TE OGH 2009/4/1 9Ob79/08w

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Veröffentlicht am 01.04.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, Unternehmer, *****, vertreten durch Dr. Hilbert Aubauer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pritzl, Dr. W. Huber LL.M., Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen 73.224,28 EUR sA, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2008, GZ 4 R 48/08w-49, mit dem über Berufung beider Parteien das Urteil des Landes- als Handelsgerichts St. Pölten vom 21. Dezember 2007, GZ 2 Cg 115/04d-42, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1) Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

2) Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:

„1) Die Klageforderung besteht mit 73.224,28 EUR zu Recht.

2) Die von der beklagten Partei eingewendeten Gegenforderungen bestehen nicht zu Recht.

3) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 73.224,28 EUR zuzüglich 4 % Zinsen seit 25. 10. 2004 zu zahlen sowie die mit 15.079,60 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 1.923,35 EUR Umsatzsteuer und 3.539,49 EUR Barauslagen) zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit 4.112,31 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 607,55 EUR Umsatzsteuer und 467 EUR Barauslagen) und die mit 1.140,99 EUR bestimmten Kosten ihrer Revision (darin 92,83 EUR Umsatzsteuer und 584 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war von 27. 3. 1999 bis 31. 3. 2004 Pächterin einer Tankstelle. Seit 1. 4. 2004 ist der Kläger aufgrund eines neuen mit der Verpächterin abgeschlossenen Pachtvertrages Pächter dieser Tankstelle. Mit der Tankstelle übernahm der Kläger 27 bereits bei der Beklagten beschäftigt gewesene Arbeitnehmer, an die er - soweit er die Arbeitsverhältnisse beendete - Abfertigungszahlungen und aliquote Sonderzahlungen auch für jene Zeiträume leistete, in denen diese Arbeitnehmer schon vorher bei der Beklagten bzw bei deren Vorpächterin beschäftigt waren. Die übernommenen Arbeiter hatten überdies teilweise Resturlaubsansprüche aus der Zeit der Beschäftigung bei der Beklagten.

Der Kläger begehrte zuletzt von der Beklagten unter Hinweis auf die §§ 3 und 6 AVRAG sowie auf § 896 ABGB 73.224,28 EUR sA. Er hafte aufgrund des Betriebsübergangs als Erwerber gemeinsam mit der Beklagten als Solidarschuldner gegenüber den übernommenen Arbeitnehmern für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, die vor dem Betriebsübergang begründet worden seien. Wegen der zum Teil noch beträchtlichen Resturlaubsansprüche aus der Zeit vor dem Betriebsübergang sei ihm die Arbeitskraft dieser Mitarbeiter, die nach dem Betriebsübergang diese Urlaubsansprüche verbraucht haben, nicht zur Verfügung gestanden. Aufgrund von zur Fortführung des Betriebs zwingend notwendiger Rationalisierungsmaßnahmen habe er Arbeitnehmer kündigen müssen. Mangels Vorhandenseins einer Abfertigungsrücklage habe er die Abfertigungsansprüche zur Gänze aus seinem Vermögen tragen müssen, ebenso die bis zum Betriebsübergang entstandenen aliquoten Sonderzahlungen.

