TE OGH 2009/4/2 7Bs95/09h

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Veröffentlicht am 02.04.2009
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Das Oberlandesgericht Linz hat durch den Richter Dr. Aistleitner als Vorsitzenden, die Richterin Dr. Henhofer und den Richter Dr. Morbitzer in der Strafsache gegen J***** F***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach dem § 207 Abs 1, 2 und 3 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 10.2.2009, 27 HR 92/08z-16, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

B e g r ü n d u n g :

Von der Staatsanwaltschaft Salzburg wird zu 3 St 161/08p ein Ermittlungsverfahren gegen J***** F***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach dem § 207 Abs 1, 2 und 3 StGB sowie der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach dem § 208 Abs 1 StGB und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 StGB geführt. Zufolge des Abschlussberichtes des Landespolizeikommandos für Salzburg, Landeskriminalamt, vom 27.8.2008, GZ B5/21379/2008, ist J***** F***** verdächtig, im (ungefähren) Zeitraum vom Frühjahr 2007 bis Sommer 2007 mehrmals seinen unmündigen Neffen M***** M***** sexuell missbraucht zu haben.

Am 7.10.2008 wurde am Landesgericht Salzburg eine kontradiktorische Vernehmung (§ 165 Abs 3 StPO) des Zeugen M***** M***** unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Ton- und Bildaufnahme durchgeführt (ON 5).

Am 24.10.2008 beantragte der Beschuldigte die Ausfolgung einer Kopie der Aufzeichnung dieser kontradiktorischen Einvernahme und die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über dessen Aussage (ON 7).

Mit Schreiben vom 2.12.2008 (ON 10a) teilte die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten mit, dass dem Antrag auf Ausfolgung einer Kopie der Aufzeichnung der kontradiktorischen Einvernahme des minderjährigen M***** M***** nicht entsprochen werden könne, da er kein Recht auf Ausfertigung der Ton- und Bildaufnahme habe. Zudem teilte sie mit, dass der Sachverständige (SV) Univ.Prof. Dr. M***** mit der Erstellung eines Befundes und eines Gutachtens betreffend das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung des M***** M***** im Sinne einer schweren Körperverletzung beauftragt wurde. Der Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens werde nach Vorliegen des Gutachtens des SV Univ.Prof. Dr. M***** erneut überprüft werden.

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschuldigte am 19.12. 2008 Einspruch gemäß § 106 StPO (ON 13) und führte aus, dass er durch die Nichtausfolgung der Ton- und Bildaufnahme mehrfach in subjektiven Rechten verletzt werde, nämlich im Recht auf rechtliches Gehör, im Recht auf Verteidigung, im Recht auf Akteneinsicht und auch im Recht, Beweisanträge zu stellen. In § 52 Abs 1 StPO sei zwar normiert, dass sich das Recht, Kopien ausgefolgt zu erhalten oder herstellen zu lassen, nicht auf Ton- oder Bildaufnahmen beziehe. Diese Regelung widerspreche jedoch vor allem dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des „fairen Verfahrens".

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Einspruch des Beschuldigten unter Hinweis auf die Bestimmung des § 52 Abs 1 letzter Satz StPO ab. Durch die dem Beschuldigten eingeräumte Gelegenheit, im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung Fragen an den Zeugen zu stellen, sei dessen Verfahrensrecht ausreichend gewahrt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten (ON 18) mit dem Begehren, dem Antrag auf Ausfolgung einer Kopie der Ton- und Bildaufnahme Folge zu geben. Weiters regt der Beschuldigte an, einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof zur Gesetzesprüfung gemäß Artikel 140 Abs 1 B-VG zu stellen, wonach dieser den letzten Halbsatz des § 52 Abs 1 StPO („dieses Recht bezieht sich jedoch nicht auf Ton- oder Bildaufnahmen") als verfassungswidrig aufheben möge. Würden dem Beschuldigten nicht sämtliche Informationen, die auch der Staatsanwaltschaft und einem allenfalls von ihr beauftragten Sachverständigen zur Verfügung stehen, zugänglich sein, würde dies dem Gebot der Waffengleichheit widersprechen. Für die Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens sei jedenfalls auch das gesamte Verhalten der einvernommenen Person - während der Einvernahme - maßgeblich. Eine derartige Beurteilung könne jedoch nur anhand der Ton- und Bildaufnahme der kontradiktorischen Einvernahme erfolgen. Um die Verteidigungsrechte wahren zu können, bedürfe es - so sinngemäß - der Unterstützung durch einen Privatsachverständigen. Dieser müsse über dieselbe Erkenntnisbasis verfügen wie der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Gutachter, der aber auch die Videoaufzeichnung befundet.

Die Oberstaatsanwaltschaft Linz beantragte in ihrer Stellungnahme, der Beschwerde keine Folge zu geben. Auch bestehe kein Anlass für eine Antragstellung im Sinne des Art. 140 Abs 1 B-VG. Die in § 52 Abs 1 letzter Halbsatz StPO normierte Hintanhaltung der Anfertigung von Kopien von Bild- oder Tonaufnahmen habe ihre verfassungsrechtliche Grundlage im § 1 Abs 1 DSG. Die verfassungsrechtlichen Garantien eines fairen Verfahrens vermögen das schützenswerte Interesse der Betroffenen nicht zu beeinträchtigen. Im Übrigen werde der vom Beschuldigten bezweifelten Einhaltung des Fairnessgebots auch durch § 249 Abs 3 StPO Rechnung getragen.

