TE OGH 2009/8/19 15Os67/09f

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Veröffentlicht am 19.08.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Helmut Qu***** wegen des Vergehens der Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses zu Gunsten des Auslands nach § 124 Abs 2 StGB, AZ 12 Hv 131/07x des Landesgerichts Wels, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. September 2008, AZ 8 Bs 137/08s, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Helmut Qu*****, AZ 12 Hv 131/07x des Landesgerichts Wels, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. September 2008, AZ 8 Bs 137/08s, in seiner Begründung § 124 Abs 2 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Wels vom 14. November 2007, AZ 12 Hv 131/07x-11, wurde Helmut Qu***** des Vergehens der Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses zugunsten des Auslands nach § 124 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wels in seiner Eigenschaft als leitender Angestellter der R***** GmbH mit Sitz in Wels firmeninterne Betriebsgeheimnisse, zu deren Wahrung er verpflichtet war, an ausländische Gesellschaften der Verwertung, Verwendung oder sonstigen Auswertung im Ausland preisgegeben, und zwar

1./ am 31. März 2007 durch Versendung eines Mails an den Manager des B*****-Konzerns (mit Sitz in Deutschland, US 5), Jan E*****, indem er diesem den Stand der vertraulichen Verhandlungen und Planungen der R***** GmbH mit dem I*****-Konzern zur Kenntnis brachte, und

2./ am 9. April 2007, indem er in einem Mail an den (in England tätigen, US 6) Manager des B*****-Konzerns, John H*****, ein Dossier der R***** GmbH über die „Firma A*****" weiterleitete, welches eine Bewertung und Übernahme von A***** durch B***** ermöglichen bzw erleichtern sollte.

Der dagegen vom Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und des Ausspruchs über die Privatbeteiligtenansprüche erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Linz mit Urteil vom 2. September 2008, AZ 8 Bs 137/08s, wegen eines Verfahrensmangels (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels zurück (ON 21).

In der weiteren Begründung schloss sich das Oberlandesgericht Linz der von Lewisch in WK2 § 124 Rz 2 ff vertretene Rechtsansicht an, wonach die Bestimmung des § 124 StGB im Widerspruch zu den Grundsätzen eines im Rahmen der EU bestehenden gemeinsamen Wirtschaftsraums stehe. Dieser erfordere den Entfall jeglicher Binnengrenzen; die in einer rechtlichen Ungleichbehandlung begründete materielle Verzerrung des Wettbewerbs sei als Anknüpfungspunkt einer Diskriminierung anzusehen, weshalb „Ausland" nur als „EU-Ausland" zu verstehen und von § 124 Abs 2 StGB somit nur die Preisgabe zur Verwertung, Verwendung oder sonstigen Auswertung im EU-Ausland umfasst sei (idS auch Bertel-Schwaighofer BT I10 §§ 122-124 Rz 14).

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach dem gesetzlichen Normverständnis bezeichnet der - auch in anderen Bestimmungen des StGB (etwa §§ 60 Abs 2 Z 4, 64 f) verwendete - Begriff „Ausland" in § 124 StGB jeden Ort, der nicht Inland im Sinn des § 62 StGB ist, somit nicht zum Bundesgebiet gehört (Leukauf/Steininger Komm³ § 64 RN 1). § 124 StGB, dessen mit dem StRÄG 1965 (BGBl 1965/79) eingefügte, im Wesentlichen gleichlautende Vorläuferbestimmung des § 310c StG ausdrücklich als Gegenstück zur Strafbestimmung gegen militärische Ausspähung (§ 67 StG) konzipiert war, pönalisiert nach dem klaren Willen des Gesetzgebers gezielt den sogenannten „wirtschaftlichen Landesverrat" zum Nachteil Österreichs (EBRV StRÄG 1965, 650 BlgNR 10. GP, 9; Leukauf/Steininger Komm³ § 124 RN 1; Lewisch in WK² § 124 Rz 1). Die in Rede stehende Strafbestimmung ist daher spezifisch auf den Schutz gesamtwirtschaftlicher staatlicher Interessen (auch unter dem Gesichtspunkt der äußeren Sicherheit des Staates) ausgerichtet (EBRV StRÄG 1965, 650 BlgNR 10. GP, 3 und 10; Thiele, SbgK § 124 Rz 5 ff). Folgerichtig ist § 124 StGB ein Offizialdelikt (§ 4 Abs 1 StPO) und im Katalog jener ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts zu verfolgenden im Ausland begangenen strafbaren Handlungen enthalten, die gegen besonders wichtige Interessen Österreichs gerichtet sind (§ 64 Abs 1 Z 1 StGB; EBRV StRÄG 1965, 650 BlgNR 10. GP, 10; Höpfel/U. Kathrein in WK² § 64 Rz 3; Schwaighofer, SbgK § 64 Rz 4, 6; Lewisch in WK² § 124 Rz 1).

