TE OGH 2009/3/31 1Ob55/09h

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Veröffentlicht am 31.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriela R*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei S***** AG, *****, vertreten durch Mag. Peter Freiberger, Rechtsanwalt in Mürzzuschlag, wegen 5.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 2.500 EUR sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2008, GZ 1 R 334/08x-51, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 6. Juni 2008, GZ 2 C 1328/06y-39, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 371,52 EUR (darin enthalten 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin suchte am 23. 2. 2006 aufgrund einer Zeugenladung in einem Verwaltungsstrafverfahren die Polizeiinspektion L***** auf. Der Eingangsbereich zur Polizeiinspektion war vereist und nicht ausreichend gestreut. Die Klägerin rutschte auf einer Eisplatte unmittelbar vor dem Podest, das sich vor der Eingangstüre befand, aus und verletzte sich beim Sturz.

Die Nebenintervenientin ist Eigentümerin des Gebäudes, in dem sich die Polizeiinspektion befindet, und des Vorplatzes vor dem Eingang. Die beklagte Partei hat die Räumlichkeiten der Polizeiinspektion von der Nebenintervenientin gemietet. Vermieterin und Mieterin gingen davon aus, dass die Schneeräumung Aufgabe der Vermieterin sei. Bei Bedarf streuten die Polizeibeamten aber auch selbst.

Die Klägerin begehrte wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht 5.000 EUR Schmerzengeld.

Die beklagte Partei berief sich insbesondere auf die Verpflichtung der Vermieterin, den Eingangsbereich zu streuen.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 3.500 EUR. Es bejahte die - wegen eines Mitverschuldens - 50%ige Haftung der beklagten Partei, die ihre im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung wahrzunehmenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hätte. § 93 Abs 1 StVO und § 1319a ABGB zog es nicht heran, weil diese Bestimmungen nicht für Wege innerhalb eines Grundstücks gelten würden.

Das von allen Parteien angerufene Berufungsgericht kam ebenfalls zum Ergebnis der Haftung der beklagten Partei für die Hälfte des Schadens, reduzierte aber aufgrund des eingeklagten Schmerzengelds von 5.000 EUR den Zuspruch auf 2.500 EUR. Der zum Eingang der Liegenschaft führende Weg sei zwar keine Fläche, auf der nach § 93 Abs 1 StVO die Räum- und Streupflicht gelte, er unterliege aber § 1319a ABGB. Diese Wegehalterhaftung werde durch das Vertragsrecht verdrängt. Dies gelte auch für die im öffentlichen Recht (Ladung zu einer Einvernahme) begründete Sonderbeziehung zur geschädigten Klägerin.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage zu, ob eine Sonderrechtsbeziehung zu einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft die Geltung des Wegehalterprivilegs nach § 1319a ABGB beseitige.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die in der Berufung der beklagten Partei enthaltene Rechtsrüge befasste sich ausschließlich mit dem Mit- bzw Alleinverschulden der Klägerin, die nach Auffassung der Berufungswerberin verpflichtet gewesen wäre, der von ihr erkannten Gefahrenstelle auszuweichen. Die Berufungswerberin wertete dieses Verhalten als grob fahrlässig; dies mit der Konsequenz, dass das Alleinverschulden die Klägerin treffe, während ein allfälliges leichtes Verschulden der beklagten Partei bei der Verschuldensfrage nicht zu berücksichtigen sei. Die Rechtsauffassung des Erstgerichts zur Haftung wegen Verletzung einer im öffentlichen Recht begründeten Verkehrssicherungspflicht hat die beklagte Partei mit diesen Ausführungen nicht bekämpft. Allerdings war diese, jetzt in der Revision der beklagten Partei behandelte, grundsätzliche Haftungsfrage Thema der Berufung der Nebenintervenientin, was der Revisionswerberin als Hauptpartei zugute kommt (§ 19 Abs 1 Satz 1 und 2 ZPO).

2. Die Wahrnehmung von Verkehrssicherungspflichten gehört zur Privatwirtschaftsverwaltung (Schragel AHG3 Rz 120; 1 Ob 5/91 mwN). Es geht hier also nicht um Schäden nach dem Amtshaftungsgesetz, das die Klägerin auch nicht als Anspruchsgrundlage herangezogen hat.

