt daher kein identer Streitgegenstand im Sinne des herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs (Fasching in Fasching/Konecny III³ Vor §§ 226 ff ZPO Rz 23) vor, wie bereits das Erstgericht, auf dessen ausführliche Begründung in diesem Zusammenhang verwiesen wird (§§ 71 Abs 3, 66 Abs 2 AußStrG), dargelegt hat. Darüber hinaus ist für einen unmittelbar auf das KartG gestützten (Abstellungs-)Anspruch der streitige Rechtsweg unzulässig. Im streitigen Lauterkeitsverfahren dagegen kann zwar ein Verstoß gegen das KartG behauptet werden, allerdings nur zur Konkretisierung der Sittenwidrigkeit bzw nunmehr Unerlaubtheit eines solchen Verhaltens im Rahmen der Anspruchsgrundlage nach dem UWG. Der Verzicht auf die Geltendmachung dieser Anspruchsgrundlage beinhaltet daher auch keinen Verzicht auf einen direkt auf das KartG gestützten Anspruch.

II. Zur Antragslegitimation der Zweitantragstellerin:

Für die Antragslegitimation nach § 36 Abs 4 Z 4 KartG reicht ein wirtschaftliches Interesse an der begehrten Entscheidung aus. Da es sich bei den Antragstellerinnen, wie dem offenen Firmenbuch zu entnehmen ist, um Schwestergesellschaften handelt, ist auch bei der Zweitantragstellerin zumindest das wirtschaftliche Interesse zu bejahen.

III. Zum Rekurs der Antragstellerinnen:

1. Der Rekurs wendet sich in erster Linie gegen die Marktabgrenzung des Erstgerichts und verweist in seinen umfangreichen Ausführungen insbesondere darauf, dass die vom Sachverständigen gewählte Methode keinerlei Rückschlüsse auf die Austauschbarkeit der zu untersuchenden Produkte und damit den relevanten Markt zulasse, sondern auch komplementäre Nachfrage einbeziehe. Das widerspreche dem in § 23 KartG verankerten Bedarfsmarktkonzept.

2.1. Die Radiusklausel führt dazu, dass Vertragspartner der Antragsgegnerinnen in einem bestimmten Umkreis grundsätzlich keine weiteren Filialen errichten dürfen, im vereinbarten Gebiet also ihren Bedarf an Bestandobjekten nur bei den Antragsgegnerinnen decken dürfen. Auch wenn kein Vertikalverhältnis vorliegt, weil die nachgefragte Leistung nicht dem Wiederverkauf dient, besteht eine Ausschließlichkeitsbindung im Bereich eines für die eigentliche Unternehmenstätigkeit der Nachfrager notwendigen Hilfsgeschäfts.

Ausschließlichkeitsbindungen im weiteren Sinn sind sämtliche Handlungsbeschränkungen, die der Marktbeherrscher seinen Vertragspartnern auferlegt. Derartige Bindungen greifen nicht nur in die Handlungsfreiheit der Vertragspartner ein. Sie eignen sich auch für die Verfolgung wettbewerbsfeindlicher Ziele, wie die Behinderung von Konkurrenten, die Aufteilung von Märkten oder die Verstärkung der eigenen Marktstellung (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, Art 82 Rz 177). Eine den Kunden auferlegte Verpflichtung, ihren Bedarf ganz bei einem marktbeherrschenden Unternehmen zu decken, kann grundsätzlich als Behinderung von Mitbewerbern mit dem Leistungswettbewerb unvereinbar sein. Dass die Bindung möglicherweise auch im Interesse der Kunden ist oder sogar auf ihren Wunsch vereinbart wurde, ändert daran nichts. Maßgebend sind vielmehr der Bindungsgrad und die Auswirkungen auf den Restwettbewerb. Zu beachten ist allerdings, dass die Abnehmerbindung grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich ist, wenn deren Nachweis auch schwierig ist (Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 82 Rz 54 f).