Die Beklagte, die die rechnerische Richtigkeit der geltend gemachten Forderungen letztlich außer Streit stellte, beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, hielt sie dem Klagebegehren folgende Einwände entgegen: Die von der Klage umfassten Ansprüche von fünf Dienstnehmern seien (teilweise) bereits gegenüber ihrer Vorpächterin entstanden, sodass die Beklagte dafür keinesfalls hafte. Überdies werde ein allfälliger Regressanspruch des Klägers dadurch gemindert, dass die Beklagte mit den vom Kläger übernommenen Arbeitnehmern bestens und kostenintensiv eingeschulte Mitarbeiter verloren habe, während der Kläger diese Mitarbeiter gewonnen habe. Der Kläger habe sich daher Personalsuch- und -ausbildungskosten von 10.000 EUR für jeden der 27 Arbeitnehmer, insgesamt somit 270.000 EUR, erspart. Insofern sei er bereichert, während die Beklagte entreichert sei (In diesem Zusammenhang sprach die Beklagte zunächst von der Einwendung einer Gegenforderung, während sie im Laufe des Verfahrens vorbrachte, dass aufgrund des dem Kläger entstandenen Nutzens überhaupt kein Anspruch des Klägers in diesem Umfang entstanden sei.). Zudem wendete die Beklagte eine Gegenforderung von 54.526,80 EUR kompensando ein. Ihr ebenfalls im übergegangenen Betrieb beschäftigter Geschäftsführer habe seine Abfertigungsansprüche, die der Kläger gemäß § 3 AVRAG zu ersetzen habe, in dieser Höhe der Beklagten abgetreten.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit 66.051,05 EUR als zu Recht bestehend und die Gegenforderungen der Beklagten - es ging auch hinsichtlich des Betrags von 270.000 EUR vorsichtshalber von der Einwendung einer Gegenforderung aus - als nicht zu Recht bestehend. Es gab daher dem Klagebegehren im Ausmaß von 66.051,06 EUR sA statt. Das Mehrbegehren von 7.173,22 EUR sA wies es ab.

Es traf - soweit im Revisionsverfahren von Interesse - folgende Feststellungen:

Bis 2001 war der Geschäftsführer der Beklagten deren alleiniger Geschäftsführer. Gesellschafter waren er und seine Gattin. Seine Gattin war mit einer Stammeinlage von 25.000 ATS beteiligt, er selbst mit einer Stammeinlage von 475.000 ATS. Im Jahr 2000 gründete der Geschäftsführer eine Privatstiftung, deren Erstbegünstigter er selbst ist. Der Stiftungsvorstand besteht aus drei Mitgliedern, und zwar dem Rechtsanwalt und dem Steuerberater der Beklagten sowie einem öffentlichen Notar. Jeder Stiftungsvorstand hat schriftlich einen Nachfolger zu nominieren. Der Stifter ist berechtigt, einen Nominierten abzulehnen und jenes Vorstandsmitglied, das die Nominierung vorgenommen hat, zur Nominierung einer anderen Person aufzufordern. Der Stifter ist ferner berechtigt, jederzeit ohne Angabe von Gründen einzelne Mitglieder des Vorstands oder den gesamten Vorstand abzuberufen. Der Stiftungsvorstand verwaltet und vertritt die Stiftung und sorgt für die Erfüllung des Stiftungszwecks. Mindestens einmal jährlich hat eine Sitzung des Vorstands stattzufinden. Seit 2001 ist die Stiftung mit einer Stammeinlage von 34.519,60 EUR als Gesellschafterin der Beklagten im Firmenbuch eingetragen. Der Geschäftsführer der Beklagten traf auch seither sämtliche Entscheidungen für die Beklagte allein, ohne dass ihm der Stiftungsvorstand als Vertreter der Mehrheitsgesellschafterin „hineinredete" oder irgendwelche Vorschriften machte. Der Geschäftsführer hat den Vorstand nie abberufen und niemals versucht, Vorstandsbeschlüsse zu verhindern oder zu beeinflussen.

Der Kläger stellte sich bereits bei der Übernahme der Tankstelle auf den Standpunkt, dass der Geschäftsführer der Beklagten in keinem Arbeitsverhältnis zu dieser gestanden sei. Vorsichtshalber kündigte er ein allenfalls doch auf ihn übergegangenes Arbeitsverhältnis zum 30. 9. 2004 auf. Der Geschäftsführer der Beklagten trat der Beklagten seine ihm persönlich zustehenden AVRAG-Ansprüche gegen den Kläger ab.

