RS Vfgh 2012/10/11 B1369/11

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Veröffentlicht am 11.10.2012
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Index

10 VERFASSUNGSRECHT
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

DSG 2000 §1 Abs1, Abs2, §4 Z2, Z12
FührerscheinG §3, §24

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Geheimhaltung personenbezogener Daten durch Übermittlung von Gesundheitsdaten zwischen Abteilungen der Bundespolizeidirektion Wien gestützt auf die Annahme lebenswichtiger Interessen des Betroffenen; Anforderungen nach dem Führerscheingesetz zum Lenken von Kraftfahrzeugen vorrangig im Interesse anderer Verkehrsteilnehmer; keine Prüfung des Vorliegens der einer physisch bedingten Zustimmungsunfähigkeit gleichzuhaltenden Situation

Rechtssatz

Bei der behördeninternen Weitergabe von Informationen betreffend den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers handelt es sich um eine Übermittlung - nämlich eine Verwendung von Daten für ein anderes Aufgabengebiet der BPD Wien als Auftraggeber - von sensiblen personenbezogenen Daten iSd §4 Z2 und Z12 DSG 2000. Da im vorliegenden Fall (unbestrittenermaßen) ein schutzwürdiges Interesse des Beschwerdeführers an der Geheimhaltung dieser Daten besteht, greift ihre Übermittlung in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten gemäß §1 Abs1 DSG 2000 ein.

Ein Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Geheimhaltungsrecht gemäß §1 Abs2 erster Satz DSG 2000 unter Berufung auf die lebenswichtigen Interessen des Betroffenen darf nur dann erfolgen, wenn eine Zustimmung nicht eingeholt werden kann; dies ergibt sich schon aus §1 Abs2 letzter Satz DSG 2000, wonach zulässige Eingriffe jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden dürfen. Eine Verarbeitung ist daher nur dann als erforderlich für die Wahrung lebenswichtiger Interessen Betroffener anzusehen, wenn diese selbst zu einer eigenen Interessenwahrnehmung nicht in der Lage sind und anzunehmen ist, dass sie in die Verwendung der Daten einwilligen würden. Nach Auffassung des VfGH ist es nicht ausgeschlossen, dass eine schwerwiegende psychische Erkrankung die Einsichts- und Urteilsfähigkeit eines Betroffenen so weit beeinträchtigen kann, dass eine Zustimmungsunfähigkeit vorliegt, die einer physischen Zustimmungsunfähigkeit (zB Bewusstlosigkeit nach einem Unfall) gleichzuhalten ist; das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist jedoch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall zu prüfen. §1 Abs2 erster Halbsatz DSG 2000 steht auch nicht einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften entgegen, die eine weitergehende Beschränkung der Verwendung von Daten vornehmen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde lediglich aus den gesetzlichen Bestimmungen über die physischen und psychischen Anforderungen zur Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl zB §3 Abs1 Z3 iVm §8 und §9 sowie iVm §24 FührerscheinG und §3 Abs1 Z1, §5 Abs1 Z4 und §13 FSG-GV) abgeleitet, dass diese Regelungen auch dem Eigenschutz des Lenkers dienten und daher die Übermittlung der Gesundheitsdaten unmittelbar auf die "lebenswichtigen Interessen" des Betroffenen gemäß §1 Abs2 DSG 2000 gestützt werden könne. Der VfGH vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen, dienen diese Bestimmungen doch vorrangig dem Schutz (lebenswichtiger) Interessen anderer Verkehrsteilnehmer. Selbst unter Zugrundelegung der von der belangten Behörde vertretenen Annahme erweist sich die Begründung im angefochtenen Bescheid aber jedenfalls als unzureichend, weil die belangte Behörde nicht geprüft hat, ob im konkreten Fall - etwa auf Grund der Schwere der psychischen Erkrankung oder des Bestehens einer unmittelbaren Gefahr für den Beschwerdeführer - eine Situation vorlag, die einer physisch bedingten Zustimmungsunfähigkeit (etwa im Sinne einer Bewusstlosigkeit) gleichzuhalten ist und deshalb eine Übermittlung von Gesundheitsdaten im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen (ohne den Versuch, seine Zustimmung einzuholen) gerechtfertigt war.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Datenschutz, Polizei, Kraftfahrrecht, Lenkberechtigung, Führerschein, Bescheidbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B1369.2011

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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