2.2. Die Beurteilung des sachlich betroffenen Markts erfolgt nach Lehre und Rechtsprechung allgemein nach dem in § 23 KartG gesetzlich verankerten Bedarfsmarktkonzept (16 Ok 20/04 - Multiplex I, 16 Ok 14/04 - Postzeitungsversand uva). Derselbe Markt liegt vor, wenn sich die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen in ihren für die Deckung desselben Bedarfs wesentlichen Eigenschaften von anderen unterscheiden, sich also - aus Sicht der Bedarfsträger als Marktgegenseite - beliebig gegeneinander austauschen lassen (16 Ok 20/0416 Ok 14/04 uva). Entscheidend ist die (funktionelle) Austauschbarkeit der Waren bzw Leistungen aus Sicht der Marktgegenseite (16 Ok 9/01 - W-Beteiligungsgesellschaft I, ua). Ein sachlich relevanter Markt nach dem Bedarfsmarktkonzept liegt daher vor, wenn sich die zu untersuchenden Waren oder Dienstleistungen durch besondere Merkmale in ihrer für die Bedarfsdeckung wesentlichen Beschaffenheit von anderen spürbar unterscheiden. Wesentlich ist eine hinreichende Austausch- bzw Substituierbarkeit (Urlesberger/Haid in Petsche/Urlesberger/Vartian, Kartellgesetz, § 23 Rz 5 f). Die Frage der Marktabgrenzung ist Tatfrage, soweit es dabei um die Feststellung objektiv überprüfbarer Abgrenzungskriterien geht, sie ist Rechtsfrage, soweit es um die Bewertung der der Marktabgrenzung zu Grunde liegenden Methode geht (16 Ok 1/09).

2.3. Die Marktabgrenzung beim Marktmachtmissbrauch wird nach überwiegender Meinung in einem Doppelschritt durchgeführt. Zuerst wird der relevante Markt in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzt und auf dem so ermittelten Markt der Beherrschungsgrad des Unternehmens festgestellt. Dabei greift die Praxis im Wesentlichen auf eine Kombination von Marktstruktur- und Marktverhaltenskriterien zurück (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 82 EG Rz 38). Die Frage der Austauschbarkeit wird anhand der Reaktion von Handelspartnern festgestellt, wobei das tatsächliche Marktgeschehen maßgeblich ist, soweit sich hiezu Tatsachenfeststellungen treffen lassen.

Nicht jede Form der Austauschbarkeit reicht aus, um einen einzigen Markt bzw getrennte Märkte anzunehmen. Vielmehr muss im Rahmen einer wertenden Betrachtung geprüft werden, ob die Austauschbarkeit hinreichend ist, um einen einzigen Produktmarkt annehmen zu können (Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht Art 82 EG Rz 10; Urlesberger/Haid in Petsche/Urlesberger/Vartian Kartellgesetz, § 23 Rz 5 f). Dabei ist auf die spezifischen Eigenschaften eines Produkts oder einer Dienstleistung nach dem Gesichtspunkt der funktionalen Äquivalenz abzustellen. Ein Markt umfasst daher sämtliche Erzeugnisse, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und die mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Maß austauschbar sind (Bechthold aaO Rz 7).

2.4. Auch nach der Definition der Europäischen Kommission in ihrer Bekanntmachung zur Marktdefinition, ABl Nr C372 vom 9. 12. 1997, Rn 7, umfasst der sachlich relevante Produktmarkt sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar angesehen werden. Dabei stellt die Europäische Kommission aus verfahrensmäßigen und praktischen Erwägungen bei der Marktabgrenzung den Preis in den Mittelpunkt, genauer gesagt die Nachfragesubstitution aufgrund kleiner, dauerhafter Änderungen bei den relativen Preisen und fragt, ob die Kunden als Reaktion auf eine kleine bleibende Erhöhung der relativen Preise im Bereich von 5 bis 10 % für die betreffenden Produkte und Gebiete auf leicht verfügbare Substitute ausweichen würden (Rn 15 und 17 - sogenannter SSNIP-Test oder hypothetischer Monopolistentest).

Die Bekanntmachung verweist in Rn 11 ausdrücklich auch auf den Bereich des Marktmachtmissbrauchs. Auch wenn daher dieser Test bei der Marktabgrenzung nach Art 82 EG mitunter als methodisch ungeeignet bezeichnet wird (Wessely im Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Art 82 EG Rz 36; einschränkend auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht § 16 Rz 8), erscheint er unter Berücksichtigung der aufgezeigten Fehlerquellen als grundsätzliche Orientierungshilfe auch im Bereich der Marktmissbrauchsanalyse geeignet.

