TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/18 2000/10/0131

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Veröffentlicht am 18.12.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
27/01 Rechtsanwälte;

Norm

B-VG Art139;
GO RAK NÖ 1990 §27 Abs3 idF AnwBl 1999 Seite 553;
RAO 1868 §45 Abs3;
RAO 1868 §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde des Dr. J, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Wiener Straße 36-38, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. März 2000, Zl. 75/00 und Zl. 118/00, betreffend Bestellung zum Verteidiger, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der beschwerdeführende Rechtsanwalt wurde mit Bescheiden der Abteilung II/6 des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Niederösterreich vom 3. Jänner 2000 und 17. Jänner 2000 jeweils im Rahmen der Verfahrenshilfe zum Verteidiger nach § 41 Abs. 2 StPO für M.H. und M.N. bestellt.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer Vorstellung. Er machte insbesondere geltend, die Vorgangsweise der Rechtsanwaltskammer bei der Verteilung der Verfahrenshilfeangelegenheiten widerspreche den Vorgaben des § 45 RAO. Es käme zu einer übermäßigen Belastung der im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg ansässigen Rechtsanwälte im Allgemeinen und der östlich von Wien (z.B. - wie der Beschwerdeführer - in Schwechat) ansässigen Rechtsanwälte, die die Bundeshauptstadt durchqueren müssten, um Korneuburg zu erreichen, im Besonderen. 19 % der Niederösterreichischen Anwälte hätten ihren Kanzleisitz im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg. Sie müssten 36 % des Gesamtanfalles der Verfahrenshilfe im Bereich der Rechtsanwaltskammer für Niederösterreich tragen. Dem könnte abgeholfen werden, wenn Bestellungen auch "sprengelübergreifend" vorgenommen würden. Bei Bestellung von Anwälten anderer Landesgerichtssprengel für im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg zu verrichtende Verfahrenshilfeangelegenheiten würde sich eine geringere Belastung der im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg ansässigen Rechtsanwälte ergeben.

Die belangte Behörde wies die Vorstellungen mit dem angefochtenen Bescheid ab. Nach Wiedergabe der Rechtsgrundlagen legte die belangte Behörde dar, sie übersehe nicht die besondere Situation bei den Verfahrenshilfesachen im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg, die zu einer verstärkten Belastung der Rechtsanwälte mit dem Kanzleisitz im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg geführt habe. Seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 91/1993 befinden sich auf dem Gebiet des Bundeslandes Niederösterreich vier Gerichtshöfe erster Instanz. Durch die Aufhebung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien, des Handelsgerichtes Wien, des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Jugendgerichtshofes in Wien für die Sprengel der Bezirksgerichte Purkersdorf, Bruck an der Leitha, Groß Enzersdorf, Hainburg an der Donau, Klosterneuburg, Schwechat und Mödling sei es zu einem massiven Anstieg der beim Landesgericht Korneuburg als Gerichtshof erster Instanz anhängigen Verfahren und damit zwangsläufig (besonders in Strafsachen) zu einem massiven Anstieg der beim Landesgericht Korneuburg anhängigen Strafsachen, bei denen das Gericht eine Verteidigerbestellung gemäß § 41 Abs. 2 StPO vorgenommen habe, gekommen. Da sich die Anzahl der Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg hätten, nicht wesentlich erhöht habe, sei es zu einer Mehrbelastung der im Rahmen der Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg hätten, gekommen. Die Rechtsanwaltskammer dürfe nach §§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 1 RAO sowie § 27 der Geschäftsordnung des Ausschusses zum Verfahrenshelfer bzw. Verteidiger im Rahmen der Verfahrenshilfe nur einen Rechtsanwalt bestellen, der seinen Kanzleisitz im Sprengel des Gerichtshofes erster Instanz habe, in dem das Verfahren anhängig sei bzw. in dem der Rechtsanwalt tätig zu werden habe. Eine sprengelüberschreitende Bestellung, also die Bestellung von Rechtsanwälten, die ihren Kanzleisitz etwa im Sprengel der Landesgerichte St. Pölten oder Krems hätten, für beim Landesgericht Korneuburg oder bei einem Bezirksgericht im Sprengel dieses Landesgerichtes zu führende Angelegenheiten würde nicht nur der Geschäftsordnung widersprechen, sondern auch der Vorschrift des § 45 Abs. 3 RAO.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 28. Juni 2000, B 794/00, ab und trat die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Gerichtshof legte unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung und die Rechtsprechung des EGMR zur Berechtigung des Gesetzgebers, von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen bzw. pauschalierende Regelungen zu treffen, und zu Art. 4 EMRK dar, die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm sei so wenig wahrscheinlich, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde übersehe, dass § 45 Abs. 3 RAO im Zusammenhang mit § 46 Abs. 1 leg. cit. auszulegen sei. Jede Bestellung müsse unter Beachtung des Grundsatzes einer möglichst gleichmäßigen Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse erfolgen. § 45 Abs. 3 RAO schließe eine "sprengelübergreifende" Bestellung nicht aus, sondern gebiete diese im Hinblick auf den Grundsatz der gleichmäßigen Heranziehung und Belastung. § 27 der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich sei daher gesetzwidrig, soweit die "sprengelüberschreitende" Bestellung eines Rechtsanwaltes an dessen Zustimmung geknüpft werde. Die Vorgangsweise der belangten Behörde, die keine "sprengelübergreifenden" Bestellungen vornehme, verstoße daher gegen §§ 45 Abs. 3 und 46 Abs. 1 RAO.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 45 RAO lautet:

"(1) Hat das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwaltes beschlossen oder schließt die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine solche Beigebung ein, so hat die Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwaltes durch die Rechtsanwaltskammer.

(2) Die Bestellung für ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof obliegt dem Ausschuss der nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Partei, sonst dem Ausschuss der nach dem Sitz des Gerichtes zuständigen Rechtsanwaltskammer.

(3) Müsste der bestellte Rechtsanwalt außerhalb des Sprengels des Gerichtshofes erster Instanz, wo er seinen Kanzleisitz hat, tätig werden oder ist der Partei, die sich außerhalb dieses Sprengels aufhält, die Zureise zu dem bestellten Rechtsanwalt für eine notwendige mündliche Aussprache wegen unüberwindlicher Hindernisse oder hoher Kosten unzumutbar, so hat der Ausschuss der nach dem Ort der vorzunehmenden Tätigkeit bzw. nach dem Aufenthaltsort der Partei zuständigen Rechtsanwaltskammer auf Antrag des bestellten Rechtsanwaltes oder der Partei hiezu einen Rechtsanwalt zu bestellen, der im Sprengel des Gerichtshofes erster Instanz, wo dieser Ort liegt, seinen Kanzleisitz hat.

..."

§ 46 RAO lautet:

"(1) Die Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern haben bei der Bestellung nach festen Regeln vorzugehen; diese haben eine möglichst gleichmäßige Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte unter besonderer Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu gewährleisten. Diese Regeln sind in den Geschäftsordnungen der Ausschüsse festzulegen.

(2) Die Geschäftsordnungen können jedoch allgemeine Gesichtspunkte festlegen, nach denen Rechtsanwälte aus wichtigen Gründen von der Heranziehung ganz oder teilweise befreit sind. Als wichtige Gründe sind besonders die Ausübung einer mit erheblichem Zeitaufwand verbundenen Tätigkeit im Dienst der Rechtsanwaltschaft oder persönliche Umstände anzusehen, die die Heranziehung als besondere Härte erscheinen ließen."

§ 27 Abs. 3 der Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (GO) lautet:

"Die Bestellung der Kollegen erfolgt in alphabetischer Reihenfolge aus der vom Ausschuss für die einzelnen Landesgerichtssprengel erstellten Liste der Verfahrenshelfer. Der Ausschuss kann unter Bedachtnahme auf § 27 Abs. 1 GO und § 46 RAO diese Liste so erstellen, dass die Rechtsanwälte, deren Kanzleisitz einem Landesgerichtssprengel benachbart sind oder in einem örtlichen Naheverhältnis zu diesem Sprengel sich befinden, mit deren Zustimmung in die Liste dieses Landesgerichtssprengels für die Verfahrenshilfe aufgenommen werden. Sofern das Gesetz nichts anderes vorsieht, sind zu Verfahrenshelfern jene Rechtsanwälte zu bestellen, die in die Kammerliste für einen Gerichtshofsprengel erster Instanz eingetragen sind oder ihren Kanzleisitz im Sprengel des Bezirksgerichtes haben, bei dem die Rechtssache anhängig ist, oder die ihren Kanzleisitz am Wohnort des Betroffenen haben."

