TE Vwgh Erkenntnis 2000/11/29 99/09/0103

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Veröffentlicht am 29.11.2000
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61995CJ0351 Kadiman VORAB;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der G T in I, vertreten durch Dr. Josef Neier, Rechtsanwalt in Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 23, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 16. Februar 1999, Zl. LGSTi/V/13117/894940-702/1999, betreffend Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c AuslBG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 30. April 1998 den Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80).

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 10. Juli 1998 wurde diesem Antrag mit der Begründung keine Folge gegeben, dass die Antragstellerin nicht habe nachweisen können, dass sie auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde erster Instanz ( 10. Juli 1998) im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten M T gelebt habe, der im Übrigen seit 30. Dezember 1995 dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr angehöre.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. Februar 1999 wurde dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG und § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses ARB Nr. 1/80 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Die belangte Behörde ging dabei auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die Beschwerdeführerin am 17. Juli 1989 den türkischen Staatsangehörigen M T in der Türkei geheiratet habe und mit diesem am 24. August 1989 ohne gültiges Einreisevisum und ohne die Genehmigung erhalten zu haben, zu ihm zu ziehen, in das Bundesgebiet eingereist sei. In diesem Zeitpunkt sowie auch im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung sei M T als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen und habe zu diesem Zeitpunkt dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehört. In der Folge seien der Beschwerdeführerin für die Zeiten vom 22. März 1990 bis 30. Juli 1990, vom 12. Juli 1990 bis 3. Oktober 1991 und vom 29. November 1991 bis 3. April 1993 von der Bundespolizeidirektion Innsbruck Sichtvermerke ausgestellt , für die Zeit vom 3. Juli 1993 bis 4. März 1994, vom 5. März 1994 bis 4. September 1994 und vom 5. September 1994 bis 30. Mai 1998 vom Stadtmagistrat Innsbruck Aufenthaltsbewilligungen erteilt worden. Für die Zeit vom 24. August 1998 bis 24. August 1999 sei die Beschwerdeführerin im Besitz einer Niederlassungsbewilligung. Bis 24. Jänner 1996 habe sie in häuslicher Gemeinschaft mit ihrem Ehegatten M T gelebt, seit diesem Zeitpunkt halte sich dieser jedoch nicht mehr in Österreich auf. Seit 30. Dezember 1995 gehöre er auch nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich an. Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesen Feststellungen, dass tatbestandliche Voraussetzung der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 nicht nur der legale Aufenthalt des Antragstellers und die auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides über den Antrag auf Befreiungsschein bestehende Zugehörigkeit der Bezugsperson zum österreichischen Arbeitsmarkt sei, sondern auch, dass der Antragsteller "die Genehmigung erhalten" habe, zu der genannten Bezugsperson "zu ziehen". Diese Voraussetzung habe die Beschwerdeführerin aber im Hinblick auf ihre illegale Einreise, für die sie auch rechtskräftig bestraft worden sei, nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren Rechten insofern verletzt, als ihr von der belangten Behörde entgegen der Bestimmung des § 4c Abs. 2 AuslBG kein Befreiungsschein ausgestellt worden sei.

Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde im Wesentlichen mit dem Argument, aus den ihr seit dem 22. März 1990 regelmäßig erteilten Sichtvermerken bzw. Aufenthaltsberechtigungen "mit dem Zweck der Familiengemeinschaft" ergebe sich schlüssig, dass die Aufenthaltsbehörden in einer die belangte Behörde bindender Weise davon ausgegangen seien, dass ihr damit (nachträglich) genehmigt worden sei, zu ihrem türkischen Ehegatten zu ziehen. Sie habe auch bis Dezember 1995 mit diesem im gemeinsamen Haushalt gelebt. Diese Auslegung erscheine auch im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass § 3 Aufenthaltsgesetz durch die Novelle 95 dahingehend in der Formulierung geändert worden sei, dass der Passus, "denen im Rahmen der Familienzusammenführung der Aufenthalt zu gestatten ist" durch den Ausdruck, "denen sonst ein dauerndes Aufenthaltsrecht eingeräumt wurde", geändert worden sei. Es sei daher einzig und allein auf den zumindest fünfjährig berechtigten Wohnsitz abzustellen. Die Genehmigung zur Familienzusammenführung ergebe sich bereits aus dem im März 1990 erteilten Sichtvermerk.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes BGBl. Nr. 218/1975 in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 (AuslBG) lauten:

"§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei- ARB - Nr. 1/80 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

..."

Art. 7 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-

haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-

haben Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."

Zur Frage der Anwendung und der Auslegung des ARB Nr. 1/80 durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sowie der Berechtigung der Mitgliedstaaten zur Regelung der Stellung von türkischen Staatsangehörigen bis zur Erreichung eines der Rechte aus dem ARB Nr. 1/80 wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zl. 96/09/0334, verwiesen.

Die belangte Behörde hat bereits zutreffend darauf verwiesen, dass zur Bewilligung eines Antrages auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses ARB Nr. 1/1980 die Erfüllung dreier Voraussetzungen erforderlich ist, nämlich

              1.              die Genehmigung des Zuzugs zu einem im Inland rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen (Bezugsperson),

              2.              dessen Zugehörigkeit zum österreichischen Arbeitsmarkt, und zwar sowohl im Zeitpunkt des Zuzugs als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den vorliegenden Antrag und

              3.              die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen.

Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 hat den Zweck, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande garantiert wird. Durch die Bestimmung sollen somit günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April 1997, in der Rechtssache C-351/95 (Selma Kadiman), Slg. 1997, I-2133, Rand Nr. 34 und 36). Die im ersten Satz des Art. 7 ARB Nr. 1/80 den Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer eingeräumten Rechtsstellung ist nur den Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers eingeräumt, sie ist also davon abhängig, dass diese Bezugsperson dem regulären Arbeitsmarkt aktuell angehört. Die Beschwerdeführerin kann sich daher im Rahmen des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 nicht darauf berufen, dass ihr Ehegatte im Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet noch dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört hat, weil es bei Beurteilung dieser Frage auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ankommt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 7. April 1999, Zl. 97/09/0235, sowie das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1999, Zl. 97/09/0179).

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass ihre "Bezugsperson", nämlich ihr Ehegatte M T, von dem sie in ihr Recht gemäß Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 hergeleitet hat, seit dem 30. Dezember 1995 dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt nicht mehr angehört. Dies bedeutet für den Beschwerdefall, dass der Ehegatte als "Bezugsperson" im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 nicht mehr mit Erfolg herangezogen werden kann.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. November 2000

Gerichtsentscheidung

EuGH 61995J0351 Kadiman VORAB

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999090103.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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