2.5. Dieser Test ist allerdings nicht mechanisch anzuwenden. Seine Aussagekraft bleibt zum Beispiel dann beschränkt, wenn der Preis nur ein Faktor unter mehreren ist oder der geltende Marktpreis bereits überhöht ist, sodass eine weitere auch geringfügige Erhöhung nicht deshalb unrentabel wird, weil die Nachfrager auf ein Subsitutionsgut ausweichen, sondern überhaupt auf den Konsum verzichten (sogenannte „cellophane fallacy": vgl Möschel aaO Rz 45).

Methodisch ungeeignet für die Marktabgrenzung im kartellrechtlichen Sinn ist aber die im vorliegenden Fall vom Sachverständigen herangezogene Frageweise. Danach sollten Unternehmen, die mehr als einen neuen Standort planten, beantworten, in welche Handelszonen sie expandieren wollten: in Einkaufszentren, innerstädtische Hauptlagen oder Fachmarktzentren. Dabei wurden Mehrfachnennungen ausdrücklich zugelassen. Eine solche Fragestellung kann die Substituierbarkeit zwischen der Nachfrage nach Geschäftsräumlichkeiten in Einkaufszentren und innerstädtischen Zentrallagen nicht erheben, weil dadurch - wie die Rekurswerber richtig darlegen - Fälle der Komplementarität beider Lagen für einen Nachfrager nicht ausgesondert werden können.

2.6. Im fortgesetzten Verfahren wird daher der relevante Markt auch unter Anwendung des hypothetischen Monopolistentests zu klären und es wird zu fragen sein, ob Bestandnehmer von Einkaufszentren bei einer geringen, aber dauerhaften Erhöhung der dortigen Preise im Bereich von 5 bis 10 % auf Innenstadtlagen ausweichen würden oder nicht. Um eine breitere Beurteilungsbasis für das Substitutionsverhalten der Nachfrager zu erhalten, werden allenfalls auch allgemein Kreuzpreiselastizitäten zu erheben und zu untersuchen sein, inwieweit Preise und Preisänderungen bei Bestandobjekten in Innenstadtlagen und Einkaufszentren in der Vergangenheit korrelierten.

Da nach den Feststellungen des Erstgerichts die Standortwahl der Nachfrager neben den Kosten auch von weiteren Faktoren abhängig ist, werden auch nähere Feststellungen zu deren Gewicht im Verhältnis zu den Kosten/Preisen zu treffen sein, um beurteilen zu können, ob die Ergebnisse der sonstigen ökonomischen Analyse im konkreten Fall zur Marktabgrenzung ausreichend aussagekräftig sind oder ob sie aufgrund des Gewichts weiterer Auswahlkriterien für einen Standort so weit relativiert werden müssen, dass dies Einfluss auf die Marktabgrenzung hat.

3. Zum Kartellverbot:

3.1. Von einer Vereinbarung im Sinne des Art 81 EG ist auszugehen, wenn zwei oder mehrere Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in bestimmter Weise zu verhalten, mag die Willensübereinstimmung ausdrücklich oder konkludent, schriftlich oder formlos zustande gekommen sein (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 65 f; Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 1). Keine Rolle spielt, ob sich die Unternehmen freiwillig, unter Druck oder durch die Ausübung von Zwang an der Vereinbarung beteiligen (Eilmansberger in Streinz, EUV/EGV Art 81 Rz 3; Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 65 f). Begriff und Inhalt der Vereinbarung sind objektiv zu verstehen, auf subjektive Intentionen, innere Vorbehalte oder unterlassene Mitwirkung kommt es nicht an. Wusste der Unternehmer oder musste er wissen, dass die Absprache, an der er sich beteiligt, Teil eines Gesamtplans ist, trägt er Verantwortung für den Gesamtplan (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 67 f). Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kommt es auf die unterschiedlichen Interessenlagen der Bestandnehmer und ihren mangelnden Einfluss darauf, mit wem die Antragsgegnerinnen Radiusklauseln vereinbaren, nicht an.