Die vom Kläger übernommenen Arbeitnehmer waren zum Teil bereits lange für die Tankstelle tätig gewesen und von der Beklagten ausgebildet worden.

Auf dieser Grundlage vertrat das Erstgericht folgende Rechtsauffassung:

Der Übergang des Betriebs von der Beklagten auf den Kläger sei als Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG zu qualifizieren. Der Kläger und die Beklagte hafteten daher solidarisch für vor dem Betriebsübergang entstandene Verpflichtungen aus den übernommenen Arbeitsverhältnissen. Die Rückgriffsansprüche des Übernehmers gegen den Übergeber richteten sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts und orientierten sich maßgeblich am Nutzen, den der betroffene Arbeitgeber aus der Leistung des Arbeitnehmers gezogen habe. Der Grad dieses Nutzens sei vereinfachend mit dem Anteil an der Beschäftigungsdauer gleichzusetzen. Da § 896 ABGB nur einen anteilsmäßigen Regress vorsehe, sei die Beklagte für die vom Kläger befriedigten, aus Vordienstzeiten bei der Vorpächterin der Beklagten resultierenden Arbeitnehmeransprüche nicht regresspflichtig. Der Argumentation der Beklagten, der Kläger sei bereichert, während sie entreichert sei, sei nicht zu folgen, weil der Kläger keinen Nutzen aus den Arbeitnehmern gezogen habe, der über die durch das laufende Entgelt abgedeckte Beschäftigung hinaus gehe. Dass der Pächter eines Unternehmens ausgebildete Arbeitnehmer übernehme, sei durch den Vertrag mit der Verpächterin und die Pachtzinszahlungen gedeckt. Für eine Gegenforderung in Bezug auf die Einstellungs- und Ausbildungskosten gebe es keine Rechtsgrundlage. Der Geschäftsführer der Beklagten habe auch nach der Gründung der Stiftung beherrschenden Einfluss auf die Beklagte gehabt. Er sei daher nicht Arbeitnehmer, weshalb das AVRAG auf ihn nicht anzuwenden sei. Die insofern geltend gemachte Gegenforderung bestehe daher ebenfalls nicht zu Recht.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der Berufung der Beklagten hielt das Berufungsgericht Folgendes entgegen:

§ 3 Abs 1 AVRAG knüpfe nicht an ein Rechtsgeschäft oder einen Eigentumswechsel, sondern schlicht an den Übergang eines Betriebs auf einen anderen Erwerber. Daher sei auch hier von einem Betriebsübergang - von der Vorpächterin auf den nunmehrigen Pächter - auszugehen, sodass zufolge § 3 Abs 1 AVRAG die Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten auf die Klägerin übergegangen seien. Demgemäß habe der Kläger die den Gegenstand der Klage bildenden Arbeitnehmeransprüche erfüllt. Nach § 6 Abs 1 AVRAG hafte der Altinhaber für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis, die vor dem Betriebsübergang begründet worden seien, solidarisch mit dem Übernehmer des Betriebs. Für den im AVRAG nicht geregelten Regress des Erwerbers gegen den Veräußerer sei § 896 ABGB anwendbar. Erfolge der Betriebsübergang ohne Vereinbarung mit dem alten Betriebsinhaber, sei das Ausmaß des Regresses des Erwerbers gegen den Veräußerer danach zu bestimmen, welchen Nutzen der alte Betriebsinhaber als Arbeitgeber aus den Leistungen des Arbeitnehmers gezogen habe und welche Entgeltbestandteile diesen Nutzen abgelten sollen. Der Grad dieses Nutzens könne vereinfachend mit dem Anteil an der Dienstdauer gleichgesetzt werden.