3. Der Oberste Gerichtshof hat in der - bereits von den Vorinstanzen zitierten - Entscheidung 1 Ob 5/91 (Sturz einer Partei an einer aufgrund der Unvorsichtigkeit einer Reinigungskraft nassen Stelle eines Fußbodens in einem von der Republik Österreich gemieteten Polizeigebäude) eine im öffentlichen Recht begründete Sonderbeziehung eines verkehrssicherungspflichtigen Rechtsträgers zu dem Geschädigten angenommen, der ein öffentliches Gebäude betritt, um eine dort untergebrachte, im hoheitlichen Bereich agierende Dienststelle in Anspruch zu nehmen, etwa wegen einer gesetzlichen Verpflichtung oder um Anträge zu stellen, Rechtsauskünfte einzuholen etc. Bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, die im Privatrechtsverkehr bereits bei Betreten von Geschäftsräumlichkeiten begründet werde, hafte der Rechtsträger bei Schädigung durch einen Gehilfen nach § 1313a ABGB.

4. § 1319a ABGB betrifft nur die Deliktshaftung und wird bei Haftung wegen Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten verdrängt (RIS-Justiz RS0023459; Harrer in Schwimann3 § 1319a ABGB Rz 28). Der Inhaber eines Geschäftslokals ist aufgrund (vor-)vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber (potentiellen) Kunden verpflichtet, den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Bereich zu säubern und zu streuen. Diese räumliche Beschränkung auf den unmittelbaren Eingangsbereich vor dem Geschäftslokal berücksichtigt den allgemeinen Grundsatz, dass (auch vertragliche) Verkehrssicherungspflichten nicht überspannt werden sollen und eine Verkehrssicherungspflicht Verfügungsmacht und Einflussnahme auf den Gefahrenbereich voraussetzt (2 Ob 60/08z mwN). Bei Schadenersatzansprüchen aus Verletzung (vor-)vertraglicher Schutzpflichten sind die Eigentumsverhältnisse an dem Eingangsbereich vor einem Geschäftslokal nicht maßgeblich (2 Ob 158/06h). Diese Schutzpflichten werden auch nicht dadurch obsolet, dass andere Personen zur Räumung und Streuung der betroffenen Fläche verpflichtet sind (2 Ob 158/06h; 2 Ob 139/08t).

5. Da die im öffentlichen Recht begründete Verkehrssicherungspflicht einer (vor-)vertraglichen gleichzuhalten ist (1 Ob 5/91; Harrer aaO § 1295 ABGB Rz 60), gelten diese Kriterien genauso im konkreten Fall. Die vertragliche Verkehrssicherungspflicht der Nebenintervenientin und Vermieterin (§ 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB), dem Mieter und anderen durch den Mietvertrag geschützten Personen (wie Dienstnehmern: 2 Ob 216/03h) einen sicheren Zugang zum Bestandobjekt zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0104241), beseitigt nicht die Verkehrssicherungspflicht des beklagten Rechtsträgers im Verhältnis zu seinen „Kunden". Die - in der Revision ohnehin nicht behandelten - Fragen der Eigenschaft der beklagten Partei als Wegehalter und des Haftungsprivilegs (§ 1319a Abs 3 ABGB) stellen sich bei diesem Ergebnis nicht.

6. Soweit die beklagte Partei auf die Lage der angemieteten Räumlichkeiten nur im ersten Stock des Gebäudes verweist und mit diesem Argument eine Ausdehnung der Verkehrssicherungspflichten auf außerhalb des Gebäudes gelegene Bereiche als unzumutbar ablehnt, handelt es sich um unzulässige Neuerungen. Die beklagte Partei hat zugestanden, Mieterin von Räumlichkeiten zu sein, in denen sich eine Polizeiinspektion befindet. Festgestellt wurde, dass sich der Unfall unmittelbar vor dem Podest zum Eingang zur Polizeiinspektion ereignete. Vorbringen der beklagten Partei, die eine unzumutbare Ausweitung von Verkehrssicherungspflichten zu behaupten und zu beweisen hätte (vgl RIS-Justiz RS0023355; vgl RS0037797), oder ihrer Nebenintervenientin zu der Lage der gemieteten Dienststelle bzw der Erreichbarkeit anderer Räumlichkeiten ebenfalls nur über diesen Zugang, fehlte in erster Instanz. Fest steht außerdem die bei Bedarf erfolgte Streuung des Eingangsbereichs durch die Polizeibeamten selbst, was die Möglichkeit einer gewissen Einflussnahme auf den Gefahrenbereich darstellt.

7. Ergebnis: Die im öffentlichen Recht begründete Verkehrssicherungspflicht eines Rechtsträgers erstreckt sich grundsätzlich auch auf den unmittelbaren Eingangsbereich zu einem vom Rechtsträger angemieteten öffentlichen Gebäude (hier: Vorladung zu einer Polizeiinspektion in einem Verwaltungsstrafverfahren).

8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E90622

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00055.09H.0331.000

Im RIS seit

30.04.2009

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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