In seiner darauf erstatteten Gegenäußerung führt der Beschwer deführer aus, dass die Bestimmung des § 52 Abs 1 StPO weder eine verfassungsrechtliche Grundlage im Datenschutzgesetz habe noch Art 6 MRK entspreche. Der erforderlichen Fairness des Verfahrens und insbesondere der Waffengleichheit werde auch nicht durch die Bestimmung des § 249 Abs 3 StPO Rechnung getragen.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie das Erstgericht zutreffend ausführte, schließt das Gesetz (§ 52 Abs 1 letzter Halbsatz StPO) eine Übermittlung einer Kopie der Ton- und Bildaufnahme ausdrücklich aus. Es entspricht daher (zunächst) der einfach-gesetzlichen Rechtslage, dass die Staatsanwaltschaft Salzburg dem Antrag des Beschuldigten auf Übermittlung einer Kopie der Ton- und Bildaufnahme von der kontradiktorischen Einvernahme des minderjährigen M***** M***** nicht entsprochen hat, weshalb der Beschwerde keine Folge zu geben war.

Auch werden die Bedenken des Beschwerdeführers nicht geteilt, wonach der letzte Halbsatz des § 52 Abs 1 StPO verfassungswidrig sei. Das Beschwerdegericht sieht keinen Anlass, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung dieser Gesetzesstelle zu stellen (Art 89 Abs 2 B-VG).

Soweit der Beschwerdeführer vermeint, eine Ungleichbehandlung der Anklagebehörde und des Beschuldigten zu erkennen, ist darauf hinzuweisen, dass die Anklagebehörde naturgemäß im Ermittlungsverfahren eine Sonderstellung einnimmt, da diese das Ermittlungsverfahren führt. Der Beschuldigte kann sich nicht all jener Ermittlungsmaßnahmen bedienen, die die Strafverfolgungsbehörde durchführen kann. Auch dem vom Beschuldigten beauftragten Privatsachverständigen stehen nicht dieselben Quellen wie einem gerichtlichen bestellten Sachverständigen zu. Wenn der Beschwerdeführer darin eine Verletzung der Waffengleichheit zu erkennen glaubt, so ist ihm entgegenzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft zu Objektivität verpflichtet ist (§ 3 StPO). Ihre Organe haben ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben und den belastenden und entlastenden Umständen mit gleicher Sorgfalt nachzugehen. Ebenso ist der von der Staatsanwaltschaft bzw. vom Gericht bestellte Sachverständige zur Objektivität verpflichtet (§ 127 Abs 2 StPO).

Zudem ist zu beachten, dass die einzelnen Teilgarantien des fairen Verfahrens nicht in jedem Verfahrensstadium gewährleistet werden müssen, sondern dass das Verfahren insgesamt fair iSd Art 6 MRK gestaltet sein muss. Die Beurteilung eines Verfahrens auf seine Fairness muss daher das gesamte Verfahren erfassen; relevant ist die objektive Beurteilung (Korinek/Houbek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 78). Ob in einem Verfahren die Rechte der Beteiligten aus Art 6 EMRK, insbesondere der Anspruch auf ein faires Verfahren, gewahrt wurden, beurteilt sich in der Regel erst nach Abschluss des gesamten Verfahrens, einschließlich des Rechtsmittelverfahrens; dabei kann auch das Verfahren vor den Rechtsmittelinstanzen zur Heilung von Verfahrensmängeln in den Vorinstanzen führen (Berka, Die Grundrechte Rz 42.123).

Es trifft zwar zu, dass im konkreten Verfahrensstadium einem allenfalls assistierenden Privatsachverständigen nicht dieselben Erkenntnisquellen wie einem von den Strafverfolgungsbehörden beauftragten Sachverständigen verfügbar sind. Dem Beschuldigten wird jedoch in einem allfälligen Hauptverfahren die Möglichkeit geboten, sein Fragerecht unter Beiziehung eines Privatsachverständigen fachlich fundiert auszuüben und dem gerichtlichen Sachverständigen gezielte Fragen zu stellen (§ 249 Abs 3 StPO).

In der Hauptverhandlung - so es zu einer Anklageerhebung kommt - wird das Video über die kontradiktorische Vernehmung wohl in die Stoffsammlung Eingang finden (§§ 252 Abs 1 Z 2a StPO) und damit auch für einen allenfalls assistierenden Privatgutachter einsehbar sein. Das daran geknüpfte Verteidigungsrecht ist nicht essentiell beschränkt.

So sieht das Beschwerdegericht keinen Anlass für einen Antrag nach Art 89 Abs 2 B-VG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiteres Rechtsmittel nicht zu.

Textnummer

EL0000118

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2009:0070BS00095.09H.0402.000

Im RIS seit

05.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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