Der Rechtsauffassung der Beklagten, von ihr getragene Einschulungs- und Ausbildungskosten seien bei der Berechnung des Nutzens bei Vornahme des internen Ausgleichs nach § 896 ABGB mindernd zu berücksichtigen, sei nicht zu folgen. Diese Kosten könnten am Verhältnis des Ausgleichs nach § 896 ABGB schon deshalb nichts ändern, weil jener Erwerber, der - wie hier - von seinem Kündigungsrecht unmittelbar nach dem Betriebsübergang Gebrauch mache, keinen Nutzen aus diesen Arbeitnehmern ziehe. Eine Bereicherung des Klägers im Verhältnis zur Beklagten sei daher nicht ersichtlich. Zudem habe bei der Ausmessung des internen Ausgleichs nach § 896 ABGB eine vereinfachende Betrachtungsweise stattzufinden, mit der die von der Beklagten gewünschte Berücksichtigung der Einschulungs- und Ausbildungskosten nicht vereinbar sei.

Die Berechtigung der der Beklagten von ihrem Geschäftsführer abgetretenen Gegenforderung habe das Erstgericht zu Recht verneint: Das AVRAG finde auf Organmitglieder von Kapitalgesellschaften nur dann Anwendung, wenn sie im Innenverhältnis aufgrund eines Arbeitsvertrags tätig seien. Die Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsführers, der gleichzeitig Gesellschafter der GmbH ist, werde durch das Ausmaß der persönlichen Abhängigkeit bestimmt, die vom Umfang der Beteiligung an der Gesellschaft abhängig sei. Hier sei der Geschäftsführer der Beklagten bis zur Gründung der Privatstiftung im Jahr 2001 95%iger Mehrheitsgesellschafter der Beklagten und daher keinesfalls Arbeitnehmer gewesen. Danach sei die Stiftung 95%ige Gesellschafterin der Beklagten geworden. Der Geschäftsführer habe sich jedoch als Stifter und Begünstigter die Möglichkeit der jederzeitigen Abberufung des Stiftungsvorstands und der Ablehnung jeder neuen Nominierung eines Stiftungsvorstandsmitglieds vorbehalten. Zu Recht habe das Erstgericht daher angenommen, dass es durch diese Änderung nicht zu einer persönlichen Abhängigkeit des Geschäftsführers der Beklagten gekommen sei, sei doch das Damoklesschwert einer möglichen Abberufung faktisches und rechtliches Hindernis für den Stiftungsvorstand als Vertreter der Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten, durch Weisungen an den Geschäftsführer Einfluss zu nehmen. Zudem führe die Beklagte noch weitere Betriebe, sodass - weil offensichtlich nicht ihr gesamtes Unternehmen übergegangen sei - eine Zuordnung des Anstellungsverhältnisses auf einen bestimmten Betrieb nicht möglich sei. Auch deshalb könne § 3 Abs 1 AVRAG nicht angewendet werden. Schließlich habe die Beklagte gar nicht behauptet, dass der Geschäftsführer der Beklagten sein (internes) Anstellungsverhältnis zu dieser beendet habe.

Die Berufung des Klägers erachtete den Berufungsgrund aus folgenden Überlegungen als nicht berechtigt:

Die vom Kläger bekämpfte Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass seine Regressansprüche jene Ansprüche nicht umfassten, die bereits bei der Vorpächterin der Beklagten entstanden seien, sei zutreffend. Vor der Novellierung des § 6 Abs 2 AVRAG sei die damals zeitlich unbegrenzte Haftung des Betriebsvorgängers heftig kritisiert worden. Damals sei argumentiert worden, dass sich das Risiko des Veräußerers, noch nach vielen Jahren zur Haftung und damit wirtschaftlich für Anwartschaften doppelt herangezogen zu werden, beachtlich durch die von ihm nicht mehr beeinflussbare Möglichkeit der Weiterveräußerung des Betriebs durch den Nachfolger erhöhe. Dafür, dass in einem solchen Fall die Haftung des Erstveräußerers erlösche und ausschließlich beim Zweitveräußerer bestehe, enthalte das AVRAG keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr werde nach Wortlaut und Zweck der Regelung die Haftung des Zweitveräußerers hinzukommen, betragsmäßig wiederum beschränkt mit den Anwartschaften bis zum jetzigen Übergangszeitpunkt. Aufgrund dieser Bedenken habe sich der Gesetzgeber zu einer Haftungsbefristung entschlossen. Hätte er einen Regress des Zweiterwerbers in der Kette gegenüber dem Erstveräußerer im Grundsatz missbilligt, hätte es einer ausdrücklichen Regelung in diese Richtung bedurft, nicht aber einer bloß zeitlichen Begrenzung.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, da die behandelten Fragen des Umfangs des Ausgleichs nach § 896 ABGB iVm Ansprüchen nach § 6 AVRAG von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO seien und höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Seiten. Beide bekämpfen es im sie belastenden Umfang zur Gänze. Beide erstatteten Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag, der jeweils gegnerischen Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

1) Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

Die Beklagte macht in ihrem Rechtsmittel zum einen geltend, dass bei der Beurteilung des gegen sie erhobenen Regressanspruchs die bei ihr eingetretene „Entreicherung" bzw die beim Kläger eingetretene Bereicherung im Zusammenhang mit den von ihr getragenen Kosten der Einschulung und der Ausbildung von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sei; zum anderen beharrt sie auf der Berechtigung der ihr abgetretenen Gegenforderung ihres Geschäftsführers.

Mit den dazu vorgebrachten Argumenten zeigt die Revisionswerberin keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:

Zu den Einschulungs- und Ausbildungskosten:

Die Vorinstanzen haben die maßgebende Rechtslage richtig dargestellt: Über die Möglichkeit eines Regresses des Erwerbers gegen den Veräußerer für den Fall, dass der Erwerber seinen Verpflichtungen zur Befriedigung von Dienstnehmeransprüchen nachgekommen ist, für die auch der Veräußerer nach § 6 Abs 1 und 2 AVRAG haftet, sagen die Bestimmungen des AVRAG nichts aus. Die Lösung des Regressproblems ist nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen vorzunehmen. Dies führt zur Anwendbarkeit des § 896 ABGB, wenn der Erwerber die Schuld zur Gänze abgetragen hat. Wenn der Betriebsübergang ohne Vereinbarung mit dem alten Betriebsinhaber erfolgt, ist das Ausmaß des Regresses des Erwerbers gegen den Veräußerer danach zu bestimmen, welchen Nutzen der alte Betriebsinhaber als Arbeitgeber aus den Leistungen des Arbeitnehmers gezogen hat und welche Entgeltbestandteile diesen Nutzen abgelten sollen. Der Grad dieses Nutzens wird iSd bei der Bemessung des Regresses gebotenen vereinfachenden Betrachtungsweise mit dem Anteil an der Dienstdauer gleichgesetzt (RIS-Justiz RS0118662; zuletzt 9 ObA 17/04x; ebenso 8 ObA 47/04a). Es geht somit nicht um die Frage einer „Entreicherung" oder einer „Bereicherung" der Beteiligten, sondern um die Ermittlung des Anteils des von ihnen aus den Leistungen des Arbeitnehmers gezogenen Nutzens. Die dabei iSd gebotenen Vereinfachung von der Rechtsprechung der Beurteilung zugrunde gelegte Annahme, dass sich der Grad dieses Nutzens aus dem Anteil an der Dienstdauer ergibt, wird durch den Umstand, dass neu eintretende Arbeitnehmer in gewissem (je nach Tätigkeit und Vorkenntnis unterschiedlichem) Umfang eingeschult werden müssen, nicht in relevanter Weise in Frage gestellt.