Mit den oben wiedergegebenen Darlegungen bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass seine Bestellung in den der Beschwerde zu Grunde liegenden Fällen entsprechend dem § 27 Abs. 3 der Geschäftsordnung erfolgte. Er vertritt vielmehr die Auffassung, dass die soeben zitierte Vorschrift nicht dem in § 46 Abs. 1 RAO normierten Grundsatz der "gleichmäßigen Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte" entspreche. Der Beschwerdeführer dürfte somit - ohne dies konkret zu behaupten - davon ausgehen, seine Bestellung in den der Beschwerde zu Grunde liegenden Fällen wäre unterblieben, hätte die belangte Behörde die von ihm als gesetzwidrig erachtete Vorschrift des § 27 Abs. 3 der Geschäftsordnung nicht angewendet und Rechtsanwälte, die nicht im Sprengel des Landesgerichtes Korneuburg ansässig sind, auch ohne ihre Zustimmung in die nach § 27 Abs. 3 GO für diesen Landesgerichtssprengel zu führende Liste aufgenommen. Ob dies zutrifft, muss nicht abschließend geklärt werden, weil die von der Beschwerde angenommene Gesetzwidrigkeit von § 27 Abs. 3 GO nicht vorliegt.

§ 46 Abs. 1 RAO ist nicht zu entnehmen, dass in die vom Ausschuss zu führende Liste (auch ohne ihre Zustimmung) Rechtsanwälte aufgenommen werden müssten, die nicht im betreffenden Landesgerichtssprengel ansässig sind. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die vom Verordnungsgeber geschaffene Regelung, die in einem Landesgerichtssprengel anfallenden Angelegenheiten der Verfahrenshilfe grundsätzlich unter die im betreffenden Landesgerichtssprengel ansässigen Rechtsanwälte zu verteilen, dem Grundsatz einer möglichst gleichmäßigen Heranziehung und Belastung der der betreffenden Kammer angehörenden Rechtsanwälte von vornherein nicht entspräche. Der von der Beschwerde hervorgehobene Umstand, dass in anderen Landesgerichtssprengeln Niederösterreichs ansässige Rechtsanwälte weniger häufig mit Angelegenheiten der Verfahrenshilfe befasst wären, zeigt auch nach der im Ablehnungsbeschluss zum Ausdruck gekommenen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes keine Gesetzwidrigkeit der Geschäftsordnung auf. Es handelt sich dabei um eine Auswirkung des Verhältnisses der Zahl der im jeweiligen Landesgerichtssprengel ansässigen Rechtsanwälte zur Anzahl der im betreffenden Sprengel anfallenden Angelegenheiten der Verfahrenshilfe. Es ist auch nicht zu sehen, nach welchen Gesichtspunkten welche außerhalb des betreffenden Landesgerichtssprengels ansässigen Rechtsanwälte auch ohne ihre Zustimmung in die nach § 27 Abs. 3 der Geschäftsordnung zu führende Liste aufgenommen werden sollten.

§ 45 Abs. 3 RAO ist im vorliegenden Zusammenhang nicht unmittelbar anwendbar, weil die Vorschrift nicht auf die Aufnahme in die nach § 27 Abs. 3 GO zu führenden Listen Bezug nimmt, sondern den Fall regelt, dass der bestellte Rechtsanwalt außerhalb des Sprengels des Gerichtshofes erster Instanz, wo er seinen Kanzleisitz hat, tätig werden müsste oder der Partei, die sich außerhalb dieses Sprengels aufhält, die Zureise zu dem bestellten Rechtsanwalt für eine notwendige mündliche Aussprache wegen unüberwindlicher Hindernisse oder hoher Kosten unzumutbar ist. Der Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass es geboten wäre, auch außerhalb des betreffenden Landesgerichtssprengels ansässige Rechtsanwälte zur Verfahrenshilfe heranzuziehen.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich somit nicht veranlasst, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der von der Beschwerde angegriffenen Vorschrift der GO zu stellen. Eine bei der Anwendung dieser Vorschrift durch die belangte Behörde unterlaufene Rechtswidrigkeit macht die Beschwerde nicht geltend.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die geltend gemachte Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000100131.X00

Im RIS seit

14.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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