Entgegen der auf Lewisch (WK² § 124 Rz 2 ff) gestützten Rechtsansicht des Oberlandesgerichts besteht für eine (durch den Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts bedingte) gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung (vgl Öhlinger, Verfassungsrecht7, 91 f) des § 124 StGB mit dem Ergebnis einer Einschränkung des zuvor dargelegten Begriffsumfangs auf den Bereich „Ausland außerhalb der EU" kein Anlass, weil die vorliegende Strafbestimmung nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt (vgl Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht³, 102 f):

Das Gemeinschaftsrecht verpönt Diskriminierungssachverhalte, die der mitgliedsstaatlichen Regelungszuständigkeit unterliegen, nur bei einem zumindest indirekten gemeinschaftsrechtlichen Bezug; also dann, wenn die innerstaatliche Rechtsregelung entweder eine Diskriminierung (Art 12 EGV) von (natürlichen und juristischen) Personen mit gemeinschaftsrechtlichem Anspruch auf Gleichbehandlung oder aber eine Beschränkung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten (etwa der Niederlassungsfreiheit [Art 43 EGV] oder der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs [Art 49 EGV]) bewirkt (Lewisch in WK² § 124 Rz 6).

Normadressat des § 124 StGB ist ausschließlich der (im Hinblick auf die darin bezeichneten Tathandlungen jeweilige) präsumtive Straftäter, nicht aber - anders als etwa in dem vom Europäischen Gerichtshof als diskriminierend beurteilten Fall der Auferlegung einer aktorischen Kaution (EuGH 2. 10. 1997, C-122/96; vgl dazu Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht³, 102; Lewisch in WK² § 124 Rz 6) - ein innerstaatlich rechtlichen Beschränkungen (vorliegend unter dem Gesichtspunkt der Verfolgung einer Verletzung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen) unterworfenes EU-Unternehmen. Daher steht eine Berufung auf das Diskriminierungsverbot oder die Grundfreiheiten des EG-Vertrags von vornherein nicht in Rede, weil ein durch § 124 StGB verpöntes strafbares Verhalten keine vom EG-Vertrag geschützte legale wirtschaftliche Tätigkeit darstellt (vgl Herzig in Eilmansberger/Herzig [Hrsg], Europarecht Jahrbuch 2008, 85 f, mit Beziehung auf § 217 StGB und 15 Os 32/07f, vgl auch 11 Os 39/08g, EvBl 2008/122, 605). Die (in den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten ausgedrückten) Grundsätze eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes weisen naturgemäß keinen Strafrechtsbezug auf und schließen damit die Pönalisierung der Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses zu Gunsten des (innerhalb der EU gelegenen) Auslands nicht aus (vgl zur gleichgelagerten [qualifizierenden] Strafbestimmung des § 17 Abs 4 Z 2 und 3 dUWG Brammsen, Münch Komm UWG [2006], § 17 RN 130 mwN).

Da somit der Begriffsumfang des „Auslands" in § 124 StGB nicht auf den Bereich außerhalb der EU beschränkt ist, hat das Oberlandesgericht mit Beziehung auf die in Verdacht gestandene Geheimnispreisgabe zur Verwertung oder Verwendung außerhalb Österreichs, aber innerhalb der EU eine Tatbildverwirklichung nach § 124 Abs 2 StGB - freilich zum Vorteil der Angeklagten - zu Unrecht verneint.

Die Gesetzesverletzung war daher festzustellen, ein Vorgehen nach § 292 letzter Satz StPO kam mangels Nachteils für den Angeklagten nicht in Betracht.

Bemerkt wird aber, dass eine (durch die bloße Feststellung der Gesetzwidrigkeit nicht beseitigte; RIS-Justiz RS0100309) Bindung des Einzelrichters an die vom Oberlandesgericht in seiner kassatorischen Entscheidung verfehlt vertretene Rechtsansicht (RIS-Justiz RS0100279, RS0100284) im weiteren Rechtsgang im konkreten Fall ohnedies nicht besteht, weil diese der (einer Verfahrensrüge nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO Folge gebenden, s US 6, 8 in ON 21) Kassation nicht zugrunde gelegt, sondern nur in einem obiter dictum als Anleitung für den weiteren Rechtsgang (US 8 ff in ON 21) geäußert worden ist (vgl Ratz, WK-StPO § 293 Rz 10 ff; RIS-Justiz RS0117746).

Textnummer

E91652

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0150OS00067.09F.0819.000

Im RIS seit

18.09.2009

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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