Zur Gegenforderung der Beklagten:

Der Arbeitnehmerbegriff der dem AVRAG zugrunde liegenden BetriebsübergangsRL 2001/23/EG wird durch das nationale Recht bestimmt (8 ObA 68/02m; Gahleitner, ZellKomm, § 3 AVRAG Rz 33). Die Vorinstanzen haben dazu zu Recht auf die Rechtsprechung zum Gesellschafter-Geschäftsführer verwiesen, der dann, wenn ihm beherrschender Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft zukommt, mangels persönlicher Abhängigkeit nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist (8 ObA 143/98g, DRdA 2000/54 [Reissner]; Gahleitner, ZellKomm, § 3 AVRAG Rz 35; Pfeil in Schwimann V³ § 1151 Rz 34 und 39). Im Sinne dieser Rechtsprechung war der Geschäftsführer der Beklagten daher bis 2001 - bis zu diesem Zeitpunkt war er Alleingeschäftsführer und 95%iger Mehrheitsgesellschafter - nicht Arbeitnehmer. Auch in der Zeit danach war aber der Geschäftsführer - wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben - über die von ihm gegründete Privatstiftung, die seither 95%ige Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten ist, in der Lage, maßgebenden Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft zu nehmen. Schließlich hat er das Recht, den Stiftungsvorstand jederzeit begründungslos abzuberufen, wozu noch kommt, dass er die Nominierung von Nachfolgern für den abberufenen Vorstand nach seinem Gutdünken zurückweisen kann. Demgemäß hat der Geschäftsführer auch seither die Geschäfte der Gesellschaft nach seinen Vorstellungen geführt, ohne dass ihm vom Stiftungsvorstand „etwas dreingeredet" wurde. Dass die Vorinstanzen unter diesen Umständen die für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses notwendige persönliche Abhängigkeit des Geschäftsführers verneint haben, ist alles andere als unvertretbar. Von einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage kann in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht die Rede sein.

Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zuzusprechen, weil der Kläger auf die Unzulässigkeit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962; zuletzt etwa 9 ObA 268/00b; 9 ObA 108/02a).

2) Die Revision des Klägers ist hingegen zulässig und auch berechtigt:

Der Revisionswerber wendet sich gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, wonach beim Regress des Klägers jene von ihm erfüllten Ansprüche außer Betracht zu bleiben haben, die bereits bei der Vorpächterin der Beklagten begründet wurden.

Wie bereits ausgeführt, ist das Ausmaß des Regresses des Erwerbers gegen den Übergeber nach dem Nutzen zu bestimmen, den dieser als Arbeitgeber aus den Leistungen des Arbeitnehmers gezogen hat. Damit stellt sich hier die Frage nach der Beurteilung jener Arbeitszeiten der Arbeitnehmer, die bereits beim Verpächter des nunmehrigen Übergebers zurückgelegt wurden und die daher unmittelbar weder dem Erwerber noch dem Übergeber zuzurechnen sind.

Der dazu vertretenen Rechtsauffassung der Vorinstanzen ist nach Wortlaut und System der Regelungen des § 6 Abs 1 und 2 AVRAG nicht beizupflichten:

§ 6 AVRAG ordnet zum Schutz des Arbeitnehmers an, dass der neue Betriebsinhaber dem Arbeitnehmer neben dem früheren Betriebsinhaber für Ansprüche aus der Zeit vor dem Betriebsübergang solidarisch haftet. Der frühere Betriebsinhaber - bis zum Betriebsübergang Vertragspartner des Arbeitnehmers - wird also durch den Betriebsübergang von seinen Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer nicht befreit. Seine Haftung ist zwar seit der Nov BGBl I 2002/100 zeitlich begrenzt und er haftet auch nur mit dem fiktiven zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Wert der bis dahin begründeten Anwartschaften. Davon abgesehen bleibt aber seine Haftung uneingeschränkt bestehen, die sich auf sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche des Arbeitnehmers bezieht, also auch auf solche, die bereits in der Zeit eines früheren Betriebsinhabers entstanden sind, aber vom nunmehrigen Übergeber übernommen wurden. Die durch § 6 AVRAG normierte Solidarhaftung des nunmehrigen Übergebers und des Erwerbers schließt daher allfällige bereits in der Zeit eines früheren Betriebsinhabers begründete Ansprüche ein. Damit unterliegt sie aber auch dem zwischen den Mitschuldnern stattfindenden Regress. Bei der Beurteilung des Ausmaßes dieses Regresses ist dem nunmehrigen Übergeber die beim früheren Betriebsinhaber zurückgelegte Dienstzeit zuzurechnen. Dies entspricht dem System des Betriebsübergangsrechts und trägt auch der Tatsache Rechnung, dass der nunmehrige Übergeber des Betriebs - im Gegensatz zum nunmehrigen Erwerber - im Zuge des seinerzeit erfolgten Betriebsübergangs die übernommenen Arbeitnehmeransprüche kontrollieren bzw die Bedingungen ihrer Übernahme beeinflussen konnte.

Die mit BGBl I 2002/100 eingeführte zeitliche Beschränkung der Veräußererhaftung und die dazu angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts rechtfertigen keine andere Betrachtungsweise.

Die rechnerische Richtigkeit der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche aus der Zeit des Vorpächters der Beklagten wurde von der Beklagten ausdrücklich zugestanden.

In Stattgebung der Revision des Klägers waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41, 43 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Im ersten Abschnitt des erstinstanzlichen Verfahrens (bis zur Ausdehnung des Klagebegehrens in ON 25) ist der Kläger im Ergebnis mit mehr als 99 % seines Klagebegehrens durchgedrungen und hat daher Anspruch auf Ersatz seiner vollen Kosten (allerdings nur auf Basis des ersiegten Betrags). Ab der Ausdehnung des Klagebegehrens bis zu dessen Einschränkungen in der letzten mündlichen Streitverhandlung ist er - ungeachtet der geringfügigen Schwankungen des Streitwerts in der letzten Streitverhandlung - mit etwa 92 % seines Begehrens durchgedrungen. Er hat daher in dieser Phase Anspruch auf Kostenersatz im Umfang von 84 %. Die von ihm verzeichnete Stellungnahme vom 27. 6. 2006 wurde - wie schon das Erstgericht ausgeführt hat - nach der Aktenlage nicht erstattet. Der Fristsetzungsantrag vom 23. 1. 2007 ist aus den ebenfalls schon vom Erstgericht angeführten Gründen nicht zu honorieren. In der letzten Tagsatzung ist der Kläger zur Gänze durchgedrungen - die marginalen Schwankungen des Streitwerts in dieser Tagsatzung können außer Betracht bleiben - und hat daher für diese Tagsatzung Anspruch auf vollen Kostenersatz. Die vom Kläger getragene Pauschalgebühr ist dem ersten Verfahrensabschnitt zuzurechnen und ihm daher gemäß § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO zur Gänze zuzusprechen. Der vom Kläger verzeichnete Kostenvorschuss für die Sachverständigengebühren, der um den ihm rücküberwiesenen Teil zu reduzieren ist, ist dem zweiten Verfahrensabschnitt zuzurechnen. Der Kläger hat daher Anspruch auf 92 % der von ihm letztlich getragenen Sachverständigengebühren. Die von der Beklagten getragenen Gebühren sind ihr im Umfang von 8 % zuzusprechen. In diesem Umfang war der Zuspruch an den Kläger zu reduzieren. In zweiter Instanz hat der Kläger zur Gänze obsiegt und daher Anspruch auf vollen Kostenersatz. Für die Berufungsbeantwortung steht ihm allerdings nur der dreifache Einheitssatz zu. In dritter Instanz hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der Kosten der Revision (zu den Kosten der Revisionsbeantwortung siehe oben).

Textnummer

E90338

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0090OB00079.08W.0401.000

Im RIS seit

01.05.2009

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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