3.2. Eine Einschränkung der Handlungsfreiheit beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen in Form von Alleinbezugsverpflichtungen, Wettbewerbsverboten oder langfristigen Abnahmeverpflichtungen bewirkt nicht automatisch eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art 81 EG. Dabei ist vielmehr maßgeblich auf die marktabschottende Wirkung der Vereinbarung insofern abzustellen, als sie iVm anderen Verträgen dieses Typs die Möglichkeiten Dritter zum Markteintritt oder zur Ausweitung von Marktanteilen spürbar beeinträchtigt (Eilmansberger in Streinz EUV/EGV Art 81 Rz 51). Bei langfristigen Liefer- und Bezugsverträgen, die im Ergebnis eine Ausschließlichkeitsbindung bewirken, sah die Europäische Kommission - abgesehen vom Energiewirtschaftssektor - eine marktschließende Wirkung bereits bei zeitlichen Bindungen zwischen vier und sechs Jahren als gegeben an (Möschel in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht4 EG/Teil 1, Art 81 EG Rz 153).

3.3. Die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung kann bei Alleinbezugsvereinbarungen auch von Bündeln gleicher Vereinbarungen ausgehen (sog Bündeltheorie). Bindungen dieses Typs gelten dann als wettbewerbsbeschränkend, wenn die betreffende Vereinbarung isoliert oder gemeinsam mit anderen Verträgen des Vertragsbündels einen spürbaren Beitrag zur Marktabschottung leistet. In Rz 8 der Bagatellbekanntmachung der Europäischen Kommission werden dafür eigene Marktanteilsschwellen angeführt, und zwar 5 % des relevanten Markts sowohl für Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern als auch zwischen Nichtwettbewerbern, und 30 % bei nebeneinander bestehenden (Netzen von) Vereinbarungen, die ähnliche Wirkungen auf den Markt haben. Allein auf den Marktanteil der Verfahrensparteien kommt es daher entgegen der Meinung des Erstgerichts - selbst wenn man von der Anwendbarkeit der Bekanntmachung ausginge - nicht an.

3.4. Inwieweit aber hier Zwischenstaatlichkeit anzunehmen und daher die erwähnte Bekanntmachung angesichts der eigenständigen innerstaatlichen Regelungen des § 2 KartG anzuwenden wäre, ist nicht ersichtlich, geht doch das Erstgericht von einem räumlich relevanten Markt des Großraums L***** - somit einem innerösterreichischen Teilmarkt - aus.

Unabhängig davon ist aber auch zur Beurteilung des Sachverhalts in Richtung § 1 KartG die Abgrenzung des relevanten Markts notwendig. Insofern kann auf das zum Marktmissbrauch Gesagte verwiesen werden.

IV. Zum Rekurs der Bundeswettbewerbsbehörde:

Die Bundeswettbewerbsbehörde ist mit ihrem Rekurs auf die obigen Erwägungen zu verweisen.

Soweit sie sich gegen die Abweisung ihrer Beweisanträge zur Klärung der Auswirkungen der Radiusklausel auf den Wettbewerb zwischen den Bestandnehmern der Antragstellerinnen und Antragsgegnerinnen bezieht und daraus eine unrichtige rechtliche Beurteilung ableitet, ist ihr zu erwidern, dass das Kartellgericht zwar aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes sämtliche relevanten Beweisaufnahmen und Tatsachenerhebungen von Amts wegen durchzuführen hat, dies aber nur im Rahmen der gestellten Anträge. Der Verfahrensgegenstand wird auch im Außerstreitverfahren vom Antrag und dem Tatsachenvorbringen der Antragsteller bestimmt (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 88, 93 und 128). Die Anträge richten sich zwar hier auf die Untersagung der Anwendbarkeit der Radiusklausel allgemein. Der dazu von den Antragstellerinnen vorgetragene Sachverhalt bezieht sich aber lediglich auf das Horizontalverhältnis zwischen den Parteien, nicht auch auf die Auswirkungen auf die Bestandnehmer untereinander. Das auf diesen Aspekt zielende Vorbringen der Bundeswettbewerbsbehörde überschritt daher die Grenzen des von den Antragstellern bestimmten Verfahrensgegenstands und war trotz Untersuchungsgrundsatz nicht zu prüfen. Ob zur Klärung des vorgetragenen Sachverhalts in Richtung § 1 KartG allenfalls die Einvernahme von Bestandnehmern notwendig ist, wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren zu erwägen haben.

Schlagworte

Radiusklausel II,

Textnummer

E90587

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0160OK00014.080.0325.000

Im RIS seit

24.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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